Allein der Bezug auf den Umstand, dass die Abwicklung und die Übernahme ehemaliger NVA-Soldaten in die Bundeswehr einen in der deutschen Militärgeschichte einzigartigen Prozess darstellt, da sich niemals zuvor eine Armee friedlich, aus freien Stücken und unter der tatkräftigen Beteiligung ihrer Soldaten aufgelöst und einem einstigen Gegner übergeben hat, lässt die Schwierigkeit erkennen, einen solchen reintegrativen Vorgang mit einem anderen zu vergleichen. Dennoch: Die Jahre 1945 und 1989 markieren nicht nur für die Geschichte als Daten des beginnenden Trennungs- bzw. des Vereinigungsprozesses beider deutscher Staaten, sondern auch für die Militärsoziologie zwei höchst bedeutsame Zäsuren, die ihre vergleichende Gegenüberstellung legitimieren. Zu beiden Zeiten mussten ehemalige Soldaten als eine mehr oder weniger große aktive Bevölkerungsgruppe in die zivile Gesellschaft integriert werden, was weder 1945 und in den Jahren danach noch 1989/90 eine rein inner- oder zwischendeutsch, sondern vielmehr eine international zu regelnde Realität war. In der folgenden Arbeit nun soll ein Vergleich zwischen den politischen Hintergründen angestellt werden, vor denen nach 1945 und nach 1989 eine Reintegration der jeweiligen ehemaligen Berufssoldaten gedacht werden konnte. Mit einem solchen Vergleich wird indes eine terra incognita betreten, fehlen doch derart vergleichende Studien bisher fast völlig. Aufgrund des Umfangreichtums und der Komplexität dieser Thematik kann im Rahmen dieser Arbeit keine vollständige Berücksichtigung aller vielleicht wichtigen Vergleichsmomente geleistet werden. Es sollen weder einzelne Übernahme- und Integrationsmodalitäten, noch die Geschichte von Bundeswehr und NVA oder die der militärischen Tradition in Deutschland nachgezeichnet werden. Vielmehr wird für den angestrebten Vergleich nur ein Aspekt herangezogen werden: die Frage nach der Verhandlungsstellung der Soldaten, also nach ihrem politischen Nutzen, auf den sie sich bei einer politischen Reintegration in die Gesellschaft überhaupt berufen konnten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1 Politische Bedingungen für eine Rehabilitierung der Wehrmachtssoldaten nach 1945
- 1.1 Die Wehrmacht im Jahre 1945
- 1.2 Politische Rahmenbedingungen
- 1.3 Restauration in der frühen Bundesrepublik
- 1.4 Wiederverwendung und Exploitation in der frühen DDR
- 1.5 Resümee
- 2 Die „,Armee ohne Zukunft“ (Ehlert) – Die NVA auf dem Wege zur Einheit
- 2.1 Die NVA im Jahre 1989
- 2.2 Die schlechte Verhandlungsmacht der NVA-Soldaten
- 2.3 Resümee
- 3. Fazit: Ein Situationsvergleich zur Reintegration in der Nachkriegszeit und nach 1989
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit dem Vergleich der Reintegration ehemaliger Soldaten in Deutschland nach 1945 und 1989. Sie untersucht die politischen Rahmenbedingungen und die Verhandlungsmacht der Soldaten im Kontext der jeweiligen Nachkriegszeit. Dabei werden die Unterschiede in der politischen Landschaft und den internationalen Beziehungen beleuchtet, die die Möglichkeiten der Rehabilitation von Soldaten der Wehrmacht und der NVA beeinflussten.
- Politische Rahmenbedingungen der Reintegration nach 1945 und 1989
- Verhandlungsmacht und Einfluss von ehemaligen Soldaten
- Unterschiedliche Integrationsbedingungen in Ost- und Westdeutschland
- Die Rolle internationaler Beziehungen und Machtstrukturen
- Vergleich der Reintegrationsprozesse für Soldaten der Wehrmacht und der NVA
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Thematik des Vergleichs der Reintegration ehemaliger Soldaten nach 1945 und 1989 vor und erläutert die zentralen Forschungsfragen der Arbeit. Dabei wird betont, dass die Arbeit lediglich einen Aspekt der Reintegration untersucht, nämlich die politische Verhandlungsmacht der Soldaten.
- Kapitel 1: Politische Bedingungen für eine Rehabilitierung der Wehrmachtssoldaten nach 1945: Dieses Kapitel beleuchtet die politischen Rahmenbedingungen in Ost- und Westdeutschland nach 1945 und untersucht den Einfluss dieser Rahmenbedingungen auf die Reintegration ehemaliger Wehrmachtssoldaten. Es werden insbesondere die Besatzungspolitik der Alliierten, die Demilitarisierung und Denazifizierung sowie die politische Apathie der Bevölkerung thematisiert.
- Kapitel 2: Die „Armee ohne Zukunft“ (Ehlert) – Die NVA auf dem Wege zur Einheit: Dieses Kapitel behandelt die NVA und ihre Situation im Kontext der politischen Veränderungen in den Jahren 1989/90. Es analysiert die Verhandlungsmacht der NVA-Soldaten im Zuge der deutschen Wiedervereinigung und die Schwierigkeiten ihrer Reintegration.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die politischen Rahmenbedingungen und die Verhandlungsmacht ehemaliger Soldaten der Wehrmacht und der NVA in Deutschland nach 1945 und 1989. Die wichtigsten Themen und Konzepte sind Reintegration, Rehabilitierung, politische Bedingungen, Verhandlungsmacht, Demilitarisierung, Denazifizierung, Ost-West-Konflikt, Kalter Krieg, deutsche Wiedervereinigung und militärische Tradition.
- Arbeit zitieren
- Dominik Jesse (Autor:in), 2007, Von der Wehrmacht zur Armee der Einheit - Der Versuch eines Situationsvergleiches zwischen der Reintegration ehemaliger Soldaten im Deutschland nach 1945 und nach 1989, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69451