Die Beziehungen zwischen Mann und Frau in Brants "Narrenschiff" (1494)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

37 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Sebastian Brant: Das Narrenschiff (1494)
1.1 Der Autor
1.2 Das Werk
1.3 Der soziohistorische Kontext
1.4 Die Zeitenwende im Verhältnis der Geschlechter

2 Die Darstellung der Geschlechter
2.1 Frauenbilder im Narrenschiff
2.1.1 Klerikale Misogynie
2.1.2 Venus als Sinnbild fleischlicher Lust
2.1.3 Penelope als Gegenpol zur Venus-Symbolik
2.2 Männerexempel im Narrenschiff
2.2.1 Asmodeus und Boas
2.3 Der verantwortungsbewusste Mensch

3 Das gesellschaftliche Miteinander
3.1 Der Sittenverfall in der beginnenden Bürgerlichkeit
3.1.1 Unzüchtige Kleidung
3.1.2 Irdische Vergnügungen
3.1.3 Vergänglichkeit
3.2 Die Rolle der Obrigkeit
3.3 Die Ehe
3.3.1 Sinn und Zweck der Ehe
3.3.2 Ehebruch
3.3.3 Ehe aufgrund materieller Interessen
3.4 Die Familie
3.4.1 Familiäre Hierarchie und Rollenverteilung
3.4.2 Kindererziehung

4 Zusammenfassung
4.1 Das Frauenbild bei Brant
4.2 Das Männerbild bei Brant
4.3 Die Beziehung zwischen Mann und Frau
4.4 Brants Sicht der Ehe

5 Schlussfolgerung

Anhang 01: Kapitelübersicht

Literaturliste

Einleitung

Die 1494 erschienene Moralsatire des humanistisch gebildeten Juristen Sebastian Brant veranschaulicht im Kontext der sieben Todsünden das Sündige der menschlichen Existenz und die damit verbundene Abwendung von einem gottgefälligen Leben. In 112 Kapiteln werden, in didaktischer Absicht, die verschiedenen Facetten von Narrheit an den Pranger gestellt, wobei die fehlende Selbsterkenntnis der Narren das größte Hindernis auf dem Weg zur Weisheit[1] ausmacht, so wie es Brant bereist in der Vorrede anklingen lässt : „Dann wer sich für einen narren acht/ Der ist bald zů eym wisen gmacht.[2]

Nachdem dieser Sünden- und Narrenkatalog die allermeisten Lebensbereiche beleuchtet, werden dabei auch die Geschlechter in ihren Eigenschaften als sexuelle Wesen, Eheleute und Eltern betrachtet, was wiederum Rückschlüsse auf aus Brants Sicht wünschenswerte und verwerfliche Beziehungen zwischen Mann und Frau und deren Rolle innerhalb der Gesellschaft zulässt.

Besonders interessant ist diese Darstellung der Geschlechter angesichts der Tatsache, dass sich gerade am Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit die Bedeutung von Ehe und Familie und auch die Stellung der Frau grundlegend verändern.

Die vorliegende Arbeit will deshalb versuchen, die Darstellung von Mann und Frau sowie Ehe und Familie in Brants Narrenschiff zu hinterfragen und vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen darzustellen. Die zentrale Frage wird dabei sein, nach welchen Regeln Ehe und Familie bei Brant organisiert sind und welche Aspekte überhaupt zur Illustration herangezogen werden.

1 Sebastian Brant: Das Narrenschiff (1494)

1.1 Der Autor

Der Humanist[3] Sebastian Brant wird 1457 oder 1458 in Strassburg geboren, wo er am 10.5.1521 auch stirbt. Ab 1475 studiert er Jura in Basel, wird1480 Bakkalaureus der Rechtswissenschaften und 1483 Lizentiat. Seitdem wirkt er als Lehrer für römisches und kanonisches Recht an der Universität Basel. 1489 promoviert er zum Dr. iur. utr.[4] und beginnt mit der Edition verschiedener kirchenrechtlicher Schriften.[5] 1496 wird Brant besoldeter Professor.

