„Die Beschäftigung mit jenem Urheber wurzelte so tief in seinem Herzen, dass er über nichts anderes mehr nachdachte als über Ihn, und von der Untersuchung und Erforschung der übrigen seienden Dinge Abstand nahm. Er kam soweit, dass er jedesmal, wenn sein Blick auf irgendein Ding fiel, in diesem das Zeichen Seiner Schöpfung erkannte, worauf seine Gedanken unverzüglich das Geschöpf verließen und sich auf den Schöpfer richteten, bis schließlich sein Verlangen nach ihm immer heftiger wurde; sein Herz verwarf die sinnlich wahrnehmbare Welt, und er widmete sich ganz der intelligiblen Welt.“
Dieses Zitat aus Ibn Tufails „Risālat Hayy ibn Yaqzān“ zeigt unserer Meinung nach zwar vorerst andeutungsweise, aber dennoch gut, in welche Richtung der Roman geht: Die Abwendung von der materiellen Welt, um sich ganz auf die Schau Gottes zu konzentrieren, ist ein Kernpunkt des Sūfīsmus und ebenso einer der größten Kritikpunkte an diesem. In dieser Arbeit sollen die Verbindungen des Arztes, Mediziners, Astronomen, Physikers, Dichters und vor allem Philosophen Ibn Tufail zum Sūfīsmus dargelegt werden. Welche sūfīstischen Einflüsse lassen sich in der Erzählung von Hayy ibn Yaqzān finden? Um dies zu untersuchen, sollen nach einer allgemeinen Definition des Begriffes „Sūfīsmus“ sowie einer kurzen Vorstellung der Thematik des Hauptwerkes des Ibn Tufail detailliert sūfīstische Elemente im Roman aufgezeigt werden. Des Weiteren soll in dieser Arbeit auch ein Blick auf die Person des Ibn Tufail geworfen werden: War er selbst (praktizierender) Sūfī? Inwieweit wurde er von seinen Zeitgenossen und vor allem von seinen philosophischen Vorgängern beeinflusst? Philosophiegeschichtliche Bezüge, die sich bei der Lektüre des „Risālat Hayy ibn Yaqzān“ feststellen lassen, sollen aufgezeigt werden. Dabei soll das Hauptaugenmerk vor allem auf diejenigen seiner Vorgänger gerichtet werden, die bekanntermaßen Sūfīs waren. Betrachtet werden soll in dieser Arbeit auch, in welchem Maße seine Lebensumstände und die Epoche bzw. Dynastie, in der er lebte, den Gelehrten prägten. Wenn er Sūfī war, woher kam dieses Sūfītum?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Biografie des Ibn Tufail
3. Sūfīsmus
3.1. Inhaltliche Aspekte des Sūfīsmus
3.2. Sūfīsmus zu Zeiten Ibn Tufails
4. Risālat Hayy ibn Yaqzān
4.1. Inhaltsangabe
4.2. Philosophiegeschichtliche Einflüsse, an der Thematik des Romans erkennbar
5. Sūfīsmus in Hayy ibn Yaqzān
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Die Beschäftigung mit jenem Urheber wurzelte so tief in seinem Herzen, dass er über nichts anderes mehr nachdachte als über Ihn, und von der Untersuchung und Erforschung der übrigen seienden Dinge Abstand nahm. Er kam soweit, dass er jedesmal, wenn sein Blick auf irgendein Ding fiel, in diesem das Zeichen Seiner Schöpfung erkannte, worauf seine Gedanken unverzüglich das Geschöpf verließen und sich auf den Schöpfer richteten, bis schließlich sein Verlangen nach ihm immer heftiger wurde; sein Herz verwarf die sinnlich wahrnehmbare Welt, und er widmete sich ganz der intelligiblen Welt.“[1]
