Schnelligkeitsausdauer im sportlichen Training der komplexen Wettspielfähigkeit im Sportspiel Handball


Examensarbeit, 2006

161 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Das Sportspiel Handball als moderne Sportart
1.1 Zukunftsperspektiven des Handballsports
1.2 Entwicklungstendenzen im Handballsport – Konsequenzen für das Training im Nachwuchsbereich
1.2.1 Taktische Zielsetzungen der Tempoforcierung im Gegenstoß, aus dem Anwurf und im Positionsangriff
1.2.2 Phasenstruktur, Aufgabenbeschreibung des Tempospiels

2 Strukturelle Leistungsmerkmale des Sportspiels Handball
2.1 Die sportliche Leistung
2.2 Die Sportspielleistung
2.2.1 Die komplexe individuelle Sportspielleistung
2.2.2 Die komplexe kollektive Sportspielleistung
2.3 Grundlage der sportlichen Trainingssteuerung – Anforderungsprofil, Belastungsprofil

3 Schnelligkeit im Handball – Spezifik eines Leistungsfaktors mit dem Schwerpunkt Schnelligkeitsausdauer
3.1 Beziehungen zwischen den konditionellen Fähigkeiten
3.2 Schnelligkeitsanforderungen / Ausdaueranforderungen im Handball
3.3 Definition und Begründung der Schnelligkeit
3.4 Arten der Schnelligkeit
3.4.1 Reaktionsschnelligkeit
3.4.2 Bewegungsschnelligkeit, zyklische, azyklische, Beschleunigung
3.4.3 Schnelligkeitsausdauer / spielspezifische Ausdauer
3.4.3.1 Theoretische Aussagen zur Schnelligkeitsausdauer
3.4.3.2 Definitionsversuch zur „spielspezifischen Ausdauer“ im Handball
3.4.3.3 Abgrenzung der Schnelligkeitsausdauer von der Ausdauerfähigkeit
3.4.3.4 Ermüdung bei Schnelligkeitsleistungen
3.4.3.5 Die Schnelligkeitsausdauer innerhalb der komplexen Leistungsbedingungen und Wirkfaktoren der Schnelligkeit im Handball

4 Ziele des Konditionstrainings im Handball mit dem Hauptaugenmerk auf die Verbesserung der handballspezifischen Spielausdauer

5 Trainingsinhalte und -methoden eines Handballtrainings zur Verbesserung der handballspezifischen Ausdauer
5.1 Trainingsinhalte zur Erweiterung der aerob-anaerob gemischten GLA I, II und der azyklischen GLA
5.2 Trainingsinhalte zur Verbesserung der anaerob-alaktaziden Schnellkraftausdauer (bis 15 s)
5.3 Trainingsinhalte zur Verbesserung der anaerob-laktaziden Schnelligkeitsausdauer (15 – 90 s)

6 Objektivierung der Schnelligkeitsausdauer im Handball

7 Trainingsperiodik eines Konditionstrainings im Handball

8 Überprüfung der aufgestellten Hypothesen, zusammenfassender Erkenntnisgewinn

Quellen und Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Aufbau der vorliegenden Arbeit

Abb. 2: Die Faktoren der handballspezifischen Handlungsschnelligkeit (BÖTTCHER 1998a, 41)

Abb. 3: Methodische Grundformel für schnelligkeitsorientiertes Handballtraining (aus FELDMANN/SPÄTE 1998, 9)

Abb. 4: Phasen des Tempospiels

Abb. 5: Vereinfachtes Modell der Komponenten der sportlichen Leistungsfähigkeit (aus WEINECK 1994, 21)

Abb. 6: vereinfachtes Strukturmodell der komplexen individuellen Sportspielleistung (nach HOHMANN/BRACK 1983, 9)

Abb. 7: Strukturmodell zur Spielfähigkeit (aus MÜLLER/STEIN/KONZAG 1992, 12)

Abb. 8: Systematisierung der komplexen kollektiven Sportspielleistung (aus HOHMANN/BRACK 1983, 7)

Abb. 9: Struktureinheiten, Prozesse und taktische Fähigkeiten der Handlungsregulation im Sportspiel (BRACK 2002, 105)

Abb. 10: Koordinative Anforderungskategorien: Informationsanforderungen und Druckbedingungen (NEUMAIER 1999, 113)

Abb. 11: Konditionelles Anforderungsprofil von Sportspielern (mod. nach WEINECK & HAAS 1999, 18)

Abb. 12: Beziehung zwischen den konditionellen Fähigkeiten (mod. nach SCHNABEL/HARRE/BORDE 1997, 131)

Abb. 13: Die motorische Schnelligkeit und ihre Unterteilungen (aus GROSSER 1991, 17)

Abb. 14: Theoretisches Konzept der „ausdauernden Schnelligkeit“ im Handball

Abb. 15: Formen der Ermüdung (aus: FINDEISEN/LINKE/PICKENHAIN 1976, 238)

Abb. 16: Komplexe Leistungsbedingungen und Wirkfaktoren der Schnelligkeit im Handball (aus: Hökelmann, A.; Lühnenschloß, D.; Dierks, B.; Blaser, P. 2004, 155)

Abb. 17: Strukturierung leistungsbestimmender konditioneller Fähigkeiten im Handball (BRACK 2002, 110)

Abb. 18: Übungsanordnungsvariante zur Verbesserung der anaerob-alaktaziden Schnellkraftausdauer

Abb. 19: Verbesserung der Schnellkraftausdauer der unteren Extremitäten (aus: PAMPUS 1995, 120)

Abb. 20: Komplexübung zur Verbesserung der anaerob-laktaziden Schnelligkeitsausdauer

Abb. 22: Kontrollverfahren zur Konditionsdiagnose, anteilige sportwissenschaftliche Disziplinen und erfasste konditionelle Fähigkeiten (GROSSER/STARISCHKA 1986, 11)

Abb. 23: Reihenfolge der Belastungen im Handballtraining (BRACK 1992, 51)

Abb. 24: Planung Konditionstraining

Abb. 25: Inhalte und Belastungsumfänge der Trainingsetappen I, II (BRACK 2002, 262)

Abb. 26: Strukturpyramide der Handlungsschnelligkeit (aus BRACK 2002, 116)

Abb. 27: Prinzipielle Schemata des a) zeitlich verzögerten und b) des sofortigen (unmittelbaren bzw. verbliebenen) Trainingseffekts in Abhängigkeit von zeitlich konzentriert bzw. isoliert einwirkenden Trainingsbelastungen (nach WERCHOSHANSKIJ 1988, 34)

Abb. 28: Gesamtbelastungsumfang des Trainings (BRACK 2002, 261)

Abb. 29: Zyklisierung und Belastungsdynamik eines MAZ der VP II (in Anlehnung an BRACK 1993, 68)

Abb. 30: Zickzackläufe (LANGHOFF 1993, 61)

Abb. 31: komplexe Angriffstrainingsvariante (aus: FELDMANN/SPÄTE 1998, 17)

Abb. 32: komplexe Angriffstrainingsvariante unter Druckbedingungen (aus: FELDMANN/SPÄTE 1998, 17)

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Wettkampfparameter im Vergleich (aus BRACK 2002, 156)

Tab. 2: Trainingsgünstige Entwicklungsphasen für die verschiedenen sportlichen Fähigkeiten und für die Bewegungsfertigkeiten (MARTIN/CARL/LEHNERTZ 1991, 296)

Tab. 3: Varianten des Dribbling und Passspiels

Tab. 4: Ausdauerarten unter Berücksichtigung vergleichbarer Wettkampfzeitbereiche (SCHNABEL/HARRE/ BORDE 1997; 151)

Tab. 5: Differenzierung der wettkampfspezifischen Ausdauer (nach Bauersfeld/Schröter 1986, 186)

Tab. 6: Methoden, Wirkungen, Belastungsgefüge im Ausdauertraining

Tab. 7: Sportpraktische Tests zur Eingangsdiagnose im Sprint (aus: GROSSER 1991, 157)

Tab. 8: Trainingswissenschaftliche Analyseverfahren und leistungsbestimmende Merkmale des 100-m-Laufes (aus: GROSSER 1991, 156)

Tab. 9: Pendelsprintwerte (GROSSER/STARISCHKA 1986, 116)

