Q. Horatius Flaccus: De arte poetica. Interpretation vv. 1-45


Seminararbeit, 2001

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Übersetzung Ars poetica vv. 1-45

2. Interpretation Ars poetica vv. 1-45
2.1 vv. 1-13: Elemente des einheitlichen Werkes
2.2 vv. 14-23: Die Einheit des Werkes
2.3 vv. 24-31: Über die Stilistik
2.4 vv. 32-37: Die Ganzheit des Werkes
2.5 vv. 38-41: Stoffwahl
2.6 vv. 42-45: Anordnung

3. Kurzer Vergleich Horaz – Aristoteles

4. Literaturverzeichnis

1. Übersetzung Ars poetica vv. 1-45

Sollte ein Maler einen Menschenkopf mit einem Pferdehals verbinden wollen und den von überall zusammengeliehenen Gliedern verschiedenfarbige Federn anfügen, um von oben eine schöne Frau zuletzt übergehen zu lassen in einen dunklen Fisch, Freunde, würdet ihr, die ihr zum Betrachten zugelassen worden seid, das Lachen halten? Glaubt, Pisonen, daß diesem Gemälde ein Schriftwerk ganz gleich sein wird, dessen Gestalten unwirklich, gleich wie die Träume eines Fieberkranken, ersonnen werden, so daß weder Fuß noch Kopf sich einer einzigen Form fügt. „Es stand Malern und Dichtern schon immer gleichermaßen zu, was auch immer ihnen beliebt zu wagen.“ Das wissen wir, und wir erbitten und gewähren diese Verzeihung im Wechsel; aber nicht, daß Wildes und Sanftes zusammengehen, nicht daß Schlangen mit Vögeln sich paaren und Lämmer mit Tigern. Nachdem große Werke das meiste und Großes in Aussicht gestellt haben, wird ein purpurfarbener Fetzen, der weithin strahlen soll, hier und da angenäht, wenn Hain und Tempel der Diana, Windungen des Wassers, das durch liebliche Gefilde dahinströmt, der Rhein oder ein Regenbogen geschildert werden. Aber es war nicht der Ort dafür. Und vielleicht weißt du eine Zypresse nachzubilden: was aber, wenn nach dem Schiffbruch ein Verzweifelter herausschwimmt, der gegen die Bezahlung von Geld gemalt wird? Eine Amphore begann zu entstehen: warum kommt dann, wenn die Scheibe läuft, ein Krug heraus? Schließlich sei es, was es will, nur sei es Eins und Ganz.

Der größte Teil der Dichter – auch ich –, Vater und junge Männer, des Vaters würdig, wird getäuscht vom Anschein des Rechten. Ich bemühe mich, kurz zu sein, und werde darüber dunkel; demjenigen, der nach Glätte strebt, fehlen Kraft und Geist; wer Großes verheißt, wird schwülstig; der allzu sicher ist und ängstlich vor dem Sturmwind, kriecht am Boden. Wer danach strebt, eine einzige Sache auf seltsame Weise zu variieren, malt zu Wäldern einen Delphin und zu Flüssen einen Eber: die Flucht vor dem Vergehen führt in einen Fehler, wenn sie des Kunstverstandes entbehrt. In der Umgebung der Ringschule des Aemilius mag ein Bildhauer sowohl die Fingernägel aus auch die weichen Haare im Erz zum Ausdruck bringen, er ist aber erfolglos im Ergebnis seines Werkes, weil er das Ganze nicht hinzustellen weiß. Ich möchte nicht mehr, daß ich wie er bin, wenn ich mich darum bemühen sollte, etwas zusammenzufügen, als mit einer krummen Nase zu leben, betrachtenswert wegen schwarzer Augen und schwarzen Haares. Ihr, die ihr schreibt, nehmt einen Stoff, der euren Kräften angemessen ist und verweilt lange in der Frage, was eure Schultern zu tragen vermögen und was sie verweigern; denjenigen, für den der Gegenstand nach seinen Fähigkeiten ausgewählt ist, werden weder richtige Wortwahl noch klare Anordnung im Stich lassen. Dies wird Ruhm und Reiz der Anordnung sein – oder ich werde getäuscht –, daß der Schriftsteller bereits jetzt sagt, was jetzt bereits gesagt werden muß, das meiste aber aufschiebt und für den Moment beiseite läßt. Dies soll der Urheber des in Aussicht gestellten Gedichts gerne auswählen, dies soll er verschmähen.

