Jede Studie, die Kommunikation in einer Region untersucht, muss grundsätzlich auch die physikalischen, die demographischen und die politischen Charaktere in der Region erforschen und beachten. Die arabische Welt ist von einer Grundeinheit, einer Homogenität geprägt. Sie verfügt über eine gemeinsame Kultur und Sprache. Alle sprachlichen Versionen der anderen arabischen Länder sind als Art Dialekt zu verstehen. Meist Vereinfachungen der original arabischen Sprache. Jedoch gibt es auch Unterschiede innerhalb der arabischen Regionen. Unterschiedliche Landschaftsausstattungen, Bevölkerungen, Lifestyles, unterschiedliche Wirtschaftsbedingungen und natürliche Ressourcen, welche nicht selten auch mit verschiedentlich geschehenen Geschichtsverläufen, wie z.B. dem Imperialismus zu tun haben. Doch die gemeinsame Kultur und Sprache führten zu einer erleichterten kulturellen und sozialen Konvergenz, was den Untersuchungen im Bereich der interkulturellen Kommunikation dieser Region besondere Reize verleiht. Innerhalb der arabischen Welt gibt es keinerlei kommunikative Grenzen. Die Botschaften in den Medien verbreiten sich unabhängig von nationalstaatlichen Grenzen innerhalb der gesamtarabischen Grenzen. Filme, Zeitungen, Magazine, Fernsehen aber auch Radio und Musik übertreten völlig frei alle arabischen Grenzlinien. Regionale Medienanstalten unterscheiden sich lediglich bei der Berichterstattung über politische Konflikte oder religiöse Festivitäten von anderen Regionen des arabischen Raumes. Daher muss bei der Produktion von Medieninhalten auf Rezipienten aus einem überregionalen Raum geachtet werden, ebenso wie bei der personellen Besetzung. Die Kommunikationsproduktion im arabischen Raum ist also keine nationalstaatliche Aufgabe. Politische Beschlüsse vereinten die medialen Gegebenheiten dort weniger als die Tatsache, dass alledem eine einzige gemeinsame Kultur, eine gemeinsame Weltregion und eine gemeinsame Lebensweise zu Grunde liegen. Ob diese Grundvoraussetzungen für Kommunikation die Bevölkerungsgruppen innerhalb der arabischen Welt besonders zusammenschweißen und inwiefern aufgrund dessen die ständigen Konflikte mit den westlich orientierten Nachbarn immer wieder aufflammen und auch welchen Einfluss die Religion auf die Situation und das kulturelle und kommunikative Verhalten der Araber ausübt, soll nach einigen theoretischen Überlegungen im Folgenden geklärt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hofstedes vier Dimensionen der kulturellen Verschiedenhei T
