Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Wohlfahrtstheoretische Grundlagen
3. Contingent Valuation Method
3.1. Idee und historische Entwicklung
3.2. Aufbau und Struktur
3.3. Stärken und Schwächen
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Umweltkatastrophen, wie z.B. der Chemie-Unfall vor der chinesischen Millionenstadt Harbin 2005[1] oder der Exxon Valdez Tankerunfall von 1989, verdeutlichen im besonderen Maße eine anhaltende Übernutzung bzw. Zerstörung von Umweltressourcen. Diese lässt sich vielfach auf eine Ursache zurückzuführen: Umweltgüter stellen zwar für viele Menschen einen Wert dar, aber keinen Preis.[2] Damit fehlt auf der einen Seite ein effizienter Lenkungsmechanismus im Umgang mit zunehmend knapper werdenden natürlichen Ressourcen, andererseits ein Maßstab für die Bewertung von Umweltschäden z.B. vor Gericht. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie der Wert der Umwelt bzw. materielle Schäden (Produktions-, Einkommens- und Vermögenseinbußen) und immaterielle Schäden (ästhetische Einbußen, abnehmendes Wohlbefinden) monetarisiert werden können. Im Folgenden soll mit der Contingent Valuation Method (CVM) ein Kurzüberblick über die gebräuchlichste und gleichzeitig auch flexibelste unter denjenigen Methoden gegeben werden, welche zur volkswirtschaftlichen Bewertung des Nutzens von Umweltgütern mit Öffentlichkeitscharakter eingesetzt werden.[3] Im Fokus stehen dabei die historische Entwicklung, Aufbau und Struktur sowie Stärken und Schwächen der CVM.[4] Zunächst sollen allerdings wesentliche wohlfahrtstheoretische Grundlagen skizziert werden.
2. Wohlfahrtstheoretische Grundlagen
Wie können Umweltschäden monetär bewertet werden? Im Hinblick auf den Chemie-Unfall vor Harbin könnte ein Zugang darin bestehen, die entgangenen Produktionsausfälle der Fischereibetriebe als Maß für die Größenordnung des Schadens heranzuziehen. Es ist jedoch offensichtlich, dass der Fluss Songhua nicht nur für produktive Zwecke, sondern auch konsumtiv genutzt wird, indem er als Naherholungsgebiet für Freizeitaktivitäten oder als Trinkwasserlieferant fungiert. Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass es zum einen den durch den Umweltschaden entgangenen Nutzen ökonomisch zu bewerten gilt und dass zum anderen der (gesellschaftliche) Gesamtwert eines Gutes von verschiedenen Komponenten abhängt. Als Aggregat der einzelnen Wertkomponenten wurde im angelsächsischen Raum der Total Economic Value, der ökonomische Gesamtwert geprägt.[5] Dieser setzt sich aus so genannten Gebrauchswerten („use-value“) und den Nichtgebrauchswerten („non-use-values“) zusammen. Gebrauchswerte umfassen die Nutzenkomponenten, die eine Person durch die direkte oder indirekte physikalische Nutzung von Gütern erfährt.[6] Direkte Gebrauchswerte lassen sich in der Regel unproblematisch ermitteln, sofern die Produkte, z.B. Fische oder Ähnliches über einen Markt abgesetzt werden. Dagegen gestaltet sich die Erfassung der indirekten Gebrauchswerte schwieriger, da sie meistens nicht auf Märkten gehandelt werden.[7] Nichtgebrauchswerte kennzeichnen sich dadurch aus, dass sie vom unmittelbaren Ge- oder Verbrauch des Gutes unabhängig sind. Sie lassen sich in Option-, Vermächtnis- und Existenzwerte unterteilen. Unter dem Optionswert versteht man die Zahlungsbereitschaft zur Sicherung eines Umweltgutes hinsichtlich der Option, es später einmal nutzen zu können. Beim Vermächtniswert handelt es sich ähnlich wie beim Optionswert um einen in die Zukunft verlagerten Gebrauchswert, in diesem Fall für nachfolgende Generationen.[8] Der Existenzwert umfasst die Zahlungsbereitschaften für das Wissen, dass eine bestimmte natürliche Umwelt geschützt wird, ohne dass eine künftige Nutzung beabsichtigt wäre.[9] So wirkt allein die Existenz des Songhua nutzenstiftend.
