„Im Sommer 1990 breitete sich in Moskau ein Gerücht aus: Honecker nimmt Juden aus der Sowjetunion auf, als eine Art Wiedergutmachung dafür, dass die DDR sich nie an den deutschen Zahlungen für Israel beteiligte. […] Es sprach sich schnell herum, alle wussten Bescheid, außer Honecker vielleicht.“ Dieses Zitat des russisch-jüdischen Schriftstellers Wladimir Kaminer beschreibt auf literarische Weise - wenn auch nicht unbedingt faktengetreu - eine für das deutsche Judentum wichtige Entwicklung: Über 200.000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sind nach Deutschland eingereist, seit die erste gesamtdeutsche Ministerpräsidentenkonferenz 1991 ihre Aufnahme als so genannte Kontingentflüchtlinge beschlossen hat. Diese Zuwanderung hat das jüdische Leben in Deutschland grundlegend verändert: Einerseits hat sie viele jüdische Gemeinden wiederaufleben lassen, andererseits hat sie auch zu Problemen geführt.
In dieser Arbeit wird anhand der Berichterstattung der Medien Frankfurter Rundschau, der Süddeutschen Zeitung, des Tagesspiegel, dertageszeitungsowie der Nachrichtenmagazine Spiegel und Focus, die als diskursvermittelnde Instanzen zur öffentlichen Wahrnehmung beitragen, das - sich im Laufe der Zeit wandelnde - Bild der russischen Juden untersucht. Dabei findet diese Untersuchung vor dem Hintergrund der Frage nach dem deutsch-jüdischen Verhältnis statt, das von der Erinnerung an den Holocaust normiert wird. Es soll weiterhin am Beispiel der russischen Juden und ihrer Darstellung in den Medien die Frage beantwortet werden, ob das aus dem belasteten deutsch-jüdischen Verhältnis resultierende vermeintliche Tabu, man dürfe in Deutschland keine Kritik an Juden üben, tatsächlich existiert. Dazu soll auf der einen Seite aufgezeigt werden, wie die Aufnahmeregelung der jüdischen Kontingentflüchtlinge vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte entstanden ist, auf der anderen Seite wird anhand der Medienanalyse deutlich, wie sich das Bild der Zuwanderer im Laufe der Zeit verändert hat. Methodisch wird dabei neben der systematischen Medienauswertung auf qualitative, halbstrukturierte Experteninterviews mit zeitgeschichtlichen Persönlichkeiten, die an den Entscheidungen um die Aufnahme der russischen Juden beteiligt waren, zurückgegriffen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG
- 2. JUDEN IN DEUTSCHLAND – EINE KOMPLIZIERTE GESCHICHTE
- 2.1. JUDEN IN DEUTSCHLAND 1945 – 1989
- 2.2. DAS DEUTSCH-JÜDISCHE VERHÄLTNIS NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG
- 2.3. JUDEN IN DEN DEUTSCHEN MEDIEN
- 3. DIE RUSSISCH-JÜDISCHE ZUWANDERUNG NACH DEUTSCHLAND
- 3.1.,,DEUTSCHLAND NIMMT“ – Die EntstehUNG DES KONTINGENTFLÜCHTLINGSGESETZES FÜR JÜDISCHE EMIGRANTEN
- 3.2. OFFIZIELLE BESTIMMUNGEN FÜR JÜDISCHE KONTINGENTFLÜCHTLINGE
- 3.3. KONSEQUENZEN UND PROBLEME DER RUSSISCH-JÜDISCHEN ZUWANDERUNG
- 4. DIE DISKUSSION UM DIE AUFNAHME DER RUSSISCHEN JUDEN
- 4.1. DIE DEBATTE IN DER POLITIK
- 4.2. DIE DEBATTE IN DEN MEDIEN
- 5. RUSSISCHE JUDEN IN DEN DEUTSCHEN MEDIEN 1992 – 2006
- 5.1. MEDIENUNTERSUCHUNGEN ZU RUSSISCHEN JUDEN
- 5.2. DIE FÄLSCHUNGSDEBATTE
- 5.3. DER FALL GOLLWITZ - KONTINGENTFLÜCHTLINGE ALS OPFER
- 5.4. DIE BEGRENZUNGSDEBATTE
- 5.5. AKADEMIKER VS. ABZOCKER - DAS BILD DER ZUWANDERER IN DEN MEDIEN
- 5.5.1. DIE NEGATIVEN BEISPIELE
- 5.5.2. DIE POSITIVEN BEISPIELE
- 5.5.3. DIE „OBJEKTIVE“ BERICHTERSTATTUNG
- 5.6. ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die Wahrnehmung russischer Juden in deutschen Medien von 1989 bis 2006 vor dem Hintergrund der deutsch-jüdischen Beziehungen. Ziel der Arbeit ist es, zu analysieren, wie die russisch-jüdische Zuwanderung in der deutschen Öffentlichkeit dargestellt wurde und wie sich die Wahrnehmung der russischen Juden im Laufe der Zeit verändert hat.
- Die Auswirkungen der deutsch-jüdischen Geschichte auf die Aufnahme russischer Juden in Deutschland
- Die Rolle der Medien bei der Gestaltung der öffentlichen Meinung zu russischen Juden
- Die Analyse der Medienberichterstattung über russische Juden in Deutschland im Zeitraum 1992 bis 2006
- Die Frage nach der Existenz eines vermeintlichen Tabus in Deutschland, keine Kritik an Juden zu üben
- Die Integration russischer Juden in die deutsche Gesellschaft und die damit verbundenen Herausforderungen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung der Arbeit stellt die Relevanz des Themas vor dem Hintergrund der deutsch-jüdischen Beziehungen dar und erläutert die Forschungsmethodik. Kapitel 2 liefert einen historischen Überblick über die Situation der Juden in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und beleuchtet das deutsch-jüdische Verhältnis im Kontext der Erinnerung an den Holocaust. Kapitel 3 befasst sich mit der russisch-jüdischen Zuwanderung nach Deutschland und den Rahmenbedingungen der Aufnahme von Kontingentflüchtlingen. Kapitel 4 analysiert die Debatte um die Aufnahme russischer Juden in der Politik und den Medien. Kapitel 5 konzentriert sich auf die Darstellung russischer Juden in den deutschen Medien von 1992 bis 2006 und beleuchtet verschiedene Themen wie die Fälschungsdebatte, den Fall Gollwitz und die Berichterstattung über positive und negative Beispiele der Integration. Kapitel 6 liefert eine zusammenfassende Schlussbetrachtung.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Russisch-jüdische Zuwanderung, deutsche Medien, deutsch-jüdische Beziehungen, Holocaust-Erinnerung, Kontingentflüchtlinge, Integration, Medienanalyse, Diskussionskultur.
- Arbeit zitieren
- Lena Gorelik (Autor:in), 2006, Juden - Russen - Deutsche: Der Wahrnehmungswandel der russischen Juden in den deutschen Medien 1989 - 2006 vor dem Hintergrund der deutsch-jüdischen Beziehungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69761