Seit Formulierung der Politikverflechtungstheorie von Fritz Scharpf ist nunmehr ein Vierteljahrhundert vergangen und die Theorie leistet nach wie vor einen Beitrag zum Verständnis des Problemlösungsverhaltens des deutschen Föderalismus. „Politikverflechtung, definiert als institutionalisierte Mitwirkung nachgeordneter Gebietskörperschaften an der Willensbildung auf der übergeordneten Entscheidungsebene“(Scharpf 1994: 7), ist immer noch eines der wesentlichen Merkmale des deutschen politischen Systems. Die Politikverflechtung hat sich im Laufe der Jahre sogar immer mehr verstärkt, denn Bund wie Länder haben versucht ihren Verlust an eigenständigen Kompetenzen durch die Mitwirkung auf der jeweils anderen politischen Systemebene zu kompensieren. Mit der Ausweitung der Theorie auf die europäische Ebene als doppelte Politikverflechtung gewann die Theorie in den 80er Jahren erneut an Aktualität. Der deutsche Bundesstaat stand und steht nämlich nun vor der Herausforderung die innerstaatliche Kompetenzverteilung in der Bundesrepublik zu bewahren und gleichzeitig den Erfordernissen der Europäischen Union gerecht zu werden. Dieser Herausforderung wurde mit weiteren Verflechtungsarten begegnet: Die Länder haben nach und nach mittels verschiedenster Strategien ihren Einfluss auf die europäische Ebene immer mehr verstärken können, so dass sie heute über den Bundesrat, den Ausschuss der Regionen, ihre Länderbüros in Brüssel und horizontale Kooperation mit anderen Regionen ihren Interessen Geltung verschaffen. In dieser Hausarbeit soll jedoch nicht versucht werden zu klären, ob die deutschen Länder im Europäisierungsprozess Kompetenzen gewonnen oder verloren haben, denn dies bedürfte einer Politikfeldanalyse. Vielmehr soll deutlich gemacht werden, inwiefern diese neuartigen Verflechtungsformen, die doppelte Politikverflechtung, sich auf die Entscheidungsprozesse, Institutionen und Politikinhalte in der Bundesrepublik auswirken. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Analyserahmen
3. Die Politikverflechtungstheorie von Scharpf und die der
doppelten Politikverflechtung in Theorie und Praxis
3.1 Die Politikverflechtungstheorie
3.2. Formen der Politikverflechtung in der Bundesrepublik
3.3. Die doppelte Politikverflechtung
3.4. Die Mitwirkung der Länder auf europäischer Ebene
4. Modifizierung des nationalen politischen Systems
4.1. Verstärkung des Exekutivföderalismus
4.2. Eine „hinkende Dreier-Beziehung“?
4.3. Ist die Staatlichkeit der Länder in Gefahr?
4.4. Verflechtung oder Entflechtung?
5. Fazit
Literaturliste
1. Einleitung
Seit Formulierung der Politikverflechtungstheorie von Fritz Scharpf ist nunmehr ein Vierteljahrhundert vergangen und die Theorie leistet nach wie vor einen Beitrag zum Verständnis des Problemlösungsverhaltens des deutschen Föderalismus. „Politikverflechtung, definiert als institutionalisierte Mitwirkung nachgeordneter Gebietskörperschaften an der Willensbildung auf der übergeordneten Entscheidungsebene“(Scharpf 1994: 7), ist immer noch eines der wesentlichen Merkmale des deutschen politischen Systems. Die Politikverflechtung hat sich im Laufe der Jahre sogar immer mehr verstärkt, denn Bund wie Länder haben versucht ihren Verlust an eigenständigen Kompetenzen durch die Mitwirkung auf der jeweils anderen politischen Systemebene zu kompensieren.