Obwohl der ökonomische Gesamtwert hier eindeutig definiert wurde, ist die Trennung der einzelnen Wertkomponenten alles andere als eindeutig und scharf.[10] Darüber hinaus erhebt die Monetarisierung nicht den Anspruch, absolute Werte zu bestimmen, sondern sie ermittelt relative Werte, die auf den Präferenzen der Menschen für oder gegen eine Veränderung des Umweltzustands beruhen.[11]
Im Hinblick auf die eingangs gestellt Frage kann festgehalten werden, dass zur Bewertung des entstandenen Schadens ein Maß für die damit verbundenen individuellen Nutzenänderungen der betroffenen Wirtschaftssubjekte gesucht wird. Dieses kann dann zu einer gesellschaftlichen Nutzen- bzw. Wohlfahrtsänderung zusammengefasst werden. „Diese typischerweise in Geldeinheiten ausgedrückte Wohlfahrtsänderung wird dann als der durch den zu bewertenden Umweltunfall verursachte gesellschaftliche Schaden interpretiert.“[12]
Wie können also die Auswirkungen einer Veränderung der Umwelt auf das Nutzenniveau eines Individuums gemessen werden? Typische Maße sind die auf John Hicks zurückgehenden Kompensationsmaße, die Kompensierende Variation (CV) und die Äquivalente Variation (EV).[13] Dabei gibt die CV den Geldbetrag an, den ein Individuum mindestens erhalten müsste, damit es trotz des Umweltschadens das ursprüngliche Nutzenniveau beibehält. Dem entsprechend lässt sich die CV als die minimale Entschädigungsforderung (willingness to accept (WTA)) für eine Umweltverschlechterung interpretieren. Die EV drückt im Vergleich zur CV den Geldbetrag aus, den ein Individuum maximal zu zahlen bereit wäre (willingness to pay (WTP)), um den zu bewertenden Umweltunfall zu verhindern.[14] Wenn nun nach einem Umwelt-Unfall die individuellen CV und EV bekannt sind, kann der vom Unfall verursachte gesellschaftliche Schaden dadurch ermittelt werden, indem die individuellen Nutzenmaße im Sinne des Hicks-Kaldor-Kriteriums zur gesellschaftlichen Wohlfahrtsänderung aufaddiert werden.[15] Diese Berechnung stößt vor allem dann auf Hindernisse, wenn Güter betroffen sind, die nicht auf Märkten gehandelt werden, was im besonderen Maße auf Umweltveränderungen zutrifft, z.B. den Chemie-Unfall vor Harbin. Wie können also die Hicks-Maße in diesen Fällen empirisch bestimmt werden? Einen Ansatz bieten die indirekten monetären Bewertungsmethoden. Mit ihrer Hilfe wird versucht, die Präferenzen der Individuen aus deren beobachtetem Verhalten auf realen Märkten abzuleiten. Die Wertschätzung für Umweltgüter wird indirekt offenbart, indem die Menschen private Güter erwerben, die in einer bestimmten Beziehung zu den Umweltgütern stehen: z.B. Kosten für die Fahrt zu einem Badesee (Reisekostenmethode) oder höhere Wohnungsmieten in einem Gebiet mit hoher Umweltqualität (Methode der hedonischen Preise). Ein wesentlicher Schwachpunkt dieser Verfahren besteht allerdings darin, dass aus dem beobachteten Nutzungsverhalten lediglich der Gebrauchswert abgeleitet, dagegen der Nichtgebrauchswert nicht erfasst und somit der ökonomische Gesamtwert einer natürlichen Ressource unterschätzt wird.[16]
Um diesen zu ermitteln, greift man auf direkte monetäre Bewertungsverfahren zurück, deren bedeutendster Ansatz die Contingent Valuation Method ist, welche im Folgenden vorgestellt werden soll.
3. Contingent Valuation Method
3.1. Idee und historische Entwicklung
Was versteht man unter der CVM?
