Zur Polemik Heinrich Heines in den Bädern von Lucca


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Begriffsklärung: Polemik und Satire
2.1. Zur Polemik
2.2. Zur Satire

3. Die Kontroverse um Die Bäder von Lucca
3.1. Die literarische Fehde I: Immermanns Xenien
3.2. Die literarische Fehde II: Von Platens Angriff auf Immermann und Heine
3.3. Die literarische Fehde III: Immermann gegen von Platen

4. Zur Polemik in den Bädern von Lucca
4.1. Zur Verortung der Platen-Attacke in den Bädern von Lucca
4.2. Analyse des elften Kapitels
4.2.1. Die ‚Selbstkommentare’ zu Absicht und Verfahren
4.2.2. Die Demontage des Dichters von Platen
4.2.3. Die gesellschaftliche Ebene
4.2.4. Das „Vogel-Strauß-Motiv“

5. Schlusswort

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Werk Die Bäder von Lucca von Heinrich Heine verdankt seinen Bekanntheitsgrad hauptsächlich dem literarischen Skandal, den es bei seinem Erscheinen auslöste. Grund dafür war die darin enthaltene Polemik gegen August von Platen. In dieser Arbeit sollen die polemischen und satirischen Stilelemente des Textes herausgestellt und gegeneinander abgegrenzt werden. Dabei soll sowohl eine moralische Rechtfertigung Heines als auch eine Verurteilung vermieden werden. Vielmehr ist das Thema dieser Arbeit eine Untersuchung der ästhetischen Verfahren, die Heine für seinen ‚Angriff’ verwendet sowie deren Subsumtion unter Polemik und Satire. Zur Erklärung vorangestellt ist dieser Analyse eine Abgrenzung der Begriffe ‚Polemik’ und Satire’ sowie eine Einordnung des Textes in seinen historischen Kontext.

2. Begriffsklärung: Polemik und Satire

Um polemische und satirische Elemente überhaupt untersuchen zu können, ist zunächst eine Begriffsklärung von Polemik sowie eine Abgrenzung vom Begriff der Satire als Arbeitsgrundlage nötig, die in diesem Kapitel erfolgt.[1]

2.1. Zur Polemik

Sigurd Paul Schleichl definiert Polemik als „aggressiv formulierte Texte oder Textteile, die Bestandteil eines meist personalisierten Streits sind.“[2] Das Etikett ‚polemisch’ ist also verschieden anwendbar. In einer aufsteigenden Reihenfolge bedeutet dies: Teile in einem nicht zwingend als polemisch zu bezeichnenden Text, ein Einzeltext und schließlich eine Folge von Streittexten mehrerer Akteure.

Polemik ist kein Gattungsbegriff, sondern ein rhetorischer. Interessanterweise wird Polemik in der klassischen griechischen und römischen Rhetorik – obwohl sie dort durchaus zu finden ist – nicht als Fachbegriff definiert und somit auch nicht mit Regeln belegt. Indirekt enthalten ist sie teilweise in Begriffen wie vituperatio (lat. für Tadel) und accusatio (lat. für Anklage).[3] Auch später scheint man sich „um eine wissenschaftliche Definition und um eine Abgrenzung polemischer Genres“[4] wenig bemüht zu haben. So existiert keine systematische Darstellung von Geschichte und Formen der Polemik in deutscher Sprache, und auch in anderen Sprachen ist die Situation ähnlich.[5] Dies erklärt wohl auch die außerordentliche Freiheit der Form bei literarischer Polemik.

Nichtsdestotrotz gibt es einige grundsätzliche Merkmale. Hierzu gehört, dass ein polemischer Angriff grundsätzlich ein persönlicher ist. Dennoch ist der Adressat hier nicht der jeweilige Gegner, sondern ein (anwesendes oder literarisches) Publikum, dem der Gegner vorgeführt werden soll. Ziel der Polemik ist es also nicht, den Gegner von der eigenen Position zu überzeugen, sondern vielmehr das Publikum zu „spontaner Exkommunikation“[6] des Gegners zu bewegen. Letztendlich ist das Ziel somit also doch der Gegner, der auf diese Weise öffentlich bloßgestellt, ja vernichtet werden soll. Um dies überhaupt zu wollen, muss das polemische Subjekt, das nicht zwangsläufig mit dem Autor identisch ist, das Recht uneingeschränkt auf seiner Seite sehen.

Trotz des bisher Genannten ist unbeherrschtes ‚Gekeife’ oder die Aneinanderreihung von Schimpfwörtern noch keine Polemik. Vielmehr sind auch hier – wie in allen rhetorischen Disziplinen - ein schlüssiger Aufbau und eine durchgängige Argumentationsstruktur notwendige Bedingung.

Weiterhin gibt es eine Reihe von Stilmitteln, die in polemischen Texten typischerweise Verwendung finden.[7] Dazu zählt die direkte Anrede des Publikums. Oft wird auch formal der Gegner adressiert, wobei dies eher auf ironische Weise geschieht, da er es ja nicht ist, der überzeugt werden soll. Um seinen Anspruch auf die ‚absolute Wahrheit’ zu untermauern, bedient sich der Polemiker gern der Berufung auf allgemein anerkannte Autoritäten. Ebenfalls typisch für einen polemischen Text sind abrupte Umschläge der Stilebenen, indem beispielsweise ein pathetischer Tonfall plötzlich ironisch gebrochen wird.

Um das erwähnte Ziel – die Bloßstellung des Gegners – zu erreichen, darf in der Polemik zu allen Mitteln gegriffen werden. So werden sowohl die eigene als auch die Gegenposition überspitzt formuliert. Hinzu kommen die Verwendung von Schimpfwörtern und Kraftausdrücken, Anspielungen auf körperliche Unzulänglichkeiten und die Verballhornung des Namens des Gegners sowie seine Bloßstellung mithilfe von Werkzitaten.

2.1. Zur Satire

Auch die Satire wird im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft als „Angriffsliteratur“[8] bezeichnet. Sie bezeichnet sowohl eine bis in die römische Antike zurückreichende Gattungstradition als auch eine gattungsübergreifende Schreibweise. [9] Kennzeichnend für die Satire als Schreibverfahren ist weniger ein bestimmter Stil als vielmehr die zugrunde liegende Geisteshaltung. Diese hat, so unterschiedlich sie im Einzelnen sein mag, immer einige grundlegende Merkmale: Die Normen des Satirikers kommen direkt oder indirekt zum Ausdruck und die vorgefundene Wirklichkeit wird immer als Mangel oder Missstand empfunden und deshalb kritisiert. Die Satire ist also im Gegensatz zur Polemik nicht als persönlicher Angriff gemeint, sondern zielt immer auf einen größeren gesellschaftlichen Rahmen. Besonders ersichtlich ist dieser Unterschied an der Darstellung realer Personen. Hierzu findet Schleichl die folgenden Worte:

Der Satiriker [gestaltet] die angegriffenen realen Personen wie literarische Figuren, hinter denen weniger die gemeinten Menschen wiedererkannt, als Typen durchschaut werden können, während die Polemik die betreffenden Personen direkt [angreift] und ihnen schaden [will].[10]

3. Die Kontroverse um Die Bäder von Lucca

Die Bäder von Lucca[11], insbesondere die beiden letzten Kapitel, sorgten bei ihrem Erscheinen für einen Eklat. Von einem „Schweinekonzert“[12] ist die Rede, Christian Liedtke spricht sogar von einem „Skandal [...], wie es ihn in der deutschen Literaturgeschichte noch nie zuvor gegeben hatte.“[13] Grund dafür sind zweifellos die Tabubrüche gegen die moralischen Normen seiner Gesellschaft, die Heine mit seinem Angriff gegen August von Platen begeht. Diese sorgen jedoch nicht nur beim damaligen Publikum für Entsetzen. Auch in der literaturwissenschaftlichen Rezeption finden sich noch sehr viel später Beispiele für eine moralische Verurteilung Heines. So schreibt Ernst Elster 1887, Heine habe sich „von allem Anstandsgefühl entblößt gezeigt“ und sein Angriff gegen von Platen wird „schlechthin als gemein“[14] verurteilt. Auch Erich Loewenthal spricht 1922 von einem „sehr unsauberen Angriff.“[15]
Eine andere Interpretationsrichtung versucht, Heines ‚Ungezogenheit’ mit teilweise fragwürdigen ‚psychologischen’ Erklärungen zu entschuldigen. So führt Max Kaufmann 1907 Heines Verhalten auf dessen „nervöse, neurasthenische Veranlagung“[16] zurück, die mit dem (aus heutiger Sicht ebenfalls nicht mehr vertretbaren) Argument seiner jüdischen Herkunft begründet wird. Hans Mayer schließlich sieht die Kontroverse zwischen Heine und von Platen als einen tragischen Zusammenprall zweier gesellschaftlicher Außenseiter. Heine habe sich – so seine Ausführungen – aus „jüdischem Selbsthass“ und damit verbundenem „Masochismus“[17] mit seinem Angreifer identifiziert.

Sämtliche Entschuldigungs- und Rechtfertigungsversuche dieser Art vernachlässigen jedoch einige wichtige Faktoren: Zum einen ist subjektive Betroffenheit kein geeignetes Werkzeug für eine literaturwissenschaftliche Untersuchung eines Textes, schon gar nicht, wenn dessen Entstehung mehr als 170 Jahre zurückliegt. Hierzu gehört vielmehr eine Einordnung in einen historischen Kontext. Außerdem wird hier ge- und verurteilt, ohne die grundsätzlich verschiedenen Ebenen Moral und Ästhetik zu trennen.

Aus diesen Gründen sollen im Rahmen dieser Arbeit auch die geschichtlichen Hintergründe berücksichtigt werden. Hierzu gehört vor allem die literarische Fehde, die zur Entstehung der Bäder von Lucca führt. Auf dieser Grundlage sollen die ästhetischen Verfahren, mit denen Heine seinen Angriff durchführt, beleuchtet werden.

3.1. Die literarische Fehde I: Immermanns Xenien

Heines Angriff auf von Platen in den Bädern von Lucca bildet den Höhepunkt eines literarischen Schlagabtausches zwischen Heinrich Heine und Karl Immermann auf der einen sowie August von Platen auf der anderen Seite. Das Thema der Debatte ist zunächst ein rein literaturästhetisches. Robert C. Holub fasst es folgendermaßen zusammen:

The entire conflict can be seen, in fact, as a controversy over appropriate aesthetic principles with a special emphasis on the suitability of adapting forms for contemporary praxis [...].[18]

Bei diesen Formen handelt es sich namentlich um die klassischen literarischen Modelle aus der griechischen Antike sowie um orientalische Versformen wie die Ghaselen, die Goethe mit seinem West-östlichen Divan populär gemacht hatte.

Den Beginn der Kontroverse bilden eine Reihe von Xenien, die Karl Immermann 1827 in Heines Nordsee 1826 (Dritte Abteilung)[19] veröffentlicht. Immermann, ein Freund Heines, beklagt sich hier in satirischer Weise über die ‚sklavische’ Nachahmung der orientalischen Versformen. Ein Beispiel:

[...]


[1] Die Begriffsklärung basiert auf dem Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hrsg. von Jan-Dirk

Müller. Berlin: de Gruyter 2003.

[2] Schleichl, Sigurd Paul: Polemik. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hrsg. von Jan-Dirk Müller. Bd. III P-Z. Berlin: de Gruyter 2003, S. 118.

[3] Ebd, S. 118.

[4] Schleichl: Polemik, S. 118.

[5] Vgl. ebd., S. 119.

[6] Ebd., S. 118.

[7] Vgl. ebd., S. 118f.

[8] Brummack, Jürgen: Satire. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hrsg. von Jan-Dirk Müller. Bd. III P-Z. Berlin: de Gruyter 2003 S. 355.

[9] Vgl. ebd., S. 355

[10] Schleichl: Polemik, S. 118.

[11] Heine, Heinrich: Die Bäder von Lucca. Bibliographisch ergänzte Auflage. Stuttgart: Reclam 1998.

[12] Zitiert nach: Liedtke, Christian: Heinrich Heine. 4. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2001, S. 82.

[13] Ebd., S. 82.

[14] Zitiert nach: Hermand, Jost: Mehr als ein Liberaler. Über Heinrich Heine. Frankfurt am Main: Lang 1991

(= Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 31), S. 45.

[15] Zitiert nach: Ebd., S. 45.

[16] Zitiert nach: Ebd., S. 46.

[17] Zitiert nach: Ebd., S. 46

[18] Holub, Robert C.: Heinrich Heine’s Reception of German Grecophilia. The Function and Application of the Hellenic Tradition in the First Half of the Nineteenth Century. Heidelberg: Winter 1981(= Siegen 27), S. 88.

[19] Heine, Heinrich: Die Nordsee 1826 (Dritte Abteilung). In: Heinrich Heine. Werke. Hrsg. von Stuart Atkins. Bd. I. München: Beck 1973. S. 347-380.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Zur Polemik Heinrich Heines in den Bädern von Lucca
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)  (Institut für deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Hauptseminar: "Heinrich Heine"
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V71215
ISBN (eBook)
9783638620345
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Polemik, Heinrich, Heines, Bädern, Lucca, Hauptseminar, Heinrich, Heine
Arbeit zitieren
Andrea Kramer (Autor:in), 2005, Zur Polemik Heinrich Heines in den Bädern von Lucca, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71215

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