2.1. Abstand zur Macht
2.2. Individualistische und kollektivistische Kulturen
2.3. Maskuline und feminine Kulturen
2.4. Reduktion von Unsicherheit
3. Der Encoding/Decoding Prozess nach Stuart Hall
4. Theorie der kulturellen Verschiedenheit nach HalL
4.1. High and Low context
4.2. Das Raumverständnis nach Hall
4.3. Das Zeitverständnis nach Hall
5. Die versteckte Dimension von Kultur
5.1. Zeichen und Symbole
5.2. Proxemics
5.3. Kinesics
5.4. Chronemics
5.5. Haptics
5.6. Appearance
5.7. Olfactics
5.8. Oculesics
6. Die offene Dimension von KultuR
6.1. Verbale Kommunikation
6.2. Forschungsansätze für verbale interkulturelle Kommunikation
6.3. Verbale Kommunikationsstile
6.4. Die Sapir-Whorf Hypothese – kulturelles Denken und Sprache
7. Die arabische Welt
7.1. Charakteristika der arabischen Welt
7.2. Werte und Einstellungen
7.3. Frauen im Islam
7.4. Nonverbale Kommunikation in der arabischen Kultur
7.5. Fallbeispiel Türkisches Kaffeehaus
8. Kulturmerkmal „Zeit“
8.1. Zeitbegriff
8.2. Der Takt des Lebens
8.3. Fünf Grundfaktoren, die das Tempo der Kulturen in der ganzen Welt bestimmen
8.4. Vergleich – Uhrzeitkultur und Ereigniszeitkultur
8.5. Die Einstellung der Araber zur Zeit
8.6. Seelisches Wohlbefinden: Wo sind die Menschen glücklicher?
9. Räumliches Verhalten als Signal
9.1. Nähe und Distanz
9.2. Abstand und Orientierung beim Gespräch
10. Der Einfluss der Religion auf das kulturelle Verhalten (THOMAS SCHMIDLE)
10.1. Religion und Kultur – ein unzertrennliches Band
10.2. Der Islam – Eine Religion mit großer Wirkung auf das Kommunikationsverhalten
10.3. Koran als Quelle arabischer Wertschätzung
10.4. Die Rolle der Sprache im Islam
10.5. Exkurs: “griping” – ein sprachliches Ritual im Nahen Osten
11. Fazit
12. Bibliographie
1. Einleitung
Jede Studie, die Kommunikation in einer Region untersucht, muss grundsätzlich auch die physikalischen, die demographischen und die politischen Charaktere in der Region erforschen und beachten. Die arabische Welt ist von einer Grundeinheit, einer Homogenität geprägt. Sie verfügt über eine gemeinsame Kultur und Sprache. Alle sprachlichen Versionen der anderen arabischen Länder sind als Art Dialekt zu verstehen. Meist Vereinfachungen der original arabischen Sprache. Jedoch gibt es auch Unterschiede innerhalb der arabischen Regionen. Unterschiedliche Landschaftsausstattungen, Bevölkerungen, Lifestyles, unterschiedliche Wirtschaftsbedingungen und natürliche Ressourcen, welche nicht selten auch mit verschiedentlich geschehenen Geschichtsverläufen, wie z.B. dem Imperialismus zu tun haben. Doch die gemeinsame Kultur und Sprache führten zu einer erleichterten kulturellen und sozialen Konvergenz, was den Untersuchungen im Bereich der interkulturellen Kommunikation dieser Region besondere Reize verleiht. Innerhalb der arabischen Welt gibt es keinerlei kommunikative Grenzen. Die Botschaften in den Medien verbreiten sich unabhängig von nationalstaatlichen Grenzen innerhalb der gesamtarabischen Grenzen. Filme, Zeitungen, Magazine, Fernsehen aber auch Radio und Musik übertreten völlig frei alle arabischen Grenzlinien. Regionale Medienanstalten unterscheiden sich lediglich bei der Berichterstattung über politische Konflikte oder religiöse Festivitäten von anderen Regionen des arabischen Raumes. Daher muss bei der Produktion von Medieninhalten auf Rezipienten aus einem überregionalen Raum geachtet werden, ebenso wie bei der personellen Besetzung. Die Kommunikationsproduktion im arabischen Raum ist also keine nationalstaatliche Aufgabe. Politische Beschlüsse vereinten die medialen Gegebenheiten dort weniger als die Tatsache, dass alledem eine einzige gemeinsame Kultur, eine gemeinsame Weltregion und eine gemeinsame Lebensweise zu Grunde liegen. Ob diese Grundvoraussetzungen für Kommunikation die Bevölkerungsgruppen innerhalb der arabischen Welt besonders zusammenschweißen und inwiefern aufgrund dessen die ständigen Konflikte mit den westlich orientierten Nachbarn immer wieder aufflammen und auch welchen Einfluss die Religion auf die Situation und das kulturelle und kommunikative Verhalten der Araber ausübt, soll nach einigen theoretischen Überlegungen im Folgenden geklärt werden.
Mittels Literaturanalyse versuchen wir diese Forschungsfragen zu beantworten:
- Ist die Kultur vieler arabischer Staaten maskulin geprägt?
- Hat die nonverbale Kommunikation in arabischen Kulturen eine große Bedeutung?
- Divergiert das Verständnis von Zeit zwischen westlicher und arabischer Welt?
- Ist die Tendenz zur individuellen Distanz in der arabischen Welt schwach ausgeprägt?
- Übt das Verständnis von Religion in arabischen Kulturen auf das kulturelle Verhalten starken Einfluss aus?
Um in Hinblick auf unsere Forschungsfragen unsere Analyse leiten zu können, orientieren wir uns an folgender Hypothese:
Auseinandersetzungen zwischen westlichen und arabischen Kulturen flammen immer wieder auf, da diese unterschiedliche Auffassungen von versteckter und offener Dimension von Kultur haben.
Zu Beginn unserer Arbeit legen wir mit Ausführungen über Hofstedes und Halls Theorien und Dimensionen der kulturellen Verschiedenheit einen wichtigen Grundstein zum Verständnis von sozialen Phänomenen in einer Gesellschaft. Beiden ist es gelungen, ein auf empirischen Studien basierendes Modell zu entwickeln, welches die Unterschiede zwischen nationalen Kulturen äußerst pointiert beschreibt.
Danach befassen wir uns mit der versteckten Dimension von Kultur. Darunter wird alles verstanden, was man mit Sprachen nicht ausdrücken kann. Hall unterschied dabei sieben Aspekte nonverbaler Bedeutungsformen, die den Inhalt dieses Kapitels darstellen. Wie Individuen kommunizieren und welche Formen der Decodierung es gibt, wird in prägnanter Form im Kapitel „Der Encoding/Decoding Prozess“ behandelt. Unter offener Dimension der Kultur wird definiert, was man mit Worten ausdrücken kann. Dabei werden unterschiedliche Forschungsansätze zur verbalen interkulturellen Kommunikation und verschiedene Stile verbaler Kommunikation vorgestellt. Schließlich wird noch die bekannte Sapir-Whorf-Hypothese kurz thematisch angeschnitten.
Danach gehen wir zu unserem Forschungsobjekt „Arabische Welt“ über. Wir charakterisieren kurz die Entwicklung der arabischen Länder nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei beschäftigen wir uns mit der allgemeinen Entwicklung Arabiens, jedoch nicht mit aktuellen Konflikten. Zur Beantwortung unserer Forschungsfragen gehen wir auch auf die Situation der Frauen im Islam ein und beschäftigen uns mit der nonverbalen Kommunikation in der arabischen Kultur. Um ein praktisches Beispiel zu geben, wird hierbei kurz das Türkische Kaffeehaus als Ort arabischer Kommunikation analysiert – allerdings unter dem Gesichtspunkt, dass die Türkei ein liberal-islamisches Land darstellt.