Mit der Ausweitung der Theorie auf die europäische Ebene als doppelte Politikverflechtung gewann die Theorie in den 80er Jahren erneut an Aktualität. Der deutsche Bundesstaat stand und steht nämlich nun vor der Herausforderung die innerstaatliche Kompetenzverteilung in der Bundesrepublik zu bewahren und gleichzeitig den Erfordernissen der Europäischen Union gerecht zu werden. Dieser Herausforderung wurde mit weiteren Verflechtungsarten begegnet: Die Länder haben nach und nach mittels verschiedenster Strategien ihren Einfluss auf die europäische Ebene immer mehr verstärken können, so dass sie heute über den Bundesrat, den Ausschuss der Regionen, ihre Länderbüros in Brüssel und horizontale Kooperation mit anderen Regionen ihren Interessen Geltung verschaffen. In dieser Hausarbeit soll jedoch nicht versucht werden zu klären, ob die deutschen Länder im Europäisierungsprozess Kompetenzen gewonnen oder verloren haben, denn dies bedürfte einer Politikfeldanalyse. Vielmehr soll deutlich gemacht werden, inwiefern diese neuartigen Verflechtungsformen, die doppelte Politikverflechtung, sich auf die Entscheidungsprozesse, Institutionen und Politikinhalte in der Bundesrepublik auswirken.
2. Analyserahmen
Der empirische Teil der Arbeit soll zunächst die Politikverflechtungstheorie und ihre Erweiterung auf die Europäische Union als doppelte Politikverflechtung darstellen und ihre Rezeption und Erklärungskraft erläutern. Im analytischen Teil der Arbeit soll dann geklärt werden, inwieweit sich die problemerzeugenden Tendenzen der doppelten Politikverflechtung auf die Entstehung und die Qualität der politischen Entscheidungen und die Institutionen in Deutschland durchschlagen. Im Verlauf der Hausarbeit sollen dabei folgende Arbeitshypothesen überprüft werden:
- Die doppelte Politikverflechtung stabilisiert die Politikerflechtung innerhalb des deutschen Systems, dadurch dass eine neue Verflechtungsebene hinzukommt.
- Die doppelte Politikverflechtung hat eine asymmetrische Beziehung zwischen den drei Rechtssubjekten Union, Bund und Ländern zur Folge (= Exekutivföderalismus?!?)
- Die Landesparlamente haben mit der Europäisierung an Macht eingebüßt.
Folgende erklärende Variablen sollen dabei bei der Beantwortung der eingangs erwähnten Fragestellung helfen:
- die Bedingungen des Entscheidungssystems, denn mit der Europäischen Union ist die Zahl der Entscheidungsbeteiligten gestiegen, die Interessen der Beteiligten divergieren stärker.
- Die Rolle der Akteure, bzw. deren Handlungsstrategien und Anpassungsvermögen und der Grad ihrer gegenseitigen Interdependenz
- Die nationale Institutionenordnung legt die Ressourcen nationaler Akteure und damit deren Ausgangsposition im europäischem Mehrebensystem fest;
- Und schließlich ergibt sich aus der (In-)Komptabilität nationaler und gemeinschaftlicher Institutionen der Grad des Anpassungsdrucks auf erstere.
3. Die Politikverflechtungstheorie von Scharpf und die der doppelten Politikverflechtung in Theorie und Praxis
3.1 Die Politikverflechtungstheorie
Die Politikverflechtungstheorie beschäftigt sich genau wie die Theorie des dynamischen Föderalismus von Arthur Benz und Joachim Jens Hesse und die Strukturumbruchtheorie von Gerhard Lehmbruch mit dem Problemlösungsverhalten des deutschen Föderalismus. Während es bei der Politikverflechtungstheorie jedoch in erster Linie um die Umsetzung von Plänen geht, steht bei Hesse und Benz die Reaktionsfähigkeit des Staates im Mittelpunkt und bei Lehmbruch wird der Akzent eher auf das Parteiensystem gelegt. (Wachendorfer-Schmidt 2003: 16f.)
