Jos Stellings "Rembrandt fecit 1669" und die Darstellung von Kunst im Künstlerfilm


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

33 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung: Von Walter Benjamin zu Rembrandt fecit

II. Zum Verhältnis von Malerei und Sprache im Künstlerfilm
II.1. Der Künstler als Redner
II.2. Ein stummer Rembrandt
II.3. Das Kunstgespräch

III. Der Künstler hinter der Kamera
III.1. Die „spezifischen Möglichkeiten des Films“
III.2. Der Blick des Künstlers: Vom Maler zum Filmemacher
III.3. Die Kamera versucht zu malen

IV. Das Problem der Narration
IV.1. Kohärenz und Fragmentierung
IV.2. Geschichte, Mythos und das Jetzt
IV.3. Emotionalisierung versus Dramatisierung

V. Schluß

I. Einleitung: Von Walter Benjamin zu Rembrandt fecit

„Und wenn Abel Gance 1927 enthusiastisch ausrief: ‚Shakespeare, Rembrandt, Beethoven werden filmen’ (...), so hat er, ohne es wohl zu meinen, zu einer umfassenden Liquidation eingeladen.“[1] Benjamin meint die Zerstörung des „Tradierten“ aber auch jener „überkommene[n] Begriffe – wie Schöpfertum und Genialität, Ewigkeitswert und Geheimnis“[2] durch das neue Massenmedium Film. Ganz recht behalten sollte Benjamin aber nicht, denn an der Schwelle zum 21. Jahrhundert macht die Rembrandt-Verfilmung von Charles Matton[3] abermals eine tiefe Verbeugung vor dem Genius und läßt ihn am Ende in dem Ausruf der kleinen Cornelia „Rembrandt est mort...!“ als „König des Lichts“ metaphorisch wieder auferstehen.

1977, mehr als zwanzig Jahre zuvor, entsteht unter der Regie von Jos Stelling ein Rembrandt-Film, der schon eher von dieser Benjaminschen These Gebrauch zu machen scheint: Rembrandt fecit 1669.

Die vorliegende Arbeit will diesen Film unter verschiedenen Gesichtspunkten des Künstlerfilmgenres analysieren. Die zentrale Frage dreht sich dabei um die filmspezifischen Darstellungsmodi, durch welche Kunst im Film gezeigt und funktionalisiert werden kann. Vergleiche mit anderen Filmen sollen helfen, die Besonderheiten der Stelling-Produktion hervorzukehren.

In einem ersten Teil wird, als einem der tragenden Vehikel der Kunstvermittlung, die Sprache in ihrem Verhältnis zur Malerei im Film untersucht. Als Gegenmodell zur sprachbetonten Auseinandersetzung sollen daraufhin die filmeigenen formalen Gestaltungsmittel der Mise-en-scène in Betracht gezogen werden, die alternativ zur Rede den Eindruck einer Künstlerperspektive verschaffen können. Schließlich wird als drittem wichtigen Posten des Künstlerfilms die narrative Integration kunsthistorischer Stoffe, und damit auch das Verhältnis von Film und Geschichte bzw. Mythos, behandelt.

II. Zum Verhältnis von Malerei und Sprache im Künstlerfilm

II.1. Der Künstler als Redner

„Jeder Versuch, im Film Vorstellungen und Empfindungen ausschließlich oder hauptsächlich durch Sprache mitzuteilen, hinterläßt ein Gefühl der Verlegenheit oder Langeweile, oder beides.“[4] So drückt sich Panofsky im Hinblick auf den Tonfilm aus, um davor zu warnen die Fülle der Möglichkeiten des Mediums Film durch den Siegeszug der Sprache zu vernachlässigen.

Auf die Frage, welche Gemeinsamkeit zwischen Malerei und Film bestehe, dürfte die Antwort indessen lauten: das Bild. Arnheim gibt beispielsweise den Hinweis, „daß die gleichen Prinzipien der Flächenaufteilung, wie sie die Maler von altersher benutzen (...) auch für den Film Geltung haben“[5]. Das gleiche gilt, vor allem im Farbfilm, auch für die Beleuchtung, die „nicht nur als unentbehrliches Hilfsmittel (...) sondern als ein prachtvolles Werkzeug (...) das Auge des Zuschauers auf den Brennpunkt des Geschehens zu lenken, Wichtiges hervorzuheben, Unwichtiges zu unterdrücken“[6] vermag. Nicht zufällig nennt er im selben Atemzug Rembrandt, dessen Malerei schon damals vielerorts Modellcharakter für die Filmbeleuchtung hat.

Und doch, wenn man das Gros der Künstlerfilmproduktionen des vergangenen Jahrhunderts überblickt, wird auffällig, wie selten diese „neue Verwandtschaft zwischen Malerei und Film“[7] tatsächlich konsequent funktionalisiert wurde, und wie oft stattdessen der Film nur wieder versucht hat, Theater zu sein und dem Vorbild der Kunstgeschichtsschreibung nachzueifern.

So hält Rembrandt bei Korda[8] eine eloquente Rede über die Frau als Muse vor einem gespannten Publikum in der Schenke, zitiert gewandt aus der Bibel, so daß er den Bettler, der ihm als König Saul Modell sitzt, buchstäblich „zu Tränen rührt“ und fesselt die junge, ausgelassene Schar mit Salomon. Bei Steinhoff[9] gibt er gar Erklärungen zur Nachtwache ab, weil die Auftraggeber seine Kunst „nicht verstehen“ und macht kluge Korrekturen zu den Arbeiten seiner Schüler, die gebannt den Worten des Meisters lauschen. Jarmans Caravaggio[10] fällt ein wenig plump mit einem inneren Monolog in das filmische Geschehen ein. In Minnellis Van Gogh[11] wird die Geschichte des Impressionismus gelehrt, und in Jerry Londons Michelangelo[12] erklärt uns der sensible Bildhauer, daß in dem Stein, aus dem er später den David meißeln wird, eine Figur gefangen ist, die er „befreien“ will. Leonardo da Vinci wird gar bemüht, einen Vortrag über das Wesen der Malerei zu halten und im Angesicht der Mona Lisa seine Technik zu erläutern. Dialoge, Monologe, weise Reden und Dispute sind aus Künstlerfilmen dieser Art nicht wegzudenken.

II.2. Ein stummer Rembrandt

Gegen diese Sprachgewandtheit erscheint der Stellingsche Rembrandt geradezu als Sprachbanause. So oft, wie man erwarten könnte, daß er etwas sagt, schweigt er verbissen und demonstrativ. Besonders sticht dieses Verhalten ins Auge, wenn es um emotionale Belange geht, die Liebe, den Schmerz seiner Mitmenschen. Als Hendrijke ihn unter Tränen auf ihre gemeinsame finanzielle Situation anspricht und am Ende verzweifelt fragt: „Isn’t it going well?“, bleibt ihr Monolog unerwidert und Rembrandt weiter mit ihrem Porträt beschäftigt. Gegen Ende des Films unternimmt Titus den vergeblichen Versuch, mit seinem Vater zu kommunizieren:

„I still have so many things to ask you./ I would like to talk with you, for hours, for days.../ ...although it’s in fact of no use.../ the thoughts of a moment.../ and try to recover what can’t be represented.../ You know what I mean, don’t you?/ I love you./ I wish I could show you.../ ...but you should be able to./ Do you love me?“

Rembrandt sagt auch hier wieder nichts, und auf die Frage Titus’ hin, ob er ihn liebe, steht er bezeichnenderweise auf und wendet sich wieder seiner Malerei zu.

Den ganzen Beginn des Films über bis zur Heirat mit Saskia, sagt Rembrandt nichts, ganz so, als habe er es nicht nötig, seinen Mund aufzumachen. Stattdessen reden immer nur die anderen. Bedeutsamerweiser braucht der Film mehrere Sequenzen bevor Rembrandt selbst zu Wort kommt:

„Yes... my mistress of the house.../ Saskia, already 21 years old.../ ...and we’re just three days married.“

Und doch ist es auch hier zunächst nur ein Voice Over über einer Zeichnung von Saskia. Die Kamera fährt näher heran und der Zuschauer erkennt, daß es sich bei den Worten um den handgeschriebenen Text unter der Zeichnung handelt. Die Geschichte spricht, wie noch oft im Verlauf des Films, aus einem Dokument. Auch das folgende Voice Over gehört Rembrandt:

„That brooding over what has been, makes her sad./ The loss of three children also moves me./ It is just as if she reproaches me for lack of attention./ But she knows very well that the work demands my full attention.../ if I want to maintain myself./ Of course I worry, I still love her. But she must regain her strength./ I want a son.“

Das sind die Worte eines eigenbrödlerisch grübelnden Rembrandt, der sich vor sich selbst rechtfertigt, ob seiner vernachlässigten Gefühle gegenüber Saskia mit der Begründung materieller Notwendigkeit. Wieder ist es ein innerer Monolog als subtile Überleitung zur ersten Szene, in der die Figur des Rembrandt sich endlich der direkten Rede bedienen darf. Und das erste, wovon er dann wirklich redet, ist Geld: „Money is dear.../ ...Saskia“.

Dieses umständliche Herantasten an den sprechenden Rembrandt muß in Negation zu seinen filmischen Vorläufern gesehen werden, in denen Rembrandt stets ein großer Redner war. Es wäre sicherlich ungerecht, alle Künstlerfilme deswegen zu verurteilen, weil sie ihre Protagonisten in Eloquenz baden lassen. Zum Teil geschieht dies mit gewissem Recht, da Van Gogh bei Minnelli aus seinen eigenen Briefen an Theo zitiert und Michelangelo selbst auch ein Dichter war – wie alle Universalgenies seiner Zeit. Man muß sich aber die Frage stellen, welche filmische Legitimation das Wort der Künstlerfigur jeweils besitzt.

Bei Korda und Steinhoff hat die Rede eine klar pädagogische Funktion – Rembrandt bekleidet hiermit seine ihm durch Langbehn zugewiesene Rolle als Erzieher. Caravaggio wird durch den Monolog in seiner Rolle als tragische und dabei zutiefst literarische Figur sublimiert. Belesenheit, poetische Eloquenz und Schlagfertigkeit von Carol Reeds Michelangelo[13] gehören zu den unverzichtbaren Insignien des Helden, der die Sixtinische Decke bezwingt. Ob monologisch, dialogisch, direkt oder indirekt, die Rede des Künstlers ist in allen Fällen Teil und Ausdruck seiner historischen Rolle, die je nach Blickwinkel und Motivation des jeweiligen Films qualitativ variiert.

Stelling sucht offensichtlich nach einer neuen Legitimation, den Künstler sprechen zu lassen. Keine aufgesetzte Rolle, sondern die Kunst selbst, die Malerei konstituieren sein Wesen, demzugrunde das Sehen liegt. Andererseits ist und bleibt Rembrandt ein historisches Produkt und Stellings Film demnach ein erzählendes Medium. Was und vor allem wie erzählt wird, darin liegt wiederum auch die Antwort auf unsere Frage nach der Legitimation.

Stelling versucht eine Art Unvoreingenommenheit zu suggerieren, indem er scheinbar wahllos Dokumente, Briefe, Bilder sprechen läßt, die in lockerer Anordnung ungefähr der Chronologie entsprechen. Natürlich ist er nicht völlig neutral, vielmehr entwirft er einen anderen, ungewöhnlichen Rembrandt. Nichts läßt aber die Tatsache verschleiern, daß auch dieser Rembrandt konstruiert ist. Um diesem Handicap der Konstruktion und damit auch der Narrativik aus dem Weg zu gehen und sich ein Stück weit von historischen Schlußfolgerungen oder einer Art „Moral“ zu befreien, läßt Stelling das kausallogische Gerüst zugunsten eines formallogischen fallen. Rembrandt lernt das Sprechen auf Umwegen. Am Anfang schweigt er und widmet sich seiner vorrangigen Aufgabe, dem Sehen. Sodann fängt er an zu sprechen über den Text unter dem Saskia-Porträt: eine vorsichtige Überleitung vom Reich des rein Visuellen in das Reich der Schrift, die uns vorher bereits in Form von Büchern begegnet ist. Die Off-Stimme bringt das Geschriebene zum Sprechen, und somit ist die Brücke geschlagen zum selbständig sich äußernden Rembrandt, der grübelnd den Blick über einen Haufen von metallenen Gegenständen schweifen läßt und dabei seiner inneren Stimme lauscht. Der Fluß dieses inneren Monologes hört auch dann nicht auf, als er damit beschäftigt ist, Saskia für ein Porträt mit Schmuck auszustaffieren. Hier macht er dann zum ersten Mal seinen Mund auf.

