Fürbitte als Strafe? Untersuchung von Kapitel 28 der Benediktinerregel


Seminararbeit, 1998

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Der Text
1.1. Paraphrase
1.2. Fragen

2. Die Quellen
2.1. Biblische Quellen
2.1.1. Ex. 32 und Amos 7
2.1.2. Mt. 18,14 - 22
2.1.3. weitere eventuell relevante Bibelstellen
2.1.4. Auswertung
2.2. Ältere Klosterregeln
2.2.1. Die Regula Magistri
2.2.2.Die Regula Pachomii
2.2.3. Die "Regula Basilii"
2.3. Ambrosius, de officiis
2.4. Auswertung

3. Die Geschichte
3.1. Pelagius
3.2. Augustin
3.3. der "Semipelagianismus"
3.4. die Synode von Orange 529
3.5. Auswertung

4. Würdigung

Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Sekundärliteratur
3. Hilfsmittel

1. Der Text

1.1. Paraphrase

In den Kapiteln 23 - 30 seiner Mönchsregel beschäftigt sich Benedikt von Nursia im 6. Jh. mit der Frage, wie man mit einem Mönch umzugehen habe, der gegen die Regel verstoßen hat oder eines sonstigen Vergehens oder auch nur einer unangemessenen Geisteshaltung für schuldig erfunden wurde.[1] Hierbei ist wichtig zu beachten, daß die Behandlung eines solchen Bruders weder zur Vergeltung noch zur Wiedergutmachung seines Vergehens erfolgt. Letztere geschieht in der von der Regel vorgesehenen Buße,[2] nach welcher ihm seine Schuld vergeben wird, also nicht mehr vergolten werden kann und muß. Vielmehr soll der Mönch durch die Behandlung dazu gebracht werden, sich zu bessern (emendare), d.h. von seinem Delikt abzulassen und Buße zu tun. Der Sinn der Sanktionen in der Benediktusregel ist also der Resozialisation im modernen deutschen Justizvollzug sehr ähnlich - auch wenn die Mittel freilich andere sind.

Mir soll es hier vor allem um Kapitel 28 gehen, in welchem diese Vorschriften eine erstaunliche Wendung nehmen.

28,1 blickt zurück auf die bisher vorgeschriebenen Maßnahmen, nämlich die mündliche Zurechtweisung und den Ausschluß von Tischgemeinschaft oder Oratorium, und regelt dann das Vorgehen bei weiterhin ausbleibender Besserung,[3] schreibt nämlich Prügelstrafe vor.[4] 28,2 geht dann auf die Möglichkeit ein, daß der Mönch sich auch hiernach noch nicht bessert[5], oder daß er sich sogar in seine Fehlerhaftigkeit hineinsteigert[6]. Im folgenden (28,2c - 28,8) vergleicht Benedikt das Vorgehen des Abtes mit dem Versuch, eine Krankheit zu heilen. Allerdings schwankt er ein wenig, ob der fehlerhafte Mönch nun eine kranke Person ist oder ein krankes Glied am Leib der Klostergemeinschaft.[7] Inhaltlich rekapituliert Benedikt in 28,3 nochmals die geschehenen Maßnahmen, im Gegensatz zu den vorangegangenen Kapiteln sind sie nun aber persönliche Aufgabe des Abtes, nicht seiner Stellvertreter:[8] Der Abt soll den Mönch zunächst persönlich mündlich motivieren,[9] dann bei Erfolglosigkeit die Heilige Schrift anwenden,[10] danach Ausschließung und Stockhiebe.[11]

Die überraschende Wendung kommt dann in 28,4: Wenn der Mönch sich nach dieser Tortur immer noch nicht gebessert hat, soll der Abt das anwenden, quod maius est, was demzufolge noch stärker wirkt: Das Gebet. Die ganze Klostergemeinschaft soll für den Mönch, der auf Abwegen ist, Fürbitte leisten.[12] Warum wirkt dies noch stärker? Weil Gott alles kann.[13] Wenn aber das Gebet auch keine Besserung bei dem Mönch hervorruft, soll er ausgeschlossen werden.[14] Benedikt belegt diese Vorschrift in 28,6 mit 1. Kor. 5,13 und in 28,7 mit 1. Kor. 7,15. 28,8 erklärt dann den Zweck dieser Maßnahme im Bild einer Schafherde, welche die Klostergemeinschaft darstellen soll: Durch den einen Mönch, der sich vergeht, soll nicht die ganze Gemeinschaft dazu angestiftet werden.[15]

1.2. Fragen

Nun kann man sich betreffs des Gebets in dieser Regelung zwei verschiedene Fragen stellen. Man kann fragen, was das Gebet hier zu suchen hat. Geht es nicht auch ohne? Sind menschliche Maßnahmen nicht viel effektiver? Dies war die Frage, der ich in meinem weniger religiös sozialisierten Bekanntenkreis begegnete.