„The contingent valuation method involves the use of sample surveys (questionnaires) to elict the willingness of respondents to pay for (generally) hypothetical projects or programs”.[17]
Ausgehend von dem Problem, dass für Umweltgüter mit Kollektivgutcharakter kein Markt existiert, auf dem sich Markthandlungen beobachten ließen, wird nun in einer Stichprobe von Haushalten ein hypothetischer Markt gebildet, auf welchem die Befragten Veränderungen der Umweltqualität kaufen bzw. verkaufen können. Aus diesem simulierten Marktverhalten lassen sich Nachfragefunktionen nach dem zu bewertenden Umweltgut ableiten. Weil die Höhe der Zahlungsbereitschaft der Interviewten von den Charakteristika des hypothetischen Marktes abhängt, wird dieses Verfahren im Englischen als „Contingent Valuation Method“ und in Deutschland als kontingente[18] Bewertung bzw. kontingenter Bewertungsansatz bezeichnet.[19]
Bevor der Frage nachgegangen wird, wie sich der Aufbau und die Methodik der CVM kennzeichnen lassen, soll zunächst die Entwicklungsgeschichte näher illustriert werden: Was sind die wesentlichen historischen, politischen und juristischen Meilensteine der CVM? Sowohl die Entstehung als auch die Weiterentwicklung der CVM war und ist untrennbar mit dem zeitlichen Verlauf der Kosten-Nutzen-Analyse (KNA) in den USA verbunden.[20] Ende der 1940er Jahr fand ein Paradigmenwechsel dahingehend statt, dass nun nicht mehr nur ausschließlich Marktvorgänge für den Zweck jeglicher ökonomischen Bewertung herangezogen wurden, sondern zunehmend auch individuelle Präferenzen und menschliche Verhaltensweisen im Vordergrund standen. So findet sich bereits 1947 der erste Hinweis auf die CVM in einer Veröffentlichung von Ciriacy-Wantrup über die Auswirkungen von Bodenschutzmaßnahmen. Einige dieser Maßnahmen identifizierte er als öffentliche Güter und schlug vor, Individuen danach zu fragen, wie viel sie für aufeinander folgende zusätzliche Einheiten zu zahlen bereit seien. Ende der 1950er Jahre und Anfang der 1960er Jahre wurden die ersten empirischen Zahlungsbereitschaftsanalysen durchgeführt. Sie bezogen sich vor allem auf Erholungs- und Jagdaktivitäten sowie auf Einstellungen von Individuen zur Luftverschmutzung. Einen großen Entwicklungsschub für die CVM stellte vor allem die Erarbeitung der Grundlagen für die Nichtgebrauchswerte dar,[21] deren potenzielle Bestimmung den großen Vorteil der CVM ausmacht. Zu Beginn der 1980er Jahre konzentrierte sich das Forschungsinteresse in den USA vor allem auf Fragen der praktischen Auseinandersetzung des Verfahrens. Der intensive Austausch zwischen umweltpolitischen Instanzen auf der einen sowie umweltökonomischen Forschern auf der anderen Seite wirkte sich befruchtend auf die Weiterentwicklung der Methode aus. Einen sehr starken Einfluss auf die Messung von Umweltgütern in den USA gingen sowohl vom Beschluss des früheren Präsidenten Reagan, der vorschrieb, dass für wichtige Maßnahmen der Zentralregierung eine Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen sei, als auch von der Verabschiedung des „Comprehensive Emergency Response, Compensation, and Liability Act (CERCLA)“ aus.[22] Letzteres wurde auch als „Superfund law“ in den USA bekannt, welches die gesetzliche Grundlage für Entschädigungsforderungen des Staates an Umweltverschmutzer bzw. –zerstörer von natürlichen Ressourcen darstellt. Infolge dieses Gesetzes wurde das U.S.- Innenministerium angewiesen, Durchführungsbestimmungen zu formulieren, die die relevanten Schadensfälle und die einzusetzenden Bewertungsmethoden definieren.[23] Als die „Geburtsstunde“[24] der CVM und des Existenzwertes in der Umweltgesetzgebung lässt sich die Veröffentlichung dieser Bestimmungen aus dem Jahr 1986 interpretieren. 1989 wurden sie aufgrund einer Entscheidung des höchsten Gerichts der USA dahingehend verschärft, dass Nichtgebrauchswerte gleichberechtigt neben Gebrauchswerten bei Umweltschäden berücksichtigt mussten und die Anwendung der CVM bei solchen Fällen empfohlen wurde. Eine weitere sehr intensive Debatte über Nichtgebrauchswerte und die CVM entwickelte sich infolge der Ölverschmutzung des Prinz-William-Sound in Alaska durch die Exxon Valdez. Der amerikanische Kongress reagierte auf die bisher schwerste Ölpest mit der Verabschiedung des „Oil Pollution Act“. Er beinhaltete zahlreiche Elemente des CERCLA, jedoch wurde der Umfang von entschädigungswürdigen Umweltschäden ausgedehnt und die Nichtgebrauchswerte fix verankert.[25] Die „National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) des Wirtschaftsministeriums wurde mit der Aufgabe betraut, die Durchführungsbestimmungen für die Schadensfeststellung anzufertigen. Im Gegensatz zum CERCLA 1980, dessen Ausarbeitung noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, entbrannte nun ein Streit zwischen Umweltbewegungen, die für die gleichen strikten Bestimmungen des CERCLA plädierten, und Ölunternehmen, die darauf bedacht waren, dass Nichtgebrauchswerte und die CVM aus den Bestimmungen entfernt wurden. Es wurde schließlich eine Expertengruppe[26] eingesetzt, die prüfen sollte, ob die CVM zur Ermittlung von Nichtgebrauchswerten zuverlässig sei. Das NOAA Panel gelangte zur eindeutigen Aussage,
„that CV studies (application of the contingent valuation method) can produce estimates reliable enough to be the starting point of a judical process of damage assessment, including lost passive-use-values.“[27]
[...]
[1] Vgl. Kolonko (2005).
[2] Vgl. Wronka (2004), S. 1.
[3] Vgl. Elsasser (1997), S. 22.
[4] Auf Grund des vorgegebenen Rahmens kann allerdings kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden.
[5] Vgl. Pearce und Turner (1990), S. 129.
[6] Vgl. Mitchell u. Carson (1989), S. 62.
[7] Vgl. Wronka (2004), S. 10.
[8] Vgl. Ebenda, S. 10 f.
[9] Vgl. Pruckner (o.J.).
[10] Vgl. Wronka (2004), S. 11: Dies gilt insbesondere für die Einordnung von Options- und Vermächtniswert als Nichtgebrauchswerte.
[11] Vgl. Ebenda, S. 8 und 9: Nicht der Wert der Kulturlandschaft an sich wird bewertet, sondern im Vergleich zu einer Referenzsituation, z.B. im Vergleich zu einem Veröden der Flächen.
[12] Lehr (2002), S. 363.
[13] Vgl. Ebenda, zit. n. Hicks (1939 u. 1942).
[14] Vgl. Ebenda.
[15] Vgl. Ebenda, zit. n. Hicks (1939) u. Kaldor (1939).
[16] Vgl. Lehr (2002), S. 364.
[17] Portney (1994), S. 3.
[18] Nach Endres (1998) bedeutet „kontingent“, dass die Bewertung unter bestimmten genau vorgegebenen Bedingungen erfolgt.
[19] Vgl. Wronka (2004), S. 70 zit. n. Corell (1994), S. 21.
[20] Vgl. Pruckner (o.J.).
[21] 1967 veröffentlichte Krutilla das Konzept des Existenzwertes.
[22] Vgl. Pruckner (o.J.).
[23] Vgl. Wronka (2004), S. 71f.
[24] Ebenda.
[25] Vgl. Pruckner (o.J.).
[26] Das NOAA-Panel bestand unter anderem aus den Nobelpreisträgern Kenneth Arrow und Robert Solow und hat in seinem Abschlussbericht verschiedene Richtlinien hinsichtlich einer verbesserten Anwendung der CVM vorgeschlagen.
[27]Portney (1994), S. 8.