Besonderheiten der Erzählstruktur im Werk Franz Kafkas


Seminararbeit, 2003

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Thematische und sprachliche Grundzüge
1.1 Thematische Grundzüge in Kafkas Gesamtwerk und im „Prozeß“
1.2 Wortwahl und Sprache
1.2.1 Wortwahl und Sprache im Gesamtwerk
1.2.2 Wortwahl und Sprache im „Prozeß“
1.3 Beziehungen zwischen Thematik und Spache

2. Die Rolle des Erzählers in Kafkas Werken
2.1 Die Erzählperspektive im „Prozeß“
2.2 Zur „Einsinnigkeit der Erzählweise“ in Kafkas Werken
2.2.1 Auffassungen zur einsinnigen Erzählweise in Kafkas Werken
2.2.2 Zur „Einsinnigkeit der Erzählperspektive“ im Prozeß
2.3 Die Verwendung der erlebten Rede zur Darstellung der Innenwelt
2.4 Hypothetischer Erzählstil im „Prozeß“

3. Besonderheiten der Temporalstruktur in Kafkas Werken
3.1 Vom „stehenden Sturmlauf“ im Werk Kafkas
3.2 Die Zeitstruktur im „Prozeß“

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Einleitung

Kafkas Prosa ist sekundär sinnbezogen und primär sinndestruierend.[1] Doch wie setzt der Autor dies sprachlich um? Wie wird in seinen Werken Spannung erzeugt und was ist das erzählerisch Besondere, das seine Werke von denen anderer Autoren unterscheidet?

Die vorliegende Seminararbeit zeigt die Besonderheiten in den Erzählstrukturen im Werk Franz Kafkas auf, wobei diese jeweils am Roman „Der Prozeß“ exemplifiziert werden. Bereits im ersten Satz des „Prozeß“- Romans offenbart sich dem Leser eine Ausgangsituation, die ihm sogleich einige Eigentümlichkeiten des Werkes erahnen lässt. Dem Protagonisten geschieht etwas, das sein Leben grundsätzlich verändert und auf das Ende hin orientiert. Franz Kafka schrieb das erste und das letzte Kapitel des „Prozeß“ direkt nacheinander. Dennoch besteht ein bedeutsamer Unterschied zwischen den beiden Romanabschnitten. Die paradoxe Lösung der Verhaftung im letzen Kapitel steht im Gegensatz zur Vielzahl der Lösungsmöglichkeiten im ersten Kapitel. Die Lösungen in der Eröffnungsszene reichen vom Selbstmord bis zum Aufräumen des Zimmers der Frau Grubach. Die Kapitel zwischen diesen beiden Abschnitten führen lediglich additiv neue Ansichten und Kontexte ein. Eine Vielzahl der Lösungsvorschläge reduziert sich auf den Tod Joseph K.s.[2]

In der Arbeit sollen die Rolle des Erzählers sowie die besondere Temporalstruktur im Vordergrund stehen. Um Zusammenhänge zu verdeutlichen, wird im ersten Kapitel jedoch auch auf thematische Eigentümlichkeiten des Werkes Kafkas eingegangen.

1. Thematische und sprachliche Grundzüge

1.1 Thematische Grundzüge in Kafkas Gesamtwerk und im „Prozeß“

Im Gesamtwerk Franz Kafkas ist eine allgemeine Thematik und Problematik feststellbar, die seine Dichtung als Ganzes bestimmen. Der thematischen Einheitlichkeit des Werkes entspricht darüber hinaus eine Konstanz seiner stilistischen Gestaltung. Wie es im Folgenden dargestellt wird, stehen Thematik und Sprache im Werk Kafkas im engen Zusammenhang. Sie entfalten sich überhaupt erst miteinander.

Durchgängig gilt, dass alle Helden scheitern, sie ihr angestrebtes Ziel nie erreichen und daraufhin resignieren. Die Protagonisten werden nicht nur besiegt, sondern sie nehmen ihre Niederlage zuletzt auch willig an. Ihr Versuch der Selbstbehauptung wird in der letzten Stunde freiwillig aufgegeben. Aus der Selbstrechtfertigung der Helden wird ein Selbstgericht.

Die Katastrophe der Helden erfolgt oftmals ganz unerwartet, jedoch nicht unbegründet. Am Ende zeigt sich, dass das Unheil die Auswirkung einer Schuld oder die Folge eines Versagens ist. Welche Schuld dabei vorliegt, wird nicht erwähnt, denn sie ist eine vorgegebene Fundamentalschuld, die somit nicht benannt oder spezifiziert werden muss. Durch Gesetzesparagraphen ließe sie sich ohnehin nicht festlegen.

