Vom Latein zum modernen Spanisch: Die Entwicklung von haber und Partizip Perfekt


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

25 Seiten, Note: 1.7


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Ebenen der Analyse des zusammengesetzten Perfekt
2.1 Traditionelle Ebene der Beschreibung
2.2 Die pragmatische Ebene

3 Habere und Partizip im Lateinischen
3.1 Der possessive Ursprung des Perfekts
3.2 Metaphorische Übertragbarkeit
3.3 Die pragmatische Ebene der lateinischen Konstruktion

4 Aver und Partizip im Altspanischen
4.1 Der resultative Aspekt
4.2 Die Vorzeitigkeit
4.3 Formale Aspekte
4.4 Übereinstimmung zwischen Partizip und Objekt
4.5 Pragmatische Ebene der altspanischen Konstruktion
4.6 La Celestina

5 Historische Betrachtung von tener und Partizip

6 Das moderne Spanisch
6.1 Das Problem der „current relevance“

7 Fazit

8 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Im heutigen Spanisch bildet die Konstruktion haber und Partzip als analytisches Perfekt eine untrennbare Einheit. Sie hat eine festetablierte Funktion im spanischen Tempussystem. In ihren lateinischen Ursprüngen aber finden wir die zwei Elemente als voneinander unabhängige selbstständige Einheiten. Wie entwickelt sich die Konstruktion im Laufe der Zeit bis hin zum zusammengesetzten Perfekt, wie wir es heute kennen? Die vorliegende Arbeit macht es sich zum Ziel das zusammengesetzte Perfekt im Spanischen auf seine Ursprünge zurückzuführen und die verschiedenen Stufen der Entwicklung auf dem Wege zur Grammatikalisierung zu verfolgen. Der Begriff der Grammatikalisierung orientiert sich dabei vor allem am Status von haber als Auxiliar und dem damit verbundenen semantischen Verlust.

„Para distinguir si un verbo está empleado como auxiliar basta fijarse en si ha perdido su significado proprio. (…) El sentido habrá de decidir en cada oración en que aparezcan tales perífrasis si su significación se ha perdido o se ha oscurecido en grado suficiente para estimarlos como verbos auxiliares. “[1]

Hierbei sollen zwei methodische Ansätze für die diachronische Beschreibung herangezogen werden: Zum einen die traditionelle Forschung, die die Beschreibung mit Hilfe von „zeitlogischen“ Begriffen vornimmt. Zum anderen soll auch der neuere pragmatische Ansatz Beachtung finden. Beide Herangehensweisen werden im Anschluss zunächst näher erläutert.

In einem kurzen Exkurs soll auch ein Blick auf die Konstruktion tener und Partizip geworfen werden, da tener und haber in ihrer lexikalischen Bedeutung in Konkurrenz stehen.

Im kleinen Rahmen dieser Arbeit kann nur auf die indikativischen Formen der zusammengesetzten Vergangenheit eingegangen werden. Auch die parallele Entwicklung von ser und Partizip muss außen vor bleiben.

2 Ebenen der Analyse des zusammengesetzten Perfekt

2.1 Traditionelle Ebene der Beschreibung

Die traditionelle Forschung konzentriert sich bei der Beschreibung des Perfekts auf zeitlogische Begriffe. Diese Methode reicht teilweise bis in die Grammatiktradition des 16. Jahrhunderts zurück. Dabei spielt das Kriterium der Vorzeitigkeit (bei dem das Referenzereignis vorzeitig zur Sprechsituation ist) und seine Relation zur Sprechsituation die wichtigste Rolle. Die Vorzeitigkeit wird durch folgenden Hauptkriterien weiter eingegrenzt[2]:

Sprechzeitrichtung:

Ist das vergangene Ereignis sprechzeitinklusiv?

Hat es dabei durativen oder iterativen Charakter?

Sprechzeitdistanz:

Wie lässt sich der Abstand zwischen Sprechzeit und Ereigniszeit beschreiben (sprechzeitnah oder sprechzeitfern)?[3]

Wie sich die jeweilige historische Ausprägung des Perfekts zu diesen Kriterien verhält, wird in der Folge zu betrachten sein.