Einleitung

Mit meiner hermeneutisch orientierten Hausarbeit soll ein Beitrag zur Beschreibung aktueller Zukunftsperspektiven, Entwicklungstendenzen und Trends in der Spielweise des modernen Handballsports geleistet und strukturelle Leistungsmerkmale des Sportspiels Handball aufgezeigt werden. Es soll der Frage nachgegangen werden, wie das sportliche Training im Handball zu gestalten ist, um den gestiegenen Anforderungen gerecht werden zu können. Der Thematik meiner Arbeit folgend, wird es hauptsächlich um die Schnelligkeitsausdauer innerhalb des Trainingsprozesses im Sportspiel Handball, der Erstellung eines leistungsstrukturellen Konzepts zur handballspezifischen, speziellen Ausdauer gehen. Hierzu ist es notwendig, die Betrachtungen, welche durch sportwissenschaftliche Literaturquellen gestützt werden, aus den theoretischen Grundlagen der Schnelligkeit, der Ausdauer und der Kraft heraus zu generieren. Einen Ausgangspunkt meiner Arbeit, neben den aktuellen Zukunftsperspektiven, Entwicklungstendenzen und Trends, bildet die den aktuellen Regeländerungen geschuldete dynamische Entwicklung des Handballspiels der letzten Jahre. Jene Entwicklung hat für die technisch-taktische Gestaltung des Spiels zu einer immensen Erweiterung des individuellen Handlungsspielraums und einer Hinwendung zu Handlungskonzepten variablerer Prägung geführt. Von den Trends, Perspektiven, Tendenzen und Regeländerungen ausgehend, werde ich mich analytisch mit dem Leistungsfaktor Schnelligkeit, insbesondere mit der Schnelligkeitsausdauer im Handball auseinandersetzen, um Aussagen zu einer „handballspezifischen“ Ausdauer treffen zu können. In der sportlichen Praxis ist die Gewichtung der konditionellen Fähigkeiten entscheidend abhängig vom Anforderungsprofil der jeweiligen Sportart sowie von spezifischen Zielsetzungen trainingsorganisatorischer und personeller Art. Die Ausdifferenzierung der einzelnen konditionellen Fähigkeiten ist nicht unumstritten und orientiert sich an unterschiedlichen Strukturierungsansätzen auf der Grundlage spezifischer Untersuchungsziele. Konditionelle Leistungsvoraussetzungen treten in der sportlichen Praxis kaum isoliert in Erscheinung, sondern meist als kombinierte Fähigkeiten mit unterschiedlicher Gewichtung bzw. Dominanz. Die kombinierten Fähigkeiten sind nicht leicht von den dominanten Fähigkeiten (Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer) abzugrenzen. Diese Abgrenzungsproblematik spitzt sich zu, wenn es um die weitere Ausdifferenzierung komplexer Fähigkeiten, wie in meiner Arbeit um die Schnelligkeitsausdauer i.S. von handballspezifischer Ausdauer, geht. Im Vorfeld meiner Betrachtung steht für mich fest: Die komplexe Anforderungsstruktur des Sportspiels Handball impliziert die Ausbildung komplexer konditioneller Leistungsvoraussetzungen. Es soll geklärt werden, wie sich die Schnelligkeitsausdauer innerhalb eines leistungsstrukturellen Konzepts des Sportspiels Handball einordnen und trainieren lässt. Leistungsdiagnostische Aussagen zur Schnelligkeitsausdauer schließen den Kreis meiner Betrachtungen.

Die folgende Kurzübersicht (Abb. 1) stellt den Aufbau der Staatsexamensarbeit dar. Sie dient der groben Orientierung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Aufbau der vorliegenden Arbeit

Fragestellungen und Hypothesen

Fragestellung 1

Die Sportspielleistung ist wie in kaum einer anderen Sportart von sehr komplexen Faktoren unterschiedlicher Art determiniert. Alle direkten Einflussgrößen Technik, Taktik, Kondition, Koordination, haben Einfluss auf die Sportspielleistung, wobei es keine hierarchisch festgelegte Gewichtung gibt. Der Basischarakter von Kondition und Koordination ist unbestritten. Trainingsprinzipien, -methoden, -inhalte müssen unter Berücksichtigung sportspieltypischer Anforderungen analysiert und umgesetzt werden. Sollte eine der konditionellen Leistungsfaktoren akzentuiert trainiert werden?

Hypothese 1

Es wird angenommen, dass die komplexe Anforderungsstruktur des Sportspiels Handball die komplexe Ausbildung konditioneller Leistungsvoraussetzungen impliziert.

Fragestellung 2

Das Sportspiel Handball wird immer schneller und dynamischer. Es zeichnet sich ein höherer Anteil an Gegenstoßaktionen im Spiel, ein aktives, variables Abwehrverhalten auf schnellen Beinen, sowie eine höhere Anzahl von Angriffen pro Spiel, ab. Während der effektiven Spielzeit muss der Handballspieler immer in der Lage sein, schnell anzutreten (z.B. bei Gegenstoßaktionen). Werden Schnelligkeitsleistungen wiederholt, tritt Ermüdung ein und somit ist eine gut ausgeprägte Schnelligkeitsausdauer gefragt. Lässt sich aus all diesen Beispielen eine erhöhte Trainingsnotwendigkeit der Schnelligkeitsausdauer im Handball ableiten?

Hypothese 2

Es wird vermutet, dass aufgrund des gestiegenen Spieltempos und mehr Gegenstoßaktionen bei Handballspielern durch Ermüdung ein Geschwindigkeitsabfall in Erscheinung tritt. Ziel muss es daher sein, hohe bzw. höchste Geschwindigkeiten über einen längeren Zeitraum (effektive Spielzeit), in hochintensiven Spielphasen, aufrechterhalten zu können. Um dieses Ziel zu verwirklichen, ist im Training eine gute bis sehr gute Schnelligkeitsausdauerfähigkeit bei den Spielern auszubilden. Um die Schnelligkeitsausdauer eines Handballspielers zu verbessern, muss im Training verstärkt auf eine Forcierung schnelligkeitsausdauerrelevanter Inhalte gesetzt werden.

Fragestellung 3

Die Leichtathletik weist eine Art Grundlagencharakter für die Sportspiele auf. Es besteht jedoch ein differentes Wettkampfverhalten zwischen der Sportartgruppe Leichtathletik (Individualsport) und den Sportspielen (Mannschaftssport). Können trainingswissenschaftliche Aussagen, Gesetzmäßigkeiten und Erscheinungen aus der Leichtathletik als Ausgangspunkte (Grundlagen) von handballspezifischen Betrachtungen dienen?

Hypothese 3

Ansätze zur Schnelligkeitsausdauer im Sportspiel Handball („handballspezifische Ausdauer“) können sich nicht vollends aus leichtathletischen Ableitungen generieren. Aufgrund des äußerst komplexen Anforderungscharakters des Sportspiels Handball dienen trainingswissenschaftliche Aussagen, Gesetzmäßigkeiten und Erscheinungen aus der Leichtathletik als Ausgangspunkte (Grundlagen) von Betrachtungen.

1 Das Sportspiel Handball als moderne Sportart

1.1 Zukunftsperspektiven des Handballsports

Es sei ein vorsichtiger Blick über den Spielfeldrand hinaus in Richtung der zukünftigen Entwicklung des Sportspiels Handball gewagt. Von zentraler Bedeutung scheint das Vermögen einer (Spiel-) Sportart, insbesondere den professionell geführten Mannschaftssportarten zu sein, sich Menschen als Aktive, Zuschauer und Medienkonsumenten zu sichern, was zwangsläufig zu einem hohen Ausmaß an Wechselbeziehungen zu den Massenmedien in Form von Marketing- und Sponsorenaktivitäten führt. Diese Abhängigkeit der Profiklubs, sei es im Fuß-, Hand-, Volley- oder Basketball scheint immer größer zu werden. Wie ist es zu erklären, dass sich beispielsweise das Sportspiel Volleyball (in seiner traditionellen Form) einem nicht so großen „Anziehungseffekt“ erfreuen kann wie das zu einem integralen Bestandteil der internationalen Unterhaltungsbranche mutierte Sportspiel Fußball?

Nicht jedes Sportspiel weist den für die Werbevermarktung wichtigen Grad der Verbreitung, Popularität, Ökonomisierung und Medienpräsenz auf. An die Stelle eines einheitlichen Sportverständnisses tritt mehr und mehr ein Nebeneinander heterogener Sportkonzepte und damit auch eine Differenz, Pluralität und Verschiedenartigkeit der sportlichen Spiele. Einige Trendsportarten wie Beach-Volleyball, Beach-Handball und Beach-Soccer erfahren Zuläufe, im Gegensatz zu eher traditionell populären Disziplinen wie Hockey oder Volleyball. Man kann also nicht uneingeschränkt von einer boomenden Entwicklung der Sportspiele sprechen. Wie LAMPRECHT/STAMM (2002, 110 f.) zu den oben genannten Trendsportarten schreiben, handelt es sich wohl um Bemühungen, der „Sättigung“ der tradierten Sportspiele entgegenzuwirken und nach Konsolidierung und Erneuerung zu streben. Der zukünftige Markterfolg der einzelnen Spiele wird von der Attraktivität für weibliche Sportler abhängen, weil die Partizipation von Frauen an den Sportspielen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen ist. Die herkömmliche Ordnung im Feld der Sportspiele ist in Bewegung geraten. Hauptsächlich von jugendlichen Akteuren werden den traditionellen Code des Sports überschreitende Spielpraktiken vollzogen (vgl. TELSCHOW 2000). Tief greifende Transformationsprozesse werden durch massenmediale Inszenierungen ausgelöst, welche die Sportspielszene nachhaltig anders gestalten (vgl. SCHWIER 2000a, 35 ff.). Es sollen nunmehr fünf Veränderungstendenzen aufgezeigt werden. Der Handballsport hinkt im Vergleich zum Fußball bezüglich der globalen, massenmedialen Dimension noch hinterher. Während Fußballspiele der Championsleague weltweit an den Fernsehgeräten konsumiert werden, kann man bei einer Handballübertragung eines Bundesligaspiels im DSF (noch) nicht von weltweiter Vermarktung ausgehen. Doch die ersten Schritte in Richtung einer nach US-Vorbild organisierten globalen Inszenierung sind unternommen. Ein Logo der Handball-Bundesliga ziert ähnlich wie in den USA die Spielkleidung der einzelnen Klubs. Im Fußball, Basketball und Eishockey kann man diese Erscheinungen ebenfalls beobachten.

