Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Karl Jaspers von 1926-1969. Jaspers Anmerkungen über die Wiedervereinigung Deutschlands


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Karl Jaspers
2.1 Karl Jaspers und Heinrich Blücher

3. Karl Jaspers und die Politik
3.1 Politische Freiheit und Freiheit des Geistes
3.2 Karl Jaspers und das Thema `Wiedervereinigung´
3.3. „Freiheit statt Wiedervereinigung“
3.4 Anerkennung der Oder-Neiße-Linie
3.5 Preisgabe Berlins

4. Schlussbetrachtung

5. Abkürzungsverzeichnis

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Hannah Arendt, die von sich selbst sagte, ihr Beruf sei politische Theorie und nicht Philosophie, war ihr ganzes Leben lang streitbar und umstritten. Sie wollte in keine Schublade passen, setzte kontroverse Meilensteine mit ihren Werken Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft und Eichmann in Jerusalem. Im Ersten kam sie zu dem Schluss, dass Konzentrationslager das entscheidende Merkmal des Totalitarismus seien. Auf dieser Grundlage verglich sie das Nazi-Regime mit der Sowjetunion und stellte fest, „daß keine totalitäre Regierung ohne Terror auskommen kann“[1]. Im Zweiten, Eichmann in Jerusalem, war es ihre Darstellung Eichmanns und die vermeintliche Banalisierung seines Wesens, die starke Diskussionen und eine regelrechte Hetzkampagne gegen sie auslösten. Am gewichtigsten, und die eigentliche `Kontroverse´ auslösende Feststellung, war, dass die Juden weniger `freiwillig´ und weniger widerstandslos in den Tod gegangen wären, wenn die Judenräte in den besetzten Gebieten weniger gut mit den deutschen Besatzern zusammengearbeitet und bei der Erstellung der Deportationslisten geholfen hätten.

So wie Arendt sich nicht ausschließlich in die Kategorie der Philosophie einfügen lassen wollte, konnte man es bei Jaspers nicht. Er kam ursprünglich aus der Psychologie und Neuropsychiatrie, bevor er mit fast 40 Jahren in die Philosophie wechselte. Mehrere große Werke zeichneten seinen Lebensweg. Zunächst die Allgemeine Psychopathologie, in der er systematisch Theorien, Methoden und Themen darstellte, die am Anfang des 20. Jahrhunderts von Psychologen diskutiert wurden.[2] Nach seinem Wechsel in die Philosophie entstand Psychologie der Weltanschauungen, in denen Jaspers Grundtypen der Weltanschauung vorstellte. Er untersuchte auch, welche Konsequenzen jeder Typ für das menschliche Verhalten hatte.[3] In der Existenzphilosophie vertiefte er das Thema und ging der Frage nach, was Menschen veranlasst, eine bestimmte Weltanschauung anzunehmen, was sie zum Denken, Handeln und Entscheiden bewegt.[4]

Von 1926, als Hannah Arendt bei Karl Jaspers ihr Studium der Philosophie fortsetzte, bis zu seinem Tod im Jahr 1969 blieben Hannah Arendt und Karl Jaspers über eine große räumliche Distanz dennoch durch Briefe freundschaftlich verbunden. Sie lebte seit ihrer Flucht aus Deutschland in Amerika, er seit seiner Berufung nach Basel in der Schweiz. Mehr als 40 Jahre diskutierten beide in unregelmäßigen Abständen die Lage der Welt, persönliche Freuden, Krankheiten, kritisierten gegenseitig ihre Werke, informierten und belehrten sich und sorgten sich um den jeweils Anderen.

Neben der gegenseitigen Kritik und Diskussion ihrer Werke war es v.a. die Politik, die beide beschäftigte. Drei Länder standen dabei im Vordergrund: Deutschland, die Vereinigten Staaten von Amerika und Israel.

Jeder von ihnen genoss die Freiheiten und Unabhängigkeiten des neuen Heimatlandes, ohne es ausschließlich zu loben. Ihrer deutschen Heimat und deren Entwicklungen blieben beide immer auf die ein oder andere Weise treu, auch wenn sie behaupteten, dass sie damit schon längst abgeschlossen hätten. Schriftlich und mündlich diskutierten sie privat ihre Meinungen über Deutschland. Öffentlich publizierten beide in kritischen Essays, Zeitungsartikeln, Ausätzen und Büchern ihre Ansichten. Dabei leistete Jaspers einen erheblich umfangreicheren Beitrag.

Aus der Ferne hätte ihnen ein kritischer Blick auf Deutschland einfach sein sollen, doch vor Irrtümern schienen sie dennoch nicht gefeit, wie später noch zu sehen sein wird. Die Ansichten der beiden zu allen drei Ländern sollen in der Arbeit nicht vertieft werden, obgleich am Anfang ein kurzer Einblick in den Briefwechsel zwischen Arendt und Jaspers gegeben wird[5]. Allerdings ist er vermehrt auf das persönliche Verhältnis beider zueinander ausgerichtet (Punkt 3).

