Das Motiv der Augen in E.T.A. Hoffmanns 'Der Sandmann'


Hausarbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Inhaltsangabe

3. Charakterisierung der Hauptfiguren
3.1. Clara
3.2. Coppelius/Coppola
3.3. Olympia

4. Die Bedeutung der Augen für Nathanaels Wahnsinn

5. Augenangst als Kastrationsangst

6. Zusammenfassende Betrachtung

7. Literatur

1. Einleitung

Mit dem Begriff der Romantik verbindet man idyllische Landschaften und nostalgische Bilder einer harmonischen Liebesbeziehung. Der literaturgeschichtliche Blick auf die Epoche der Romantik zeigt jedoch, dass diese Vorstellungen zu einseitig sind. Unter „romantisch“ fällt hier ebenso das Verborgene, Abgründige, Dunkle und somit Unheimliche. E.T.A. Hoffmann, einer der bedeutendsten Vertreter dieses Zeitabschnitts, behandelt das Thema der dunklen Seite der menschlichen Existenz mehrfach in seinen Erzählungen.

Eines seiner unheimlichsten Werke ist das Kunstmärchen „Der Sandmann“ im ersten Band seines zweiteiligen Zyklus „Nachtstücke“. Betrachtet man lediglich den Titel, liegt die Assoziation mit dem freundlichen Sandmännchen des deutschen Volksmythos nahe. Dieses streut den Kindern vor dem Einschlafen Sand in die Augen, so dass sie müde werden.

Die Annahme, dass es sich bei Hoffmanns „Der Sandmann“ um eine liebliche Gute-Nacht-Geschichte handelt, wird bereits nach Lektüre der ersten Seiten entkräftet. Die eindrucksvolle Schilderung der grausamen Kindheitserinnerung des Protagonisten Nathanaels verdeutlicht dem Leser die groteske und Angst einflößende Grundstimmung des Textes (S. 3-5)[1].

Das Hauptthema ist der sich entwickelnde Wahnsinns Nathanaels, ausgelöst durch den Advokaten Coppelius, in dem er die Figur des unheimlichen Sandmanns sieht. Es tauchen immer wieder zwei Motive auf: das des künstlichen Menschen im Zusammenhang mit dem Automaten Olympia und das der Augen im Märchen des Sandmanns.

Sigmund Freud begründet in seinem Text „Das Unheimliche“ die Wirkung der Erzählung eher mit dem Leitmotiv der Augen als mit dem des Automaten[2]. Aufgrund dessen hab ich mich für eine Analyse dieses Themas entschieden.

Einleitend wird kurz der Inhalt der Geschichte anhand der einzelnen Ereignisse, die im Zusammenhang mit den Augen stehen, wiedergegeben. Es folgt eine Charakterisierung der Hauptfiguren durch die Beschreibung ihrer Augen.

Kapitel vier beginnt mit der Darstellung der Rolle des Motivs in Bezug auf die Entwicklung von Nathanaels Wahnsinn. Daraufhin wird Freuds Interpretation der Augenangst als Kastrationsangst analysiert.

Die der Erzählung zugrunde liegende Multiperspektivität bietet verschiedenste Interpretationsmöglichkeiten. Aufgrund dessen kann hier keine eindeutig objektive Analyse zu erwarten sein. Welche Wirkung die unterschiedlichen Situationen rund um das Motiv der Augen und der damit verbundenen Unheimlichkeit haben, hängt von der subjektiven Betrachtung jedes einzelnen ab, so dass lediglich mögliche Assoziationen, keine unwiderruflichen Tatsachen dargelegt werden.

2. Inhaltsangabe

Die Erzählung beginnt mit einem Briefwechsel zwischen der Hauptfigur Nathanael, seiner Verlobten Clara und ihrem Bruder Lothar. Verängstigt durch die Begegnung mit dem Wetterglashändler Coppola, erinnert sich Nathanael an eine schreckliche Erfahrung in seiner Kindheit (S. 3). Er erkennt in ihm den Advokaten Coppelius, der das damalige Familienglück zerstörte.

Es gab Abende in seiner Jugend, an denen die Kinder unter der Erzählung der Sandmanngeschichte, früher zu Bett gebeteten wurden als üblich. Die Neugierde Nathanaels geweckt, befragte er seine Mutter genauer. Sie bestritt jedoch die Existenz des Sandmanns, worauf er sich an die Amme seiner Schwester wendete. Ihre Antwort ist die Basis für alle sich entwickelnden Ängste des Jungen:

„Das ist ein böser Mann, der kommt zu dem Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, daß sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und trägt sie in den Halbmond zur Atzung für seine Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf.“[3]

Während der Begegnung mit Coppelius im Zimmer des Vaters (S. 9), hat Nathanael aufgrund des Märchens große Frucht, dass ihm die Augen herausgerissen werden, da er in dem Besucher die Schreckensgestalt des Sandmanns sieht. Sogar des Vaters Tod während einem der Experimente schreibt er dem Advokaten zu.

Den Brief mit diesem Erlebnis adressiert Nathanael versehentlich an Clara, die in ihrem Antwortschreiben versucht den Verlobten zu beruhigen (S. 12). In einer weiteren Mitteilung an ihren Bruder Lothar beschreibt er die Ankunft des Professors Spalanzani und dessen Tochter Olympia (S. 15).

Nach dem Briefwechsel schaltet sich der Erzähler ein. Er wendet sich direkt an den Leser und berichtet von der Rückkehr Nathanaels zu Clara. Auch hier lassen ihn jedoch die Ereignisse der Vergangenheit nicht los und es kommt zu Konflikten mit der Verlobten, aufgrund einer seiner Dichtungen.

Ausschlaggebend ist ein Gedicht, in dem Coppelius Claras Augen entreißt und sie auf Nathanael wirft, wodurch er, in den Wahnsinn getrieben, am Ende in ihren Augen den Tod erblickt (S. 22-23).

Nach der Ankunft in seinem Studienort erfährt er, dass das Haus in dem er gelebt hat, inzwischen abgebrannt sei und bezieht ein Zimmer gegenüber der Wohnung des Professors Spalanzani. Hier besucht ihn der Wetterglashändler Coppola, um ihm zunächst Brillen als „sköne Oke“ (schöne Augen) anzubieten (S. 26). Wiederum in Angst und Schrecken versetzt, erinnert sich Nathanale gleichwohl an die beruhigenden Worte Claras und kauft ihm letztendlich ein Perspektiv ab. Mit diesem betrachtet er fortan aus seinem Fenster Olympia, welche erst jetzt für ihn attraktiv wird. Er gerät zunehmend in ihren Bann und das Bild seiner Verlobten verblasst immer mehr.

Den Blick durch das Perspektiv verkehrt, ist Nathanael „blind“ gegenüber Olympias mechanischem Verhalten. Auch das große Fest des Professors, wo er zum ersten Mal dem Automaten persönlich begegnet, hinterlässt keine Zweifel bei ihm. Fortan besucht er sie und trägt ihr seine Gedichte vor. In ihr findet er die optimale Zuhörerin, fühlt sich verstanden und bestätigt.

Erst nachdem er Zeuge des Streits zwischen Coppola und Spalanzani geworden ist und Olympia mit herausgerissenen Augen sieht, erkennt er, dass sie nur eine leblose Puppe ist (S. 36). Der Professor wirft ihreAugen nach ihm und er versucht, vom Wahnsinn gepackt, diesen zu erwürgen.

Nathanael kehrt nach dem Erlebnis krank in seine Heimatstadt zurück, wo ihn seine Verlobte gesund pflegt. Nach kurzzeitiger Genesung kommt es jedoch zur abschließenden Katastrophe. Durch das Perspektiv wieder in seine Phantasien zurückversetzt, versucht er Clara vom Turm zu stürzen und springt, nachdem er Coppelius in der untenstehenden Menge erblickt, letzten Endes selber in den Tod (S. 40).

3. Charakterisierung der Hauptfiguren

Hoffmann verwendet das Motiv der Augen dazu, die Eigenschaften der verschiedenen Charaktere zu verdeutlichen. Schon seit der Antike stellen die Augen „den Spiegel der Seele“ dar[4], so dass sich aus ihrer Beschreibung eindeutige Rückschlüsse auf die Einstellungen der Figuren ziehen lassen.

3.1. Clara

Clara vertritt in der Erzählung den Standpunkt der Vernunft. Sie ist der Meinung, im Gegensatz zu Nathanael, dass seine Angst lediglich in seinem Inneren existiert und versucht ihre Ursache psychologisch zu deuten. Dies führt unweigerlich zu Konflikten zwischen den Partnern.

Zu Beginn beschreibt Nathanael sie mit „hellen Augen“ (S. 3), doch trägt er ihr seine Dichtung vor, wird ihr Blick starr und spricht Schläfrigkeit aus (S. 22-23). Sie sieht die Welt rational und hat kein Verständnis für seine Phantastereien.

Der Bericht des Erzählers über die Beschreibung Claras Augen durch einen Fantasten, zeigt sehr deutlich ihr Seelenleben:

„Einer von ihnen, ein wirklicher Fantast, verglich aber höchstseltsamer Weise Claras Augen mit einem See von Ruisdael, in dem sich des wolkenlosen Himmels reines Azur, Wald und Blumenflur, der reichen Landschaft ganzes buntes heitres Leben spiegelt. Dichter und Meister gingen aber weiter und sprachen: ‚Was See - was Spiegel! Können wir denn das Mädchen anschauen, ohne daß uns aus ihrem Blick wunderbare himmlische Gesänge und Klänge entgegenstrahlen, die in unser Innerstes dringen, daß das alles wach und rege wird? […]“[5]

Augen so klar wie ein See. Nichts könnte ihr klares und realistisches Denken besser darstellen. Ihr Verstand wird als hell und scharf sichtend beschrieben (S. 20) und lässt keinen Raum für die verzerrte mystische Weltanschauung Nathanaels. Überall, wo er sich der dunklen Macht ausgesetzt fühlt und von schicksalhaften Einflüssen ausgeht, versucht Clara diese zu klären und erklären. Dass sie dies „heiteren unbefangenen Sinnes“ (S. 13) macht, zeugt von ihrer leicht kindlichen Einstellung, die hin und wieder Feingefühl vermissen lässt.

Lothar, ihr Bruder beschreibt sie in diesem Zusammenhang mit „hellen holdlächelnden Kindesaugen“ (S. 15).

Ihre Unbeschwertheit drückt sich ebenfalls in ihrem mangelnden Verständnis gegenüber Nathanael aus. Sie versucht nicht auf ihn einzugehen und seine Ansicht der geheimnisvollen Ereignisse zu verstehen. Alles, was mit ihrem rationalen Weltbild nicht zu vereinbaren ist, zählt für sie nicht. Ihre Ansichten bleiben an der Oberfläche der Geschehnisse und sie sucht keine phantastischen, tiefer liegenden Ursachen. Diese fehlende Tiefe, kann man wiederum in dem Vergleich ihrer Augen mit dem See erkennen. Sie sind spiegelklar, dringen demnach nicht bis zum Grund vor.

Auch verwendet Hoffmann gerne sprechende Namen, was hier besonders deutlich wird[6]. „Klara“ bedeutet die „Vernünftige“ oder „Hellsichtige“, was eindeutig ihre bedeutendsten Charakterzüge wiedergibt.

[...]


[1] E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann. Hrsg. v. Rudolf Drux. Stuttgart: Reclam. 1991.

[2] Siehe hierzu: Freud, Sigmund: Das Unheimliche. In: Psychologische Schriften Bd. IV. Studienausgabe.

S. Fischer Verlag GmbH. Frankfurt am Main. 1970. Seite 243-274.

[3] E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann. Hrsg. v. Rudolf Drux. Stuttgart: Reclam. 1991. S. 5.

[4] Drux, Rudolf: E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Reclam. 1994.

S. 60.

[5] E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann. Hrsg. v. Rudolf Drux. Stuttgart: Reclam. 1991. S. 19.

[6] Drux, Rudolf: E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Reclam. 1994.

S. 5.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Das Motiv der Augen in E.T.A. Hoffmanns 'Der Sandmann'
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V70238
ISBN (eBook)
9783638615280
ISBN (Buch)
9783640660063
Dateigröße
430 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Motiv, Augen, Hoffmanns, Sandmann
Arbeit zitieren
Yvonne Rollesbroich (Autor:in), 2007, Das Motiv der Augen in E.T.A. Hoffmanns 'Der Sandmann', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70238

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