Das Ziel der Kafkaschen Dichtung ist es, die Schuldsituation als solche zu erhellen. Dabei gilt auch eine existentielle Schuld als moralisch zu verantwortende Schuld.

Um Gericht und Strafe geht es nicht nur in den Erzählungen „Das Urteil“, „In der Strafkolonie“ und dem Roman „Der Prozess“, sondern im Gesamtwerk Kafkas. Als tieferer Sinn der durchgehenden Gerichtsthematik kann analysiert werden, dass der Held sein Scheitern letztendlich selbst verschuldet hat und die Entwicklung des Geschehens ihn schließlich zur Erkenntnis seiner verborgenen Schuld bringt. Dargestellt wird der Prozess seiner Desillusionierung und seiner moralischen Selbstenthüllung, was ihn schlussendlich dazu treibt, sich freiwillig unter das absolute Gesetz zu unterwerfen.

Franz Kafka beschreibt somit durchgängig eine Selbsttäuschung des Menschen. Dieser ist a priori immer schuldig und erkennt deshalb das Gesetz nicht. Deshalb ist es dem Menschen auch nicht möglich, seine Schuld selbst einzusehen.[3]

Auch die im Kafkaschen Werk dargestellte Weltordnung und ihr System ist auf Grund wiederholt auftretender Kennzeichen im Gesamtwerk beschreibbar. Als Charakteristika der Kafkaschen Welterfahrung führt Hiebel drei wesentliche Merkmale an.[4] Die Welt im Werk Kafkas ist demnach zutiefst unerklärlich und paradox. Sie gewinnt nur als Metapher an Gestalt und ihre Darstellung ist eine Vermischung zwischen Innen- und Außenwelt.

Die Erzählung „Eine kaiserliche Botschaft“[5] spiegelt modellhaft die Gesamtkonstruktion einer Weltordnung wieder. Der Einzelne wird dabei als gänzlich isoliert vom Volk dargestellt. Sein individuelles Erfahrungsmuster wird zum Welterklärungsmodell ausgeweitet. Es wird die Unmöglichkeit jeder existentiellen Kommunikation des Einzelnen mit der Zentralinstanz geschildert. Im unüberschaubaren Weltsystem scheint die paradoxe Beziehung zwischen dem Individuum und der Zentralfigur, in der es den Fluchtpunkt seiner Existenz sieht, eingebettet zu sein.[6]

Die thematischen Besonderheiten im Werk Kafkas, wie sie bereits dargestellt wurden, können auf den Roman „Der Prozeß“ übertragen werden.

Für Joseph K., der am Morgen seines 30. Geburtstages aufsteht und „… ohne dass er etwas Böses getan hätte …“, verhaftet wird, stellt sich die Welt als unerklärlich dar. Das Gericht repräsentiert eine metaphorische Dimension in der Prozesswelt. Es stellt das Nicht-Erzählbare dar.[7] Gleichzeitig ist es überall und nirgends (Titorelli: Es gehört ja alles zum Gericht.“) und die Personen des Gerichts sind mit denen der außergerichtlichen Realität identisch.[8] Trotz der Versuche, seine Unschuld zu beweisen, beugt sich K. am Ende dem ihm unbekannten Gesetz, indem er sich selbst seiner Hinrichtung stellt. Kafkas Texte bestehen thematisch oftmals aus zwei gegensätzlichen Welten. Im „Prozeß“ sind dies zum einen die Alltagswelt des Joseph K. und zum anderen die geheimnisvolle Welt des Gerichts.

Thematischer Grundzug in der Prozesswelt ist das Ringen um die Rechtfertigung des eigenen Daseins. Aus diesem Leitgedanken sind sowohl formale als auch erzähltechnische Strukturen und Eigentümlichkeiten des Romanaufbaus abzuleiten. Das Paradoxon, in dem sich Joseph K. befindet, ist die Unerreichbarkeit dessen, was ihn rettet. In der Türhüter-Legende ist dieses Paradox auf eine nicht weiter reduzierbare Formel gebracht. Weil der Protagonist seinen eigenen Standpunkt nicht als gerechtfertigten erfassen kann, kommt er auf ungerechtfertigte Weise in die Prozesswelt, wie beispielsweise bei der Anklagerede der ersten Untersuchung. Beda Allemann bezeichnet dies als erfolgreich – erfolgloses Hineinfahren,[9] was bedeutet, dass Joseph K. in einer Weise agiert, die ihn keinen Schritt weiterbringt.[10]