2 Hofstedes vier Dimensionen der kulturellen Verschiedenheit
Geert Hofstede hat in seiner 1980 durchgeführten empirischen Studie eine umfangreiche Datenmenge über die Werte von Menschen in 53 Ländern und drei Länderregionen auf der ganzen Welt auf Unterschiede im nationalen Wertesystem untersucht. Die Menschen arbeiteten in den jeweiligen Niederlassungen eines multinationalen Konzerns. Die Mitarbeiter stellen fast perfekt zusammengesetzte Stichproben in dem jeweiligen Land dar, da sie sich in jeder Hinsicht sehr ähnlich sind – außer der Staatsangehörigkeit. Dies führt dazu, dass sich die durch die Staatsangehörigkeit bedingten Unterschiede bei ihren Antworten ungewöhnlich deutlich bemerkbar machen.
Eine statistische Auswertung der Antworten auf Fragen zu den Werten vergleichbarer Mitarbeiter in verschiedenen Ländern brachte gemeinsame Probleme, aber von Land zu Land unterschiedliche Antworten hervor. Hofstede leitet aus den Ergebnissen seiner Untersuchung insgesamt vier Dimensionen kultureller Verschiedenheit ab:
Machtdistanz (= soziale Ungleichkeit, einschließlich des Verhältnisses zu Autorität)
Kollektivismus gegenüber Individualismus (= die Beziehung zwischen dem Individuum und der Gruppe)
Femininität gegenüber Maskulinität (= Vorstellungen von Maskulinität und Femininität: die sozialen Auswirkungen, als Junge oder Mädchen geboren zu sein)
Unsicherheitsvermeidung (= Die Art und Weise, mit Ungewissheit umzugehen, und zwar in Bezug auf die Kontrolle von Aggression und das Ausdrücken von Emotionen)
Eine ‚Dimension’ vereinigt eine Reihe von Phänomenen in einer Gesellschaft. Sie ist ein Aspekt einer Kultur, der sich im Verhältnis zu anderen Kulturen messen lässt. Zusammen bilden sie ein vierdimensionales Modell von Unterschieden nationaler Kulturen. Jedes Land in diesem Modell ist mit einer für jede der vier Dimensionen erreichten Punktzahl gekennzeichnet. (vgl. Hofstede 1997, 16ff)
2.1. Abstand zur Macht
Jedem Land kann eine bestimmt Position zugewiesen werden, die Auskunft über den Grad der Machtdistanz dieses Landes gibt. Machtdistanz ist eine der ‚Dimensionen’, die die Kultur eines Landes prägen. Sie spiegelt des Spektrum der möglichen Antworten wider, die in den verschiedenen Ländern auf die grundsätzliche Frage, wie man mit der Tatsache umgehen soll, dass die Menschen ungleich sind, gegeben wurden. Machtdistanz kann definiert werden als das Ausmaß, bis zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen bzw. Organisationen eines Landes erwarten und akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist. Die Position des Machtdistanzindex gibt Auskunft über die Abhängigkeit von Beziehungen in einem Land.
Der Machtdistanzindex wurde nach einer bestimmten Formel mit Hilfe der Antworten auf drei Fragen ermittelt.
a. Antworten von Nichtleitenden Angestellten auf die Frage: ‘Wie häufig taucht Ihrer Erfahrung nach folgendes Problem auf: Die Mitarbeiter haben Angst, dem Vorgesetzten zu zeigen, dass sie nicht seiner Meinung sind?’
b. Wahrnehmung des Mitarbeiters, wie der Vorgesetzte tatsächlich Entscheidungen trifft (Prozent von Mitarbeitern, die entweder den autokratischen oder patriarchalischen Stil von vier möglichen wählen oder die Alternative ‘keiner von diesen’)
c. Bevorzugung des Stiles, wie der Vorgesetzte aus der Sicht des Mitarbeiters Entscheidungen fällen sollte (Prozent von Mitarbeitern, die einen autokratischen oder patriarchalischen Stil bevorzugten, oder, im Gegensatz dazu, einen Stil, der sich auf Mehrheitsentscheidungen begründet, aber bei dem die Mitarbeiter nicht mit beraten)
Die berechneten Punktwerte geben relative, nicht absolute Positionen der Länder wieder. An dem Punktwert kann man ablesen, inwieweit die Länder voneinander abweichen. Hohe Machtdistanzwerte sind bei den latein-amerikanischen, asiatischen und afrikanischen Ländern zu beobachten, niedrige Werte sind bei den USA, Großbritannien und seinen früheren Kolonialgebieten und beim Rest Europas festzustellen. (vgl. Hofstede 1997, 27ff)
2.1.1. Machtdistanzindexwerte (MDI) von 53 Ländern und 3 Länderregionen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Hofstede 1997
2.2. Individualistische und kollektivistische Kulturen
Der Grad an Individualismus in einer Gesellschaft ist die zweite Dimension, die die Kultur eines Landes prägt. Individualismus beschreibt Gesellschaften, in denen die Bindungen zwischen Individuen locker sind: man erwartet von jedem, dass er für sich selbst und seine unmittelbare Familie sorgt. Sein Gegenstück, der Kollektivismus, beschreibt Gesellschaften, in denen der Mensch von Geburt an in starke, geschlossene Wir-Gruppen integriert ist, die ihn ein Leben lang schützen und dafür bedingungslose Loyalität verlangen.
Die Erhebungsfragen, die dem Individualismus zugrunde liegen, gehören zu einer Gruppe von 14 ‚Arbeitszielen’. Die Personen wurden folgendermaßen befragt: „Versuchen Sie, die Faktoren zu benennen, die für Sie bei einer idealen Arbeit wichtig wären. Vernachlässigen Sie dabei, inwieweit diese bei Ihrer derzeitigen Arbeit gegeben sind.“
Wie wichtig ist es für Sie,
a. eine Arbeit zu haben, die genügend Zeit für Privat- und Familienleben lässt
b. große Freiheit zu haben, um die Arbeit nach eigenen Vorstellungen anzugehen
c. herausfordernde Aufgaben zu haben – Aufgaben, die das Gefühl vermitteln können, etwas erreicht zu haben
(für den individualistischen Pol)
a. Fortbildungsmöglichkeiten zu haben (seine Fertigkeiten auszubauen oder neue Fertigkeiten zu erlernen)
b. ein gutes Arbeitsumfeld zu haben (gute Lüftung und Beleuchtung, angemessenen Arbeitsraum, etc.)
c. ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten bei der Arbeit voll einsetzten zu können
(für den kollektivistischen Pol)
Die Bedeutung persönlicher Zeit, Freiheit und Herausforderung unterstreicht die Unabhängigkeit des Mitarbeiters von der Firma und ist somit Kennzeichen von Individualismus. Die Arbeitsziele des entgegengesetzten Pols, also Fortbildung, Arbeitsumfeld und der Einsatz von Fertigkeiten bei der Arbeit, beziehen sich auf Dinge, die das Unternehmen für den Mitarbeiter leistet, und unterstreichen so die Abhängigkeit des Mitarbeiters von der Firma, was ein Kennzeichen für Kollektivismus ist.
Mit Hilfe einer Formel wird auf Basis der 14 Arbeitsziele ein Faktorpunktwert für jedes Land errechnet. Alle Punktwerte erscheinen auf einer Skala von fast 0 für das am stärksten kollektivistische Land bis nahe 100 für das am stärksten individualistische. Die Punktzahl repräsentiert die relative Position des jeweiligen Landes. Man erkennt hohe Punktwerte bei den wohlhabenden Ländern, während fast alle armen Länder niedrige Punktwerte haben. (vgl. Hofstede 1997, 66ff)
2.2.1. Individualismusindex-(IDV-)Werte von 53 Ländern und 3 Länderregionen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Hofstede 1997
2.3. Maskuline und feminine Kulturen
Der Grad an Maskulinität in einer Gesellschaft ist eine weitere Dimension der Kultur eines Landes. Männlich und weiblich sind Begriffe, die den biologischen Unterschied zwischen Mann und Frau beschreiben, maskulin und feminin bezeichnen die sozialen, kulturell vorherbestimmten Rollen. Männer treten bestimmt auf, sind wettbewerbsorientiert und hart. Frauen gelten als häuslich, familienorientiert, sozial eingestellt, sie übernehmen die weichen, d.h. die gefühlsbezogenen Rollen. Maskulinität steht also für wettbewerbsorientiert und hart, Femininität für fürsorglich und um das Wohl der Mitmenschen bemüht.
Ebenso wie bei der Ermittlung des Individualitätsindexes, gehören die Erhebungsfragen zu einer Gruppe von 14 ,Arbeitszielen’. Die Personen wurden folgendermaßen befragt: „Versuchen Sie, die Faktoren zu benennen, die für Sie bei einer idealen Arbeit wichtig wären. Vernachlässigen Sie dabei, inwieweit diese bei Ihrer derzeitigen Arbeit gegeben sind.“
Wie wichtig ist es für Sie,
a. die Möglichkeit, viel zu verdienen
b. die Anerkennung zu bekommen, die man verdient, wenn man gute Arbeit geleistet hat
c. die Möglichkeit zu haben, in höhere Positionen aufzusteigen
d. bei der Arbeit gefordert zu werden – eine Arbeit zu haben, die einen zufrieden stellt (für den maskulinen Pol)
a. zum direkten Vorgesetzten ein gutes Arbeitsverhältnis zu haben
b. mit Kollegen gut zusammenzuarbeiten
c. in einer für sich selbst und die Familie angenehmen und freundlichen Umgebung zu leben
d. das sichere Gefühl zu haben, solange beim Arbeitgeber bleiben zu können, wie man will (für den femininen Pol)
Aufgrund der Informationen über die Unterschiede zwischen Gesellschaften kommt man zu folgender Definition: Maskulinität kennzeichnet eine Gesellschaft, in der die Rollen der Geschlechter klar gegeneinander abgegrenzt sind: Männer haben bestimmt, hart und materiell orientiert zu sein, Frauen müssen bescheidener, sensibler sein und Wert auf Lebensqualität legen. Femininität kennzeichnet eine Gesellschaft, in der sich die Rollen der Geschlechter überschneiden: Sowohl Frauen als auch Männer sollten bescheiden und feinfühlig sein und Wert auf Lebensqualität legen.
Mit Hilfe einer Formel wird wiederum auf Basis der Arbeitsziele ein Faktorpunktwert für jedes Land errechnet. Alle Punktwerte erscheinen auf einer Skala von fast 0 für das am stärksten feminine Land bis nahe 100 für das am stärksten maskuline. Die Punktzahl repräsentiert die relative Position des jeweiligen Landes. (vgl. Hofstede 1997, 109ff)
2.3.1. Maskulinitätsindexwerte (MAS) von 53 Ländern und 3 Länderregionen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Hofstede 1997
2.4. Reduktion von Unsicherheit
Die Stärke der Unsicherheitsvermeidung eines Landes stellt die letzte Dimension des Forschungsprojektes dar. Unsicherheit entsteht daraus, dass man nicht weiß, was in der Zukunft geschieht. Die verschiedenen Kulturen gehen auf unterschiedliche Weise mit dieser Ungewissheit um.
Die Auswertung der Antworten auf die gestellten Fragen ergab, dass die durchschnittlichen Punktwerte eines Landes bei drei Fragen sehr stark korrelierten.
a. Wie häufig sind Sie bei der Arbeit nervös oder angespannt?
b. Zustimmung zu der Aussage: ‘Im Unternehmen bestehende Regeln dürfen nicht übertreten werden – auch wenn der Mitarbeiter der Meinung ist, es geschehe zum Besten der Firma’
c. Der Anteil an Mitarbeitern, die ihre Absicht bekundeten, langfristig Karriere im Unternehmen zu machen. Die Frage lautet: ‘Wie lange werden Sie Ihrer Einschätzung nach noch für das Unternehmen arbeiten?’
Alle drei Fragen sind Ausdruck des Niveaus der Angst, die in einer Gesellschaft angesichts einer ungewissen Zukunft besteht. Aufgrund dieser Angst sind mehr Menschen am Arbeitsplatz nervös oder angespannt. Das Nichtbefolgen von Regeln wird eher abgelehnt, da dies zu Uneindeutigkeit führen würde. Ferner ist der Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber weniger gewünscht, da dies ein Schritt ins Ungewisse wäre. Unsicherheitsvermeidung lässt sich daher definieren als der Grad, in dem sich die Mitglieder einer Kultur durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen.
Ähnlich wie bisher wird auch der Unsicherheitsvermeidungsindex auf der Basis der Antworten in den verschiedenen Ländern anhand einer mathematischen Formel berechnet. Alle Punktwerte erscheinen auf einer Skala von fast 0 für das Land mit der schwächsten Unsicherheitsvermeidung bis etwa 100 für das Land mit der stärksten Unsicherheitsvermeidung. Die Punktzahl repräsentiert die relative Position des jeweiligen Landes.
Hohe Punktwerte ergeben sich für lateinamerikanische, romanische und Mittelmeerländer. Mittlere Werte ergeben sich für die deutschsprachigen Länder. Mittel bis niedrig sind die Punktwerte aller asiatischen Länder außer Japan und Korea, für die afrikanischen Länder sowie für die anglophonen und nordischen Länder plus die Niederlande. (vgl. Hofstede 1997, 154ff)
2.4.1. Unsicherheitsvermeidungsindex (UVI-)Werte von 53 Ländern und 3 Länderregionen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Hofstede 1997
3. Der Encoding/Decoding Prozess nach Stuart Hall
Der Encoding/Decoding Prozess ist ein sehr komplexer Vorgang. Individuen (Sender) operieren mit Zeichen, die mit einer bestimmten Bedeutung versehen bzw. encodiert sind und die wiederum vom Gegenüber entschlüsselt bzw. decodiert werden müssen. Stuart Hall, ein Vertreter des britischen Kulturalismus, entwickelte das Encoding/Decoding-Konzept und unterscheidet dabei verschiedene Formen der Verwendung (Codierung/Decodierung) von Zeichen bzw. Symbolen. Hall führt dabei drei Formen der Decodierung an:
I. affirmativ
wohlwollende Weise der Auseinandersetzung, man schließt sich der Meinung eines anderen an
II. diskursiv
alles (pro und contra) wird in die Überlegung miteinbezogen, reflexiv, das Endresultat ist unklar
III. oppositionell
ablehnend, es kann bereits die ‚Appearance’ zur Ablehnung führen, Sprachliches und Textliches kommt überhaupt nicht mehr an
4. Theorie der kulturellen Verschiedenheit nach Hall
In seinem Aufsatz „Understanding cultural differences“ unterteilt Hall die Kommunikations-welt in Wörter, gegebene Situation und Verhalten. Alle drei Bestandteile stehen miteinander in enger Verbindung und beeinflussen sich gegenseitig. Unter Wörter sind die jeweiligen Sachbegriffe zu verstehen, wie „Politik“, „Gesellschaft“ oder „Diplomatie“. Mit der gegebenen Situation werden das Machtempfinden bzw. der Status beschrieben und Verhalten geben Auskunft über das Feedback und die Gefühle des Gegenübers, was oft zur Konfliktvermeidung führt.
Hall gibt einige Punkte an, die eine kulturelle Verschiedenheit im kommunikativen Verhalten deutlich machen. Er spricht über verschiedene Formen des Informationsflusses oder über kulturell unterschiedlich schnelle Dekodierungsprozesse von Botschaften. So stellt er z.B. klar, dass es in jeder Kultur zwar schnelle und langsame Botschaften gibt, wie z.B. Headlines, Prosatexte, Propaganda, oder eben langsame, wie Dichtungen oder Bücher, aber trotzdem jede einzelne dieser Botschaften, noch einmal unterschiedlich schnell aufgefasst werden. So können schnelle Botschaften bei Menschen mit langsamer Dekodierung missverständlich sein. „Low messages“ dagegen werden immer verstanden. Solche Botschaften sind z.B. geschichtliche, religiöse oder philosophische Äußerungen, wie von Buddha, Konfuzius oder Goethe, die über Jahrhunderte erhalten bleiben und oftmals auch ebenso lange brauchen, um richtig verstanden zu werden. Auch können unterschiedliche Arten persönlicher Beziehungen aus verschiedenen Formen von Botschaften entstehen. In Gebieten, in denen „slow messages“ dominieren, kommt es häufiger zu tiefen Langzeitfreundschaften ohne überfreundliche Oberflächigkeit als in Regionen, wo „fast messages“ die Gewohnheit sind, wie in den USA. Treffen Menschen dieser beiden Regionen aufeinander, kann es zu Verständlichkeitsschwierigkeiten kommen. (Vgl. Hall 1990, 3ff)
Hall führt noch weitere Unterscheidungsmerkmale interkultureller Kommunikation an, von denen die drei Wichtigsten im Folgenden beschrieben werden.
4.1. High and Low context
Hall unterscheidet Kulturen auf der Grundlage der Kommunikation, die dort vorherrscht. Dabei differenziert er „High-context“- und „Low-context“- Kulturen. Unter High-context-Kommunikation versteht Hall, wenn ein Großteil der übertragenen Information bereits vor dem Kommunikationsvorgang bei den interagierenden Personen vorliegt und nur wenig Information in der tatsächlichen Botschaft vorhanden sein muss, um den Inhalt richtig zu verstehen. Dies trifft für Kulturen mit einem großen Basiswissen zu.
„Low-context“ meint hingegen, dass in den Botschaften das Höchstmaß an Information steckt und das bereits bestehende Hintergrundwissen daher weniger groß sein muss, um den Inhalt richtig zu interpretieren. Hall ist sehr wohl bekannt, dass es keine Kultur gibt, die nur zu High- bzw. Low-context einzuordnen ist. Zum Beispiel sieht er die USA eher in Richtung Low-context, während Deutschland, Schweiz und Skandinavien sich bereits mehr in Richtung High-context bewegen. Viele asiatische Kulturen wie die Japaner, Chinesen oder Koreaner sind nach Hall noch weiter im Bereich der High-context-Kulturen anzusiedeln. (Vgl. Gudykunst 1988, 43)
Hall unterstreicht, dass der Grad des Zusammenhangverständnisses alle anderen Bereiche der Kommunikation stark beeinflusst. Er ist der Meinung, dass High-context-Kulturen mehr zwischen Insidern und Outsidern unterscheiden. Menschen die im High-context aufgewachsen sind, erwarten mehr Grundwissen von ihrem Gegenüber als andere. Wenn diese über etwas sprechen, was sie für selbstverständlich halten und was bereits seit langem in ihren Köpfen verankert ist, dann erwarten sie dasselbe Wissen auch von ihrem Gesprächspartner und sind daher wenig spezifisch in ihren kommunikativen Ausführungen. Typisch für die verbale Kommunikation in High-context-Kulturen ist, dass die Kommunikatoren meist um den wichtigsten Punkt der Botschaft herumreden und lieber alle anderen weniger interessanten Punkte weiter ausführen. (Vgl. Hall 1976, 98)
Um den Zusammenhang zwischen Hofstedes und Halls Dimensionen illustrativer zu gestalten, bringt Levine einige interessante Beispiele. Die Nordamerikaner fordern stets klare und direkte Aussagen. Aufforderungen wie „Sag, was du sagen willst!“ oder „Komm zum Punkt!“ sind daher häufig anzutreffen. Dies liegt an der Low-context bzw. individualistischen Kommunikationskultur der Nordamerikaner. Diese Kultur bietet zu wenig Raum, um Zweideutigkeiten in der Sprache herauszubilden. Levine spricht im Zusammenhang mit dem amerikanischen Kommunikationsstil von „Univocal verbal communication“. Ein Sprach-gebrauch, der Neutralität und Direktsein zum Ziel hat. Das Gegenteil zu „univocal“ sieht Levine in der zweideutigen Kommunikation. Zweideutige Kommunikationsstile sind indirekt und haben die Möglichkeit, Gefühle, Eindrücke und versteckte Botschaften besser zu verpacken. Ironie und Witze sind in „ambiguous-communication-cultures“ oftmals anzutreffen. Botschaften, die mit wenig Worten große Effekte auslösen können. (Vgl. Levine 1985, 28ff)