Netzwerke von Sportanbietern und internationale Unternehmen treiben die Globalisierung von Basketball, Beach-Volleyball, Handball, Eishockey und Fußball voran. Vorrangiges Interesse dieser Netzwerke und Unternehmen ist, die Ware Sportspiel als Konsumgut zeitgleich global zu vermarkten. Jene Globalisierung spiegelt eine allgemeine Internationalisierung von Kultur wider, die sich mehr und mehr von der europäischen Prägung entfernt und in Richtung massenkultureller, primär bildvermittelter Formen tendiert. Die Globalisierung ist mit einer Amerikanisierung des Sports verbunden. So nennen sich die Handballer des Sportclubs Magdeburg „Gladiators“. In der deutschen Eishockey-Bundesliga sind Namensgebungen amerikanischen Stils schon weiter vorangeschritten als in der Handball-Bundesliga. Die zunehmend als Wirtschaftsunternehmen handelnden Clubs und Ligen erstarken gegenüber den traditionellen Sportverbänden. Nationale und internationale Erfolge sollen möglichst schnell erreicht werden, müssen sich doch die Kosten für teure internationale Stars amortisieren. Ein mögliches Folgeproblem dieser Entwicklung: Wenn die Top-Klubs der Handball Bundesliga eher gestandenen internationalen Profis den Vorrang vor nationalen Nachwuchsspielern geben, dann läuft die Handballnationalauswahl Deutschlands Gefahr, die Tuchfühlung zur Handballspitze der Welt einzubüßen. Für Sportspielanbieter und die Medienindustrie stellt sich die Frage, mit welchen Angeboten dauerhaft ein globales Publikum erreicht und gebunden werden kann. Neben der Marketingmacht der Industrie wird vor allem auf das transkulturelle und polyseme Potenzial einzelner Sportspiele gesetzt. Sportspiele sind auf die Prozesse der Symbolisierung angewiesen und scheinen über die Herstellung von Bedeutungen den Konsumgütern einen Mehrwert hinzugefügt zu haben. Somit werden Ligen (Beispiel: NBA), populäre Spieler (Beckham, Ballack etc.), bekannte Sportclubs (z.B. Manchester United) zu weltweiten Markenartikeln.

Die Spektakularisierung des Spitzensports im Fernsehen stellt eine Grundlage für die Umwandlung populärer Sportspiele in global vermarktbare Waren dar. Beim Handballsport handelt es sich nicht um eine Sportart, die auf allen Kontinenten zu den Hauptsportarten zählt. Das Sportspiel Fußball dagegen gilt länder- und kulturübergreifend als Ritual und wird als eine Art Weltsicht verstanden und gelebt. Die Massenmedien und der Sport zählen zu den einflussreichsten kulturellen Kräften unserer Zeit. Beide weisen vielfältige Wechselbeziehungen auf, die die Möglichkeit einer Fusion zu einem einheitlichen Produktionskomplex schon bald bieten könnten. Derartige Tendenzen in der Sport und Medienbranche, die damit verbundene Konzentration von Lizenzen bei wenigen Anbietern, das in Bewegung geratene Verhältnis der Regulierung durch Sportverbände und internationalen Medienkonzernen haben den Bereich der Sportspiele strukturell verändert. Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen und die Neuen Medien bilden die Sportspiele nicht einfach ab, sondern tragen maßgeblich zu deren Formung und Transformation bei. Die für die Sportart charakteristische Inszenierung und öffentliche Präsentation körperlicher Wettkämpfe lässt sich wohl mit der medialen Produktion von Symbolen so massenwirksam verquicken, dass der Mediensport weltweit ein breites Publikum erreicht. Nach CASTELLS (2001) verknüpft der Mediensport in gewisser Hinsicht den binären Code des Wettkampfs, „Sieg oder Niederlage“, mit dem Code „Sein oder Nichtsein“, der die gesellschaftliche Wirkung des Fernsehens zum Ausdruck bringt. Es besteht für Sportspiele, die nicht in den Medien stattfinden, die Gefahr, aus dem kollektiven Bewusstsein getilgt zu werden. Es werden Sportereignisse massenmedial aufbereitet und unter den Aspekten der Zuschauerattraktivität und des Unterhaltungswerts auf eine Steigerung der Spannung, der Dramatik und der Dynamik hin verarbeitet. Es erfolgt eine Verengung der gesellschaftlichen Spiel- und Sportkultur bei gleichzeitiger Erzeugung einer eigenen Hyperrealität, die des Mediensports. Es bestehen zwischen der Produktionslogik und den Produktionserfordernissen des Fernsehens und der „Logik“ des Wettkampfspiels Analogien. Über das Prinzip der Serie soll im Fernsehen eine stabile Identifikation der Zuschauer mit dem Programm erzeugt werden. Dieser Mechanismus ist auch im Bereich der Sportspiele wirksam, kann man doch die Saison mit einer Fernsehstaffel vergleichen. Die Dramaturgie einer Saison, einer Serie im Fernsehen wird dadurch determiniert, dass jede Folge auf die nächste und jedes Spiel auf das nächste Spiel verweist und dadurch die Spannung erhalten oder gar gesteigert werden kann. Jeder einzelne Spieltag hat seine eigene Geschichte als Stoff und gibt Antwort auf die momentane Frage nach den Siegern. Gleichzeitig bleibt aber die übergeordnete Frage nach dem Ausgang der Meisterschaft offen. Die weitgehende Kontinuität der Hauptakteure, die Frage nach dem Gewinner der Meisterschaft begünstigt das Entstehen von Fanklubs. Die mediale Akzeptanz einer Sportart scheint besonders von zwei Attributen abhängig zu sein: Die Sportart muss durch erfolgreiche und einheimische Sportler repräsentiert sein.[1]Es sei an den Aufstieg und den Niedergang der Sportart Tennis erinnert, welche nach den Erfolgen von Boris Becker und Steffi Graf 1993 erstmals den Fußball in Bezug auf die Sendezeit den Rang ablief. Derzeit hat sie sich wieder halbiert. Die Sportspiele scheinen für solche Popularitätsschwankungen weniger anfällig zu sein, was eher auf die Bindung des Publikums zum Verein und nicht zum Einzelakteur zurückzuführen sein könnte. Zusammenfassend kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die Grenzen zwischen der Medienbranche und dem Hochleistungssport immer mehr verschwimmen. Das Sportspiel Handball zeigt eine Weiterentwicklung in Richtung eines weiter steigenden Tempos, verbunden mit einer höheren Bedeutung von Situationsantizipation, Positionsvariabilität, eines höheren Anteils von Gegenstoßaktionen, schnellen Beinen und Händen bei der Abwehrarbeit, mehr Angriffe, Tore pro Spiel.

Tab. 1: Wettkampfparameter im Vergleich (aus BRACK 2002, 156)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zweifellos stellt die Beschleunigung einen sportkulturellen Megatrend dar, zu dessen Durchsetzung die Massenmedien beigetragen haben. WHANNEL (1992) ist der Ansicht, dass besonders der Fernsehsport den Faktor Beschleunigung ausnutzt, um die Spektakulisierung der Spielübertragungen voranzutreiben, wobei der visuelle und der verbale Inszenierungsaufwand umso geringer ist, je ausgeprägter der Sportwettkampf den „Kriterien Maximum an Aktion auf engstem Raum“ und „Maximum an Aktion in minimaler Zeitspanne“ entspricht. Im jugendkulturellen Zusammenhang bekommt die Steigerung der Beschleunigung des Bewegungshandelns die Bedeutung einer Strategie der widerspenstigen außersprachlichen Selbstvergewisserung und des Anzeigens kultureller Differenzen. Tempo kennzeichnet in diesem Kontext Situationen, die rauschhaftes Tun und quasi ein Aufgehen in der Bewegung möglich macht. Extreme Bewegungsdynamik, abrupte Situationswechsel und eine hohe Aktionsdichte sind Merkmale des Snowboardings, Kitesurfings oder des Streetballs. Die permanente Innovation in Technik und Organisation, damit eng verknüpft die Abschreibung des technologisch Veralteten, hat auch für die Sportspiele Konsequenzen in Form einer andauernder, erfolgreicher Suche nach der besseren Bewältigung von Situationen. Es herrscht das Wachstumsprinzip der permanenten Optimierung vor. Konditionelle, technomotorische und taktische Mittel unterliegen diesem Prinzip. Infolge dessen ist die Zukunft der Sportspiele, im Gegensatz zu anderen Spielen zur Zukunft hin offen. Die Steigerung der Spielgeschwindigkeit hat eine wichtige Funktion im Hinblick auf den in komplexen Gesellschaften erhöhten Bedarf an Formen der Selbstinszenierung und damit an sichtbaren Unterschieden. Aufgrund der Nonkonformität und der hohen Authentizität des temporeichen „Streetstyle“ sind solche jugendkulturell geprägten Spielformen für erlebnishungrige Sportkonsumenten aller Altersstufen besonders anziehend. Zum zeitgemäßen Differenzierungsmechanismus erwächst Beschleunigung unter dem Etikett der „Funsportarten“.

Die Entstehung und Popularisierung temporeicher Varianten der bereits etablierten Sportspiele wird gefördert. Die Betonung der Spielgeschwindigkeit geht mit der Verringerung der Spieleranzahl, der Verkleinerung der Spielflächen und einer Reduzierung des Reglements einher. Beispiele dafür sind: Beach-Handball, Beach-Volleyball. Die Spieler kommen dadurch zu mehr Ballkontakten, was zur Folge hat, dass die Dynamik des Wechsels zwischen Abwehr und Angriff erhöht wird, was insgesamt gesehen dazu führt, dass das Spiel intensiver erlebbar wird. Die Zunahme von Tempo und Beschleunigung kann man generell als Versuch deuten, mit der Entwicklungsdynamik der Technologie Schritt zu halten. Es kommt die Hoffnung zum Ausdruck, dass die für das Informationszeitalter charakteristische fortlaufende Beschleunigung fast aller gesellschaftlichen Felder zumindest im Spiel durch den eigenen Körper noch einholbar scheint. Der Trend zur Beschleunigung der Sportspiele, also auch des Handballspiels, wird die weitere Entwicklung prägen. Ein aktueller Trend zeigt sich in der stilbildenden Überschreitung des binären Sieg-Niederlage-Codes, also der damit verbundenen rationalen Leistungsproduktion durch die aktuellen Varianten populärer Sportspiele. Es werden die ästhetischen Dimensionen in gewisser Weise stimuliert. Im Sport ist die Möglichkeit verankert, intensive ästhetische Erfahrungen zu machen, was den Trend hin zur Virtuosität und zur Akzentuierung spektakulärer Gelingenserlebnisse untermauert. Besonders wichtig scheint die besondere Qualität der Spielhandlung selbst zu sein. In jenen Handlungskontexten der kreativen Auseinandersetzung mit der Bewegungsaufgabe und dem Bewegungserlebnis ist das dominante Streben nach Erfolg weitestgehend nachgeordnet bzw. in den Prozess eingeordnet. Jugendkulturelle Szenen (Skater, Surfer, Snowboarder) akzentuieren am auffälligsten die Virtuosität des Sich-Bewegens. Sie zeigen, dass auch ohne vorrangige Orientierung an einer quantifizierbaren Überbietung, dem Ideal des „Besserwerdens“ gefolgt werden kann. Diese Jugendlichen geben sich mit Leidenschaft der Entfaltung, der kontinuierlichen Verbesserung und Präsentation des eigenen Bewegungsrepertoires bzw. der eigenen kreativen Spielfähigkeit hin. Mit der Hinwendung zur Virtuosität sportlichen Spielens entfernen sie sich mehr und mehr vom asketischen, ergebnisorientierten Grundmotiv des modernen Sports. Im Rückgriff auf die Spieltheorie von CALLOIS (1982) wird beispielsweise in den jugendlichen Streetballszenen, die als „Spielräume“ gedeutet werden, zwischen den Polen „ludus“ (im Sinne von Meisterung, Ordnung, Normierung) und „paidia“ (im Sinne von Ausgelassenheit, Improvisation, Spontanität) eine Neuausrichtung vollzogen. Durch Selbstermächtigungsprozesse wird in gewissen Grenzen Widerstand gegen die Ausdehnung der sozialen Verregelung von Körper und Bewegung betrieben, was zur Folge hat, dass die in den tradierten Sportspielen eingespielte Balance von Ordnung und Unordnung, von Regelhaftigkeit und Improvisation eine Veränderung erfährt, eine Betonung der Virtuosität des Sich-Bewegens, eine Verschiebung zum Pol „paidia“, erfolgt. Dadurch sind (nicht nur) in der Streetballszene häufig Prozesse bewegungskultureller Innovation zu beobachten. In diesem Kontext scheint es nicht abstrus zu sein, wenn man davon ausgeht, dass das Sportspiel Handball in Zukunft Momente der Improvisation und der Ausgelassenheit mehr in den geordneten Wettkampf einbringen wird, was sich meines Erachtens nach schon jetzt in der Zielperspektive der deutschen Spielauffassung des kreativen Allroundspielers ansatzweise niederschlägt.

Nach FELDMANN, ENGLER & SCHRIMPF (1999) sind Vielseitigkeit, Positionsvariabilität, Aktionsvariabilität, Begriffe, welche Spieler charakterisieren, die „besonders wertvoll“ für eine Mannschaft sind. Es ist eine zunehmende Hinwendung der Sportkultur zum sportlichen Event zu konstatieren. Die sportlichen Großveranstaltungen, die sich weg vom formalen Wettkampf und hin zu immer bunter werdenden Organisations- und Inszenierungsformen entwickeln, werden immer bunter, unterhaltungsorientierter und informeller. Am Beispiel des Beach-Handballs kann man erkennen, wie sich besonders Jugendliche der Möglichkeit eines Experimentierfelds für unkonventionelle Formen körperlichen Ausdrucks bedienen. Im weichen Sand wird neben verschiedensten Trickvarianten immer wieder der Kempa-Trick zelebriert. Auf Vereinsebene sind „Mitternachtsturniere“ und „Beachhandballturniere“ längst keine Randerscheinungen mehr. Diese Inszenierungsformen dürften zukünftig auch im Bereich des Profisports an Bedeutung gewinnen, knüpft doch die für ein Event charakteristische Integration der sportlichen Handlungen in ein unterhaltsames Erlebnispaket an aktuelle Veränderungen des Freizeitverhaltens an.

Folgt man FREYER (2001), dann haben Events im Sportspiel Handball nicht nur eine „Pull-Funktion“, sondern sind auch mit ihren „Push-Funktionen“ und Imagewirkungen zunehmend interessanter für diverse Reiseveranstalter. Dem spezialisierten Sportspielclub scheint die Zukunft zu gehören. Leistungs- Spitzen und Profisport ist nur noch im Großbetrieb möglich (Basketball, Handball, Fußball), der nach marktwirtschaftlichem Prinzip der Ökonomie auf Effektivität und Effizienz hin durchrationalisiert wird. Alternative Sportarten finden im Kleinverein der Vorstadt oder in Großvereinen, die keine spitzensportlichen Ambitionen hegen, statt. Es ist zunehmend wichtiger für die Profiklubs, dass das Publikums- und Medieninteresse wächst. Das Sportspiel Handball als „Sportkrimi“, in dem am besten immer nur der sportliche Gegner „stirbt“. Kurz und gut: Die Identifikation der potentiellen Käuferschaft determiniert die Höhe der Werbemittel. Es sind also marktgängige Modelle gefragt, die sich entsprechend auf eine Periode des Genießens (nach einer Periode der Leistungseuphorie und infolge des erworbenen hohen Lebensstandards) einstellen, um möglichst großen Profit zu generieren. Diejenigen Sportspiele, die durch Management und Unterhaltungswert ein attraktives Angebot darstellen, werden auch zukünftig in der Nachfrage führen. Proficlubs, Vereine, AG’s (z.B. Borussia Dortmund) kämpfen um Talente, Sponsoren, Sendezeiten wie ums Überleben. Der Trend zu größeren Wettkampfeinheiten zeichnet sich ab. Ist eine Europa-Liga, Welt-Liga im Handballsport denkbar?