Ausgangspunkt der Politikverflechtungstheorie ist die Annahme, dass in der Bundesrepublik ein Entscheidungsmuster existiert, „das die an ihm Teilnehmenden in Rationalitätsfallen verstrickt; indem sie ihr Eigeninteresse wahrnehmen, schaden sie häufig dem Wohl der übergreifenden Gemeinschaft und damit ungewollt auch sich selbst.“ (Wachendorfer-Schmidt 2003: 17) Die Fragmentierung der Handlungskompetenzen hat nämlich zur Folge, dass politische Entscheidungen sich oftmals nicht nur auf den eigenen Zuständigkeitsbereich auswirken, sondern in Form von negativen und positiven Externalitäten auch andere Bereiche beeinflussen.
Aus der starken vertikalen und horizontale Fragmentierung der Handlungskompetenzen im deutschen politischen System ergibt sich ebenso das Problem, dass interdependente Probleme, die Zuständigkeitsgrenzen und somit oftmals auch Handlungsschranken überschreiten, nur schwer gelöst werden können. Auf diese Handlungsbarrieren konzentriert sich Fritz Scharpf in seiner Analyse, Lösung ist ihm zufolge jedoch nicht ein höherer Zentralisierungsgrad, sondern positive Koordination, das heißt eine übergreifende Analyse des Problembereichs.
Scharpf et al. unterscheiden dabei zwischen Niveauproblemen, Niveaufixierungsproblemen, Verteilungsproblemen und Interaktionsproblemen, zu deren Lösung sie verschiedene Steuerungsinstrumente nennen.(Wachendorfer-Schmidt 2003: 18-25)
Laut Scharpf existieren zwei Formen der Politikverflechtung: die normale Verflechtung, „bei der die Länder über den Bundesrat an der Gesetzgebung und der Einnahmepolitik des Bundes mitwirken, während der Bund Bestand und Inhalt der Verwaltungsaufgaben und den finanziellen Handlungsrahmen der Länder und Gemeinden im wesentlichen bestimmt“( Scharpf/Reissert/Schnabel 1976: 19) und die neueren Verflechtungsformen, die erst 1969 mit der Finanzverfassungsreform entstanden sind, also zum Beispiel die Gemeinschaftsaufgaben.
Überdies wird zwischen drei Varianten der Politikverflechtung unterschieden, nämlich zwischen der horizontalen Verflechtung, der hierarchischen Verflechtung und Verbundsystemen. Bei der horizontalen Verflechtung handelt es sich schlicht um die Selbstkoordination der Gliedstaaten, wohingegen bei der hierarchischen Verflechtung und in Verbundsystemen übergeordnete Entscheidungseinheiten existieren, mit dem Unterschied, dass die Gliedstaaten im Verbundsystemen mehr Mitentscheidungsmöglichkeiten haben. (Wachendorfer-Schmidt 2003: 22f.)
Eine der Grundthesen der Politikverflechtungstheorie ist, dass „der Versuch des politisch-administrativen Systems, die Nachteile dezentraler Problembearbeitung durch Politikverflechtung zu umgehen, indem zersplitterte Entscheidungsmuster durch institutionalisierte Kooperation nachträglich überbrückt werden, (…) zum Scheitern verurteilt [ist].“(Wachendorfer-Schmidt 2003: 19) und dass ein politikverflochtenes System sich nicht aus sich selbst heraus reformieren kann.
Man spricht also von Politikverflechtung, wenn es sich um ein Politisches System handelt, in dem alle essentiellen politischen Entscheidungen nur im Verbund der verschiedenen Systemebenen und durch Verhandlungslösungen der beteiligten Akteuren getroffen werden. Eine weitere Eigenschaft eines politikverflochtenen Systems ist, dass die meisten öffentlichen Aufgaben nicht selbständig und getrennt von Zentral- und Gliedstaaten ausgeführt, sondern nur in der Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften wahrgenommen werden können; Charakteristikum der Politikverflechtung ist demnach die institutionelle Fragmentierung des politisch-administrativen Systems bei gleichzeitiger Wiederverflechtung.