Anschließend folgt eine Vorstellung von Jaspers Verhältnis zur Politik und seiner Vorstellung von `politischer Freiheit´ und der `Freiheit des Geistes´. Insbesondere der letztere Abschnitt soll seine Ansichten verdeutlichen und klar hervorheben, was er unter dem Begriff `politische Freiheit´ verstand, die er im Zusammenhang mit `Freiheit statt Wiedervereinigung´ immer wieder als absolute Priorität nannte (Punkt 4 und 4.1). Daran schließt sich der Abschnitt „Karl Jaspers und das Thema `Wiedervereinigung´“ selbst an (Punkt 4.2). Es folgen drei Punkte die besonders bemerkenswert erscheinen, weil sie richtungsweisend von ihm diskutiert und öffentlich ausgesprochen worden sind, was in der liberaleren Presse seit Anfang der 1960er Jahre zu lesen war, sich aber die westdeutschen Politiker nicht öffentlich eingestehen wollten: Freiheit statt Wiedervereinigung (Punkt 4.3), die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze (Punkt 4.4) und die Preisgabe Berlins als künftige Hauptstadt eines vereinigten Deutschlands (Punkt 4.5).

Am Schluss der Arbeit wird die Frage stehen, inwieweit Jaspers mit seinen Ansichten und Forderungen Recht behalten hat, oder ob er unrealistische Szenarien entwickelte, die vor allem für Adenauer unmöglich umzusetzen gewesen wären. War Jaspers ein unfehlbarer politischer Beobachter? Wie realistisch schätzte er die Gesamtsituation Deutschlands ein? Zunächst möchte sich die Arbeit mit einem genaueren Blick auf das Verhältnis beider anhand des Briefwechsels richten.

2. Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Karl Jaspers

1926, als 20jährige Philosophie-Studentin, wandte sich Arendt das erste Mal schriftlich an Jaspers. Sie machte von seinem Angebot Gebrauch, sich schriftlich mit Fragen zum Inhalt des Seminars[6] an ihn zu wenden. Bis zu ihrer Flucht nach Paris, ihrer Emigration in die USA und der Wiederaufnahme des Kontaktes zwischen beiden im Herbst 1945 sind gerade 29 Briefe erhalten, die sich vorrangig mit ihrer Dissertation Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation beschäftigte. Bereits zu der Zeit begannen beide die Werke des Anderen kritisch zu lesen und zu korrigieren. Da Jaspers ihr Professor war, war das nichts Ungewöhnliches. Aber er forderte nicht einfach ihre Zustimmung, weil er auf Grund seiner bisherigen Leistungen und als Professor eine Autorität war, sondern er „möchte (...) versuchen, Ihnen den Sinn meiner Sätze zu interpretieren in der Hoffnung, wenn nicht jetzt, so in einem kommenden Gespräch doch noch Ihre Zustimmung zu gewinnen“ (23). Ebenso schickte Arendt an Jaspers Bemerkungen, „zu denen ich nicht ganz ja sagen konnte“ (19).