1.2 Entwicklungstendenzen im Handballsport – Konsequenzen für das Training im Nachwuchsbereich

Aktuelle Trends, Tendenzen und Veränderungen lassen sich besonders gut während großer internationaler Turniere (Weltmeisterschaften, Europameisterschaften) analysieren und erfassen. Aktuelle Entwicklungstendenzen müssen nicht immer die für jeden offensichtlichen Änderungen sein, wie beispielsweise neue taktische Konzepte und Mannschaftsaufstellungen, sondern es handelt sich in erster Linie um die kleinen Entwicklungsschritte. BÖTTCHER (1998) analysierte die teilnehmenden Mannschaften der Europameisterschaft 1998 und leitete aktuelle Entwicklungstendenzen ab. Bei den nun folgenden Entwicklungstendenzen sei gesagt, dass sie der Spielanlage im Hochleistungsbereich entsprechen. Es zeichnete sich ein höherer Anteil an Gegenstoßaktionen im Spiel und eine konsequente Ausnutzung des Gegenstoßes ab. Zudem wurde ein aktives, variables Abwehrverhalten auf schnellen Beinen, das häufige Ballgewinne provoziert, sowie eine höhere Anzahl von Angriffen pro Spiel, die kürzer vorbereitet und schneller abgeschlossen werden beobachtet. Ein gesteigertes Spieltempo und eine erhöhte Schnelligkeit der Spieler liegen all diesen Veränderungen in der Spielanlage zugrunde. Die Spieler agieren im Zweikampf zunehmend technikorientierter, ihr Wurf- und Anspielrepertoire wird variabler, sie vollziehen ein dynamisches Positionswechselspiel (vgl. SPÄTE/SCHUBERT/EHRET 1997, 7). Fünfzig Angriffe und mehr in einem Spiel kann man heute im Spitzenhandball oftmals staunend beobachten. Im Finale der Handball-Weltmeisterschaft 2003 erfolgten pro Mannschaft 61 Angriffe.

Wie SPÄTE (2003) herausfand, leitete die deutsche Mannschaft nahezu zwei Drittel ihrer Angriffe mit einem Gegenstoß oder schnellen Anwurf ein – fast die Hälfte aller Tore erzielte die DHB-Auswahl aus dem Tempospiel. Als Vergleich sei angemerkt, dass, wie FELDMANN/SPÄTE (1998) festhielten, es Ende der 80’er Jahre durchschnittlich noch zehn Angriffe weniger pro Spiel waren. Auch die Angriffsaktionen werden nun anders vorgetragen. Während es vor nicht allzu vielen Jahren normal war, dass ein aufgebauter Angriff die Dauer von zwei Minuten aufwies, wird nunmehr eine Art Überraschungseffekt in Form von schnellen Angriffen, ohne lange Aufbauphasen, sehr oft praktiziert. Diese Tatsache ist nicht zuletzt einer Regelveränderung, des neuen Warnzeichens für passives Spiel, geschuldet. Die Schiedsrichter sind dazu angehalten, druck- und ereignisloses Spiel binnen kurzer Zeitdauer zu unterbinden. Viele Spitzenteams nutzen die schnellen Gegenstoßaktionen um „einfache“ Tore zu erzielen. Dabei wird das Mittelfeld durch die taktische Forcierung des Gegenstoßes in der zweiten und dritten Welle zunehmend schneller überbrückt. Die erste Welle wird nach der Abwehr des Torwurfs durch den Torhüter antizipativ mit höchster Schnelligkeit aus der Abwehr heraus über die Außenspieler eingeleitet. Die Torhüter müssen die Bälle blitzschnell unter Kontrolle bringen und dann mit präzisen Langpässen (sogar Sprungwurfpässen) die Spieler der ersten Welle bedienen. Nach Ballgewinn durch Fehlpass oder regeltechnischen Fehler der gegnerischen Angreifer suchen die Spieler den direkten Weg zum Tor in der ersten Welle nach dem Prinzip „give and go“, d.h., zwei Spieler passen sich in höchstem Tempo mehrfach die Bälle zu und überlaufen so die gegnerischen Spieler. Der Gegenstoß wird in allen Phasen auch deshalb weiter forciert, weil auch die Abwehrspezialisten technisch-taktisch in der Lage sind, den Gegenstoß erfolgreich mit zu tragen. Wegen der Spezialistenwechsel können die Mannschaften während des gesamten Spiels ein hohes Tempo aufrechterhalten. Es stellt sich die Frage, ob es so etwas wie einen Abwehr- oder Angriffsspezialisten im modernen Spitzenhandball überhaupt noch gibt. Handballspieler im Spitzenbereich sollten sowohl in der Abwehr als auch im Angriff aktions- und positionsvariabel agieren können. Langsame Aufbauphasen werden so gut wie kaum noch durchgeführt. Der schnelle Anwurf („schnelle“ Mitte) ist als eine Maßnahme ins Reglement aufgenommen worden, um gezielt auf Spieltempo und den Spielrhythmus Einfluss nehmen zu können. Aufgrund dieser Regeländerungen erwachsen neue Perspektiven in der Spielanlage als auch höhere Anforderungen an die Leistungsfaktoren des Sportspiels Handball. Beim Handball kommt es besonders darauf an, sporttechnische und taktische Handlungen situationsangemessen zu vollziehen.

SCHNABEL/HARRE/BORDE (1997, 146) sehen das Niveau der Handlungsschnelligkeit ausgedrückt durch: „…die für die kognitiven Prozesse („geistige“ Schnelligkeit) und für die motorische Lösung der Handlungsaufgabe („motorische“ Schnelligkeit) benötigte Gesamtzeit.“ Reaktionsschnelligkeit, besonders die Wahlreaktion (Reaktionszeit) und die Bewegungsschnelligkeit (Bewegungszeit) sind nach SCHNABEL/HARRE/BORDE (1997, 146) wesentliche Komponenten der Handlungsschnelligkeit, welche zusätzlich determiniert wird von dem Niveau der koordinativen Fähigkeiten, konditionellen Fähigkeiten und den technisch-taktischen Fertigkeiten. Folgt man LÜHNENSCHLOß/DIERKS (2005, 95), dann: „…ist davon auszugehen, dass die Hauptreserve der Entwicklung der spielspezifischen Handlungsschnelligkeit mit zunehmender Leistungssteigerung im kognitiven Bereich liegt.“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Die Faktoren der handballspezifischen Handlungsschnelligkeit (BÖTTCHER 1998a, 41)

Diese Hypothese wird durch SCHNABEL/HARRE/BORDE (1997, 146) gestützt, nach denen die kognitiven Prozesse „…etwa 70-80 % des Zeitbedarfs für die Lösung von technisch-taktischen Situationen ausmachen und vorhandene Defizite durch die motorische Realisierung nicht kompensierbar sind.“ Durch ein gezieltes Training der Handlungsschnelligkeit unter motorischen und kognitiven Aspekten kann erreicht werden, dass auch in Zukunft die Spieler den gestiegenen Anforderungen gerecht werden können. Ein schnelligkeitsorientiertes Handballtraining sollte nach folgender methodischer Grundformel gestaltet werden: Dabei entsprechen Bewegungen unter Zeitdruck der motorisch-konditionellen Komponente, Bewegungen oder Techniken unter Komplexitäts- und Variabilitätsdruck der motorisch-koordinativen, Bewegungen, Techniken oder Handlungen unter Zeit-, Komplexitäts- und/ oder Variabilitätsdruck der kognitiven Komponente der Handlungsschnelligkeit. Es ist anzumerken, dass sich die Übergänge zwischen den beschriebenen Aktivitäten und den situativen Bedingungen nicht eindeutig voneinander unterscheiden lassen. Als dritte Komponente der methodischen Formel sollten besonders motivierende Anforderungen bzw. Situationskonstellationen geschaffen werden. Hierbei sind besonders die Trainer in der Pflicht. Durch den Trainer müssen immer wieder neue, interessante Aufgabenstellungen und Übungsorganisationen angeboten werden, um von den Spielern ein Maximum an Anstrengungs- und Einsatzbereitschaft abverlangen zu können.

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Abb. 3: Methodische Grundformel für schnelligkeitsorientiertes Handballtraining (aus FELDMANN/SPÄTE 1998, 9)

Zunehmend flexiblere Abwehrformation verlangen eine schnelle Beinarbeit der Spieler während des gesamten Spiels, in allen Abwehr- und Angriffssituation. In der Angriffssituation werden hohe Anforderungen an den Spieler in Form von schnelligkeitsorientierten Angriffstechniken gestellt (z.B. schnelle Schlag-, Sprungwürfe, variable Anspieltechniken). In der Abwehrsituation muss auch schnell agiert werden (Sidesteps, schnelles Beschleunigen nach Ballgewinn). Es ist davon auszugehen, dass die Bedeutung der spielspezifischen Ausdauer und der Handlungsschnelligkeit, mit und ohne Ball, die informatorische Schnelligkeit und die motorische Aktions- und Frequenzschnelligkeit, zunehmen wird. Aufgrund der Tatsache, dass offenere, auf die Balleroberung ausgerichtete Abwehrformationen dem Angreifer viel mehr Raum für eine 1:1 Durchbruchaktion bieten, jedoch dabei auch eine schnellere Beinarbeit (Kraftausdauer) in der Abwehr von Nöten ist, untermauern die vorher getroffene Aussage. Das Umschalten von Abwehr auf Angriff und umgekehrt wird immer bedeutender und kommt zunehmend häufiger innerhalb eines Spiels vor. Hohe Anforderungen werden dabei an die Reaktions- und Aktionsschnelligkeit gestellt. Eine schnellere Wahrnehmung und Informationsverarbeitung insbesondere auch im Spiel ohne Ball wird künftig immer notwendiger werden (kognitive Dimension). Der Erfolg der Wettspielhandlungen wird wesentlich durch das Entwicklungsniveau perzeptiver und intellektueller Funktionen und Fähigkeiten in einer Art Vernetzung mit den anderen Leistungsfaktoren bestimmt.

Charakteristisch für die sportliche Spieltätigkeit im Handball ist ein mehrfaches Bezugssystem – Mitspieler, Gegner, Spielgerät (Handball), Ziel (Handballtor), Spielraum -, in dem sich der Handballspieler befindet und mit der er sich ständig aktiv auseinandersetzen muss. Er nimmt in jeder Spielsituation sich verändernde und nicht verändernde Objekte wahr, eigene Bewegungen, Fremdbewegungen (der Mitspieler, des Balls, der Gegner). Wahrgenommen wird der Spielraum mit seinen Spielfeldmarkierungen, das gegnerische als auch das eigene Tor. Das Sportspiel Handball ist also durch komplexere Leistungsmerkmale als andere Sportarten gekennzeichnet und stellt hohe Anforderungen an die optischen Wahrnehmungen (Raumwahrnehmungen, Bewegungswahrnehmungen) und die Antizipation (Fremdbewegungen, Eigenbewegungen) des Handballspielers. Daraus leitet sich die taktische Determiniertheit aller Spielhandlungen ab, wodurch sich vielfältige und hohe Anforderungen an die Informationsaufnahme- und Informationsverarbeitungsprozesse des Handballspielers ergeben. Sämtliche Abwehr- und Angriffshandlungen im Handball sind situativ zu lösende Entscheidungshandlungen. Als unerlässliche Voraussetzungen für den Spielerfolg gelten spezifische, schnell verlaufende, Wahrnehmungs-, Denk-, und Gedächtnisprozesse, welche auch in den letzten Sekunden eines Spiels noch schnell verlaufen müssen. Charakteristisch für das Sportspiel Handball, aber auch für die anderen Sportspiele, sind die vielfältigen taktischen Lösungsmöglichkeiten und der außerordentlich hohe Umfang erforderlicher motorischer Handlungsprogramme, die unter Berücksichtigung aktiv und konträr agierender Gegner und in taktischer und motorischer Abstimmung mit den Mitspielern situationsadäquat zur Anwendung kommen.

Durch ständiges analysieren der sich laufend verändernden Handlungsbedingungen, durch antizipierendes Inbeziehungsetzen von Situationsbedingungen und ihren zukünftigen Veränderungen zu den eigenen Handlungsvoraussetzungen und durch die damit mögliche Vorwegnahme von Handlungsergebnissen ist der Handballspieler im Rahmen seiner Handlungsregulation in der Lage, bewusste Handlungsentscheidungen zu treffen und aktiv in das Spielgeschehen einzugreifen. Die Fähigkeit des Menschen, seine nach außen gerichteten Handlungen auf der Grundlage verallgemeinerter Abbilder der Umwelt und verallgemeinerter Operationsregeln innerlich vorwegzunehmen stellt eine grundlegende Voraussetzung für das Antizipieren dar. STIEHLER/KONZAG/DÖBLER (1988, 54) definieren die Handlungsregulation wie folgt: „Unter Handlungsregulation ist die Befähigung der Persönlichkeit zu verstehen, auf der Grundlage psychischer Abbilder, Operationen und Zustände ihr Handeln in einer konkreten (Spiel-) Situation unter Beachtung übergreifender Handlungszielstellungen und unter Berücksichtigung der konkreten „äußeren“ und personalen Handlungsbedingungen zielgerichtet und anforderungsgerecht selbständig zu kontrollieren und zu regulieren.“ Als relativ abgrenzbare Struktureinheiten der Handlungsregulation sportlicher Spielhandlungen werden unterschieden: Die Orientierungsregulation, die Antriebs- und Entscheidungsregulation und die Ausführungs- und Kontrollfunktion. Aufgrund der Tatsache, dass die Aktionen in Abwehr und Angriff immer schneller vollzogen werden, muss meines Erachtens nach eine Intensivierung des (Lauf-) Spiels ohne Ball erfolgen, um dieser enorm schnellen und dynamischen Spielweise gerecht werden zu können. Zudem sollte auch ein spezifisches Entscheidungstraining im Handball forciert werden, in dem es um eine technisch-taktische und positionsspezifische Vermittlung von handlungsrelevanten Signalen, die Aneignung variabler Handlungsprogramme und um die Entwicklung der Entscheidungsschnelligkeit während der Auswahl der zweckmäßigsten / effektivsten motorischen Handlung geht (vgl. LÜHNENSCHLOß/DIERKS 2005, 95). Besonders die Trainer im Nachwuchsbereich sind in der Pflicht. In den von ihnen geplanten, gesteuerten, kontrollierten, regulierten und initiierten Trainingsprozess sollte frühzeitig die Entscheidungsschnelligkeit durch die Schaffung kognitiver Voraussetzungen verbessert werden. LÜHNENSCHLOß/DIERKS (2005) führen für ein Training (Spielhandlungs- und Spielsituationstraining) der motorischen Komponente folgende Schnelligkeitsfähigkeiten desiderabel an:

- die „schnelle Technik“
- die Fähigkeit zur positiven und negativen Beschleunigung „Antritts- und Bremsschnelligkeit“, „Antritts- bzw. Bremsschnelligkeitsausdauer“
- die „ausdauernde Schnelligkeit“
- die Fähigkeit zur Konstanz in der räumlichen und zeitlichen Genauigkeit der Bewegungen
- die Fähigkeit zu unterschiedlichen Wahlreaktionen
- die Reaktionsfähigkeit / -schnelligkeit
- die Fähigkeit zur schnellen und präzisen Bestimmung der Flugbahn und der Geschwindigkeit des Spielgeräts

Das Training im Nachwuchsbereich sollte in Anbetracht der gestiegenen Anforderungen im Erwachsenenbereich, auf die trainingsgünstigen Phasen, als Phasen der beschleunigten Leistungsentwicklung der Schnelligkeit, aufbauen. MARTIN/CARL/LEHNERTZ (1991, 296) stellen trainingsgünstige Entwicklungsphasen für die verschiedenen sportlichen Fähigkeiten, Bewegungsfertigkeiten tabellarisch dar.

Tab. 2: Trainingsgünstige Entwicklungsphasen für die verschiedenen sportlichen Fähigkeiten und für die Bewegungsfertigkeiten (MARTIN/CARL/LEHNERTZ 1991, 296)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für das Nachwuchstraining kann abgeleitet werden (vgl. BRACK 2002, 236 f.):

- Prinzip der rechtzeitigen und zunehmenden Spezialisierung (Um das genetisch bedingte Leistungspotenzial eines Sportlers im Hinblick auf sportartspezifische Anforderungen optimal ausschöpfen zu können und einen höchstmöglichen Leistungsstand zu erreichen, ist auf Grundlage einer allgemeinen sportlichen Grundausbildung rechtzeitig eine zunehmende Spezialisierung bei Trainingsinhalten und Trainingsmethoden notwendig.)
- Prinzip der ansteigenden Trainingsbelastung
- Prinzip der Vielseitigkeit
- Leitorientierungen Individualität und Entwicklungsgemäßheit

1.2.1 Taktische Zielsetzungen der Tempoforcierung im Gegenstoß, aus dem Anwurf und im Positionsangriff

Der Gegenstoß nach Ballgewinn am eigenen Torkreis oder der schnell ausgeführte Anwurf an der Mittellinie basieren beide auf den gleichen taktischen Zielsetzungen. Der schnelle Anwurf wird dabei wie die 1. Welle des Gegenstoßes mit zwei oder drei Spielern vollzogen. Die situativen Rahmenbedingungen sind besonders günstig, wenn der gegnerische Torschütze weit in den Torraum springt und so zunächst einen deutlichen räumlichen Nachteil beim Zurücklaufen hat oder kurzfristig entstehende Unterzahlsituationen durch Spielerwechsel zwischen Angriff und Abwehr ausgenutzt werden können. Generell sind Überzahlverhältnisse oder größere Aktionsräume infolge von Zeitstrafen beim schnellen Anwurf zu nutzen. Auch eine desorganisierte Abwehr kann durch den optimal ausgeführten schnellen Anwurf überwunden werden. Zurückgelaufene Spieler agieren nicht auf ihren angestammten Abwehrpositionen, die gesamte Formation funktioniert noch nicht in der gewohnten Grundspielweise. Auch eine Täuschungshandlung ist möglich, nämlich einen Abbruch und den Übergang zur Aufbauphase vortäuschen und dementsprechend Handlungen beim Gegner auszulösen, um dann doch blitzschnell zum Tempospiel überzugehen. Ein Übergang zum Positionsangriff mit einer Angriffsauslösung ohne oder aus kürzerer Aufbauphase ist auch möglich. Die Aktionen des Tempospiels müssen situativ sehr variabel gespielt werden. Es sollte keine Fixierung von Spielern in die I. oder 2. Welle erfolgen. Gegen sich formierende Abwehren werden durchaus unterschiedliche Angriffsformationen eingenommen. Der Ballvortrag und erste gezielte Auslösehandlungen in Tornähe werden über beide Seiten gespielt. Das Tempospiel ist dadurch wesentlich variabler angelegt. Grundvoraussetzung eines solch variablen Tempospiels ist, dass alle Spieler nicht nur ihre Laufwege und Aufgaben, sondern auch die ihrer Mitspieler sehr genau kennen. Vor nicht allzu vielen Jahren folgte auf einen erfolglosen Gegenstoß ein langer, ruhiger Spielaufbau im aufgebauten Positionsangriff. Bei eigener Überzahl spielte man so, dass der Angriff aus einem sicheren Spielaufbau heraus abgeschlossen wurde und wie eine Art Selbstverständlichkeit wurde ein Gegenstoß bei eigener Unterzahl oftmals ausgeschlossen. Diese Grenzen scheinen sich allmählich aufgeweicht zu haben. Es ist eindeutig eine höhere Risikobereitschaft im Tempospiel zu erkennen. Immer häufiger wird ein erfolgloser Gegenstoß des Gegners sofort mit dem nächsten Gegenstoß bzw. ein erfolgreicher Gegenstoß mit einem schnellen Anwurf beantwortet.

So ein „offener Schlagabtausch“, der Gegenstoß in den Gegenstoß hat mehr Vorteile als man zunächst denkt. Je nach Situation des Ballgewinns (z.B. Angreiferfoul oder anderer technischer Fehler) kann das blitzschnelle Umschalten auf einen erneuten Gegenstoß sofort räumliche Vorteile bedeuten. Man muss sich vergegenwärtigen, dass bei einer 2. oder 3. Welle des Gegenstoßes sich in der Regel nahezu alle Spieler im vollen Lauftempo befinden. Eine rückwärtige Sicherung, wie sie im Positionsangriff leichter zu realisieren ist, ist in Gegenstoßsituationen nicht oder nur unzureichend vorhanden. Es ist zu konstatieren, dass heutzutage von vielen Spitzenmannschaften der schnelle Anwurf über das gesamte Spiel hin gespielt wird. Eine Verschmelzung der einzelnen Spielphasen vollzieht sich. Oftmals ist zu beobachten, dass ein erfolgloser Gegenstoß oder schneller Anwurf nicht abgebrochen, sondern das Angriffsspiel z.B. mit der eingeleiteten taktischen Auslösehandlung gleich mit Druck im Positionsangriff fortgesetzt wird. Für das Tempospiel benötigen die Spieler einer Mannschaft zum einen großes Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und zum anderen eine hohe Risikobereitschaft. Die konsequente Regelauslegung des passiven Spiels verändert die Dauer des Positionsangriffs. Die Spieler stehen unter permanentem Zeitdruck, welcher in dem Handzeichen des Schiedsrichters „passives Spiel“ gipfelt. Länger vorgetragene Aufbauphasen werden seltener, da die Schiedsrichter einschreiten und Ballverlust droht. Eine Folge: Recht oft werden taktische Auslösehandlungen aus äußerst kurzen Aufbauphasen heraus gespielt. Insofern erlangt der gezielte taktische Tempo- und Rhythmuswechsel im Spielverlauf mehr und mehr an Bedeutung, müssen Trainer von der Bank aus genau analysieren, wann ein ruhiger Spielaufbau zweckmäßig ist. Je nach Situation werden Freiwurfsituationen genutzt, um „aus dem Stand“ direkte Auslöse- bzw. Abschlusshandlungen einzuleiten. Dadurch werden die in der Vergangenheit oft beobachteten Einzelaktionen vermieden. Durch das Tempospiel können selbst unaufholbar scheinende Rückstände aufgeholt werden, was der Spannung und Attraktivität des Handballspiels Nachdruck verleiht.

1.2.2 Phasenstruktur, Aufgabenbeschreibung des Tempospiels

Gegenstöße werden in der 1. und 2. Welle gelaufen. Manchmal ist auch von der 3. Welle die Rede, wozu auch die schnelle Mitte gehört. Darüber hinaus gibt es viele Situationen, in denen die Abwehr zwar schon komplett zurückgelaufen, aber noch nicht organisiert ist, bzw. in nicht optimaler personeller Besetzung verteidigen muss. Man spricht dabei von einem „verpassten Spezialistenwechsel“. Der Gegner versucht dann durch den Verzicht einer längeren Aufbauphase den Druck aufrecht zu erhalten und schnell zum Torerfolg zu kommen. Man unterscheidet beim Tempospiel vier Phasen, die räumliche, zeitliche und spielsituative Parameter enthalten. Eine Trennung der Phasen im Spielvollzug ist nicht immer eindeutig zu erkennen.

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Abb. 4: Phasen des Tempospiels

Für die Tempospielaktionen in der 1. Welle soll gelten, dass daran in der 3. und 4. Phase maximal zwei Angreifer und auch höchstens zwei Abwehrspieler beteiligt sein sollen. Das bedeutet, dass alle Spielsituationen in den Verhältnissen 1 gegen 0, 2 gegen 0, 1 gegen 1, 2 gegen 1, 1 gegen 2 und 2 gegen 2 in diese Kategorie gehören. Die Abwehr besteht dementsprechend aus Spielern, die nach den Prinzipien der Manndeckung versuchen, den Abschluss des Gegenstoßes zu verhindern.

Tempospielaktionen der 2. Welle sollen dadurch gekennzeichnet sein, dass bis zu vier Angreifer und vier Abwehrspieler beteiligt sein können. Die Spielsituationen variieren dann von 3 gegen 0 bis 3 gegen 4 bzw. 4 gegen 0 bis 4 gegen 4, wobei die Kombinationen mit keinem oder nur einem Abwehrspieler selten vorkommen sollten. Bedeutend ist aus, dass die Abwehraktivitäten schon in der 2. Phase beginnen können und sich dann bis zur 4. Phase fortsetzen können. Trotzdem agieren die Abwehrspieler hierbei in der Regel nach den Grundsätzlichkeiten der Manndeckung.

Als Tempospielaktionen der 3. Welle sollen alle Varianten gelten, in denen mehr als vier Spieler einer Mannschaft beteiligt sind. Damit sind auch die Aktionen aus der schnellen Mitte sowie der Angriff ohne Aufbauphase erfasst. In der Regel wird es sich dabei um zeitlich leicht verzögerte Angriffe handeln, so dass der Schwerpunkt der Abwehraktivitäten in der 3. eher sogar in der 4. Phase liegt. Die Abwehr reagiert dann aber wahrscheinlich nach den Grundsätzen der Raumdeckung, weil schon so viele Spieler zurückgelaufen sind, dass die Abwehrpositionen im zentralen Spielraum besetzt werden können.

Während der einzelnen Spielphasen werden die Spieler mit verschiedensten Aufgaben konfrontiert, die von unterschiedlichen Faktoren abhängig sind:

- Wird eine Tempoaktion der 1., 2. oder 3. Welle gespielt?
- Wird das Tempospiel frei oder nach einer vorgegebenen Konzeption angesetzt?
- In welcher der o.g. Phasen agiert der Spieler?
- Aus welcher Abwehrformation wird das Tempospiel begonnen?
- Wann und in welchem Umfang ist ein Spezialistenwechsel geplant?

Es folgt nunmehr eine allgemeine Aufgabenbeschreibung, die in Abhängigkeit von unterschiedlichen situativen und mannschaftlichen Gegebenheiten adaptiert werden muss.

Spieler mit Ball sollen sich klar zwischen Dribbling und Passen entscheiden, ihre Geschwindigkeit bis zum Torwurf beibehalten, die Abwehr weiträumig umspielen, auf überflüssige Handlungen (z.B. Körpertäuschungen) verzichten und Abstand zur 6m-Linie wahren.

Tab. 3: Varianten des Dribbling und Passspiels

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Spieler ohne Ball sollen sich freilaufen, um anspielbar zu sein, nicht im Schatten der Abwehr stehen, durch gezielte Laufwege den Raum für den Ballführer öffnen und Abstand zur 6m – Linie halten. Die von mir beschriebenen Aufgaben für die Einzelspieler fußen auf die individuellen technisch-taktischen Voraussetzungen, die speziell bei Tempospielaktionen unter hohem Zeitdruck umgesetzt werden müssen. Oftmals vernachlässigen nicht wenige Trainer dabei das Dribbling, obwohl gerade die Gegenstoß-Spielmacher im Leistungsbereich zeigen, wie effektiv die individuelle Ballführung eingesetzt werden kann. Passen oder Dribbeln? Welche ist die effektivere Technik? Um diese Fragestellung geht es gar nicht, sondern vielmehr sollen die Spieler dazu befähigt werden, eine situativ richtige Entscheidung zu treffen. Es muss eine große Bandbreite an technischen Elementen trainiert werden, um Tempospielaktionen erfolgreich bestreiten zu können. Jene müssen immer in Verbindung mit dem individuellen Spielverhalten (Freilaufen, Anbieten, Durchbruch) betrachtet werden.

2 Strukturelle Leistungsmerkmale des Sportspiels Handball

2.1 Die sportliche Leistung

Der Leistungsbegriff der Trainingswissenschaft geht von der menschlichen Tätigkeit aus. Mit dieser Fokussierung auf die Tätigkeits- bzw. Handlungsdimension einer menschlichen Leistung werden andere Leistungsdimensionen wie die mechanische oder die bioenergetische nicht außen vor gelassen, sondern integriert. Jede sportliche Leistung ist mit einem vorausgenommenen Handlungsziel verbunden, so dass man Leistung auch, wie ADAM (1978) es tut, als „Grad der Zielerreichung bei einer geplanten Aktion“ verstehen kann. Demzufolge wird Leistung in der Psychologie als zielgerichtete Handlung bezeichnet, deren Ergebnis an objektiv bzw. sozial determinierten und subjektiv übernommenen Zielen gemessen wird. Man wird dem Wesen sportlicher Leistungen nur gerecht werden, wenn man die ganze Handlung bzw. Handlungsfolge, also den Handlungsvollzug in den Leistungsbegriff mit einbringt. Der Begriff „sportliche Leistung“ wird in der Sportwissenschaft ziemlich unterschiedlich definiert, für den gleichen Inhalt werden Synonyme verwendet (vgl. BÖS & MECHLING, 1983, 19 f.; GROSSER, BRÜGGEMANN & ZINTL, 1986, 14; MARTIN, 1990, 14; MARTIN, CARL & LEHNERTZ, 1991, 22 f.; THIESS & SCHNABEL, 1987, 19; GABLER, 1988, 19).

„Die sportliche Leistung ist die Einheit von Vollzug und Ergebnis einer sportlichen Handlung bzw. einer komplexen Handlungsfolge, gemessen bzw. bewertet an bestimmten sozial determinierten Normen“ (vgl. SCHNABEL/HARRE/BORDE 1997, 33). Der Spieler als Persönlichkeit, mit seinen Motiven, Erfahrungen, seinem derzeitigen Entwicklungsstand, beeinflusst die Wirkungen des sportlichen Trainings, welches als „komplexe, planmäßige und sachorientierte Einwirkung auf die sportliche Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft durch Trainingstätigkeit des Sportlers und Führungs- und Lenkungsmaßnahmen von Trainern mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit zu steigern bzw. zu stabilisieren“, definiert ist (vgl. SCHNABEL/HARRE/BORDE 1997, 169).

Alle Einflussgrößen einer sportlichen Leistung können im Endeffekt nur in ihrer ganzheitlichen Wirkung und individuellen Umsetzung durch den Sportler betrachtet werden (vgl. MARTIN/CARL/LEHNERTZ 1991, 28). Die Leistungsstruktur des Handballspiels soll in seine leistungsbestimmenden Komponenten zergliedert werden, um dadurch einen tieferen Einblick auf deren Einfluss bezüglich der komplexen Sportspielleistung zu gewinnen.

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Abb. 5: Vereinfachtes Modell der Komponenten der sportlichen Leistungsfähigkeit (aus WEINECK 1994, 21)

Unter dem Begriff sportliche Leistungsfähigkeit verstehen THIESS/SCHNABEL (1986, 99; 1987, 111) die Grundlage, die Voraussetzung zur Bewältigung bestimmter sportlicher Leistungsanforderungen, welche durch den Ausprägungsgrad und die Struktur personaler Leistungsvoraussetzungen ausgedrückt wird. Aufgrund ihrer multifaktoriellen Zusammensetzung ist die sportliche Leistungsfähigkeit nur komplex zu trainieren. Das Erreichen der individuellen Höchstleistung wird nur durch die harmonische Entwicklung aller leistungsbestimmenden Faktoren zu realisieren sein (vgl. WEINECK 1994, 21). Die in Abb. 5 dargestellten Faktoren der sportlichen Leistungsfähigkeit besitzen grundsätzlich ihre Gültigkeit für alle Sportarten. Also auch für den Bereich der Sportspiele. Das Handballspiel unterliegt komplexen Handlungsstrukturen und wird darüber hinaus vom Situationscharakter des Spielverlaufs beeinflusst.

2.2 Die Sportspielleistung

Beim Sportspiel Handball handelt es sich um eine leistungsbetonte Form eines Bewegungsspiels, die als Wettkampf zwischen den einzelnen Spielern oder Mannschaften nach Regeln internationaler Gültigkeit ausgetragen werden. Die Leistung im Sportspiel Handball ist wie in kaum einer anderen Sportart von sehr komplexen Faktoren unterschiedlicher Art determiniert. Alle direkten Einflussgrößen Technik, Taktik, Kondition/Koordination bestimmen maßgeblich die Spielleistung, wobei es keine hierarchisch festgelegte Akzentuierung gibt. Unbestritten ist allerdings der Basischarakter von Kondition und Koordination. Trainingsprinzipien, -methoden mit ihren Belastungskomponenten, Trainingsinhalten und -mitteln sowie Steuerungsmaßnahmen einschließlich ihrer Effektivitätsüberprüfung müssen unter Berücksichtigung handballspezifischer Anforderungen analysiert und umgesetzt werden. Keine der direkten Einflussgrößen kann und soll aufgrund des komplexen Charakters der Leistungsanforderungen bei den Handballspielern maximal trainiert werden, es geht immer um eine optimale Ausprägung und Abstimmung der jeweiligen spezifischen Anforderungen des Handballspiels.

Im Sportspiel Handball ist alles nichts ohne Technik und Taktik, aber diese sind wiederum auch nichts ohne die konditionell-koordinative, kognitiv-handlungsregulative Grundlage, und dies umso mehr, je höher das Leistungsniveau ist. Das Handballspiel wird den Sportspielen zugeordnet. Die Sportspiele umfassen eine große Anzahl von Spielen mit unterschiedlichen Spielgedanken und sehr unterschiedlichen Handlungsstrukturen. Die azyklischen, kombiniert zyklisch/azyklischen (simultan ablaufend), zyklischen Spielhandlungen sind räumlich und im Bewegungsablauf meist relativ ungebunden und führen bei der direkten oder indirekten Auseinandersetzung mit dem sportlichen Kontrahenten zu einem ständigen Situationswechsel mit hohen Anforderungen an die kognitiven Prozesse, die konditionellen, technischen und taktischen Fertigkeiten und Fähigkeiten (vgl. DÖBLER/SCHNABEL/THIESS 1989, 181). Die Leistung in den einzelnen Sportspielen, ist mit ihren einzelnen Komponenten und deren Verflechtungen aufgrund der vielfältigen Strukturen, den immer schneller wechselnden Spielsituationen und des komplexen Anforderungscharakters äußerst schwer definierbar. Es muss, so die einhellige Meinung der Sportwissenschaftler, eine Systematisierung erfolgen, die eine Abgrenzung der komplexen individuellen Sportspielleistung von der kollektiven Sportspielleistung gewährleistet und andererseits die Einzelspielerleistung nach dem beobachtbaren Wettspielverhalten und dem tiefer liegenden Leistungszustand unterscheidet (vgl. HOHMANN 1985, 57).

[...]


[1]Sportlerinnen verstehe ich bei der Nennung der maskulinen Form während meiner gesamten Arbeit mit einbezogen.

Ende der Leseprobe aus 161 Seiten

Details

Titel
Schnelligkeitsausdauer im sportlichen Training der komplexen Wettspielfähigkeit im Sportspiel Handball
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (ISPW)
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
161
Katalognummer
V70784
ISBN (eBook)
9783638617147
Dateigröße
3168 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schnelligkeitsausdauer, Training, Wettspielfähigkeit, Sportspiel, Handball
Arbeit zitieren
David Schüßler (Autor:in), 2006, Schnelligkeitsausdauer im sportlichen Training der komplexen Wettspielfähigkeit im Sportspiel Handball, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70784

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