Dieses Zitat aus Ibn Tufails „Risālat Hayy ibn Yaqzān“ zeigt unserer Meinung nach zwar vorerst andeutungsweise, aber dennoch gut, in welche Richtung der Roman geht: Die Abwendung von der materiellen Welt, um sich ganz auf die Schau Gottes zu konzentrieren, ist ein Kernpunkt des Sūfīsmus und ebenso einer der größten Kritikpunkte an diesem[2]. In dieser Arbeit sollen die Verbindungen des Arztes, Mediziners, Astronomen, Physikers, Dichters und vor allem Philosophen Ibn Tufail zum Sūfīsmus dargelegt werden. Welche sūfīstischen Einflüsse lassen sich in der Erzählung von Hayy ibn Yaqzān finden? Um dies zu untersuchen, sollen nach einer allgemeinen Definition des Begriffes „Sūfīsmus“ sowie einer kurzen Vorstellung der Thematik des Hauptwerkes des Ibn Tufail detailliert sūfīstische Elemente im Roman aufgezeigt werden. Des Weiteren soll in dieser Arbeit auch ein Blick auf die Person des Ibn Tufail geworfen werden: War er selbst (praktizierender) Sūfī? Inwieweit wurde er von seinen Zeitgenossen und vor allem von seinen philosophischen Vorgängern beeinflusst? Philosophiegeschichtliche Bezüge, die sich bei der Lektüre des „Risālat Hayy ibn Yaqzān“ feststellen lassen, sollen aufgezeigt werden. Dabei soll das Hauptaugenmerk vor allem auf diejenigen seiner Vorgänger gerichtet werden, die bekanntermaßen Sūfīs waren. Betrachtet werden soll in dieser Arbeit auch, in welchem Maße seine Lebensumstände und die Epoche bzw. Dynastie, in der er lebte, den Gelehrten prägten. Wenn er Sūfī war, woher kam dieses Sūfītum?
2. Biografie des Ibn Tufail
Über das genaue Geburtsjahr des Abū Bakr Muhammad ibn ’Abd al-Malik ibn Muhammad ibn Muhammad ibn Tufail al-Qaisī, so sein voller Name, gibt es verschiedene Angaben. Wahrscheinlich ist, dass er um 510/1116 in Guadix (Wādī Āsh), nordöstlich von Granada, im muslimischen Spanien geboren wurde und zu Zeiten des muwahhidischen[3] Reiches, in der westlichen Literatur auch Almohaden – Reich genannt, lebte. Weiterhin weiß man nur wenig über das Leben des Ibn Tufail, als umfangreichste und verlässlichste Quelle gilt ein Werk von `Abd al-Wāhid al-Marrākushī.[4] Dieses besagt, dass er, nachdem er in Granada Medizin studiert hatte und dort als Arzt niedergelassen war, im Jahre 542/1147 in die muwahhidische Hauptstadt Marrakesch reiste, wo er bald in obere Regierungskreise aufstieg : 549/1154 zum kātim al-asrār[5] des Gouverneurs von Tanger ernannt,[6] wurde er unter Kalif Abu Ya `qūb Yūsuf (Regierungszeit: 558/1163 – 580/1184) zum Qādi[7] des Hofes, Leibarzt, Wesir und ständigen Begleiter des kultur- und philosophiebegeisterten Kalifen.[8] Seinen Posten am Hof gab er 578/1182 altersbedingt ab, er starb im Jahre 581/1185-86[9] und wurde ehrenvoll im Beisein des Kalifen beerdigt.
Die offiziellen Pflichten am Hofe des Kalifen beschäftigten Ibn Tufail offenbar so sehr, dass er nur wenig Zeit für seine Schriften fand.[10] So sind heute nur kürzere Fragmente einiger seiner Gedichte erhalten,[11] Ibn Hatīb schreibt Ibn Tufail zwei Medizinische Werke zu; Ibn Rušd berichtet zudem von außergewöhnlichen astronomischen Ideen des Philosophen. Nach Miguel Casiri (1122/1710 – 1205/1790) verfasste er zwei wichtige Werke: „Risālat Hayy ibn Yaqzān“ und „Asrār al-Hikma al-Mašriqīyyah“, wobei Letzteres eigentlich Teil des Romans um Hayy ibn Yaqzān ist,[12] woraus resultiert, dass sein größter Verdienst der erkenntnistheoretische Roman ist.
Ibn Tufail betätigte sich aber auch als Mäzen und Lehrer, wie nicht nur seine enge Verbindung zu Ibn Rušd zeigt, den er an den Hof des muwwahidischen Kalifen brachte.[13] In einem Werk von Abū Ya`qūb Yūsuf al-Tādilī[14] wird schon in der Einleitung erkennbar, dass der Lehrer dieses Autors, Abū l-Qāsim Ahmad ibn Yazīd, Schüler des Ibn Tufail war. Und, was in diesem Zusammenhang interessant ist und schon am Titel des gemeinten Werkes deutlich wird: Es handelt sich hierbei um sūfīstische Autoren,[15] die Ibn Tufail unterrichtete, wohingegen sein Schüler Ibn Rušd einer der wenigen islamischen Philosophen ist, die überhaupt keine Sympathie für die Mystik empfanden.[16]
3. Sūfīsmus
3.1. Inhaltliche Aspekte des Sūfīsmus
Nach Massignon entsteht die „Berufung zur Mystik“ gewöhnlich aus einer „inneren Auflehnung des Gewissens gegen die sozialen Ungerechtigkeiten, nicht nur gegen die der anderen, sondern zuerst und vor allem gegen die eigenen Fehler, verbunden mit einem heftigen Verlangen nach innerer Läuterung, um Gott um jeden Preis zu finden.“[17] Der Sūfīsmus ist also nicht nur eine spirituelle Tradition, sondern resultiert auch aus dem eigenen Verlangen, den Verlockungen der Umgebung, die nicht mit den Regeln des Islam konform sind, zu widerstehen. Dies zieht zwangsläufig den Rückzug aus der Gesellschaft nach sich, um sich auf seine Seele[18] zu konzentrieren und das eigene Gefühlsleben und Gewissen zu erforschen, um somit das Innere mit dem Äußeren, also den Regeln des Islam, in Einklang zu bringen. Letztendlich versucht der Sūfī also, wie schon von Massignon erwähnt, sich Gott auf dieses Weise anzunähern. Auf dem Weg zu Gott nutzt der Sūfī verschiedene Methoden: Askese, Meditation, Abgeschiedenheit und das Gebet, was von Massignon wiederum als „[…] Die inbrünstige Ausübung des Kultes“ beschrieben wird, die „[…] in der Seele Gnaden, geistige, übersinnliche Realitäten“[19] erzeugt.
[...]
[1] TUFAIL, 2004: 67.
[2] siehe 3.1.
[3] al-Muhhawidūn : „Bekenner der göttlichen Einheit“
[4] `Abd al-Wāhid al-Marrākushī: Al-Mu’jib fī talkīs akhbār al-Maghrib, edited by Muhammad Sa’id al-Aryān and Muhammad al-`Arabī al-Alamī, Casablanca: Dār al-kitāb, 1978.
[5] Sekretär, der hohes Vertrauen genießt
[6] CORNELL, 1996: 134.
[7] Richter
[8] SIDDIQI, 1963: 526.
[9] ebd.: 527.
[10] TUFAIL, Vorwort v. SCHAERER, 2004: ХІІ.
[11] ebd.: ХІІІ.
[12] SIDDIQI, 1963: 527.
[13] TUFAIL, Vorwort v. SCHAERER, 2004: : ХІІ.
[14] Abū Ya`qūb Yūsuf al-Tādilī: Kitāb al-tashawwuf ilā rijāl al-tas awwuf, edited by Adolphe Faure, Rabat: Editions techniques nord-africaines, 1958.
[15] CORNELL, 1996: 136.
[16] LEAMAN, 1999: 73.
[17] MASSIGNON, 1927: 739.
[18] nafs
[19] MASSIGNON, 1927: 739.
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