In vier Schriften verarbeitet Platon die Verurteilung und Hinrichtung seines verehrten Lehrmeisters Sokrates, die ihm wohl zu einem Schlüsselerlebnis1 eigenen Philosophierens wurde: Im Euthyphron diskutiert Sokrates noch vor dem Gerichtsgebäude das Wesen der Frömmigkeit, in der Apologie verteidigt er sich gegen den Vorwurf der Gottlosigkeit und Jugendverführung, im Kriton lehnt er eine angebotene Fluchtmöglichkeit begründend ab und im Phaidon spricht er von einer Flucht, die er in seinen Jugendjahren angetreten habe.
Diese Flucht zu den ‚Logoi′ skizziert er in einer Art autobiographischen Rückschau als notwendige Reaktion auf die Unfähigkeit der zeitgenössischen Naturwissenschaft, ihm seine Fragen nach dem Funktionieren der Weltabläufe und dem Grund der Welt vernünftig zu erklären. Sokrates fasst diese Flucht in das Bild einer ‚zweiten Fahrt′ und schließt dies zusammen mit der Forderung, bei der Suche nach dem wahren Grund und der Ursache der Dinge ausschließlich das Verfahren der Hypothesis anzuwenden.
Warum spricht Sokrates wenige Stunden vor seinem Tod von seiner Flucht zu den ‚Logoi′ und insistiert auf der Hypothesis? Was genau ist damit gemeint? Wohin führt diese Fahrt? Die Antwort auf diese Fragen erfolgt in sieben Schritten:
Nach dieser Einleitung (1) soll der kritischen Lektüre von Phaidon 95a - 102a zunächst eine literaturwissenschaftliche Analyse vorausgehen. Den Fragen zu Struktur und Sprache des Phaidon (2) schließt sich eine differenzierte Darstellung des Textes sowie der offenen oder versteckten Intentionen des Autors Platon an. Die Platzierung von Sokrates´ philosophischer Autobiographie im Gesamtrahmen des Dialoges (3) zeigt ihre zentrale Stelle, ja Schlüsselposition im Phaidon. Der begrifflichen Klärung dient die Auflistung wichtiger griechischer Wörter im behandelten Text (4) und ihrer deutschen Übersetzungen, die ja stets auch schon Deutungsmöglichkeiten einschließen. Im fünften Schritt (5) wird der Text Phaidon 95a - 102a summarisch dargestellt und abschnittsweise kommentiert, wo nötig mit Zitat2 der Textstellen. In der Diskussion mit Kebes (5.1) stellt Sokrates sein Interesse für und seine Enttäuschung über die Naturforschung dar (5.2), um danach sein eigenes philosophisches Konzept kontrastierend dagegenzuhalten (5.3). Dies ist der Ort von Sokrates ‚zweiter Fahrt′. Dabei zeigen sich offen bleibende Fragen (6) formaler oder inhaltlicher Art, [...]
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung: Sokrates auf der Flucht - seine, zweite Fahrt' zu den,Logoi' und seine Untersuchungsmethode der Hypothesis
- 2 Platons Dialog Phaidon - Aufbau, Datierung und literarische Eigenart
- 3 Sokrates' philosophische Autobiographie im Rahmen des Phaidon
- 4 Zentrale griechische Begriffe im Text und ihre deutsche Bedeutung
- 5 Der Text Phaidon 95a-102a dargestellt und kritisch kommentiert
- 5.1 Zum Einwand des Kebes gegen die Unsterblichkeit der Seele (95a4-e7)
- 5.2 Sokrates' philosophische Autobiographie (95e8-99d3) - seine, erste Fahrt zur Naturforschung
- 5.3 Sokrates Verfahren der Hypothesis (99d4-102a10) - seine, zweite Fahrt zur metaphysischen Ebene
- 6 Offene Fragen zur zweiten Fahrt' im Phaidon
- 6.1 Sokrates - ein Pythagoräer?
- 6.2 Platons Ideenlehre in Sokrates Mund?
- 6.3 Die hypothetische Methode (Deduktion) als Sokrates´ Vermächtnis?
- 6.4 Zweite Fahrt und Wiedererinnerung - die Begründung der abendländischen Metaphysik?
- 7 Zusammenfassung: Platons letzter Grund als Fernziel der zweiten Fahrt'
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der zweiten philosophischen Fahrt des Sokrates, die im Platons Dialog Phaidon (95a-102a) beschrieben wird. Der Fokus liegt darauf, die Hintergründe, Ziele und die Methode dieser "zweiten Fahrt" zu analysieren und im Kontext der Philosophie des Sokrates und Platons zu interpretieren.
- Sokrates' Suche nach dem wahren Grund der Welt und seine Kritik an der Naturwissenschaft
- Die Rolle der Hypothesis in Sokrates' philosophischer Methode
- Die Verbindung von Sokrates' philosophischer Autobiographie mit dem Unsterblichkeitsbeweis im Phaidon
- Die Interpretation von Sokrates' "zweiter Fahrt" im Hinblick auf Platons Ideenlehre
- Die Bedeutung von Sokrates' "zweiter Fahrt" für die Entwicklung der abendländischen Metaphysik
Zusammenfassung der Kapitel
Im ersten Kapitel wird die "zweite Fahrt" des Sokrates im Kontext seiner philosophischen Entwicklung vorgestellt. Das zweite Kapitel analysiert den Dialog Phaidon in Hinblick auf seinen Aufbau, seine Datierung und seine literarische Eigenart. Das dritte Kapitel beleuchtet die philosophische Autobiographie des Sokrates im Dialog Phaidon. Das vierte Kapitel listet die wichtigsten griechischen Begriffe im Text und ihre deutschen Bedeutungen auf. Im fünften Kapitel wird der Text Phaidon 95a-102a detailliert dargestellt und kritisch kommentiert. Abschließend werden im sechsten Kapitel offene Fragen zur "zweiten Fahrt" im Phaidon aufgeworfen und diskutiert.
Schlüsselwörter
Sokrates, Platon, Phaidon, zweite Fahrt, Logoi, Hypothesis, Naturforschung, Metaphysik, Ideenlehre, Unsterblichkeit der Seele, Deduktion, abendländische Philosophie
- Arbeit zitieren
- Thomas Josef Frommel (Autor:in), 2006, Die zweite Fahrt des Sokrates in Platons Dialog Phaidon 95a-102a, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69091