Am 22. November 2005 wurde die CDU-Vorsitzende Dr. Angela Merkel vom Deutschen Bundestag mit 397 von 611 gültigen Stimmen zur ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Der Wahl waren fast drei Monate Verhandlungen und Planspiele vorangegangen, denn sowohl die SPD wie auch die CDU/CSU beanspruchten für sich, als Sieger aus der Wahl hervorgegangen zu sein. Das Ergebnis des zähen Ringens, in dessen Verlauf die verschiedensten Koalitionsmodelle, von „Ampel“ bis „Jamaika“, teils mehrfach durchexerziert worden waren, war eine große Koalition; die zweite auf Bundesebene seit Gründung der Bundesrepublik, die erste im wiedervereinigten Deutschland und die erste mit einer Frau an der Spitze. „Das Wort hat die Frau Bundeskanzlerin“ hieß es folgerichtig am 30. November 2005 im Berliner Reichstagsgebäude, worauf die frisch vereidigte Angela Merkel ans Rednerpult trat, um, der Tradition folgend, im Rahmen einer Großen Regierungserklärung die Ziele und Pläne ihrer „Koalition der neuen Möglichkeiten“ zu erläutern.
Ein ganz anderes Bild hatte sich dem Plenum gut 40 Jahre zuvor, am 13. Dezember 1966, geboten. Auch damals stand ein frisch vereidigter Kanzler einer großen Koalition vor den Abgeordneten des Bundestages, um eine Große Regierungserklärung abzugeben. Auch damals hatte die Bundesrepublik mit einem, für die damalige Zeit, recht ansehnlichem Haushaltsdefizit zu kämpfen, auch damals war der gewählte Kanzler, Kurt Georg Kiesinger, Mitglied der CDU. Ort des Geschehens war allerdings nicht Berlin, sondern das rheinland-westfälische Bonn. Grund für die große Koalition waren nicht vorgezogene Neuwahlen, sondern der Ausritt der FDP aus der Koalition mit der CDU gewesen. Und auch eine Bezeichnung wie Merkels „Koalition der neuen Möglichkeiten“ wäre mehr als unpassend gewesen.
Die Rede von Bundeskanzlerin Merkel fand ein breites Medienecho, und nicht wenige Journalisten stürzten sich bei ihren Analysen auf den bereits angedeuteten und ja auch nahe liegenden Vergleich der Rede mit der Regierungserklärung von Willy Brandt aus dem Jahr 1969. Erstaunlich wenig Aufmerksamkeit hingegen widmeten die Medien dem Vergleich mit der Regierungserklärung Kiesingers, dem doch bis zu Frau Merkels Wahl einzigen Kanzlers einer großen Koalition in Deutschland. Das soll in dieser Arbeit nachgeholt werden.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Gegenstand der Analyse: Die Große Regierungserklärung
1.1 Gesetz und Tradition
1.2 Adressaten und Funktion großer Regierungserklärungen
2. Was vorher geschah – Die Rahmenbedingungen
3. Analyse und Vergleich der Reden
3.1 Die Regierungserklärung Kurt-Georg Kiesingers am 13. Dezember 1966
3.1.1 Einleitung, Schwerpunktsetzung, Stil
3.1.2 Wirtschaftspolitik
3.1.3 Außenpolitik / Deutschlandpolitik
3.1.4 Ende und Fazit
3.2 Die Regierungserklärung Angela Merkels am 30. November 2005
3.2.1 Einleitung, Schwerpunktsetzung, Stil
3.2.2 Wirtschafts- und Sozialpolitik
3.2.3 Europapolitik
3.2.4 Außen- und Sicherheitspolitik
3.2.5 Ende und Fazit
3.3 Vergleich
4. Zusammenfassung und Fazit
Primärquellen:
Sekundärquellen / Literatur:
Einleitung
Es scheint üblich, Abhandlungen zu diesem Thema mit den Worten des Bundestagspräsidenten einzuleiten: „Das Wort hat der Herr Bundeskanzler“. So fängt Klaus Stüwe sein kürzlich erschienenes Buch „Die Rede des Kanzlers“ (Stüwe 2005: 15) an, so leitet auch Karl-Rudolf Korte seinen Aufsatz „Die Regierungserklärung: Visitenkarte und Führungsinstrument des Kanzlers“ (Korte 2002a: 12) ein. Für diese Arbeit ist diese Einleitung jedoch nicht passend: der „Herr Bundeskanzler“ ist nämlich eine Frau. Am 22. November 2005 wurde die CDU-Vorsitzende Dr. Angela Merkel vom Deutschen Bundestag mit 397 von 611 gültigen Stimmen zur ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Der Wahl waren fast drei Monate Verhandlungen und Planspiele vorangegangen, denn sowohl die SPD (34,2 Prozent) wie auch die CDU/CSU (zusammen: 35,2 Prozent) beanspruchten für sich, als Sieger aus der Wahl hervorgegangen zu sein und somit den bzw. die Bundeskanzler(in) stellen zur dürfen. Das Ergebnis des zähen Ringens, in dessen Verlauf die verschiedensten Koalitionsmodelle, von „Ampel“ bis „Jamaika“, teils mehrfach durchexerziert worden waren, war eine große Koalition; die zweite auf Bundesebene seit Gründung der Bundesrepublik, die erste im wiedervereinigten Deutschland. Und die erste mit einer Frau an der Spitze, was die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden übrigens später sogar dazu animierte, das Wort „Bundeskanzlerin“ zum „Wort des Jahres 2005“ zu küren, noch vor der Bild-Schlagzeile „Wir sind Papst“ (Steinhauer 2006).
„Das Wort hat die Frau Bundeskanzlerin“ hieß es folgerichtig schließlich am 30. November 2005 im Berliner Reichstagsgebäude, woraufhin die frisch vereidigte Bundeskanzlerin Angela Merkel ans Rednerpult trat, um, der Tradition folgend, im Rahmen einer Großen Regierungserklärung die Ziele und Pläne der großen Koalition zu skizzieren, der Frau Merkel den Namen „Koalition der neuen Möglichkeiten“ gegeben hatte.
Ein ganz anderes Bild hatte sich dem Plenum gut 40 Jahre zuvor, am 13. Dezember 1966, geboten. Auch damals stand ein frisch vereidigter Kanzler einer großen Koalition vor den Abgeordneten des Bundestages, um eine Große Regierungserklärung abzugeben. Auch damals hatte die Bundesrepublik mit einem, für die damalige Zeit, recht ansehnlichem Haushaltsdefizit zu kämpfen, auch damals war der gewählte Kanzler, Kurt Georg Kiesinger, Mitglied der CDU. Ort des Geschehens war allerdings 1966 nicht Berlin, sondern das rheinland-westfälische Bonn. Grund für die große Koalition waren nicht vorgezogene Neuwahlen, sondern der Ausritt der FDP aus der Koalition mit der CDU gewesen. Und auch eine Bezeichnung wie Merkels „Koalition der neuen Möglichkeiten“ wäre mehr als unpassend gewesen. Im Gegenteil, schon in den ersten Minuten seiner Rede machte Kanzler Kiesinger deutlich, dass es sich bei dieser Koalition um eine Koalition auf Zeit handele, eine Art befristete Zweckehe „bis zum Ende dieser Legislaturperiode“ (Kiesinger in: von Beyme 1979: 232).
Frau Merkel verkniff sich in ihrer Regierungserklärung solche Versprechen, obgleich wohl davon auszugehen ist, dass auch diese große Koalition nicht für die Ewigkeit gemacht ist. Auch scheint ihre stark appellativ ausgestaltete Rede in vielerlei Hinsicht der eher der Regierungserklärung von Willy Brandt aus dem Jahr 1969 zu ähneln (an die sie sich ja auch bewusst anlehnt) als den eher nüchternen Worten, mit denen Kurt Georg Kiesinger die Ziele der ersten großen Koalition dargelegt hatte. Nichts desto trotz finden sich in beiden Regierungserklärungen durchaus Parallelen, ja teilweise nahezu austauschbare Sätze, etwa zum Thema Haushaltsdefizit und Sozialstaat. Was nahe liegend ist, betrachtet man die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, unter denen beide Reden entstanden sind.
Die Rede von Bundeskanzlerin Merkel fand ein breites Medienecho, und nicht wenige Journalisten stürzten sich bei ihren Analysen auf den bereits angedeuteten und ja auch nahe liegenden Vergleich der Rede mit der Regierungserklärung von Willy Brandt aus dem Jahr 1969. Erstaunlich wenig Aufmerksamkeit hingegen widmeten die Medien dem Vergleich mit der Regierungserklärung Kiesingers, dem doch bis zu Frau Merkels Wahl einzigen Kanzler einer großen Koalition in Deutschland. Das soll in dieser Arbeit nachgeholt werden.
Zunächst wird dazu versucht werden, den Forschungsgegenstand „Große Regierungserklärung“ ein- und abzugrenzen sowie dessen Geschichte, Tradition und gesetzliche Grundlage darzulegen. Anschließend soll kurz die historische Ausgangssituation, damals und heute, skizziert und verglichen werden, bevor schließlich die beiden Großen Regierungserklärungen selber analysiert werden sollen.
Dass diese Analyse im Rahmen einer Hausarbeit nur selektiv und daher in gewisser Weise oberflächlich sein kann, sei vorweg gestellt. Das Entstehen der Rede selber sowie der umfassende Vergleich mit weiteren Großen Regierungserklärungen, wie sie durchaus denkbar wären und etwa von Klaus Stüwe im letzten Jahr vorgelegt wurden (vgl. Stüwe 2005), können leider nur am Rande Erwähnung finden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Auswahl an Literatur insbesondere zu Frau Merkels Rede aber auch zu Regierungserklärungen allgemein bis dato nur sehr dünn ist. Nichts desto trotz soll der Versuch gewagt werden, eine in sich schlüssige und angemessene Analyse beider Reden zu formulieren.
1. Gegenstand der Analyse: Die Große Regierungserklärung
1.1 Gesetz und Tradition
Zunächst einmal sei klargestellt, worum es in dieser Arbeit überhaupt gehen soll: nämlich um die so genannten „Großen Regierungserklärungen“, also jene Reden, die der Regierungschef, in diesem Fall also Kanzler Kiesinger und Kanzlerin Merkel, zu Beginn ihrer Amtszeit abgegeben haben. Dies deshalb vorweg, da die Bezeichnung „Regierungserklärung“ ansonsten ein durchaus weitläufiger, ja fast schwammiger Begriff ist: So ist es etwa üblich, im Rahmen der jährlichen Haushaltsberatungen eine Art Resümee zur politischen Lage und zur Regierungsarbeit abzugeben, in den Jahren 1968 bis 1990 gab es zudem einen „Bericht über die Lage der Nation im geteilten Deutschland“ (vgl. Stüwe 2005: 21), hinzu kommen aktuelle nationale oder internationale Ereignisse, die eine Regierungserklärungen auf die Tagesordnung des Bundestages bringen können. Helmut Kohl etwa ist mit 49 Regierungserklärungen, die er während der zehnten Legislaturperiode des Bundestages in den Jahren 1983 bis 1987 hielt, unangefochtener Rekordhalter. Die wenigsten Regierungserklärungen, nämlich nur acht, hingegen gab bislang Konrad Adenauer in seiner dritten Wahlperiode (1957 bis 1961) ab (vgl. Lehmacher 2005).
Interessanterweise gibt es in Deutschland kein Gesetz, dass eine Regierungserklärung explizit vorschreibt, nicht einmal zum Amtsantritt eines neuen Bundeskanzlers/in. Das ist ungewöhnlich und in vielen anderen Staaten Westeuropas anders. Die polnische Verfassung etwa sieht eine Regierungserklärung zwingend vor. Sie muss spätestens 14 Tagen nach der Ernennung des neuen Ministerpräsidenten erfolgen. Ähnlich sieht es in Portugal aus, nur hat der Premierminister hier nur zehn Tage Zeit, bis er dem Parlament sein Programm vorstellen muss. In Frankreich und Spanien ist die Regierungserklärung nicht zwingend vorgeschrieben, das Recht des Regierungschefs, sie dennoch abzugeben, ist jedoch zumindest explizit in der Verfassung verbrieft (vgl. von Beyme 1979: 8f.; Stüwe 2005: 25).
Anders in Deutschland: hier wird die Regierungserklärung im Grundgesetz nicht einmal ausdrücklich erwähnt. Die Verfassung garantiert den Mitgliedern der Bundesregierung (und denen des Bundesrates sowie deren Beauftragen) lediglich das grundsätzliche Recht, vor dem Bundestag und seinen Ausschüssen zu sprechen (Artikel 43 (2)). Dennoch hat kein deutscher Regierungschef bislang darauf verzichtet, seine Amtszeit mit einer Großen Regierungserklärung zu beginnen, egal ob er erstmalig oder wieder-gewählt wurde. Verfassungsrechtlich wird diese besondere Wahrnehmung des Rederechtes vor allem mit Artikel 65 (1) des Grundgesetzes begründet, das dem Kanzler die Richtlinienkompetenz für die Regierungspolitik zuspricht. Aus Sicht des jeweiligen Regierungschefs dürfte dies aber nicht der ausschlaggebende Antrieb sein, die Pläne und Ziele vor dem Parlamentsplenum auszubreiten und auch aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist diese rein juristische Sichtweise etwas kurz gegriffen. So dürften neben der rein-technischen Möglichkeit weit mehr Faktoren ausschlaggebend sein.
Zunächst einmal findet wohl kaum eine andere Rede im Parlament ähnlich große Aufmerksamkeit und ein vergleichbares Medienecho wie die Große Regierungserklärung nach der Wahl eines Bundeskanzlers / einer Bundeskanzlerin. Selbst im Ausland interessiert man sich für den Auftakt der neuen Legislaturperiode, auch wenn die Außenpolitik in der Regel vergleichsweise am Rande Thema der Antrittsrede ist. Dennoch druckte etwa schon 1966 die US-amerikanische New York Times einen großen Teil der Rede Kiesingers in einer inoffiziellen Übersetzung (New York Times 1966). Die Große Regierungserklärung ist also eine hervorragende Gelegenheit, die Ziele der Regierung einem möglichst breiten Publikum zu präsentieren und zugleich das eigene Profil und das der jeweiligen Koalition zu schärfen. Kiesinger nutze seine Antrittsrede zudem, um noch einmal auf den temporären Charakter der Koalition hinzuweisen, wohingegen Merkel in ihrer Rede die Bevölkerung noch einmal explizit zum gemeinsamen Kraftakt aufforderte.
Zudem wäre es schlicht seltsam, würde ein Regierungschef seine Amtszeit nicht mit einer Rede zum politischen Selbstverständnis seiner Regierung einleiten. Insbesondere nach schwierigen Koalitionsverhandlungen, wie es ja in den im Rahmen dieser Arbeit behandelten beiden Fällen der Fall war, ist das Interesse nicht nur bei den Parlamentariern, sondern vor allem auch bei der Bevölkerung sowie im Ausland groß, die Ergebnisse dieser Koalitionsverhandlungen noch einmal auf den Punkt gebracht zu bekommen.
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