Und diese Frage stellt auch Veith Risak.[16] In der mir vorliegenden Literatur war Risak der einzige, der diese Wendung bemerkenswert fand. Vogüé[17] und Jacobs[18] gehen nicht auf sie ein. Für Risak scheint mir die Frage aber nur rhetorisches Mittel zu sein, um aufzuzeigen, wie gut es ist, im Konfliktfall zu beten. Außerdem halte ich sie für von außen herangetragen. Denn das Gebet ist ja in Kapitel 28 die ultima ratio, keineswegs die Begleitung des ganzen Vorgehens (auch wenn in Kapitel 27,4 schon früher gebetet werden soll, dort ist es aber dem Liebesgebot eingegliedert, eher Liebesgeste als Heilmittel). Außerdem wird ja betont, daß der, an den man sich mit der Bitte um "Heilung" in letzter Instanz wendet, omnia potest.

Viel interessanter scheint mir die Frage: Wenn Gott tatsächlich alles kann, warum wird dann 1. nicht zuerst für den Mönch gebetet, sei es neben, sei es ohne persönliche Bemühungen? Warum prügelt man den Mönch erst und betet erst danach für ihn? Wäre es andersherum nicht humaner? Und wenn Gott wirklich alles kann, warum ist es dann 2. möglich, daß der Mönch sich auch, nachdem für ihn gebetet wurde, sich nicht mehr bessert und also ausgeschlossen wird. Will Gott etwa, daß er ausgeschlossen wird? Also: Wie verhalten sich in Kapitel 28 der Benediktusregel göttliches und menschliches Handeln zu einander?

Dieses Verhältnis zieht sich durch zahlreiche Kapitel der Benediktusregel. Eine der packendsten Stellen ist wohl Kapitel 4,41 - 43, wo der Mönch alles Gute, was er bei sich sieht, Gott zuschreiben soll, alles Böse aber sich selbst.[19] Aber diese Anweisung ist im Gegensatz zu Kap 28 relativ harmlos, denn hier handelt es sich um die Beurteilung eines gegebenen Zustandes: Das Gute ist von Gott, an dem Bösen bin ich selbst schuld. Kapitel 28 aber rechnet mit einem zukünftigen Eingreifen Gottes in das Leben des Menschen, mit einem Handeln Gottes am Menschen. Und dieses Handeln hat offenbar eine solche Wucht, daß es nur dann erbeten werden soll, wenn alles Andere nichts nützt. Und dennoch ist es möglich, daß sich bei dem Menschen, an welchem Gott handeln sollte, kein Erfolg zeigt. Warum? Weil der menschliche Wille sich dem Gott widersetzen kann, der omnia potest ? Oder weil Gott gegen die Besserung desjenigen ist?

Es hätte vermutlich niemanden gestört, wenn Benedikt die Erwähnung der Allmacht Gottes weggelassen hätte. Fügte er sie nur ein, um zu unterstreichen, warum das Gebet stärker wirkt als Rutenschläge? Oder hatte er noch andere Gründe?

Um diesen Fragen nachzugehen, werde ich zunächst einige der biblischen und kirchlichen Quellen des Kapitels 28 betrachten und es dann in seinen kirchengeschichtlichen Kontext einzuordnen versuchen.

2. Die Quellen

2.1. Biblische Quellen

2.1.1. Ex. 32 und Amos 7

An diesen Stellen taucht das Motiv der Fürbitte auf, welche den aktuellen Plan Gottes verändern kann. Ex. 32,10 - 14 z.B. will Gott Israel vernichten, läßt jedoch auf Moses Fürbitte hin von diesem Plan ab. Und Amos 7,1 - 6 taucht dasselbe Motiv zweimal auf mit der Fürbitte des Amos. Nach der dritten Ankündigung V. 7 -9 erfolgt dann aber die Vernichtung.

Das Gebet schafft an diesen Stellen die Abwendung der Strafe, nicht jedoch die Besserung des Verurteilten.

2.1.2. Mt. 18,14 - 22

Das wichtigste biblische Kapitel zum Thema Gemeindezucht ist Mt. 18, die Verse 15 - 18. Für den Zusammenhang meiner Arbeit sind jedoch auch die Verse 19/20 sowie 21/22 wichtig, außerdem noch der Vers 14. V. 14 gehört zur Perikope vom "verlorenen Schaf" und betont Gottes Willen, daß kein Mensch verloren gehen soll. Er wird im weiteren noch von Bedeutung sein.

V. 15 - 17 behandeln das Vorgehen bei persönlicher Sünde eines Menschen an seinem Nächsten.[20] Er soll zunächst unter vier Augen zurechtgewiesen werden. Wenn er sein Unrecht nicht einsieht,[21] soll er vor zwei Zeugen zurechtgewiesen werden, bei weiterhin ausbleibendem Erfolg vor der Gemeinde. Wenn das auch nichts nützt, soll er "wie ein Zöllner und Sünder" behandelt werden,[22] was wahrscheinlich den Gemeindeausschluß meint. V. 18 thematisiert die Himmelreichsrelevanz des Bindens und Lösens auf Erden.

[...]


[1] "contumax aut inoboediens aut superbus aut murmurans uel in aliquo contrarius existens sanctae regulae et praeceptis seniorum suorum contemptor repertus fuerit" Benedicti Regula ed. Rudolf Hanslick (CSEL 75), Wien 1960 Kap 23, 1, S. 78, Z. 8 - 10

[2] RB 43 - 46, S. 106 - 113

[3] "Si quis frater ... correptus ..., si etiam excommunicatus non emendauerit" RB 28,1, S. 84, Z. 3 - 4

[4] "uerberum uindicta" RB 28,1, S. 84, Z. 5

[5] Allerdings hier nicht emendauerit, sondern correxerit. Bedeutet e-mendare die Bewegung aus den Fehlern heraus, gibt corrigere das Ziel an, wörtlich das Geraderichten, also die Be-richtigung. Benedikt gebraucht die Wörter aber synonym.

[6] "si ... in superbia elatus etiam defendere voluerit opera sua" RB 28,2, S. 84, Z. 6 - 7

[7] der infirmus frater (RB 28,5, S. 85, Z. 4 - 5) und die obis moruida (RB 28,8, S. 85, Z. 9) tendieren zum ersteren hin, das ferrum abscisionis (RB 28,6, S. 85, Z. 7) eher zum letzteren.

[8] RB 27,2 (S. 82, Z. 7)soll der verantwortliche Abt senpectas zum Ausgeschlossenen schicken.

[9] adhortatio, (RB 28,3, S. 84, Z. 9) heißt sowohl Aufmunterung als auch Ermahnung.

[10] Benedikt erklärt diese Vorgehensweise mit den medicamina scriptuarum divinarum (RB 28, 3, S. 84, Z. 9 - 10) nicht weiter. Entweder soll der Abt dem Mönch die Bibelstellen ins Gedächtnis rufen, die die Folgen sowohl von Sünde als auch von Gehorsam behandeln. Oder aber er soll die in der Bibel vorgeschriebenen Maßnahmen ergreifen. Ersteres paßt besser in den Kontext der Metaphern. Die Anwendung der Heiligen Schrift kam in den vorigen Kapiteln nicht vor.

[11] "ustionem excommunicationis uel plagarum uirgae" RB 28,3, S. 84, Z. 10 - 11

[12] "suam et omnium fratrum pro eo oratione" RB 28,4, S. 85, Z. 2 - 3

[13] "dominus, qui omnia potest" RB 28,5, S. 85, Z. 4

[14] "tunc iam utatur abbas ferro abscisionis" RB 28,6, S. 85, Z. 6 -7

[15] "ne una obis moruida omnem gregem contagiet" RB 28,8, S. 85, Z. 9

[16] "Glauben wir aber nicht meist, den Konflikt mit ausschließlich menschlichen Mitteln lösen zu müssen? Dies ist ein Indiz für Vertrauensschwäche! Das heißt aber nicht, daß ich mich nicht selbst mit ganzer Kraft ... bemühen muß; Ich kann aber annehmen, daß ich nicht alleingelassen bin." Veith Risak, Benedikt - Menschenführer und Gottsucher, Gedanken zur Benediktregel, Wien, Köln, Weimar 1991, S.60

[17] Adalbert de Vogüé, Die Regula Benedicti: theologisch - spiritueller Kommentar, Hildesheim 1983

[18] Uwe Kai Jacobs, Die Regula Benedicti als Rechtsbuch, eine rechtshistorische und rechtstheologische Untersuchung (Untersuchungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht Bd. 16), Köln, Wien 1987

[19] "bonum aliquid in se cum uiderit, deo adplicet, non sibi; malum uero semper a se factum sciat et sibi reputet" RB 4,42/43, S. 31, Z. 15 - S. 32, Z. 1

[20] "si autem peccaverit in te frater suus" Mt 18,15 nach der Nova Vulgata, Libreria Editrice Vaticana 1979, wie auch alle weiteren Zitate aus Mt 18

[21] Die Vulgata bezeichnet diese Einsicht mit dem Verb audire, übersetzt aus dem NT Graece, wo akouw steht.

[22] "sit tibi sicut ethnicus et publicanus" V. 17

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Fürbitte als Strafe? Untersuchung von Kapitel 28 der Benediktinerregel
Hochschule
Universität Hamburg  (Kirchen- und Dogmengeschichte)
Veranstaltung
Proseminar "Regula Benedicti"
Note
1,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
24
Katalognummer
V69333
ISBN (eBook)
9783638624916
ISBN (Buch)
9783638673389
Dateigröße
537 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fürbitte, Strafe, Untersuchung, Kapitel, Benediktinerregel, Proseminar, Regula, Benedicti
Arbeit zitieren
Andreas Wendt (Autor:in), 1998, Fürbitte als Strafe? Untersuchung von Kapitel 28 der Benediktinerregel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69333

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Fürbitte als Strafe? Untersuchung von Kapitel 28 der Benediktinerregel



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden