Für seriöse Historiker gehören contrafaktische oder unzureichend begründete, mutmaßende Äußerungen und Überlegungen, Vergangenes betreffend, nicht in ihren Aufmerksamkeits-und Aufgabenbereich. Es zählen Belege, Tatsachen oder zumindest wahrscheinliche Annahmen. Nun kann es vorkommen, dass Beweise, also Quellen, von verschiedenen Historikern unterschiedlich in ihrer Aussagekraft und Verfassungsintention bewertet werden und somit zu anderen Schlüssen des Gesamtkontextes, in welchem sie stehen, führen. Was für den einen Historiker eine realitätsnahe, überaus wahrscheinliche Annahme darstellt, ist für den anderen nichts Weiteres als eine unwahrscheinliche Denkmöglichkeit. Lebhafte Diskussionen, Streit und sich über Jahre hinziehende und in vielen Büchern und Aufsätzen widerspiegelnde Kontroversen können die Folge sein. Das Reichskonkordat von 1933 zwischen Hitlerdeutschland und dem Heiligen Stuhl in Rom bietet Punkte für so einen Streit. Die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieses Vertrages wird schon seit über 50 Jahren kontrovers diskutiert, und obwohl das Reichskonkordat zu den am besten erforschten Vertragswerken der neueren Geschichte gehört, gehen die Meinungen in Einzelpunkten bis heute auseinander. Da der Versuch, alle Diskussionen der letzten 50 Jahre darzustellen, in dem Rahmen der Arbeit scheitern muss, wird sich der Fokus auf eine Teilkontroverse richten. Die vorliegende Untersuchung möchte sich mit einem möglichen Kausalzusammenhang zwischen dem „Ja“ des Zentrums zu Hitlers Ermächtigungsgesetz 1 (23. März 1933), der Fuldaer Bischofskonferenz (28. März 1933) und dem Reichskonkordat (20. Juli 1933) bzw. dessen Realisierungsaussicht beschäftigen. Inwieweit und ob die Ereignisse dieser drei Daten in einem Kausalnexus stehen, ist in der Wissenschaft heftig umstritten (worden) und als Repgen-Scholder-Kontroverse 2 in selbige eingegangen. Nach dem Tode Klaus Scholders im Jahre 1985 scheint die Diskussion verlaufen zu sein. Die erschienende Literatur zum Thema nimmt spürbar ab. Bis heute liegt eine umfassende Übersicht über die Geschichte der Kontroverse nicht vor. 3 Es leitet sich also die Frage nach der heutigen Bewertung der Junktimkontroverse ab. Wurde sie aufgelöst oder ist sie schlicht im Sande verlaufen? Zu welchem Ergebnis kommen Literatur und Forschung bei der Evaluierung des Hauptstreitpunktes heute? [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Absichten Hitlers
- Die Junktimkontroverse
- Das Entstehen der Kontroverse
- Die Kontroverse bis 1977
- Scholders Argumentation
- Repgens Argumentation
- Der Kaas-Brief
- Der weitere Werdegang der Kontroverse bis in die Gegenwart
- Schlussbetrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit analysiert die Repgen-Scholder-Kontroverse, eine wissenschaftliche Debatte über die Entstehung und Bedeutung des Reichskonkordats von 1933. Sie untersucht den hypothetischen Kausalnexus zwischen dem „Ja“ des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz, der Fuldaer Bischofskonferenz und dem Reichskonkordat, sowie die Entwicklung der Kontroverse bis in die Gegenwart.
- Die Intentionen Hitlers gegenüber dem politischen Katholizismus und der Zentrumspartei
- Die Genese der Kontroverse, die verschiedenen Argumente von Scholder und Repgen
- Der Kaas-Brief und seine Rolle in der Debatte
- Die Entwicklung der Kontroverse bis in die Gegenwart und die Frage nach ihrer Auflösung oder Stilllegung
- Eine kritische Auseinandersetzung mit der Junktimthese
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Repgen-Scholder-Kontroverse als Beispiel für die unterschiedliche Bewertung von Quellen durch Historiker vor und erläutert das Thema der Hausarbeit. Sie fokussiert auf die Frage, ob ein Kausalnexus zwischen dem „Ja“ des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz, der Fuldaer Bischofskonferenz und dem Reichskonkordat besteht.
- Die Absichten Hitlers: Dieses Kapitel analysiert Hitlers politische Strategie gegenüber dem politischen Katholizismus und der Zentrumspartei. Es erklärt, warum Hitler die Zentrumspartei nicht mit Gewalt bekämpfen konnte und welche Rolle die Warnungen des deutschen Episkopats für seine Strategie spielten.
- Die Junktimkontroverse: Dieses Kapitel beschreibt die Entstehung der Kontroverse und ihre Entwicklung bis 1977. Es stellt die Argumentation von Scholder und Repgen vor und beleuchtet die Rolle des Kaas-Briefs in der Debatte.
Schlüsselwörter
Reichskonkordat, Repgen-Scholder-Kontroverse, Junktimthese, Zentrumspartei, Ermächtigungsgesetz, Fuldaer Bischofskonferenz, Kaas-Brief, Historiographie, Quellenkritik, Hitler, Nationalsozialismus, Katholizismus, Politische Theologie.
- Arbeit zitieren
- Daniel Sosna (Autor:in), 2006, Die Repgen-Scholder-Kontroverse um die Nazi-Kirchenpolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71096