2.2 Die pragmatische Ebene

Viele Beschreibungen des Perfekts, die sich der oben dargestellten Begriffe bedienen, weisen Mängel auf, die von der Forschung teilweise selbst thematisiert werden. Kuttert stößt auf die Schwierigkeit dem Perfekt einen festen Platz mit einheitlicher semantischer Grundfunktion zuzuweisen. Er bezeichnet die semantische Charakterisierung als mangelnd explizit. Das perfecto compuesto sei „systematisch mehrdeutig“.[4]

Diese Eigenschaft beruht auf der Situation, die Bull auszudrücken versucht. Er stellt sich die Frage, warum das perfecto simple in so vielen Fällen durch das perfecto compuesto ersetzt werden kann.

„some Spaniard may say Ha estado allí dos días instead of Estuvo allí dos días or Ha llegado hace dos días instead of Estuvo allí dos días or Ha llegado hace dos días instead of llegó hace dos días.“[5]

In der Forschung ist oft versucht worden, dieses Problem durch den Begriff der „current relevance“ zu lösen. Er bezeichnet einen subjektiven Aspekt, ein psychologisches Gefühl des Sprechers, für das, was gerade gegenwärtig relevant ist.[6]

„Esta relación puede ser real o simplemente pensado o percibida por el que habla“[7], heißt es bei Gili Gayas. Er zieht daraus die Konsequenz, das Indefinido als eine objektive Form und das perfecto compuesto als subjektive Form zu betrachten. Solch eine Subjektivität aber lässt sich schwerlich durch zeitlogische Kategorien ausdrücken.

Jacob kritisiert deshalb die traditionelle Forschung, die die pragmatische Sicht an den Rand dränge und postuliert die Pragmatik für die diachronische Beschreibung der zusammengesetzten Vergangenheit. Er meint, dass,

„für das Spanische, mehr noch als für andere Sprachen, eine Beschreibung mit rein zeitlogischen Kategorien dem Gebrauch des perfecto compuesto nicht gerecht wird, sondern, dass als Funktionselemente auch pragmatische Kategorien, die eher mit Sprecher-Involvement zu tun haben, zu berücksichtigen sind“.[8]

3 Habere und Partizip im Lateinischen

3.1 Der possessive Ursprung des Perfekts

Die ersten Spuren der zusammengesetzten Zeiten in der Romania findet man bereits im vorklasssischen Latein. Dennoch ist die letzte Herkunft dieser Ausprägung bislang ungeklärt. Zum einen könnten sie sich im umgangssprachlichen Kontext lateinischer Konstruktionen herausgebildet haben, andererseits besteht die Möglichkeit, dass sie durch den griechischen Einfluss der Sprache gebildeter Klassen entstammen.[9] Die ersten Belege der Konstruktion finden sich bei Plautus:

Multa bona bene parta habemus[10]

Das lateinische habere und das Partizip Perfekt Passiv können hier noch nicht als grammatikalisierte Zeitform angesehen werden. Als prädikative Ergänzung dient das Partizip der näheren Bestimmung des Objekts. Folglich muss es nicht zwingend mit dem Subjekt von habere übereinstimmen. Das Partizip ließe sich aus dem lateinischen Satz herausnehmen, ohne dass dieser ungrammatisch würde.

In diesem Stadium markieren habere und Partizip Perfekt Passiv noch keine Vorzeitigkeit. Die Sprechsituation manifestiert sich im präsentischen habere. Zusammen drücken sie einen andauernden Zustand oder ein präsentisches Resultat aus. Lausberg[11] beschreibt dies als

„eine noch konkret-etymologisch gefühlte Aktionsart des partizipalen Verbums (...), die einerseits den Abschluß der im Partizip ausgedrückten Handlung (coactum) meint, andererseits diesen Handlungs-Abschluß durch ein dauerndes bis in die Gegenwart reichendes so präsentisch (habeo) ausgedrücktes Resultat fortsetzt.“

Für die Anfänge der Konstruktion ist besonders die lexikalische Bedeutung von habere von Interesse. Sie ist das entscheidende Kriterium für die Inkompatibilität von habere mit der Funktion eines Auxiliars.[12]

Doch ist es gerade der „lexical impact“[13] dem für die weitere Entwicklung eine Triebkraft zugeschrieben wird – vor allem gegenüber dem synthetischen Perfekt.