3.2. Formen der Politikverflechtung in der Bundesrepublik
Die Politikverflechtung ist im deutschen föderalen System besonders ausgeprägt und im Laufe der Jahre immer dichter und intensiver geworden. Sie manifestiert sich in Verfassungsgrundsätzen wie zum Beispiel dem Eingriffsrecht des Bundes bei fehlender Landesregelung, sowie der funktionalen Aufgabenteilung und Gewaltenverschränkung. So sorgen insbesondere die Aufteilung nach Kompetenzarten, die Mitwirkung der Bundesländer an der Bundesgesetzgebung über den Bundesrat, das Verbundsteuersystem und die Koordination von Fachpolitiken zwischen Bundes- und Länderexekutiven für die starke Verflechtung der Ebenen untereinander. Diese innerstaatliche Politikverflechtung fördert zwar einerseits insgesamt die Koordination und Integration und sorgt für eine Politik der Mitte und Mäßigung, andererseits entstehen durch die starke Verflechtung auch Nachteile wie
das Entstehen suboptimaler Politikergebnisse, die Schwierigkeit einen politischen Zielwechsel zu bewerkstelligen, die Verstärkung des Exekutivföderalismus, Innovationsstau und Legitimationsdefizite. Man spricht von der „Politikverflechtungsfalle“, aus der es im Grunde keinen Ausweg gibt:
Die Akteure in Regierungen und Verwaltungen haben nämlich ein starkes Eigeninteresse am Bestand wie an der Vertiefung der Politikverflechtung. Bund wie Länder versuchen ihren Verlust an eigenständigen Kompetenzen durch die Mitwirkung auf der jeweils anderen politischen Systemebene zu kompensieren und Misserfolge auf die jeweils anderen abzuschieben. (Informationen zur politischen Bildung 275, 2002: 30ff.)
„Politikverflechtung dient insofern einerseits dem Interesse der Landesregierungen, indem sie ihnen erlaubt, sich trotz finanzieller Mitwirkung des Bundes der einseitigen Disziplinierung durch den Zentralstaat zu entziehen; sich untereinander gleichzuschalten und ein mit dem Bund geschlossenes Kartell zu bilden, das in der Lage ist, unerwünschte Forderungen abzuweisen und durch eine Diffusion der Verantwortlichkeit unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen“ (Morass 1994: 75)
Das deutsche föderale System ist in vielerlei Hinsicht verflochten, im Rahmen dieser Hausarbeit sollen jedoch nur die wichtigsten Verflechtungsformen im Folgenden erläutert werden:
Zuallererst existiert eine starke administrative Verflechtung, denn dadurch dass die meisten Gesetze im Wesentlichen von den Ländern vollzogen werden, besteht ein relativ großer Abstimmungsbedarf zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen. Dabei handelt es sich zum einen um rein formelle Verflechtungen von Bundes- und Landesverwaltung, zum Beispiel bei Mischverwaltung, zum anderen gibt es aber ebenso eine Vielzahl von informellen Kontakten, die für ein reibungsloses Funktionieren des administrativen Apparates sorgen.
Zu dieser administrativen Verflechtung kommt die Verflechtung durch die Parteien-Netzwerke: Die deutschen Parteien sind auf allen Ebenen der Bundesrepublik präsent und haben ihre innere Struktur an die des deutschen Bundesstaates angepasst. So hat jede Partei(mit Ausnahme der CDU in Bayern) in den Bundesländern eigene Landesverbände und in der Regel sind Entscheidungen und Debatten in Landes- und Bundesinstitutionen oft durch parteipolitische Vorgespräche geprägt. Die Parteien überlagern also die verschiedenen institutionellen Kooperationen von Bund und Ländern und verstärken somit die Verflechtung zusätzlich.
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- Arbeit zitieren
- Linda vom Hove (Autor:in), 2006, Die Auswirkungen der doppelten Politikverflechtung auf das föderale System der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70622
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