Um in den Dimensionen von Hofstede zu sprechen, könnte man Halls High-context-Kulturen Hofstedes kollektivistischen Kulturen und Levines Direct-communication-Kulturen zusprechen, während die Low-context-Kulturen eher den individualistischen Kulturen oder Levines „ambiguous-communication-cultures“ entsprechen. Im Folgenden wird jedoch weiterhin von Halls high- bzw. Low-context-cultures die Rede sein, da andere Unterscheidungen nur zu weiteren Generalisierungen dienen. Low- bzw. High-context Kommunikation beeinflusst viele Bereiche interpersoneller Kommunikation. Die Hall’schen Dimensionen können verwendet werden, um viele kulturelle Unterschiede, die bis dato isoliert und unerklärt blieben, näher zu erläutern. Jedoch ist es nicht möglich, alle kulturellen Verschiedenheiten mit diesen zwei Dimensionen zu erklären. Daher unterscheidet Hall noch weitere Dimensionen wie die Raum- bzw. Zeitdimension. (Vgl. Gudykunst 1988, 44f)
4.2. Das Raumverständnis nach Hall
Hall zeigt klar auf, dass auch das Raumverständnis kulturell beeinflusst ist. Aber nicht nur, wie sich Menschen in Räumen bewegen oder sich gegenüberstehen, sondern auch die Besitzform von Räumlichkeiten ist kulturell verschieden. Besonders in Kulturen, in denen Raumbesitz dem Machtstatus entspricht, wird sehr schnell von „meinem Zimmer“ oder „meiner Küche“ gesprochen, auch wenn dies nicht immer der Wahrheit entspricht. Weiter gibt es Kulturen, bei denen verschiedene Räumlichkeiten beinahe personifiziert werden. So wird im Deutschen nicht der Wagen abgeschleppt, sondern der Besitzer selbst. Unterschiedliche Raumaussichten sind auch innerhalb der westlichen Länder zu konstatieren, z.B. in der Organisationsarchitektur. Während in den USA Büros so geplant sind, dass die Chefetage grundsätzlich ganz oben ist, befinden sich die Chefbüros in Frankreich grundsätzlich in der Mitte, um die Mitarbeiter besser im Blick zu haben. Sie bevorzugen sozusagen eine Zentrallage im Infonetz. Am Beispiel der Nachbarschaft sind verschiedene Gefühle für Raum deutlich zu erkennen. Während in den USA großer Wert auf das Eigene gelegt wird, Grenzen gesetzt und Besitzrechte verteidigt werden, aber Nachbarschafts-Pflichten trotzdem hoch gehalten werden, können sich Deutsche ein Haus sogar teilen, ohne dass es zu intensiver Interaktion der Nachbarn kommen muss. Besitz wirkt sich also auf das kulturelle Verhalten aus. Daher zeigen sich beim Raumverständnis große interkulturelle Unterschiede. Hall spricht von der persönlichen Raumblase, die jeden Menschen umgibt. Diese Raumblase ist in manchen Kulturen größer, in anderen sehr eng. In die Raumblase dürfen nur sehr wenige gut vertraute Menschen eintreten und dies für nur kurze Zeit. Kommt es zu einem unerwünschten Eintreten, führt dies zu Unwohlsein und möglicherweise zu Aggressivität. In nordeuropäischen Ländern spricht man von einer großen Raumblase, daher sind die Menschen einander gegenüber distanziert und fühlen sich schnell in ihrer Intimität beleidigt. Während in Südeuropa die Raumblase sehr klein ist, was z.B. bei der Form der Begrüßung sehr gut zu beobachten ist. Doch auch wenn die Raumblase klein ist, wird ein ungewünschtes Eindringen mit unangenehmen Gefühlen verbunden. Nicht nur die zwischenmenschliche Aktion ist kulturell unterschiedlich, auch Sinnesorgane und Körperteile sind verschiedenartig gepolt. Ohren, Nasen oder Zungen sind an der gewohnten Atmosphäre orientiert. Was in der Türkei als wohlriechend empfunden wird, muss nicht die gleiche Reaktion in Japan auslösen, und dass Geschmäcker regional verschieden sind, ist seit jeher bekannt. (Vgl. Hall 1990, 10ff)
4.3. Das Zeitverständnis nach Hall
Die biologische Uhr tickt auch kulturell verschieden. Diese Schlussfolgerung zieht Hall in seinen Überlegungen hinsichtlich des kulturell verschiedenen Zeitverständnisses. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen gibt es verschiedene natürliche Rhythmen, die die täglichen, monatlichen und jährlichen Zyklen beeinflussen, aber auch Sonnen und Mondzyklen nehmen Einfluss auf die zeitliche Orientierung der Kulturen. Hall unterscheidet monochrones und polychrones Zeitverständnis. In monochronen Kulturen konzentrieren sich die Menschen auf eine Tätigkeit. Sie machen eine Arbeit und machen das, was sie begonnen haben, auch zu Ende. Anders in polychronen Kulturen: Dort sind die Menschen daran gewöhnt, viele Dinge auf einmal zu tun, aber diese nicht unbedingt fertig zu stellen. Monochrone Menschen ziehen den linearen Nutzen aus der Erfahrung und teilen ihr Handeln in Segmente logisch ein. Sie lassen sich nur schwer von ihrem Plan abbringen. Sie wollen Zeit sparen und verschwenden daher auch kaum welche für tiefe Beziehungen oder Freundschaften. Zeitpläne regieren ihr Leben und sollen daher nicht unterbrochen werden. Dabei könnte man auch die Zeit als eine Art Raum ansehen, in den wenige Menschen eintreten dürfen bzw. sollen. Das monochrone Zeitverständnis hängt stark mit der wirtschaftlichen Entwicklung seit der industriellen Revolution in England zusammen und kommt daher auch in vielen Industrienationen vor, wie z.B. USA, Deutschland oder in der Schweiz. Die Monochronität scheint oftmals, angeborene menschliche Rhythmen zu vergewaltigen und wirkt damit unnatürlich. Polychrone Menschen dagegen legen großen Wert auf tiefe Beziehungen. Sie wollen mit anderen Menschen in Kontakt treten. Für sie sind menschliche Transaktionen wichtiger als Zeitpläne. Ist ein Lateinamerikaner in ein gutes Gespräch vertieft, lässt er schneller einen Termin platzen oder kommt später als der pünktliche US-Amerikaner. In Verbindung mit ihrem Raumverständnis halten polychrone Menschen das Familienleben hoch und die Räumlichkeiten weisen viele Möglichkeiten zum Warten auf. Die private Atmosphäre in geschäftlichen Angelegenheiten kann den Informationsfluss unterbrechen. Doch stattdessen könnte man hier mehr von einem Informations-See sprechen, in dem der polychrone Mensch sitzt und ständig auf dem Laufenden sein möchte. Da sich Polychronität weniger an Plänen orientiert, sind die Menschen jedoch flexibel und spontan. Hall unterscheidet zusätzlich noch zwischen zukunfts- und vergangenheitsorientierten Gesellschaften. Als vergangenheitsorientiert stellt er Indien, den Fernen Osten, Deutschland und Frankreich dar, als gegenwarts- und zukunftsorientiert die USA und vergangenheits- und gegenwartsorientiert seien die Gesellschaften Lateinamerikas. (Vgl. Hall 1990, 13ff)
Für das kommunikative Verhalten spielt jedoch auch der Informationsfluss eine große Rolle, dem Hall einen eigenen Punkt widmet, der hier jedoch nur am Rande erwähnt sei. Er stellt fest, dass in den USA der Informationsfluss sehr langsam ist. Die Informationen müssen jeweils genau und pointiert sein, aufgeteilt und kontrolliert. Sie dürfen nicht frei fließen, um schnell verstanden werden zu können, während sich Frankreich und Japan durch einen schnellen Fluss auszeichnen. In Verbindung mit einer High-context-Gesellschaft sind dort die Informationen nicht zielgerichtet, sie stehen vielmehr immer zur Verfügung. Durch ständigen interpersonellen Kontakt sind alle Gesprächspartner ständig auf dem Laufenden. Die Informationen fließen also frei. Dieser ständige Austausch kann jedoch zu einem „Info-Overload“ führen, wenn sich zu viele Informationen angehäuft haben. In diesen Kulturen gehen von Gesprächen zwei Erwartungen aus: man will alle und alles in einen Zusammenhang bringen und man will die Informationskanäle offen halten. In Low-context-Kulturen sind dagegen die Büros stark abgetrennt. Die Informationen fließen von oben nach unten. Meist sind diese Gesellschaften auch mehr bürokratisch organisiert, was den Informationsfluss zusätzlich einengt. (Vgl. Hall 1990, 22ff)
Zusammenfassend ist es also für das funktionierende, interkulturelle kommunikative Verhalten besonders wichtig, die richtigen Antworten verbal oder nonverbal zu geben. Um gute Kommunikation betreiben zu können, muss man also den Informationsgrad bzw. den Kontext der Beteiligten kennen. Wer erfolgreich mit einem Deutschen kommunizieren will, sollte daher wissen, dass dieser viele Informationen und Details benötigt, da er sich in einem Low-context-Verhältnis befindet. Während ein Franzose ein Gesprächspartner ist, der auf zu viele Inputs sogar beleidigt reagieren kann. Man braucht also für erfolgreiche interkulturelle Kommunikation das Wissen über die Regeln der anderen Kultur, über ihr Zeit- und Raumverständnis und schließlich über ihren Informationsgrad und -fluss. Nur so können Antworten richtig interpretiert und auch gegeben werden. (Vgl. Hall 1990, 27f)
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- Arbeit zitieren
- Thomas Schmidle (Autor:in), 2003, Kontext und Bedeutung - offene und versteckte Dimension von Kultur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70760
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