1.2 Wortwahl und Sprache

1.2.1 Wortwahl und Sprache im Gesamtwerk

Für Franz Kafka war das Schreiben die Suche nach dem Absoluten, eine „Form des Gebets“.[11] Im Gespräch mit Janouch beschrieb er den Schreibvorgang selbst als eine Expedition zur Wahrheit. Stummheit gehörte für Kafka zu den Attributen der Vollkommenheit. Die größte dichterische Schöpfung ist nicht aus Worten, sondern aus Schweigen gewebt. Aus diesem Grund sind auch fast all seine Werke unvollendet, denn der Entschluss, ein Werk zu veröffentlichen ist eine Sanktion der Unvollkommenheit. Das Fragmentarische überwiegt in den drei Romanen „Der Verschollene“, „Das Schloß“ und „Der Prozeß“.[12]

In diesem Kapitel soll ausgeführt werden, wie es Kafka gelingt, seine konzipierten Schreckenswelten immerwährenden leidvollen Scheiterns stilistisch zu bewältigen. Auf dem ersten Blick scheint ein Spannungsgegensatz zwischen Thematik und Sprache zu bestehen. Stilistische Entsagung erscheint als Franz Kafkas ästhetisches Prinzip. Die schockierenden Begebenheiten werden in einer schmucklosen, nüchternen Sprache berichtet. Kafkas Stil ist ohne Extravaganzen, Verfremdungen und Kommentare. Sein Ziel ist eine höchstmögliche Steigerung der Wirkung des Textes kraft äußerster Beschränkung der sprachlichen Mittel. Kafka war sehr erfolgreich in seiner Bemühung, einen höchst objektiven Stil zu erreichen. Durch den sachlichen, kühlen Berichtsstil wird das Erstaunliche und Unerklärliche vom Leser als Tatsache hingenommen. Je knapper die Formulierungen ausfallen, desto stärker wird der Rezipient stimuliert, das Erzählte nachzuvollziehen. Die Suggestion der Realität des Erzählten ist dermaßen vollkommen, dass vom Leser über dessen (Un-) Möglichkeit gar nicht nachgedacht wird. Kafkas Ziel war es, adäquat darzustellen, statt zu verfremden. Er distanzierte sich klar vom so genannten „Pragerdeutsch“ und dessen Unzulänglichkeiten. Kafkas Purismus richtet sich gleichermaßen gegen die „Sprachvermengung und Sprachverderbung“ im „Pragerdeutsch“ als auch gegen den künstlichen Wortkult, den die zeitgenössischen Prager aus falsch verstandener Opposition gegen die Spracharmut betrieben.[13] Aus diesem Verhältnis zur Sprache resultiert Kafkas charakteristische Tendenz zu einer Epik ohne einen kommentierenden oder allwissenden Erzähler. Die scheinbare Einfachheit des Kafkaschen Wortgebrauchs ist das Resultat einer strengen Wortwahl, das Ergebnis einer konzentrierten Suche nach dem jeweils eingängigsten und direktesten Ausdruck. Als wesentliche Kennzeichen des Kafkaschen Erzählens notiert Bert Nagel zum einen den direkten und konkret genauen Zugriff zur Sprache und zum anderen eine detailgenaue Vollständigkeit seiner Beschreibungen. Ein Selbstgenuss der Sprache in Worthäufungen und Wortspielen bezeichnet Nagel als für Franz Kafka unzugänglich.[14] Max Brod betonte als Franz Kafkas höchste dichterische Tugend „… das absolute Bestehen auf der Wahrhaftigkeit des Ausdrucks, das Suchen des einen, völlig richtigen Wortes für eine Sache, diese sublime Werktreue, die sich mit nichts zufrieden gab, was auch nur im Geringsten mangelhaft war …“.[15]

[...]


[1] Fromm, S. 45

[2] Fromm, S. 135ff.

[3] Nagel, S. 80ff.

[4] Hiebel, S. 13

[5] In: Hermes, S. 305

[6] Meurer, S.69ff.

[7] Verbeeck, S. 150

[8] Heintz, S. 105

[9] Allemann, S. 63

[10] vgl. hierzu auch Kap. 3.2

[11] Karst, S. 539

[12] Karst, S. 540

[13] Nagel, S. 92

[14] Nagel, S. 96ff.

[15] Nagel, S. 101

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Besonderheiten der Erzählstruktur im Werk Franz Kafkas
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Institut für Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Franz Kafka
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
24
Katalognummer
V70071
ISBN (eBook)
9783638614528
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Seminararbeit zeigt die Besonderheiten in den Erzählstrukturen im Werk Franz Kafkas auf, wobei diese jeweils am Roman 'Der Prozeß' exemplifiziert werden
Schlagworte
Besonderheiten, Erzählstruktur, Werk, Franz, Kafkas, Franz, Kafka
Arbeit zitieren
Claudia Behm (Autor:in), 2003, Besonderheiten der Erzählstruktur im Werk Franz Kafkas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70071

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