2. Interpretation Ars poetica vv. 1-45

2.1 vv. 1-13: Elemente des einheitlichen Werkes

Horaz läßt in den ersten vier Versen der Ars poetica einen Maler das Bild eines Lebewesens entwerfen, das aus völlig unpassenden Teilen besteht – einem Pferdekopf, Federn, einem Fischkörper und einem Frauenkof – und dem Gantar (1964) den Namen „monstrum ridiculum“[1] gegeben hat. Es hat in der Vergangenheit Versuche gegeben, eine reale Entsprechung für dieses Wesen zu geben, die letztlich jedoch als gescheitert angesehen werden müssen. Gantar (1964) schreibt über diese Versuche: „O. Immisch hat in diesem Zusammenhang auf die klassische Chimaira Homers [...] sowie auf die Mischbildungen überhaupt, auf alle ‚gemalten und gedichteten Kentauren, Tritonen usw.‘ hingewiesen“, ferner verdienen Erwähnung „der Hirtengott Pan mit seiner bocksfüßigen und geschwänzten Figur, die Satyrn und die Silenen mit einzelnen bocks- bzw. pferdgestaltigen Zügen [und] die verruchte Sphinx“, doch trotz dieser sicherlich treffenden Vergleiche mißlingt das Unterfangen, in der bildenden Kunst erfolgreich ein Gemälde zu suchen, das mit der horazischen Formulierung übereinstimmt: „Nun ist uns aber trotz der großen Zahl von diesen Mischgestalten aus dem Altertum kein Beispiel von einem Gemälde, das wortgetreu der horazischen Beschreibung entspräche, bekannt.“[2] Der Grund dafür liegt darin, daß es Horaz wohl gar nicht darauf ankam, auf ein konkretes Werk anzuspielen, sondern es handelt sich lediglich um ein Beispiel für ein Kunstwerk, das aus unpassenden Teilen zusammengesetzt ist. In diesen Versen wird ein eigentümlicher Zugang Horazens zu seinem eigentlichen Thema deutlich, denn er widmet sich ja eigentlich der Literatur; die Tatsache, daß er eingangs das Beispiel eines Gemäldes wählt, spricht für eine Universalität des Zugangs zu literaturwissenschaftlichen Fragestellungen und für sein Bestreben, dem Leser ein möglichst augenfälliges Exemplum für Fehlverhalten zu präsentieren. Auch die Art seines Vorgehens verdient das Interesse des Lesers und kann als typisch für seinen Sermonenstil gelten: Er gibt nicht etwa, wie man dies erwarten könnte, konkrete Handlungsanweisungen in Form von Aufforderungen, etwa in Imperativen; vielmehr begnügt er sich zunächst damit, Negativbeispiele darzustellen, Vorgehensweisen, die verkehrt sind und dadurch auch zu einem verkehrten Ergebnis führen; er führt somit zunächst in Form von Beispielen vor Augen, wie gerade nicht vorgegangen werden soll, um sich erst im Anschluß allgemein und abstrakt der Frage nach dem Guten und Richtigen zu widmen: „Wenn in den VV. 1 ff. ein verkehrtes Verhalten zum Gegenstand der Betrachtung gemacht und erst mit Hilfe der Kritik die Erkenntnis des Richtigen allmählich gewonnen wird, so ist das die Form, in der im Sermo auch sonst die Unterweisung und das Lernen sich zu vollziehen pflegen.“[3] Für seinen Argumentationsgang ist also ferner typisch der Übergang vom Speziellen – dem konkreten, mißlungenen Beispiel – zum Allgemeinen. Der Potentialis des si-Satzes, bei dem die Subjunktion auffälligerweise erst an siebter Stelle im Satz steht, wodurch der Leser unmittelbar mit der Kernaussage des Satzes konfrontiert wird, verleiht dem horazischen Gemäldeentwurf sogleich einen leicht irrealen Touch; daß der Maler davor zurückschrecken wird, ein solches Untier zu entwerfen, gebietet sein gesunder Menschenverstand. Die Reaktion der Freunde, wie sie Horaz in v. 5 direkt anspricht, ist vor diesem Hintergrund logisch einwandfrei nachvollziehbar: sie werden vom Künstler als Vorpublikum ausgewählt, um sein Kunstwerk zu betrachten; daß sie es wegen seiner unausgewogenen, uneinheitlichen Komposition mit schallendem Gelächter ablehnen, muß ihn in besonderer Weise treffen. Die Anrede „Pisones“ (v. 6) führt dem Leser den