Das Gedicht Satzbau von Gottfried Benn wurde im Jahre 1950 veröffentlicht. Das Gedicht steht im ersten Moment nicht in der Tradition der expressionistischen Literatur/Lyrik, die sich in den meisten Fällen mit Krieg, Großstadt, Zerfall, Verlust, Angst, Ich-Verlust und Apokalypse befasst. Der sehr nüchterne und sprachwissenschaftliche Titel Satzbau erweckt den Eindruck einer wissenschaftlichen formalen Arbeit, dessen Aufgabe und Inhalt die Abgrenzung der Semantik gegenüber der Syntax (also der allgemeinen Satzstruktur) ist. So scheint Benn die Form wichtiger zu sein als der Inhalt. Denn die Form ergibt den Inhalt.
Inhaltsverzeichnis
1. Allgemeine Beobachtungen:
2. Das Gedicht
2.1. Worum geht es?
2.2. Worum es nicht geht!
3. Die Metapher eines gespiegelten und direkten Mädchen für Ferdinand Saussure
4. Kunst als Macht
5. Wirklich unbeantwortbar?
6. Urvater Goehte.
Eine Analyse und Interpretation des Gedichtes Satzbau
von Gottfried Benn
Das Gedicht Satzbau von Gottfried Benn wurde im Jahre 1950 veröffentlicht. Das Gedicht steht im ersten Moment nicht in der Tradition der expressionistischen Literatur/Lyrik, die sich in den meisten Fällen mit Krieg, Großstadt, Zerfall, Verlust, Angst, Ich-Verlust und Apokalypse befasst. Der sehr nüchterne und sprachwissenschaftliche Titel Satzbau erweckt den Eindruck einer wissenschaftlichen formalen Arbeit, dessen Aufgabe und Inhalt die Abgrenzung der Semantik gegenüber der Syntax (also der allgemeinen Satzstruktur) ist.[1] So scheint Benn die Form wichtiger zu sein als der Inhalt. Denn die Form ergibt den Inhalt.
1. Allgemeine Beobachtungen:
Auch wenn der Titel zunächst kein Gedicht vermuten lässt, so ist die Form schnell einem Gedicht zuzuordnen. Das Gedicht besteht aus vier Strophen. Die Strophen gliedern sich in Verse, die jedoch niemals die gleiche Versanzahl aufweisen. So besteht die erste Strophe aus sechs Versen, die Zweite aus sieben Versen, die Dritte aus zehn Versen und die Letzte aus drei Versen. Insgesamt umfasst das Gedicht 26 Verse in vier Strophen. Der sehr trockene und nüchterne Schreibstil ist für Benn charakteristisch, jedoch eher einem Essay zuzuordnen.
Trotz allem beinhaltet das Gedicht Satzbau auch formale Anhaltspunkte eines Gedichtes wie Alliteration. Eine Alliteration findet man gleich in der ersten und zweiten Strophe. So wird in Vers vier, sechs und sieben mit W-Fragen begonnen.
Auch das charakteristischste eines Gedichtes, die Reimform, ist nicht vorhanden. Dies bedeutet aber nicht, dass es kein Gedicht ist. Denn trotz allem nicht vorhanden sein, achtet Benn auf Metrum (fünf-hebiger Jambus mit Blankvers im ersten Vers) und Metaphern (Mauern,[...] als dicke Raupen mit Schildkrötenkopf).
Es befindet sich auch eine langsame Entwicklung eines allgemein Wir-Begriffes zu einem lyrischen Ich statt. Zu Beginn ist noch die Rede von einem „Wir“, dass sich gemeinsam der Frage des Gedichtes stellen soll. Jedoch zum Schluss ist es nur dem lyrischen Ich möglich eine Antwort zu finden.
2. Das Gedicht
Satzbau
Alle haben den Himmel, die Liebe und das Grab,
damit wollen wir uns nicht befassen,
das ist für den Kulturkreis besprochen und durchgearbeitet.
Was aber neu ist, ist die Frage nach dem Satzbau
Und die ist dringend:
Warum drücken wir etwas aus?
Warum reimen wir oder zeichnen ein Mädchen,
direkt oder als Spiegelbild
oder stricheln auf eine Handbreit Büttenpapier
unzählige Pflanzen, Baumkronen, Mauern,
letztere als dicke Raupen mit Schildkrötenkopf
sich unheimlich niedrig hinziehend
in bestimmter Anordnung?
Überwältigend unbeantwortbar!
Honoraussicht ist es nicht,
viele verhungern darüber. Nein,
es ist ein Antrieb in der Hand,
ferngesteuert, eine Gehirnlage,
vielleicht ein verspäteter Heilbringer oder Totemtier,
auf Kosten des Inhalts ein formaler Priapismus,
er wird vorübergehen,
aber heute ist der Satzbau
das Primäre.
„Die wenigen, die was davon erkannt“ (Goethe)
wovon eigentlich?
Ich nehme an: vom Satzbau.
2.1. Worum geht es?
- 1. Strophe (Vers 1-6): Was beschäftigt herkömmliche Literatur/Lyrik? Und die Absetzung Benns Thema „Satzbau“.
- 2. Strophe (Vers 7-13): Die Vielfalt des Ausdruckes.
- 3. Strophe (Vers 14-23): Versuch und Abschwächung und der Antwort.
- 4. Strophe (Vers 24-26): Abschluss mit Goethe Zitat.
2.2. Worum es nicht geht!
Alle haben den Himmel, die Liebe und das Grab, damit wollen wir uns nicht befassen [...]. Laut Benn beschäftigt sich die herkömmliche Lyrik mit diesen Themen. Sie befasst sich mit Themen und Dingen des Alltags, mit Dingen die der Kulturkreis schon besprochen und durchgearbeitet hat. Es gibt einen allgemeinen Diskurs dafür. Doch Benn reizt diese Themen nicht im geringsten. Für ihn es ist es viel dringender, die Frage nach dem Satzbau zu stellen und zu erörtern. Warum drücken wir uns aus? Warum kommunizieren wir? Oder schlichtweg auch die Frage nach der Kunst.
3. Die Metapher eines gespiegelten und direkten Mädchen für Ferdinand Saussure
[...]Warum reimen wir oder zeichnen ein Mädchen, direkt oder als Spiegelbild [...] (V. 7+8). Eine sehr direkte Frage, die mit einer Metapher ergänzt wurde. Einmal reimen wir im sprachlichen Sinne, wieso jedoch zeichnen ? Beides sind es künstlerische Akte. Wieso stehen aber beide im Zusammenhang mit dem Satzbau? Formt zeichnen nicht ein Umriss von etwas? Gibt stricheln/zeichnen nicht Form und Gestalt, wie der Satzbau? Man gestaltet ein Gebilde, wie Wörter einen Satz bilden. Zeichnen fungiert hier als Metapher für den gleichen Akt des Schöpfens. Für den gleichen Akt des gestalten der Form.
Aber warum macht Benn nochmals Unterschiede zwischen einem direkten Mädchen und dessen Spiegelbild? Zunächst handelt es sich um ein Spiegelbild (also nur um eine Abbildung des Realen) und zum anderen um das direkte (reale) Mädchen.
Also einmal das direkte Mädchen als Signifikat und zum anderen ihr Spiegelbild als Signifikant. Laut Ferdinand Saussure`s Zeichenlehre hat das Signifikant nur kausale Verbindung mit dem Signifikat (direktes Mädchen). Ohne Signifikat ist das Signifikant bedeutungslos. Erst die reale Form schafft dem Spiegelbild eine Bedeutung. Übertragen von diesen zwei Versen bedeutet dies für das Gedicht, dass erst die Form dem Inhalt eine (Be)deutung vermittelt.
[...]
[1] Stoehr, Ingo. Das Gedicht Satzbau als Wendepunkt in Gottfried Benns Lyrik und Selbstreflexion. In.: Rölleke, Heinz (Hrsg.). Wirkendes Wort 40. Deutsche Sprache und Literatur in Forschung Lehre. 40. Jahrgang. Bonn 1990. S. 224.
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- Kerstin Steinert (Author), 2006, Eine Analyse und Interpretation des Gedichtes Satzbau von Gottfried Benn, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70086
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