Zu Beginn des Films ist Rembrandt stumm, stattdessen spricht die Geschichte. Mit seinem materiellen Aufstieg beginnt er zu reden, zu streiten sogar, aber seine Rede ist voller Arroganz gegenüber seiner Umwelt. Als ihn die Schuldner anfangen zu bedrängen und er schließlich mit seinem Hab und Gut auch noch das Eigentumsrecht an seinen eigenen Werken verliert, verstummt er wieder. Keine euphorischen Vorträge über das Wesen der Malerei, keine Schulstunden wie noch bei Korda und Steinhoff lassen hier den großen Maler sprechen, stattdessen ist immer wieder vom Geld, von den Schulden und von seinen sozialen Beziehungen die Rede.

II.3. Das Kunstgespräch

Das Kunstgespräch ist, wie bereits in den oben genannten Beispielen angedeutet, ein integrer Bestandteil der meisten Künstlerfilme. Fast überall taucht ein Freund oder Konkurrent auf, eine Gruppe von Schülern, Bewunderern oder Gegnern, die den Künstler zum Gespräch herausfordern. Stellings Rembrandt wird von dieser Verpflichtung, über seine Kunst zu debattieren, befreit. Explizite Gespräche über Kunst fehlen, und nur an drei Stellen im gesamten Film ist tatsächlich von Kunst die Rede.

Das erste Mal in einer Szene mit Geertge, die des Nachts in sein Schlafzimmer kommt um das „Eheversprechen“ einzufordern:

„...while your whole being does not differ.../ from all those who see me as an investment.../ ...of all those who want to be satisfied by me.../ ...whose demands I have to meet.../ ...who try to appease the lapse of time with the longing of success.../ ...who are always under my feet./ I have to get rid of them./ For me it’s not a question of praise ...nor of honor./ I’m only looking for freedom.../ the freedom to look./ I want to show it.../ I want to show what I can.../ I want to show what I think...“

Unmerklich geht dabei Rembrandts Monolog, den er an Geertge richtet, in ein zeitlich unbestimmtes Off über. Das erste Mal, daß Rembrandt etwas über sein Wesen als Maler aussagt, passiert im Angesicht der menschlichsten und zugleich banalsten aller Betätigungen, der fleischlichen Lust. Nicht als Verteidiger seiner Nachtwache oder als Meister seiner Schule sondern als widerwilliger Liebhaber offenbahrt er uns seinen innigsten Wunsch: frei zu sein. Dabei benutzt er nicht das Wort „Kunst“ oder „Malerei“. Er selbst ist im Mittelpunkt, gewissermaßen anstelle einer unpersönlichen Personifikation der Kunst oder der Malerei.

[...]


[1] Benjamin, S. 14, zit. n. Abel Gance: „Le temps de l’image est venu“, in: L’art cinématographique II, Paris 1927, S. 94-96

[2] Benjamin, S. 9

[3] Rembrandt (Charles Matton, F/D/NL 1999)

[4] Panofsky, S. 23

[5] Arnheim, S. 151

[6] ders., S. 152

[7] ders., S. 151

[8] Rembrandt (Alexander Korda, GB 1936)

[9] Ewiger Rembrandt (Hans Steinhoff, D 1942)

[10] Caravaggio (Derek Jarman, GB 1986)

[11] Vincent Van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft (Vincente Minnelli, USA 1956)

[12] Michelangelo – Aufbruch eines Genies (Jerry London)

[13] Michelangelo – Inferno & Ekstase (Carol Reed, USA 1956)

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Jos Stellings "Rembrandt fecit 1669" und die Darstellung von Kunst im Künstlerfilm
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Theaterwissenschaft)
Veranstaltung
HS: Zelluloide Hagiographie: Kunstgeschichte, Nationalismus und die ewige Wiederkehr des Rembrandt-Films
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
33
Katalognummer
V6863
ISBN (eBook)
9783638143363
ISBN (Buch)
9783656226048
Dateigröße
431 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jos Stelling, Rembrandt, Kunst, Malerei, Künstlerfilm
Arbeit zitieren
Anna Purath (Autor:in), 2001, Jos Stellings "Rembrandt fecit 1669" und die Darstellung von Kunst im Künstlerfilm, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6863

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