Zwischen 1938 und 1945 bricht der Kontakt völlig ab. Arendt war sich aber immer sicher, dass sie mit Jaspers nach dem Ende des Nationalsozialismus wieder in Kontakt kommen würde. In einem Gespräch 1933 hatte Jaspers sie von seinen sachlichen Argumenten nicht überzeugen können (34). Es ist anzunehmen, dass in diesen Gesprächen Arendts Emigrationspläne erörtert wurden, von denen Jaspers später sagte: „Die Emigration wird die Dummheit ihres Lebens sein. Was nun ist wird vergehen, wie es über uns gekommen ist wie ein schlechter Spuk.“[7]. „Aber“, erklärte sie weiter, „Sie haben mich menschlich und persönlich in einem solchen Ausmaße überzeugt, daß ich Ihrer lange Jahre hindurch gleichsam sicherer war als meiner selbst. Ich habe dann nie geschrieben, weil ich immer Angst hatte, sie zu gefährden“ (34). Und an ihren langjährigen Freund Kurt Blumenfeld schrieb sie im Januar 1946: „Die Tatsache Jaspers kam nicht unerwartet; ich hatte heimlich immer damit gerechnet, obwohl ich ihm seit 1933 nicht ein einziges Mal geschrieben habe. Vertrauen ist kein leerer Wahn und schließlich das einzige, was verhindern kann, daß die private Welt auch noch zur Hölle wird.“[8] Jaspers blieb in Gedanken stets ihr Zuhause, ihr einziger Anlaufpunkt in Europa, an den sie sich in der Zeit der Emigration klammerte. So war es nicht übertrieben, als sie Jaspers und Basel „wieder (...) das europäische Zuhause“ (169) nennt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kümmerte sich Arendt um Familie Jaspers, indem sie Jaspers selbst und dessen Ehefrau, Gertrud Jaspers, mit monatlichen Care-Paketen versorgte. Mit Jaspers besprach sie in den mitgeschickten Briefen die Lage der Welt, mit Gertrud Jaspers die geschäftlichen Dinge, mit denen sie ihren ehemaligen Lehrer nicht belasten wollte. So wurde Karl Jaspers Ehefrau sehr früh in diese Freundschaft eingebunden, während Heinrich Blücher, mit dem Arendt seit 1940 verheiratet war, vorrangig durch Arendts Erzählungen bei den Besuchen in Basel und immer wieder in den Briefen präsent war. Diese Besuche in Basel, die ab 1950 in unregelmäßigen Abständen, doch immer bei einem ihrer Aufenthalte in Europa, statt fanden, waren für Arendt und Jaspers stets Erneuerung und Vertiefung der Freundschaft. In dieser Zeit führten sie stundenlang und über mehrere Tage hinweg Gespräche unter vier Augen, die beide immer wieder beglückten und sowohl philosophisch als auch politisch forderten. 1952 schrieb Arendt schwärmend an Kurt Blumenfeld: „Hier ist es herrlichst. Jaspers im Nebenzimmer ganz lebendig und immer zu Gesprächen aufgelegt. Mich immer ungeheuer freundlich und freundschaftlich, in wahrer Solidarität, kritisierend. Das vorige Mal, als ich zehn Tage bei ihm in Basel war, hatten wir durch die zehn Tage hindurch ein einziges Gespräch. Das gibt es auf der Welt nur einmal: diese himmlische Offenheit und Helle (...) Und ich natürlich trotz allem einfach glücklich, daß er so im großen ganzen doch sehr zufrieden mit mir ist, weil das wie eine Erfüllung von Kinderträumen ist.“[9]

Beide, Arendt und Jaspers, freuten sich über diese Zusammenkünfte gleichermaßen: „Ich bin so glücklich, daß es Ihnen recht ist, wenn wir uns wieder ein bißchen in die Haare geraten“ (Arendt an Jaspers, 169).

Jaspers gegenüber blieb Arendt immer freundlich-freundschaftlich, voller Respekt, lobend, kritisch. Ihm gegenüber gestand sie offen, welche Rolle er in ihrem Leben einnimmt: „In das Glück einer Zusammengehörigkeit mischt sich die Erfüllung des Kinderwunsches, Sie nicht zu enttäuschen; Sie sind eben der größte Erzieher aller Zeiten, lachen Sie nicht, es stimmt.“ (69). Arendt kam noch einmal auf seine Bedeutung für sie in einem Gratulationsschreiben zu seinem 70. Geburtstag zurück: „Ich will Ihnen danken für die siebzig Jahre Ihres Lebens (...), für die frühen Jahre in Heidelberg, als Sie der Erzieher waren, der Einzige, den ich je habe anerkennen können (...)“ (140). Als Arendt ihm dies 1948 offenbarte, war der Ton der Briefe schon freundschaftlicher geworden. Er grüßte sie mit „Liebe Hannah“ oder „Liebe verehrte Hannah“, sie stets „Lieber Verehrtester“. Bis zu seinem Tod behielt sie diese Anrede bei, schrieb Jaspers nie mit seinem Vornamen an. (Sie wollte ihn nicht einmal bei einem gemeinsamen geplanten Radio-Interview bei seinem Vornamen nennen, wovon Jaspers ganz begeistert war.[10] )

[...]


[1] Young-Bruehl: Hannah Arendt, S. 291.

[2] aaO, S. 109.

[3] aaO, S. 110.

[4] ebd.

[5] Die Zahlen in den Klammern verweisen auf den jeweiligen Brief in der von mir benutzten Ausgabe.

[6] Sie besuchte das Seminar „Schelling, besonders seine Philosophie der Mythologie und Offenbarung“.

[7] Kusenberg: Selbstzeugnisse, S. 44.

[8] Nordmann; Pilling: Korrespondenz, S. 36f.

[9] aaO, S. 61f.

[10] Vgl. (316).

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Karl Jaspers von 1926-1969. Jaspers Anmerkungen über die Wiedervereinigung Deutschlands
Hochschule
Technische Universität Dresden
Veranstaltung
Totalitarismus, Freiheit, Religion und Souveränität: Hannah Arendt im 21. Jahrhundert
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V70785
ISBN (eBook)
9783638619592
ISBN (Buch)
9783656068099
Dateigröße
1569 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Briefwechsel, Karl, Berücksichtigung, Anmerkungen, Wiedervereinigung, Totalitarismus, Freiheit, Religion, Souveränität, Jahrhundert, Jaspers, Hannah, Arendt, Deutschland
Arbeit zitieren
Melanie List (Autor:in), 2007, Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Karl Jaspers von 1926-1969. Jaspers Anmerkungen über die Wiedervereinigung Deutschlands, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70785

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