Genauso, wie sich unsere Gesellschaft stetig verändert, befindet sich auch die Kindheit in einem Entwicklungsprozess. Die Familiensituation hat sich in den vergangenen Jahren immens gewandelt. Kaum ein Kind wächst noch in einer "normalen" Familie auf. Scheidung der Eltern, erwerbstätige Mütter, rückläufige Geburtenraten und eine zunehmende Zahl von Einzelkindern zeichnen Kindheit heute aus. Unsichere Zukunftsperspektiven, Enttraditionalisierung und bestimmte Trends erschweren dem Einzelnen die Identitätsfindung und die Planung einer sinnvollen Lebensgestaltung. Der Tagesablauf ist geprägt durch schulische Verpflichtungen, zunehmend organisierte Freizeitgestaltung und anwachsenden Medienkonsum.
Betrachtet man diese gravierenden Veränderungen, dann erscheint es logisch, dass die Schule auf diese Entwicklung reagieren muss. Sie hat die Aufgabe, die Kinder auf die Anforderungen ihrer Zukunft in unserer Gesellschaft vorzubereiten. Ändern sich diese Anforderungen, so muss sich auch die Schule verändern. Unsere heutige Gesellschaft erwartet vom mündigen Bürger, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu arbeiten; genau dies müssen Schüler schon im Unterricht erlernen. "Wer in der Schule mit Freiräumen beim Lernen umzugehen weiß, wer früh lernt, dass er für seine Tätigkeit und sein Lernen selbst verantwortlich ist, der wird außerhalb der Schule mit den dort verlangten Verantwortlichkeiten besser zurechtkommen."
Um den veränderten Ansprüchen zu genügen, sind bereits verschiedene Unterrichtsmethoden und -prinzipien entwickelt worden. Eine Möglichkeit, die insbesondere in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt, ist die Freiarbeit, mit der versucht wird, die Selbständigkeit der Schüler zu fördern. Das klingt zunächst plausibel, und der verstärkte Einsatz dieses Unterrichtsprinzips, das zunehmend auch in die weiterführenden Schulen Einzug hält, scheint für sich zu sprechen.
Dass den gesellschaftlichen Veränderungen auch im Unterricht begegnet werden muss, steht fest. Fraglich ist allerdings, inwieweit Freiarbeit die geeignete Möglichkeit dazu bietet.
Ich werde im Folgenden zunächst allgemein klären, was unter Freiarbeit zu verstehen ist, um in meinem Hauptteil zu analysieren, ob Freiarbeit zweckmäßig und erfolgreich im Religionsunterricht der Sekundarstufe 1 durchgeführt werden kann. Hierfür werde ich beispielhaft ein Freiarbeitsmaterial mit einer traditionellen Unterrichtseinheit zum Thema "Einführung in die Bibel" vergleichen. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Was ist Freiarbeit
- Die reformpädagogischen Wurzeln der Freiarbeit
- Freiarbeit im Konzept von Peter Petersen (1884-1952)
- Freiarbeit im Konzept von Célestin Freinet (1896-1944)
- Freiarbeit im Konzept von Maria Montessori (1870-1952)
- Versuch einer Definition
- Der veränderte Lernbegriff
- Das Verhältnis von Freiheit und Arbeit
- Veränderungen als Voraussetzung für ein Gelingen der Freiarbeit
- Die Lehrerrolle
- Die Schülerrolle
- Die vorbereitete Umgebung
- Organisationsformen
- Die Lernstraße als spezielle Form der Freiarbeit
- Freiarbeit in den Richtlinien und im Lehrplan
- Freiarbeit und klassischer Unterricht im Vergleich
- Die reformpädagogischen Wurzeln der Freiarbeit
- Freiarbeit im Religionsunterricht
- Das Konzept von Horst Klaus Berg
- Der „prozeßbezogene Aspekt“ von Freiarbeit
- Der „,gegenstandsbezogene Aspekt“ von Freiarbeit
- Ein Kriterienkatalog für Freiarbeitsmaterialien nach Horst Klaus Berg
- Zur Struktur des Materials
- Zur didaktischen Funktion des Materials
- Das Thema „Einführung in die Bibel“ im Religionsunterricht der 5./6. Klasse – Vergleich einer klassischen Unterrichtseinheit mit einem Freiarbeitsmaterial
- Allgemeine Lernziele einer Unterrichtseinheit zur „Einführung in die Bibel“
- Vorstellung einer klassischen Unterrichtseinheit und eines Freiarbeitsmaterials zum Thema
- Die Bibel - das Buch der Christen“ - eine klassische Unterrichtseinheit aus dem neuen Kursbuch Religion 5/6
- Kritische Betrachtung der Unterrichtseinheit
- „Unterwegs durch die Bibel: Lernstraße in 17 Stationen für die Sekundarstufe“
- Kritische Betrachtung der Lernstraße
- Vergleich der Lehrgänge
- Allgemeine Unterschiede
- Vergleich der Unterrichtseinheiten unter didaktischem und theologischem Aspekt
- Zusammenfassung des Vergleichs
- Exkurs: „Ostern\" in Freiarbeit
- Eignet sich Freiarbeit zur „Einführung in die Bibel“
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, ob Freiarbeit im Religionsunterricht der Sekundarstufe 1 sinnvoll eingesetzt werden kann. Dabei steht insbesondere der Vergleich einer klassischen Unterrichtseinheit mit einem Freiarbeitsmaterial zum Thema „Einführung in die Bibel“ im Fokus. Ziel ist es, die Möglichkeiten und Grenzen von Freiarbeit im Religionsunterricht zu analysieren und aufzuzeigen, inwieweit Freiarbeit zur Vermittlung von Sach- und Glaubensinhalten geeignet ist.
- Die reformpädagogischen Wurzeln der Freiarbeit
- Der veränderte Lernbegriff im Kontext von Freiarbeit
- Das Verhältnis von Freiheit und Arbeit in der Praxis der Freiarbeit
- Die Gestaltung von Freiarbeit im Religionsunterricht
- Die Eignung von Freiarbeit zur Vermittlung von Sach- und Glaubensinhalten
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung erläutert die gesellschaftlichen Veränderungen, die einen Wandel im Bildungssystem und insbesondere im Unterricht fordern. Die Autorin stellt dabei die Frage, ob Freiarbeit ein geeignetes Mittel ist, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden.
Im ersten Kapitel wird der Begriff der Freiarbeit definiert und die reformpädagogischen Wurzeln dieses Unterrichtskonzepts beleuchtet. Hierbei werden die Ansätze von Peter Petersen, Célestin Freinet und Maria Montessori vorgestellt.
Kapitel 2 beschäftigt sich mit dem veränderten Lernbegriff, dem Verhältnis von Freiheit und Arbeit und den Voraussetzungen für ein Gelingen der Freiarbeit. Dabei werden die Rolle von Lehrer*innen und Schüler*innen sowie die Bedeutung der vorbereiteten Umgebung beleuchtet.
Kapitel 3 widmet sich dem Konzept von Horst Klaus Berg, der die Freiarbeit in einen „prozeßbezogenen“ und einen „gegenstandsbezogenen Aspekt“ unterteilt. Es wird ein Kriterienkatalog für Freiarbeitsmaterialien vorgestellt, der die Struktur und die didaktische Funktion des Materials beleuchtet.
Kapitel 4 stellt eine klassische Unterrichtseinheit zum Thema „Einführung in die Bibel“ einem Freiarbeitsmaterial gegenüber. Die Autorin analysiert die Lernziele, die Inhalte und die didaktische Struktur der beiden Materialien. Die Ergebnisse des Vergleichs werden in Kapitel 5 zusammengefasst.
Schlüsselwörter
Freiarbeit, Reformpädagogik, Religionsunterricht, Sekundarstufe 1, „Einführung in die Bibel“, Vergleich, klassische Unterrichtseinheit, Freiarbeitsmaterial, didaktischer Aspekt, theologischer Aspekt, prozeßbezogene Aspekte, gegenstandsbezogene Aspekte.
- Arbeit zitieren
- Kathrin Holtmann (Autor:in), 2002, Möglichkeiten und Grenzen von Freiarbeit im Religionsunterricht - Untersucht an Unterrichtsbeispielen zum Thema Einführung in die Bibel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6927