"Die Europäische Union darf nicht länger hinter ihren eigenen Anforderungen zurückstehen. Für die F.D.P. ist die Grundrechte-Charta ein entscheidendes Element für eine Europäische Verfassung (...)." "Wir müssen so etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa schaffen." Die Forderung an die Europäische Integration sind damals wie heute ein heiß diskutiertes Thema. Antworten auf die Frage, welche Aufgaben die Europäische Union im Zuge der Integration erfüllen muss, suchen nicht nur Politiker wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger oder Winston Churchill. Doch bevor es möglich ist, Ziele zu erkennen und zu formulieren, muss man zumindest eine Vorstellung davon haben, wie eine Europäische Integration zustande kommen und funktionieren kann. Darüber haben sich Vertreter verschiedener Theorierichtungen wie Hans J. Morgenthau oder David Mitrany Gedanken gemacht und mit ihren Schriften zur politischen Diskussion beigetragen.
Die "Blütezeit" der daraus entstandenen Schulen erstreckt sich von Mitte der 40er Jahre bis in die 70er Jahre hinein. Doch da es im Zusammenhang mit der Europäischen Integration um die großen Themen des 20. Jahrhunderts wie Krieg und Frieden, Souveränität oder Staatenbildung geht, lohnt es sich, die Theorien der Europäischen Integration näher zu untersuchen und sie auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen.
Hierfür ist jedoch die eindeutige Definition der Begriffe "Theorie" und "Europäische Integration" vonnöten, da ihre Bedeutungen im politischen Zusammenhang noch differenzierter als im alltäglichen Gebrauch zu verstehen sind. Diese Klärung soll in Teil II geschehen. Im Hauptteil werden die drei wesentlichen Theorie-Richtungen, nämlich der Realismus aus der ökonomischen Theorietradition und aus der soziologischen der Funktionalismus und der Föderalismus vorgestellt. Zum Schluss (Teil IV) soll überprüft werden, ob die verschiedenen Schulen ihr Ziel gemäß ihrer Definition erfüllen und somit für die Politik nützlich sind.
Inhaltsverzeichnis
I) Einleitung:
II) Begriffsklärung:
1.) Die Europäische Integration:
2.) Die Theorie in der Politikwissenschaft:
3.) Fazit: Was Integrationstheorien leisten sollen:
III) Hauptteil:
1.) Die realistische Theorie:
2.) Die föderalistische Theorie:
3.) Die funktionalistische Theorie:
IV) Schluss:
V) Literaturverzeichnis:
I) Einleitung
„Die Europäische Union darf nicht länger hinter ihren eigenen Anforderungen zurückstehen. Für die F.D.P. ist die Grundrechte-Charta ein entscheidendes Element für eine Europäische Verfassung (...).“[1] „Wir müssen so etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa schaffen.“[2] Die Forderung an die Europäische Integration sind damals wie heute ein heiß diskutiertes Thema. Antworten auf die Frage, welche Aufgaben die Europäische Union im Zuge der Integration erfüllen muss, suchen nicht nur Politiker wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger oder Winston Churchill. Doch bevor es möglich ist, Ziele zu erkennen und zu formulieren, muss man zumindest eine Vorstellung davon haben, wie eine Europäische Integration zustande kommen und funktionieren kann. Darüber haben sich Vertreter verschiedener Theorierichtungen wie Hans J. Morgenthau oder David Mitrany Gedanken gemacht und mit ihren Schriften zur politischen Diskussion beigetragen.
Die „Blütezeit“ der daraus entstandenen Schulen erstreckt sich von Mitte der 40er Jahre bis in die 70er Jahre hinein. Doch da es im Zusammenhang mit der Europäischen Integration um die großen Themen des 20. Jahrhunderts[3] wie Krieg und Frieden, Souveränität oder Staatenbildung geht, lohnt es sich, die Theorien der Europäischen Integration näher zu untersuchen und sie auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen.
Hierfür ist jedoch die eindeutige Definition der Begriffe „Theorie“ und „Europäische Integration“ vonnöten, da ihre Bedeutungen im politischen Zusammenhang noch differenzierter als im alltäglichen Gebrauch zu verstehen sind. Diese Klärung soll in Teil II geschehen. Im Hauptteil werden die drei wesentlichen Theorie-Richtungen, nämlich der Realismus aus der ökonomischen Theorietradition und aus der soziologischen der Funktionalismus und der Föderalismus vorgestellt. Zum Schluss (Teil IV) soll überprüft werden, ob die verschiedenen Schulen ihr Ziel gemäß ihrer Definition erfüllen und somit für die Politik nützlich sind.
II) Begriffsklärung
1.) Die Europäische Integration
Der Begriff „Integration“ ist lateinischen Ursprungs: Das Verb „integrare“ heißt „wiederherstellen“ oder „ergänzen“, das Eigenschaftswort „integralis“ bedeutet „ein Ganzes ausmachend“. Der Duden übersetzt „Integration“ mit „Vervollständigung, Zusammenschluss, Vereinigung, Summierung“. In Bezug auf Staaten jedoch umfasst das Substantiv „Integration“ noch spezifischere Bedeutungen. In diesem Zusammenhang versteht man die Integration als Prozess, als dessen Ergebnis aus zwei oder mehreren nationalstaatlichen Akteuren ein neuer supranationaler Akteur gebildet wird.[4] Der Integrationsprozess umfasst im wesentlichen drei Dimensionen: Die institutionelle Dimension als Ort der politischen Entscheidungsfindung, die sozialpsychologische Dimension, verstanden als gemeinsames Bewusstsein und schließlich die Dimension der Transaktionen, worunter man die gesellschaftliche Verflechtung versteht[5]. Die drei Theorierichtungen beschäftigen sich jedoch hauptsächlich mit der institutionellen und der Dimension der Transaktionen. Als Unterdimensionen dieser kann man die Integration als Prozess beobachten und dessen Fortschrittsgeschwindigkeit feststellen oder die Integration als erreichtes Ergebnis beurteilen. Diese Unterdimensionen spielen in den drei Schulen eine eher untergeordnete Rolle. Im Vordergrund stehen stattdessen die Gründe für das Fortschreiten oder Scheitern des europäischen Integrationsprozesses.
2.) Die Theorie in der Politikwissenschaft
„Theoria“ heißt gemäß der griechischen Urbedeutung die „reine Schau der Dinge“.[6] Im modernen Sinne versteht man unter Theorie, dass man durch Denken zu einer Erkenntnis gelangt, mit deren Hilfe man Tatsachen und Zusammenhänge erklären kann. Ausgangspunkt sind Hypothesen, die verifiziert und systematisiert werden[7]. Theorien haben nach Woyke eine vierfache Funktion: Gelingt es, die wesentlichen und relevanten Daten auswählen, ist die Selektionsfunktion erfüllt. Weiterhin ist unterscheidet man zwischen der Ordnungsfunktion, deren Aufgabe darin besteht, die Informationen in geeigneter Weise zu strukturieren, der Erklärungsfunktion und der operativen Funktion, worunter man versteht, dass das gewonnene Wissen auf die Forschung und politische Praxis anwendbar sein muss. Klaus Beyme spricht außerdem von der Möglichkeit, Hypothesen über künftige Ereignisse und Veränderungen zu bilden.[8] Da eine Theorie jedoch auch nach hundert Bestätigungen noch falsifiziert werden kann[9] und Hypothesen keine immer gültigen Fakten sind, ist es nicht verwunderlich, dass es auch verschiedene Theorierichtungen gibt. Trotzdem kann man Laut U. Druwe[10] die Erklärungskraft von Theorien anhand folgender Fragen überprüfen: 1.) „Kann die Theorie die Wirklichkeit angemessen beschreiben?“ 2.) „Wie allgemein sind die Aussagen der Theorie?“ 3.) „Ist die Argumentation logisch aufgebaut?“ 4.) „Sind alle logischen Schlüsse auch empirisch wahr?“ Kann eine der Fragen verneint werden, so wird der Wert der Theorie für die Analyse internationaler Politik deutlich gemindert.
3.) Fazit: Was Integrationstheorien leisten sollten
Theorien der europäischen Integration sollten durch ihre gut aus Fakten ausgewählte, logische, gut strukturierte und empirisch ausgerichtete Darstellung erklären, wie der Europäische Integrationsprozess, nämlich die Übertragung von nationalstaatlicher Souveränität an einen supranationalen Akteur, zustande kommt und gegebenenfalls Prognosen liefern.
III) Hauptteil
1.) Die realistische Theorie
„So halte ich ein fortwährendes und rastloses Verlangen nach immer neuer Macht für einen allgemeinen Trieb der gesamten Menschheit, der nur mit dem Tode endet.“[11] Diese vernichtende Aussage, die den Menschen als egoistischen Nutzenmaximierer darstellt, stammt von Thomas Hobbes, einem der Hauptvertreter der ökonomischen Theorietradition. Hobbes geht davon aus, dass für jeden Menschen die Selbsterhaltung am wichtigsten ist. Jeder muss ständig fürchten, vom anderen angegriffen zu werden, da die Natur die für den Menschen brauchbaren Gegenstände nicht in ausreichender Anzahl hervorbringt. Schließlich bringen den Menschen jedoch seine Vernunft und die Zukunftsangst dazu, Verträge zu schließen, um bessere Lebensbedingungen zu schaffen und den Naturzustand des „bellum omnium in omnes“ zu bezwingen.
Der Realismus stützt sich also bei der Beurteilung von Integration im Gegensatz zu der föderalistischen und funktionalistischen Theorie, die eher deskriptive oder präskriptive Elemente enthalten, hauptsächlich auf sein Menschenbild.[12] Bei diesem klingt ein durchaus negativer Unterton mit, bedenkt man, dass dem Menschen hauptsächlich die Machtgier und der Egoismus als Charakteristika bescheinigt werden.
Auch Niccolò Machiavelli schrieb in seinen Ratschlägen an einen Fürsten, dass der Mensch schlecht sei[13] und von Egoismus und Bosheit beherrscht werde[14]. Aus diesem Grund muss der Herrscher, damit er den Herrschaftserhalt garantieren kann, eine Reihe von Techniken zum Machterwerb und Machterhalt erlernen. Gute Eigenschaften braucht der Herrscher nicht zu besitzen, er muss nur den Anschein geben, als ob er sie besäße. Mit diesen Ausführungen wird Machiavelli zu einem verrufenen Theoretiker des rein weltlichen Machtstaates, der sich gemäß der Staatsnotwenigkeit eine eigene Moral, die „Staatsraison“, schafft.[15]
Machiavelli und Hobbes haben also die drei Grundbegriffe der realistischen Theorie, Macht, Interesse und Moral, entescheidend geprägt. Aus ihrem Menschenbild resultierend behaupten die Realisten, dass die wichtigsten Ziele der Politik die Erhaltung, Festigung und Maximierung von Macht sind. Hans J. Morgenthau, der neben dem amerikanischen „Urvater“ des Realismus, dem evangelischen Theologen R. Niebuhr, zu den bedeutendsten wissenschaftlichen Vertretern dieser Theorie zählt, hält den Menschen für unfähig, beim Handeln sein Eigeninteresse auszuschalten.[16] Der Sinn für Gerechtigkeit entspringe nicht dem Mitgefühl oder der Nächstenliebe des Menschen, sondern dem Eigeninteresse. Und da der Mensch immer die Freiheit hat, Gutes oder Böses zu tun, muss man davon ausgehen, dass bei „aller politischen Machtausübung notwendigerweise ein Element des Böses anhaftet“.[17] Um diese Machtgier des Menschen zu bezwingen, muss man sich ihrer Gegenwart immer bewusst sein, sie sogar im vornherein einkalkulieren und sie nicht nur durch Moral, sondern auch mit Hilfe der Gewaltenteilung, begrenzen. Im Zusammenhang mit „Machtgier“ muss man laut Morgenthau das „national interest“ doppelt definieren: Zum einen ist es ein mögliches Verhalten, das Bedürfnissen eines Staates wie Sicherheit, Macht oder Wohlstand nachkommt und zum anderen das rein subjektive Denken und Planen der außenpolitischen Machthaber. Denn, wie die Realisten gern Max Weber zitieren, „Interessen (materielle und ideelle), nicht Ideen beherrschen unmittelbar das Handeln der Menschen“.[18]
Als wichtigen Punkt hebt Morgenthau außerdem hervor, dass man die Rolle der Theorie nicht unterschätzen soll: Die Funktion von Theoretikern der Internationalen Politik sei nicht nur, die bestehenden Verhältnisse verständlich zu machen, sondern auch in konkreten politischen Situationen aktiv zu werden. Die zentralen Forschungsziele der Realisten beziehen sich deshalb auf die Wiederherstellung des internationalen Friedens und auf die Analyse der Struktur des Systems und die in ihm wirkenden Kräfte (besonders ist hier der Faktor Macht zu nennen). Konkret auf den Integrationsprozess Europas bezogen, beurteilen die Realisten den Vereinigungswillen neben dem Ziel, ihre Macht im internationalen System zu erweitern, als Versuch, das wirtschaftlich starke Deutschland einzubinden. Allgemein herrscht die Ansicht vor, dass die Europäische Union (damals EG) nur ein Zusammenschluss auf Zeit ist. Denn es fehle den Staaten, so begründen die Realisten ihre Einschätzung, an ausreichender Übertragung von Souveränität an die Organe. In Bezug auf die Organe herrscht überwiegend Skepsis vor: Nach Ansicht von H. Bull ist die Gründung von supranationalen Organen sogar nur wenig wahrscheinlich, da die Staaten eine Einschränkung ihres Entscheidungsspielraums wohl nur auf Zeit zustimmen.[19] Zusammengefasst sind die Merkmale des Realismus nach Clark folgende[20]: Die Anhänger des Realismus, zu deren bekanntesten neuzeitlichen Vertretern neben Hans J. Morgenthau auch Kenneth Waltz oder Robert Keokane (Neorealismus) zählen, leugnen den Fortschritt und legen kein Vertrauen in den Bestand internationaler Organisationen. Daraus wiederum folgt das Misstrauen gegenüber geregelten friedlichen Verhältnissen. Die Realisten zweifeln daran, dass Menschen rational handeln, da der Konflikt, nicht Harmonie, die Staaten dazu bringt, miteinander in Kontakt zu treten. In der Tradition von Machiavelli gilt die Staatsräson als Moral, schließlich sind und bleiben die Staaten Rivalen, da supranationale Institutionen fehlen. Daher betrachtet der Realismus „Klugheit – das Abwägen der Folgen alternativer politischer Handlungen (...) als die höchste Tugend der Politik.“[21] Staaten bleiben im internationalen Gefüge die wichtigsten Akteure. Zu ihren Aufgaben zählt vor allem die Sicherheit von Herrschaft und weniger die Leistung von sozialen Unterstützungen.
[...]
[1] Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine (16.05.2000), aus: „F.D.P. fordert Verbindlichkeit der Europäischen Grundrechte Charta“, Deutscher Bundestag, Berlin
[2] Churchill, Winston (1946) aus „Europa – Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, München 1962, in Egner, Anton (1984): „Gemeinschaftskunde 10, Gymnasium, Baden- Württemberg“, Schroedel Schulbuchverlag GmbH, Hannover, S. 134
[3] Deppe, Frank (1999): Politisches Denken im 20. Jahrhundert, VSA-Verlag, Hamburg, S. 24-31
[4] Woyke, Wichard (Hrsg., 1990): Handwörterbuch Internationale Politik, 4. Auflage, Leske und Budrich, Opladen, Augsburg, S. 481
[5] Weidenfeld, Werner (Hrsg., 1985): Die Identität Europas, Carl Hanser Verlag, Darmstadt, S. 113ff
[6] Albrecht, Ulrich (1999): Internationale Politik, 5. Auflage, R. Oldenbourg Verlag, München, S. 23
[7] Hrsg: Lexikon–Institut Bertelsmann, „Das neue Taschen Lexikon“, Band 16, S. 79
[8] Beyme, Klaus (1992): Die politischen Theorien der Gegenwart, 7., neubearbeitete Auflage, Westdeutscher Verlag, Opladen, S. 11
[9] Beyme, Klaus (1992): Die politischen Theorien der Gegenwart, 7. Auflage, Opladen, Lengerich, S.11
[10] Druwe, U., Hahlbohm, D., Singer, A. (1995): Theorien der Internationalen Politik, in: Druwe, U., Halhlbohm, D., Singer, A.: Internationale Politik, Neuried, S. 85
[11] Münkler, Herfried (1993): Thomas Hobbes, Frankfurt a. M., S.94-156
[12] Merkel, Wolfgang (1999): Die Europäische Integration und das Elend der Theorie, in: Ableshauser, Werner (Hrsg., 1999): Politische Ökonomie, Sonderdruck aus „Geschichte und Gesellschaft“, 25. Jg., Heft 2, S. 304
[13] Machiavelli, Niccolò: Der Fürst, aus „Geschichte in Quellen“, Band III, München 1978, S.25ff, Übersetzer Rudolf Zorn
[14] Egner, Anton (1991): Mensch und Politik, Gemeinschaftskunde Baden-Württemberg, Gymnasium 11, Schroedel Schulbuchverglag GmbH, Hannover, S.25-27
[15] Lexikon der Weltgeschichte (1977) by F. Englisch Verlag, Wiesbaden, S. 342
[16] Kindermann, Gottfried-Karl (1965): Politische Theorien und internationale Politik, Politische Vierteljahresschrift Nr. 3, S. 297
[17] Kindermann, Gottfried-Karl (1965): siehe oben, S. 298
[18] Weber, Max (1947): Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 4. Aufl., Tübingen, Bd. I, S. 252
[19] Steltemeier, Rolf (1998): Utopie oder Realität? Die europäische Union auf dem Weg zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, Baden-Baden, S. 24
[20] Pfetsch, Frank (1994): Internationale Politik, Kohlhammer GmbH, Stuttgart, S. 21ff
[21] Morgenthau, H.J. (1963): Macht und Frieden, Gütersloh, S.56
- Arbeit zitieren
- Sonja Breining (Autor:in), 2000, Theorien der Europäischen Integration, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7126
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