Bereits Thielmann versuchte die selbstständige Bedeutung von habere in diesem Zusammenhang ins Deutsche zu übertragen. Er setzt sie semantisch in Beziehung zu ‚halten’ im Hinblick auf einen Zustand oder eine Dauer oder ‚besitzen’ im Bezug auf Eigentum oder Besitz.[14]

3.2 Metaphorische Übertragbarkeit

Mit Caesar und Cicero erreicht die Konstruktion ihre äußerste Ausbildung im klassischen Latein. Ab dem 1. Jahrhundert nach Christus verschwindet sie aus der Literatur und taucht erst im 6. Jahrhundert wieder auf.[15] Die überlebenden Partizipien dieser Krise sind vom Typ cognitum habeo, compertum habeo, acceptum habeo etc. Sie finden sich bereits bei Cicero:

cum cognitum habeas quod sit summi rectoris numen[16]

Olbertz spricht in diesem Zusammenhang von einer possessiven Metaphorik, die aus diesen Konstruktionen spricht.[17] Habere ist nicht mehr allein ein Ausdruck des Besitzens, sondern zeigt die derzeitige Verfügbarkeit eines Wissens an. Sie bezeichnet dies als intellektuellen Besitz. Darüber hinaus stimmt hier das Partizip mit dem Subjekt von habere überein. Damit ist die ursprüngliche lexikalische Bedeutung von habere bereits geschwächt und die Bedeutung des Partizips hat zugenommen. Dennoch kann habere und Partizip hier noch nicht als grammatikalisiert betrachtet werden. Habere ist zu diesem Zeitpunkt nicht mit Verben kombinierbar ist, die der Bedeutung von ‚besitzen’ entgegenstehen (z.B. perdere, dare) und tritt nur mit transitiven Verben auf. Deshalb kann man an dieser Stelle höchstens von einer teilweise grammatikalisierten Konstruktion sprechen.

Diese metaphorische Übertragbarkeit des Verbs wird dafür verantwortlich gemacht, dass die Periphrase schließlich auch zum Ausdruck von Handlungen verwendet werden konnte, die nicht in Besitz münden. Sie dient als „punto de unión con la posterior perífrasis románica“.[18]

[...]


[1] Gili Gayas (1994), S.79.

[2] vgl. Berschin (1976), S.15ff.

[3] Als Unterkategorie gibt Berschin (1994) die 24-Stunden-Regel an: Das sprechtagsinterne Ereignis findet also innerhalb eines laufenden Tags statt und kann dadurch als sprechzeitnah identifiziert werden. S.23f.

[4] Kuttert (1982), S. 23.

[5] Bull in Kuttert (1982), S. 65.

[6] vgl. z.B. Squartini/Bertinetto (2000).

[7] Gili Gayas (1994), S. 159.

[8] Jacob (1995), S.255.

[9] Vgl. Squartini /Bertinetto (2000), S. 404.

[10] Zitiert bei Squartini / Bertinetto (2000), S.404.

[11] Lausberg (1972), S.234.

[12] Vgl. z.B. Olbertz (1993), S.244ff.

[13] Ebd., S.245.

[14] Thielmann (1885), S. 373.

[15] Vgl. Alarcos Llorach (1947/78), S. 37.

[16] Zitiert bei Olbertz (1993), S. 244.

[17] Ebd., S. 244ff.

[18] Alarcos Llorach (1947/78), S.37.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Vom Latein zum modernen Spanisch: Die Entwicklung von haber und Partizip Perfekt
Hochschule
Universität zu Köln  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Verbalperiphrasen im Spanischen
Note
1.7
Autor
Jahr
2003
Seiten
25
Katalognummer
V69202
ISBN (eBook)
9783638612999
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Latein, Spanisch, Entwicklung, Partizip, Perfekt, Verbalperiphrasen, Spanischen
Arbeit zitieren
Alice Ahlers (Autor:in), 2003, Vom Latein zum modernen Spanisch: Die Entwicklung von haber und Partizip Perfekt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69202

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