1501 kehrt er nach Strassburg zurück, wo er als Stadtschreiber (oberster städtischer Beamter), kaiserlicher Rat und Beisitzer des Reichskammergerichts tätig ist. Gleichzeitig nimmt er seine publizistische Tätigkeit auf, die nicht nur eigene Werke umfasst, sondern auch die Herausgeberschaft grundlegender Werke nicht nur seiner Zeitgenossen[6], darunter zwei heute noch bedeutende Rechtsbücher.[7]

1.2 Das Werk

Zur Fastnacht (!) 1494 veröffentlicht er sein Narrenschiff, eine gereimte Moralsatire, in der 111 (!) Narren menschliche Torheiten und Laster durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch verkörpern Das Narrenschiff steht damit am Beginn der seit dem 16. Jahrhundert populären Narrenliteratur und verfolgt und einen klaren pädagogisch-didaktischen Anspruch, der bereits im Vorwort expliziert wird, denn dort heißt es: »Zu nutz vnd heylsamer ler / vermanung vnd ervolgung der wyßheit / vernunfft vnd guter sytten: Ouch zu verachtung und straff der narheyt / blintheyt yrrsal und dorheit / aller ståt / vnd geschlecht der menschen: mit besunderem flyß ernst und arbeyt / gesamlet zů Basell: durch Sebastianum Brant. in beyden rechten doctor.«

Das Narrenschiff besteht aus paarweise gereimten Versen, die in 112 Kapiteln jeweils ein Laster darstellen. Jedem Kapitel ist ein Holzschnitt zugeordnet, der den Inhalt illustriert und mit einem Dreizeiler untertitelt ist, der sich sowohl auf die Illustration als auch auf den Text bezieht und damit eine verbindende Funktion zwischen Text und Bild hat. Auf diese Weise werden die Botschaften in didaktische Einheiten verpackt, die anhand der Illustrationen für jedermann leicht verständlich und identifizierbar sind.

Brants Narren sind ausnahmslos Menschen (Männer wie Frauen, zuweilen auch Kinder), die sich zu sehr den irdischen Freuden und materiellen Wichtigkeiten zuwenden und deshalb, durch ein zu wenig gottgefälliges Leben, ihr Seelenheil verscherzen.

Grundlage dieser Darstellung ist die Überzeugung, dass es sieben Charaktereigenschaften[8] gibt, die, gibt man ihnen nach, zu echten Sünden führen. Deshalb gehört zu einem gottgefälligen und damit Seelenheil versprechenden Leben in jedem Fall auch die Abkehr von den Sünde verheißenden Eigenschaften des Hochmuts (superbia), des Geizes (avaritia), des Neids (invidia), des Zorns (ira), der Wollust (luxuria), der Völlerei (gula) und der Trägheit (acedia).

Tut der Mensch dies nicht, sondern zieht die vergänglichen irdischen Genüsse und Werte den ewigen (himmlischen) vor, dann handelt er wider besseres Wissen und ist deshalb ein Narr zu nennen, den es, und genau dies tut Brant in seinem Narrenschiff, anzuprangern und bloßzustellen gilt.

Zu diesem Zweck bedient sich Brant einer sehr wirkungsvollen und sich wechselseitig ergänzenden Kombination von Bild und Text, die nicht zuletzt dafür sorgt, dass die Botschaften seines Narrenschiffs von allen Bevölkerungsschichten rezipiert werden können. Während die gereimten Texte oft sämtliche Sprachebenen umspannen und durch volkstümliche, zum Teil sogar derbe Ausdrücke, Gemeinplätze, Sprichwörter und Redewendungen sowie das Zitieren von Figuren und Geschichten aus der Bibel oder der antiken Mythologie alle nur denkbaren Leseransprüche bedient, dienen die illustrierenden Holzschnitte, die in aller Regel in einem direkten Bezug zu den ihnen zugeordneten Versen stehen, nicht zuletzt auch der Übermittlung der Botschaften an Analphabeten.

Das allseits bekannte und weithin sichtbare äußere Zeichen der Narrheit ist die vor allem die vom Hof- und Fasnachtsnarren übernommene Narrenkappe, die sich quasi leitmotivisch durch fast alle Holzschnitte zieht. Hinzu kommen weitere äußerliche Narrenzeichen wie Schellen, Marotte[9] oder Spiegel. So ausgestattet, sind die Narren im Narrenschiff (der Umkehrung des Kirchenschiffs) versammelt, das sie vom festen Boden eines gottgefälligen Lebens hinwegführt in die Verderbnis ihrer Narrheit - ad Narragoniam.

1.3 Der soziohistorische Kontext

Das Narrenschiff entsteht in der Frühen Renaissance, nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken (1453) und die daraus resultierende Flucht griechischer Gelehrter nach Italien. Es ist auch die Zeit der ersten Entdeckung Amerikas und die Zeit Luthers und der Reformation. In diesem Kontext der Veränderung von bis dahin gültigen Weltbildern wird die didaktische Literatur zur wichtigsten literarischen Strömung, wobei gleichzeitig eine allgemeine Zunahme der Schriftlichkeit zu beobachten ist. Auf diese Weise lässt sich der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit charakterisieren als die Zeit, in der sich die mittelalterlichen Denkmuster mit reformatorischem und humanistischem Gedankengut vermischen.

Betrachtet man dazu noch den soziologischen Kontext, in der diese neue Schriftlichkeit entsteht, präsentiert sich die Stadt der Frühen Neuzeit (15./16. Jahrhundert) aus juristischer Sicht als eine Ansiedlung, die Stadtrecht besitzt. Daraus lässt sich allerdings keine Homogeneität ihrer Bewohner ableiten, denn städtisch heißt nicht automatisch bürgerlich; die Stadt besteht aus einer sehr heterogenen Gesellschaft aus verschiedenen Ständen, verschiedenen Einkommensschichten und von verschiedener sozialer Akzeptanz und weist keine verbindende Rechts-, Interessen- oder Wertelage auf. Trotzdem machen sich erste bürgerliche Ansätze bemerkbar, die aufgrund von allgemeinen Bedürfnissen entstehen, die sich aus dem Zusammenleben vieler Menschen ergeben. Für die Erfüllung dieser Bedürfnisse muss die Dachinstanz, die Stadt also, Sorge tragen; es entstehen nicht nur Regeln und Gesetze, sondern auch Instanzen, die auf die Einhaltung dieser Regeln und Gesetze achten. Innerhalb der Gesellschaft entsteht auf diese Weise ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit, gepaart mit dem Bedürfnis nach Rechtsgleichheit und ein Grundbedürfnis nach Ordnung.

Gleichzeitig entwickeln sich neue soziale Prestige- und Wertevorstellungen, die denen des Mittelalters entgegenstehen und die „neue Zeit“ reflektieren. Die wichtigsten dieser neuen Werte sind Sparsamkeit und Bescheidenheit. Gewann der Adlige in früheren Zeiten sein Prestige noch durch einen möglichst verschwenderischen Lebenswandel, so sind jetzt diejenigen angesehen, die mit ihren Mitteln haushalten und langfristig planen und investieren. Nicht zuletzt dadurch erklärt sich auch die Ausweitung der Schriftlichkeit.

Unterschiede in den finanziellen Möglichkeiten sollen nicht mehr offen zur Schau getragen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes „verschleiert“ werden, denn es bilden sich ebenso mannigfaltige Kleiderordnungen heraus, die die gesellschaftliche Stellung jedes einzelnen festlegen, ohne dass deshalb aber Reichtum prunkvoll zur Schau gestellt wird.

Doch der Begriff der Bescheidenheit geht weit über diese äußerlichen Zeichen hinaus, denn „Bescheidenheit“ meint ein umfassendes Verständnis der Welt und damit auch das Wissen um das richtige Verhalten darin, angefangen von den ethisch-moralischen Verhaltensregeln bis hin zum Kleiderkodex.[10]

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Stadt der Frühen Neuzeit als eine sehr heterogene Ansammlung von vielen verschiedenen Menschen vieler unterschiedlicher gesellschaftlicher Zugehörigkeiten darstellt, die sich der Herausforderung gegenübersieht, diese Zusammenleben für alle befriedigend zu reglementieren. Gleichzeitig weckt der beginnende Einfluss der Renaissance neue Bedürfnisse nach Lebensfreude und Lebensgenuss, die den traditionellen christlichen und den sich daran anschließenden puritanischen Wertvorstellungen entgegenstehen. Dieser Entwicklung, die sich in vielen Aspekten des täglichen Lebens in einen mehr oder weniger deutlichen Verfall der Sitten und Traditionen bemerkbar macht, steht Sebastian Brant sehr ablehnend gegenüber; er appelliert an Vernunft und Einsicht seiner Zeitgenossen und hat dabei nicht nur seine Geschlechtsgenossen im Auge, sondern in gleichem Maße auch die Frauen, denn auch das Verhältnis der Geschlechter ist einem Wandel unterworfen, und so gibt es Gleichberechtigung in diesem Sinne bereits in der Vorrede des Narrenschiffs, denn nicht nur Männer sind Narren, sondern es gibt auch viele Närrinnen, und sogar Mädchen mit Narrenröcken!

1.4 Die Zeitenwende im Verhältnis der Geschlechter

Hatte sich die Ehe im Mittelalter noch vorrangig und ständeübergreifend an wirtschaftlichen Interessen orientiert, wandelt sie sich seit der Reformation zu einem Modell des Zusammenlebens auf der Basis ehelicher Liebe, und die Frau, mittelalterliches Subjekt minderen Rechts (munt: immer der Vormundschaft des Ehemannes oder ihres ältesten männlichen Verwandten unterworfen), entwickelt sich allmählich zu einer vollwertigen gesellschaftlichen Größe. Brants Narrrenschiff kann in diesem Sinne als Symptom einer neu aufkommenden bürgerlichen Mentalität gelten, deren prosaischen Haltung in Bezug auf Liebe und Ehe sich in den 112 Kapiteln vielfach widerspiegeln. Das Ende des Mittelalters und der Minne bedeutet grundsätzlich eine Aufwertung der Ehe, und das Modell der höfischen Minne wandelt sich unter dem Einfluss Luthers und der Reformation in das Modell der ehelichen Liebe. Brant erkennt, wie im Folgenden zu sehen sein wird, den grundsätzlichen Wert der Ehe als Stützpfeiler der Gesellschaft und als Kanalisationspunkt des Eros. Zwar findet sich im Narrenschiff keine spezifische Themenbehandlung der Bereiche Liebe, Ehe oder Familie, trotzdem behandeln 16 von 112 Kapiteln diesen Themenbereich Thema, weitere 13 Kapitel enthalten Äußerungen dazu (vgl. die Kapitelübersicht in Anhang 01). Diese Kapitel sollen in der vorliegenden Arbeit im Zentrum des Interesses stehen und Antwort geben auf die Frage, wie sich Ehe und Familie im Narrenschiff im Einzelnen darstellen und wie die Beziehungen zwischen Mann und Frau konkret definiert sind.

Den aktuellen Forschungsstand zu dieser Thematik fasst der (leider etwas kurze) Aufsatz von Barbara Lafond zusammen, der sich mit dem Konzept von Liebe und Ehe beschäftigt, wobei auch sie in ihrer Einleitung feststellt, dass diese Fragestellung in der Forschungsliteratur kaum untersucht worden ist[11] ; daran hat sich auch seit dem Straßburger Kolloquium von 1994 nichts geändert.

Mit einem hauptsächlich geistesgeschichtlichen Ansatz, unter Berücksichtigung phänomenologischer (die durchgehende Antinomie Narrheit-Weisheit) und soziologischer Zusammenhänge (die Wechselbeziehung zwischen dem Narrenschiff und der zeitgenössischen Rezeption), betrachtet sie Brants Liebes- und Ehekonzept vor dem Hintergrund von Spätmittelalter, Frühhumanismus und Renaissance und kommt zu dem Schluss, dass Brant durch seinen Moralrigorismus als ein Vertreter der mittelalterlichen ordo mundi gesehen werden kann, der sich zwar durch seine Appelle an die Vernunft der Aufwertung der Ehe durch den Frühhumanismus nahekommt, die Ehe selbst aber als moralische Festung im Kampf gegen den Sittenverfall und für das Seelenheil begreift.

Welche Rolle dabei die Geschlechter spielen, soll im Folgenden genauer untersucht werden. Dazu werden zunächst die relevanten Bilder von Mann und Frau und ihres gesellschaftlichen Miteinanders aus den einzelnen Kapitel herausgefiltert, wobei zu berücksichtigen sein wird, dass zwar viele, aber bei weitem nicht alle Aspekte des gemeinsamen Lebens angesprochen werden. Umgekehrt lassen jedoch einige grundlegende Aussagen auch Rückschlüsse auf nicht explizit behandelte Bereiche zu. Auf Basis der auf diese Weise erzielten Ergebnisse wird dann versucht, ein möglichst detailliertes Bild der Beziehungen zwischen den Geschlechtern im gesellschaftlichen Kontext zu entwerfen und Brants Ehe- und Familienideal herauszustellen.

2 Die Darstellung der Geschlechter

2.1 Frauenbilder im Narrenschiff

2.1.1 Klerikale Misogynie

Die misogyne Interpretation des Sündenfalles ist im Mittelalter, und dort vor allem in den klerikalen Kreisen, sehr weit verbreitet und begründet die Minderwertigkeit der Frau. Erstes Indiz für deren Zweitrangigkeit ist die (biblische) Tatsache, dass sie aus Adams Rippe erschaffen wurde. Des weiteren spricht die Verführung Adams durch Eva der Frau eine Unglück bringende Wirkung zu, die mit der allgemeinen These, Frauen seien sexuell gierige Wesen und provozierten die männliche Sexualität und damit die Sünde (solange sich diese Sexualität außerhalb der Ehe abspielt), im Einklang steht. Daneben gelten Frauen als ungehorsam (Eva hat sich Gottes Gebot widersetzt) und als für die Versuchungen des Teufels empfänglich (Eva hört auf die Schlange). Es ergibt sich daraus ein Frauenbild, das die Frauen als minderwertig und gefährlich darstellt, wobei sich der Mann gleichzeitig in einer potentiellen Opferrolle befindet.

Zwar wiederholt sich dieses Frauenbild auch bei Brant in der Gestalt der bösen, wollüstigen, für den Mann gefährlichen Frau, doch gleichzeitig verlangt Brant, wie wir noch sehen werden, auch vom Mann deutlich mehr Eigenverantwortung, was ihn weniger anfällig für die Versuchungen machen soll. Das Bild der bösen Frau wird kontrastiert mit dem Bild der guten, ehrbaren Frau, die aber deutlich in der Minderheit ist.

Die Gegenüberstellung der beiden Frauentypen findet sich bereits in der Vorrede, in der nach der Darstellung der den Narrenrock tragenden metzen[12] die erber frowen[13] um Verzeihung gebeten werden mit der Versicherung, sie seien nicht gemeint. Darauf wird in dem eigens den bosen wibern[14] gewidmeten 64. Kapitel noch einmal Bezug genommen, denn auch hier nimmt er ausdrücklich die gůtten frowen[15] von seiner Kritik aus.

Bemerkenswert ist an der Vorrede in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass unzüchtiges Verhalten (vfzgeschnytten rœck) und fleischliche Lust (milchmerck[16] nit bedeck) von Anfang an thematisiert und mit animalischen Bildern und Attributen (grosser stier, wilden thier) belegt werden. Diese Verbindung von fleischlicher Lust und Tiermetaphorik findet sich u.a. auch im Holzschnitt zu Kapitel 50 (Von wollust) und in Kapitel 61 (Von dantzen)[17]. Damit gelten gerade die Sexualität (außerhalb der Ehe) und das damit verbundene (weibliche) Bewußtsein für den eigenen Körper als sündig und verwerflich, wie an anderen Textstellen noch genauer zu sehen sein wird.

[...]


[1] Dargestellt als Frau (Sapientia). Der entsprechende Holzschnitt wird sowohl für Kapitel 22 (Die ler der wisheit) als auch für Kapitel 112 (Der wis man) verwendet. Das dritte Kapitel, das der Weisheit gewidmet ist (Kapitel 107: Von lon der wisheit) zeigt im Holzschnitt die Zwei-Wege-Lehre.

[2] Zarncke, S. 3, Z. 41-42 (Textzitate werden, soweit nicht anders vermerkt, nach der Ausgabe von Friedrich Zarncke zitiert)

[3] Verwendete Ausgabe: Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Übertragen von H. A. Junghans, durchgesehen und mit Anmerkungen sowie einem Nachwort neu herausgegeben von Hans-Joachim Mähl. Stuttgart 1998 (=RUB 899). Der umfassendste und bis heute maßgebliche Kommentar zum Narrenschiff stammt von Friedrich Zarn>

[4] Doctor iuris utriusque: Doktor "beiderlei Rechte", i. e. „des weltlichen und des kirchlichen Rechts“. So nennt sich Brant auch im Vorwort zu seinem Narrenschiff ( in beyden rechten doctor)

[5] So beispielsweise die kirchenrechtliche Textausgabe des Decretum Gratiani ( Erster Teil des sechs Rechtsbücher umfassenden Corpus Iuris Canonici, 1493), die kirchenrechtliche Textausgabe der Dekretale n (Papstbriefe aus altkirchlicher Zeit, 1491) oder die kirchenrechtliche Textausgabe des Liber Sextu s (Dritter Teil des Corpus Iuris Canonici, 1499).

