Das Vampirmotiv in Goethes Ballade "Die Braut von Korinth"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

27 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Vampir im 18. Jahrhundert
2.1 Die Verbreitung des slawischen Vampirglaubens in Europa
2.2 Der Vampir in zeitgenössischen Publikationen

3. Die antiken Quellen des Vampirs in „Die Braut von Korinth“
3.1 Die antike Wiedergängerin Philinion
3.2 Die antiken Lamien und Empusen

4. Der Vampir in „Die Braut von Korinth“
4.1 Die vampirische Perspektive
4.2 Der Vampir zwischen heidnischer Antike und Christentum
4.2.1 Der Motivkomplex des Blutes
4.2.2 Der Vampir als anti-christliche Rächergestalt?
4.3 Goethes „Braut von Korinth“ als Vampir der Aufklärung
4.4 „Die Braut von Korinth“ als Liebestragödie

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis
A. Quellen
B. Darstellungen

1. Einleitung

Das Jahr 1816 gilt als Geburtsjahr des Vampirs in der englischen Literatur. Der Arzt John William Polidori, Mary Godwin und ihr späterer Ehemann Percy Shelley treffen sich in Lord Byrons Villa am Genfer See. Gemeinsam liest man deutsche Gespenstergeschichten. Byron schlägt schließlich den Anwesenden vor, jeder solle versuchen etwas Derartiges zu schreiben. Während die spätere Mary Shelley hierauf ihren „Frankenstein“ entwickelt, schreibt Polidori mit Anleihen aus einem Fragment von Byron die Novelle „Der Vampyr“ („The Vampyre“). Nach ihrer Veröffentlichung 1819 wird sie ein großer Erfolg und gilt seitdem als erste bedeutende literarische Verwertung des später so fruchtbaren Vampir-Motivs.

Knapp zwanzig Jahre vor der Entstehung von „The Vampyre“ finden wir den Vampir bereits in Goethes Ballade „Die Braut von Korinth“ von 1797. Nur der weniger bekannte deutsche Lyriker Heinrich August Ossenfelder hatte den Stoff bereits 1748 in einem Gedicht poetisch verarbeitet. Dieses und Goethes Gedicht bleiben also lange die einzigen fiktionalen Texte, die den Stoff aufnahmen.[1] Wenn es in der Forschung heißt, dass Polidoris Vampir-Novelle so eine rasche Verbreitung fand, weil damals „die Zeit erst für das Vampir-Motiv präpariert war“[2], war Goethe seiner Zeit offenbar voraus.

Auch wenn das Wort „Vampir“ in der Ballade selbst nicht vorkommt, spricht Goethe ihm in Tagebucheinträgen eine zentrale Rolle zu. Am 4. und 5. Juni 1797 notiert er Beginn und Abschluss der Produktion und bezeichnet die Ballade wiederholt als „Vampyrisches Gedicht“[3]. An Christiane schreibt er am 6. Juni er habe „eine große Gespensterromanze für den Almanach“ fertiggestellt. Mit der Gespensterballade knüpft Goethe an Bürgers populäre Ballade „Lenore“ aus dem Jahr 1773 an. Seitdem sind das Magische und Geisterhafte dem Gattungscharakter der Ballade zuzuschreiben. Goethe selbst hält dies für ein zentrales Merkmal der Gattung.

Die Ballade hat etwas mysterioses ohne mystisch zu sein; diese letzte Eigenschaft eines Gedichts liegt im Stoff, jene in der Behandlung.[4]

Schon bei Bürger geht es um die Wiederkehr eines toten Geliebten und seine Verwandlung in ein tödliches Gespenst. Goethe wählt für „Die Braut von Korinth“ aber nicht das einfache Wiedergänger-Motiv, sondern eine drastischere Variante: Einen weiblichen Vampir, der dazu verdammt ist nach seinem Tod zurückzukehren und die Lebenden zu töten, indem er ihnen das Blut aussaugt.

Damit löst er nicht nur bei den Zeitgenossen, sondern auch in der Literaturwissenschaft Verwirrung aus. Der vampirische Stoff gilt vielen bis heute als trivial und stand im Widerspruch zum klassizistischen „auf Harmonie und Schönheit eingeschworenen Goethe“[5]. So heißt es etwa man müsse den „Anflug des Humanen vermissen“[6] oder unter allen Wiedergänger-Varianten habe „das Vampirmotiv gewiss die geringste künstlerische Dignität.“[7] Umso interessanter scheint es, das Vampirmotiv auf seine möglichen Funktionen in der Ballade zu untersuchen.

Zunächst sollen die zeitgenössischen Vorstellungen vom Vampir historisch dargestellt werden, die vor allem auf der Verbreitung vom slawischen Aberglauben im 18. Jahrhundert beruhen und das literarische Motiv nachhaltig geprägt haben. Anschließend werden auch antike Quellen der Ballade herangezogen und wesentliche Umgestaltungen des Vampirs bei Goethe auch hinsichtlich der zeitgenössischen Vorbilder herausgestellt. Anschließend soll das Vampirmotiv im Hinblick auf seine Funktion in der Ballade eingehend analysiert werden.

2. Der Vampir im 18. Jahrhundert

2.1 Die Verbreitung des slawischen Vampirglaubens in Europa

Das heutige Bild vom Vampir ist vor allem durch die Bearbeitung des Stoffes durch Bram Stoker am Ende des 19. Jahrhunderts geprägt. Sein Graf „Dracula“ steht seitdem für den Vampir schlechthin. Wie aber kannten die Zeitgenossen Goethes den Vampir?

1823 äußert sich Goethe rückblickend zum Stoff der „Braut von Korinth“:

„Mir drückten sich gewisse große Motive, Legenden, uraltgeschichtlich Überliefertes so tief in den Sinn, daß ich sie vierzig bis fünfzig Jahre lebendig und wirksam im Inneren hielt; Mir schien der schönste Besitz solch werte Bilder oft in der Einbildungskraft erneuert zu sehen, da sie sich denn zwar immer umgestalteten, doch ohne sich zu verändern einer reineren Form, einer entschiedeneren Darstellung entgegenreiften. Ich will nur hiervon Die Braut von Korinth, den Sänger und die Kinder, und zuletzt noch den baldigst mitzuteilenden Paria nennen.“[8]

Dies gilt in der Forschung bisweilen als Beleg dafür, dass das Vampirthema den Dichter schon seit seiner Kindheit fasziniert haben müsse.[9] Zugegebenermaßen wird an dieser Stelle nicht deutlich, ob Goethe tatsächlich auf den Vampirglauben anspielt. Fest steht aber, dass die Vampirsagen in Goethes Kindheit noch unter dem Nachhall einer regen öffentlichen Diskussion stand, die durch einen Aufsehen erregenden Fall im Jahre 1755 wieder angefacht wurde.

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kamen Nachrichten über den Vampirglauben aus dem slawischen Raum nach Europa. Nach dem Frieden von Passarowitz im Jahre 1718 regierte Österreich einen Teil Serbiens. Von da an gelangten zunehmend Berichte und Gutachten von Ärzten, Offizieren und Unterfeldschern v.a. aus serbischen Dörfern über die Verwaltung in Belgrad und Wien nach Westeuropa. Sie prägten die wesentlichen Merkmale des Vampirs, wie die Zeitgenossen Goethes ihn kannten.

Vor allem ein Bericht aus dem serbischen Dorf Medwegya im Jahre 1732 sorgte dafür, dass sich „die Nachricht von den Vampiren wie ein Lauffeuer in Europa ausbreitete“[10] und der serbische Aberglaube schriftlich tradiert wurde. Hier taucht auch das Wort Vampir zum ersten Mal im Deutschen auf.[11] Die detaillierten Beschreibungen des Falls deckten sich weitgehend mit zahlreichen anderen Fällen von Vampirglauben der Zeit aus dem osteuropäischen Raum.

Meist starben in einem Dorf mehrere Familienangehörige oder nahestehende Personen innerhalb kurzer Zeit. Man verdächtigte die Toten darauf des Vampirismus. Nach den Vorstellungen der Vampirgläubigen entstiegen sie nachts dem Grab und saugten den Schlafenden das Blut aus. Die Opfer siechten dahin und wurden nach ihrem Tod selbst zu Vampiren. Die Menschen drängten die Behörden auf eine Exhumierung oder nahmen sie gleich selbst vor. Als Beweis der vampirischen Existenz galten die Unverwestheit der Leiche, Spuren von Blut, rote Haut oder das Weiterwachsen von Nägeln und Haaren. Als Schutz der Lebenden vor den Untoten musste ein zweiter Tod vollzogen werden. Der Vampir sollte mittels Pfählung durch das Herz im Grab festgenagelt werden. Als wirksamstes Mittel galt aber die Verbrennung.[12]

Zu Goethes Lebzeiten wurde das öffentliche Interesse am Vampirismus durch einen Vorfall im Jahre 1755 erneut erregt. Maria Theresia schickte Ärzte und Anatome nach Olmütz und erließ darauf Verordnungen, die sich gegen den Vampirglauben und seine Abwehrmaßnahmen richteten. Die dort ansässigen Bauern hatten eine kürzlich verstorbene Frau des Vampirismus verdächtigt, exhumiert und verbrannt und drängten darauf auch die übrigen nach ihr verstorbenen Leichen auf dem Friedhof zu verbrennen.[13]

Schemme weist darauf hin, dass die Vampirsagen zunächst nicht – wie die meisten anderen Wiedergängersagen – durch die Zensur einer christlichen Theologie hindurchgegangen sind.

Die brutalen Abwehrmaßnahmen dienten zunächst einzig als Schutz der Lebenden vor den gefürchteten Vampiren. „So brachten sie etwas von dem Schauer archaischer Zeiten mit, für den nicht zuletzt der aufgeklärte Mensch des 18. Jahrhunderts empfänglich war.“[14]

Auch wenn die abgesandten Ärzte und Offiziere die Unverwestheit der exhumierten Leichen mit natürlichen Gründen zu erklären versuchten, gaben sie der Bevölkerung in vielen Fällen die Erlaubnis für eine Verbrennung, da diese sonst mit dem Auszug aus ihren Dörfern drohte.

„Es darf als sicher gelten, dass Goethe den Vampir (...) nicht nur als blasse Mythe rezipiert hat, sondern als Bericht von der Urangst existierender Menschen, für die Vampire eine lebensbedrohliche Realität waren.“[15]

2.2 Der Vampir in zeitgenössischen Publikationen

Nachdem Abschriften von Vampirakten aus Kanzleien kaiserlicher Behörden unter Mitgliedern höfischer und akademischer Kreise verbreitet worden waren, wurde der Vampirismus ab den dreißiger Jahren zum Gegenstand zahlreicher medizinischer, philosophischer und anderer wissenschaftlicher Publikationen.

Schroeder schreibt es vor allem Berichten in Zeitschriften zu, dass der Vampirglaube sich von Wien ausgehend in Deutschland verbreitete.[16]

„Das deutsche Publikum nahm so regen Anteil, daß wenn man an der letztverwichenen Leipziger Ostermesse in einen Buchladen ging, man überall etwas von den Blut-Saugern zu Gesichte bekam.“[17]

Das Phänomen der Vampire stellte für die Wissenschaft und die Religion gleichermaßen eine Herausforderung dar. Mediziner, Philosophen und Theologen trugen anhand des Aberglaubens ihre Konflikte zwischen unterschiedlichen Lehrmeinungen aus.

[...]


[1] Vgl. Susanne Pütz: Vampire und ihre Opfer. Der Blutsauger als literarische Figur, S.23.

[2] Erwin Jänsch: Vampir-Lexikon, S. 214.

[3] Johann Wolfgang von Goethe: Tagebücher 1790-1800, S. 625.

[4] Johann Wolfgang von Goethe: Ballade. Betrachtungen und Auslegung. S. 591f.

[5] Gerhard Schulz: „Liebesüberfluß“. Zu Goethe Ballade Die Braut von Korinth, S.45.

[6] Walter Hinck: Die deutsche Ballade von Bürger bis Brecht, S. 20.

[7] Ebd.

[8] Johann Wolfgang von Goethe: Bedeutende Fördernis durch ein einziges geistreiches Wort, S.37.

[9] Vgl. Wolfgang Schemme: Die Braut von Korinth. Von der literarischen Dignität des Vampirs, S.335.

[10] Stephan Hock: Die Vampirsage und ihre Verwendung in der deutschen Literatur, S.38.

[11] Vgl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Spalte 816.

[12] Vgl. Aribert Schröder: Vampirismus. Seine Entstehung vom Thema zum Motiv, S. 8.

[13] Vgl. Stephan Hock: Die Vampirsage und ihre Verwendung in der deutschen Literatur, S.40f.

[14] Wolfgang Schemme: Die Braut von Korinth. Von der literarischen Dignität des Vampirs, S.339.

[15] Ebd., S.341.

[16] Vgl. Aribert Schröder: Vampirismus. Seine Entstehung vom Thema zum Motiv, S.70.

[17] Stephan Hock: Die Vampirsage und ihre Verwendung in der deutschen Literatur, S.39.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Das Vampirmotiv in Goethes Ballade "Die Braut von Korinth"
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Goethes Lyrik
Note
2.0
Autor
Jahr
2004
Seiten
27
Katalognummer
V69204
ISBN (eBook)
9783638613019
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vampirmotiv, Goethes, Ballade, Braut, Korinth, Goethes, Lyrik
Arbeit zitieren
Alice Ahlers (Autor:in), 2004, Das Vampirmotiv in Goethes Ballade "Die Braut von Korinth", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69204

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