Briefcharakter der Epistel deutlich vor Augen; die Aufforderung „credite“ steht betont am Anfang des Verses. Im folgenden hat Horaz nun den Übergang von seinem anschaulichen Beispiel aus der Malerei auf sein eigentliches Anliegen, die Literatur, zu bewerkstelligen; man kann wohl davon ausgehen, daß im Rahmen dieses Übergangs „librum“ und „tabula“ jeweils dasselbe in verschiedenen Teilbereichen der Kunst bezeichnen, nämlich das fertige Resultat des Künstlers, das dem Rezipienten künftig zur Verfügung steht. Bei der Übertragung von Erkenntnissen vom Bereich der bildenden Kunst auf den Bereich der Literatur hat Horaz einen weiteren Vergleichs­punkt integriert: es handelt sich um einen Vergleich des Kunstwerkes mit den Träumen eines Fieberkranken. Insgesamt liegen also zwei Vergleiche vor: einerseits zwischen Malerei und Dichtung, und andererseits zwischen Traum und Dichtung. Um diese These des doppelten Vergleichs zu stützen, ist auf sprachlicher Ebene auf die Begriffe „persimilem“ sowie „velut“ (v. 7) hinzuweisen. Daß ein Zusammenhang besteht zwischen den vv. 6-8 und 1-4, zeigt etwa ein Blick auf die Wörter „pes“ und „caput“; es handelt sich um die Teile eines Lebewesens, wie es bereits in den ersten Versen der horazischen Epistel beschrieben worden ist. Doch was genau bezeichnen „forma“ und „species“, wenn sie den verschiedenen Anforderungen an ihren Bedeutungsgehalt, bedingt durch den doppelten Vergleich, gerecht werden sollen? Der Unterschied der Begriffe „forma“ und „species“ ist nicht allzu groß, wie etwa auch die folgende Eingrenzung der Bedeutung von „species“ zeigt: „to fit the description of the painting, it must be ‚constituent parts‘ or ‚shapes‘; to fit the allusion to the feverish dreamer, it must be ‚images‘ in the mind: both concur in the notion of ‚figure‘ or ‚shape‘.“[4] Der Begriff „species“ bezeichnet in diesem Sinne also sowohl „Traumgestalt“ als auch, in einem allgemeineren Kontext, „Figur“ oder „Gestalt“ generell. Doch Horaz legt Wert darauf zu betonen, daß diese Gebilde nicht von selbst entstanden sind, sondern daß ihre Entstehung das Werk eines Menschen, eines Kranken (vgl. „aegri“ in v. 7) ist; „durch das Urteil [der Rezipienten] selbst wird nicht nur das Kunstwerk, sondern auch der Künstler getroffen. Das Wort aegri muß auch auf ihn ein ungünstiges Licht werfen, und die Vermutung liegt deshalb nahe, daß das monströse Kunstwerk [...] als Kennzeichen und Ausfluß eines krankhaften Zustandes aufgefaßt werden soll.“[5] Offensichtlich besteht ein wesentliches Anliegen des Dichters Horaz darin, nicht nur das Kunstwerk und seine Beschaffenheit zu betrachten, sondern auffälligerweise ist er auch stets darum bemüht, Kunst im allgemeinen und Literatur als spezielle Form der Kunstgattung als zentrales Element eines Kommunikationsprozesses zu betrachten, dessen Mittelpunkt zwar eindeutig das Werk steht, zu dessen wesentlichen Konstituenten jedoch ebenfalls der Künstler als „Sender“ und der Rezipient, d.h. Leser oder Betrachter, als „Empfänger“ zählen; somit erhält Horazens Betrachtungsweise einen recht umfassenden Charakter. Interessanterweise wird bereits an dieser Stelle eine der beiden zentralen Forderungen von Horaz aufgenommen, indem er von „uni ... formae“ (v. 8/9) spricht, also schon hier die Einheit als Gestaltungsprinzip erwähnt. Ganz im Sinne des Sermonenstils erfolgt in den Versen 9/10 ohne Vorwarnung oder Einleitung die Nennung eines Einwandes, zu dem Horaz im folgenden Stellung nehmen wird: Dichtern und Malern, so ein fingierter Dialogpartner, werde grenzenlose (vgl. „quidlibet“ in v. 11) künstlerische Freiheit zugestanden („audendi“; v. 10). Als Tempus des Verbs in diesem Satz hat Horaz – in Übereinstimmung mit dem Häufigkeitsadverb „semper“ – das Perfekt gewählt; es handelt sich dabei um ein gnomisches Perfekt, mit dessen Hilfe betont werden soll, „daß die unbeschränkte Freiheit als ein praktisch immer respektiertes Recht des Künstlers und insofern als eine alte Erfahrungstatsache erscheint“.[6] Im Gerundium „audendi“ ist eine der beiden Gegeninstanzen zu Horazens drei zentralen Forderungen des „unum“, „totum“ und „simplex“ enthalten, nämlich die „audacia“, von Fuhrmann mit „Freiheit der Fiktion“[7] umschrieben. Mit Hilfe dieses Begriffs wiederum lassen sich alle Bestrebungen ad absurdum führen, die literarischen Produktion festen, normativen Regeln zu unterwerfen, er fungiert geradezu als Gegenprinzip zu einer mehr oder weniger umfassenden Erstellung eines poetologischen Regelwerks mit Vorschriften und Handlungsanweisungen; die Autonomie des Künstlers, seine subjektiven Vorstellungen, werden zum alleinigen Maßstab seines Schaffens; „ihm [sc. Horaz] kommt es nur darauf an, einen hemmungslosen, lediglich die eigene Willkür als Maßstab anerkennenden Subjektivismus zum Programm zu erheben“[8]. Umso erstaunlicher wirkt die Tatsache, daß Horaz im folgenden dem Vorwurf im großen und ganzen zuzustimmen scheint („scimus“; v. 11) und nur in einem Teilbereich seine Zustimmung verweigert. Über mögliche Motive äußert sich Wolf Steidle folgendermaßen: „Durch diese Methode der Entgegnung hat er es – in kluger Weise – vermieden, auf einen Prinzipienstreit sich einzulassen; außerdem hat er erreicht, daß die Erörterung der konkreten künstlerischen Forderungen sofort beginnen kann.“[9] Auch in diesem Zusammenhang ist auffällig, daß Horaz das Verzeihen von Fehlern als eine bilaterale („vicissim“; v. 11) Angelegenheit ansieht und wiederum die beiden Pole der literarischen Kommunikation, den Künstler auf der einen Seite („damus“), den Rezipienten und Kritiker auf der anderen Seite („petimus“), berücksichtigt.[10] Die Einschränkungen, die Horaz trotz seiner scheinbar weitgehenden Zustimmung vornimmt, sind der Gegenstand zweier anaphorisch aneinandergereihten ut-Sätzen in den Versen 12 und 13. Voraus geht ein theoretischer Ansatz, die Forderung, daß „placida“ nicht mit „immitia“ zu verbinden seien, daran schließen sich zwei konkrete Beispiele an, die bezeichnenderweise wiederum aus dem Bereich der Natur entnommen sind (vgl. vv. 1-4!); parallel dazu versäumt es Horaz nicht, auch im Prädikat einen Wechsel von „coire“ zu „geminare“ vorzunehmen. Die Gegensätzlichkeit der jeweiligen Extrema, die zu verbinden es zu vermeiden gilt, wird sprachlich veranschaulicht durch die Anordnung der Gegensatzpaare in einem syntaktischen Chiasmus („serpentes – avibus“ vs. „tigribus – agni“ in v. 13), während andererseits in der Abfolge inhaltlich jeweils das wilde Tier dem sanften vorausgeht und somit ein Parallelismus konstruiert ist.

[...]


[1] Gantar (1964), S. 92

[2] Gantar (1964), S. 91

[3] Steidle (1938), S. 10

[4] Brink (1971), S. 89

[5] Steidle (1938), S. 15f.

[6] Steidle (1938), S. 16

[7] Fuhrmann (1973), S. 104

[8] Steidle (1938), S. 17

[9] Steidle (1938), S. 18

[10] Brink (1971), S. 92

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Q. Horatius Flaccus: De arte poetica. Interpretation vv. 1-45
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Seminar für Klassische Philologie)
Veranstaltung
Proseminar: Antike Poetiken - Aristoteles und Horaz
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V68771
ISBN (eBook)
9783638595001
ISBN (Buch)
9783640786510
Dateigröße
419 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Horatius, Flaccus, Interpretation, Proseminar, Antike, Poetiken, Aristoteles, Horaz
Arbeit zitieren
Mark Möst (Autor:in), 2001, Q. Horatius Flaccus: De arte poetica. Interpretation vv. 1-45, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68771

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