[6] Exemplarisch seien an dieser Stelle genannt: [Äsop, Steinhöwel, Heinrich] Esopi appologi sive mythologi: cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant (1501).

[7] [Ulrich Tengler] „Laijen Spiegel. von rechtmässigen ordnungen in Burgerlichen vnd peinlichen regimenten. mit allegation[en] vn[d] bewerungen auß geschribnen rechten vnnd gesatzen“ (1509) und [Konrad Heyden] Der Richterlich Clagspiegel (1436), das älteste Rechtsbuch, das römisch-rechtliche Inhalte in deutscher Sprache vermittelt und auch das älteste Kompendium römischen Rechts in deutscher Sprache. (1516).

[8] Diese sind allenthalben als Sieben Todsünden bekannt und seit dem Mittelalter in Literatur und Kunst präsent (vgl. dazu Hieronymus Bosch: Die sieben Todsünden). Der Jesuit Peter Binsfeld (1545-1598), Weihbischof von Trier und Hexentheoretiker, deutet den Lastern bestimmte Dämonen zu, so der superbia Luzifer, der avaritia Mammon, der invidia Leviathan, der ira Satan, der luxuria Asmodeus, der gula Belzebug und der acedia Belphegor. Diese Dämonen finden sich auch im Narrenschiff wieder, so wird z. B. Asmodeus mehrfach als Eheteufel dargestellt (vgl. Kap. 2.2.1).

[9] Eine auf einem Stab angebrachte Puppe, die der Narr im Spätmittelalter vor sich herträgt.

[10] Das bekannteste Werk hierzu stammt von dem Spruchdichter Freidank, der in seiner Sammlung Sprichwörter, Sinnsprüche und Selbstgedichtetes zusammengefasst hat, um die Komplexität dieses Begriffes zu illustrieren. Seine zwischen 1215 und 1230 entstandene “Bescheidenheit” setzt sich in 53 thematischen Abschnitten und ca. 4700 Versen mit den zeitgenössischen, also besonders den höfischen Normen der Zeit kritisch auseinander.

[11] Lafond, S. 61.

[12] S. 4, Z. 14.

[13] S. 4, Z. 123.

[14] Die “bösen Weiber” (zusammen mit “törichten Weibern”, “Kupplerinnen” und “Kindstötern”) erscheinen nochmals in Kapitel 98.

[15] S. 63, Z. 3.

[16] Der Ausdruck an sich reduziert die weiblichen Attribute auf ihre rein biologische Funktion. Erst das Nicht-Bedecken der Brüste durch (züchtige) Kleidung macht daraus ein Symbol fleischlicher Lust.

[17] Vgl. Lafond, S. 64.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Die Beziehungen zwischen Mann und Frau in Brants "Narrenschiff" (1494)
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Philologische Fakultät)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
37
Katalognummer
V71170
ISBN (eBook)
9783638628013
ISBN (Buch)
9783638675017
Dateigröße
572 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die 1494 erschienene Moralsatire Sebastian Brants veranschaulicht im Kontext der sieben Todsünden das Sündige der menschlichen Existenz und die damit verbundene Abwendung von einem gottgefälligen Leben. Ehe und Familie spielen dabei eine zentrale Rolle, diese Rolle wird in der vorliegenden Arbeit hinterfragt mit dem Ziel, die Beziehung zwischen Mann und Frau vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen darzustellen.
Schlagworte
Beziehungen, Mann, Frau, Brants, Narrenschiff, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Magister Artium Clarissa Höschel (Autor:in), 2004, Die Beziehungen zwischen Mann und Frau in Brants "Narrenschiff" (1494), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71170

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Beziehungen zwischen Mann und Frau in Brants "Narrenschiff" (1494)



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden