Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, ob sich die Geschehnisse der Weimarer Republik als einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik erweisen oder ob die Gefahr einer Wiederholung besteht. Genauer geht es darum herauszufinden, ob trotz der unterschiedlichen Sozialisationsformen nach dem 2.Weltkrieg in Ost- und Westdeutschland eine Dekade nach der Einheit eine gesamtdeutsche politische Kultur vorherrscht, die dem politischen System seine notwendige Stabilität verleiht.
Da die politische Kultur stets von historischen Ereignissen und Entwicklungen geprägt ist, erscheint es hierzu wichtig, nach einer genauen Betrachtung des Begriffes der politischen Kultur, seines Forschungsgegenstandes, der Methoden und wesentlichen Theorien, auf die Weimarer Republik und den Übergang zum Nationalsozialismus einzugehen, um darauf aufbauend später Schlüsse ziehen zu können. Ferner werden im Punkt vier und fünf die unterschiedlichen Sozialisationen und Entwicklungen der Bundesrepublik und der DDR betrachtet, um im Anschluss näher auf die politische Kultur des vereinten Deutschlands einzugehen. Im letzten Teil soll, aufbauend auf die Punkte zwei bis sieben, die hier gestellte Frage plausibel nachvollziehbar beantwortet werden.
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2.Theoretische Grundlagen der politischen Kultur
3.Die Altlasten der Bundesrepublik Deutschland – politische Kultur zwischen der Weimarer Republik und 1945
4.Entwicklung der politischen Kultur in Westdeutschland nach 1945
5.Die politische Kultur der DDR
6.Politische Kultur im vereinten Deutschland
7.Fazit
8.Literatur
1. Einleitung
Politiker, Pessimisten, Publizisten, allgemein sämtliche ernsthaft an der weiteren politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland Interessierte horchen auf und heben gegebenenfalls den Zeigefinger, wenn sie im Zusammenhang mit dem 1949 gegründeten demokratischen Staat Begriffe wie Politikverdrossenheit, Akzeptanzkrise, Ostalgie oder Rechts- und Linksextremismus hören. Begriffe also, die regelmäßig und in unterschiedlichen Intervallen zumeist von Medien oder Politikern selber, an die Öffentlichkeit gebracht werden. Grund hierfür ist der Sonderweg, den Deutschland in den vergangenen Jahrhunderten, bezogen auf ihre Politik, Ordnung sowie Werte und Normen, im Vergleich zu den westlichen Nationen eingeschlagen hat. Denn trotz eines sozioökonomisch oder kulturell hohen Entwicklungsstandes fand in Deutschland über viele Jahre keine politische und gesellschaftliche Modernisierung statt, was schließlich dazu führte, dass alte Traditionen die Weiterentwicklung verhinderte und autoritären Herrschaftssystemen den Vorzug gab.
Die Demokratie als modernste Staatsform ist der Bundesrepublik vor 1945 jedoch keineswegs fremd, doch setzte sie sich nicht gegen deutsche Extreme und gesellschaftliche Traditionen, haftend an der Weimarer Republik, durch. Die Hauptursache hierfür schreiben viele Forscher und Historiker der fehlenden Kongruenz zwischen der politischen Kultur und dem politischen System zu. Die politische Kultur stellt dabei die subjektive Dimension des politischen Systems, in Form von Werten, Einstellungen und Meinungen, dar. Die fehlende Kongruenz scheint nach heutigem Forschungsstand und vorherrschenden Theorien notwendig für die Stabilität des politischen Systems zu sein.
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, ob sich die Geschehnisse der Weimarer Republik als einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik erweisen oder ob die Gefahr einer Wiederholung besteht. Genauer geht es darum herauszufinden, ob trotz der unterschiedlichen Sozialisationsformen nach dem 2.Weltkrieg in Ost- und Westdeutschland eine Dekade nach der Einheit eine gesamtdeutsche politische Kultur vorherrscht, die dem politischen System seine notwendige Stabilität verleiht.
Da die politische Kultur stets von historischen Ereignissen und Entwicklungen geprägt ist, erscheint es hierzu wichtig, nach einer genauen Betrachtung des Begriffes der politischen Kultur, seines Forschungsgegenstandes, der Methoden und wesentlichen Theorien, auf die Weimarer Republik und den Übergang zum Nationalsozialismus einzugehen, um darauf aufbauend später Schlüsse ziehen zu können. Ferner werden im Punkt vier und fünf die unterschiedlichen Sozialisationen und Entwicklungen der Bundesrepublik und der DDR betrachtet, um im Anschluss näher auf die politische Kultur des vereinten Deutschlands einzugehen. Im letzten Teil soll, aufbauend auf die Punkte zwei bis sieben, die hier gestellte Frage plausibel nachvollziehbar beantwortet werden.
2.Theoretische Grundlagen der politischen Kultur
Unter der politischen Kultur versteht man die Summe aller politisch relevanten Meinungen, Einstellungen und Wertorientierungen der Bevölkerung einer Gesellschaft in Bezug auf ihr politisches System und seine Institutionen. Somit stellt sie die subjektive Seite der Politik und der politikwissenschaftlichen Analyse dar.1 In einem, wie in dieser Arbeit verwendet, wissenschaftlichen Kontext, findet der Begriff einen wertfreien Gebrauch. Umgangssprachlich wird er, nach dem Anstieg seiner Popularität, häufig normativ verwendet.2 Dieses geschieht zumeist im Sinne der Beschreibung des Stils politischer Auseinandersetzungen.3
Zwar existiert die Erforschung der politischen Kultur in bestimmten Formen bereits seit den Anfangsjahren der Politikwissenschaften, doch erfuhr sie in den 50er und 60er Jahren eine gründliche Neu- und Umgestaltung durch Gabriel Almond und Sidney Verba.4 In Aufsätzen und Werken wie „The Civic Culture“ (1963), denen empirische Untersuchungen voraus gingen und folgten, sorgten sie für eine Modernisierung des Begriffs und für seinen deutlichen Beachtungs- und Bedeutungszuwachs.5 Antrieb der Erforschung der politischen Kultur war der erneute Systemwandel Deutschlands, der Zusammenbruch der Weimarer Republik, der Nationalsozialismus und die Gründung des demokratischen westdeutschen Staates.6 Es bestand ein starkes Interesse dafür, zu klären, warum andere demokratische Staaten über Jahrhunderte durch Stabilität gekennzeichnet waren, das deutsche, in Form der Weimarer Republik, jedoch scheiterte und zusammenbrach. Almond stellte darauf antwortend eine der Hauptthesen der politischen Kulturforschung auf, indem er die Kongruenz von politischer Struktur und politischer Kultur als notwendig für die Stabilität eines Staates bezeichnet. Das bedeutet, dass sowohl die politische Ordnung als auch Werte, Normen, Regeln und Strukturen eines Systems im politischen Bewusstsein der Bevölkerung akzeptiert und gestützt werden müssen. 7 Durch eine solche Akzeptanz wird das politische System eines Staates dazu befähigt, Krisensituationen zu bewältigen und leistungsfähig zu bleiben.8
In der Theorie wird der Bezugsraum der politischen Kultur aus praktischen Gründen zur Vereinfachung der komplexen Realität klassifiziert. Somit lässt sich feststellen, dass sich die Gefühle, Wahrnehmungen, Bewertungen und Verhaltenstendenzen der Bürger und Bürgerinnen auf drei Dimensionen der Politik (polity, politics, policy) beziehen.9 Von Bedeutung sind somit sowohl die Einstellungen zur politischen Ordnung, zum Entscheidungs- bzw. Prozesssystem und zum Output des politischen Systems, also den Leistungen des Staates und seiner Institutionen.10
Ferner klassifizierte Almond zwischen drei verschiedenen Idealtypen der politischen Kultur. Diese werden durch jeweils andere Orientierungen und Erwartungen gegenüber dem politischen System charakterisiert. Als parochialer Typ der politischen Kultur wird eine Gesellschaft bezeichnet, die keinerlei Orientierung gegenüber dem System selbst und seinem In- und Output besitzt. Der Untertanentyp hingegen ist lediglich am Output orientiert. Als partizipative Kultur wird eine Gesellschaft bezeichnet, die gegenüber allen drei Bereichen Orientierungen und Erwartungen besitzt.11 Aus der Sicht Almonds ist eine Mischform der drei Typen denkbar.12 Diese bezeichnet er als Voraussetzung für eine stabile Demokratie. Er sieht sie in den westlichen Demokratien am ehesten, jedoch niemals ihrem Ideal erreichend, verwirklicht.13 Die Mischform wird mit dem Begriff „Civic Culture“ oder „Staatsbürgerkultur“ bezeichnet. Der Ausgleich der drei Reintypen wirkt systemstabilisierend und –unterstützend.14
Als wichtige Indikatoren zur Ermittlung der politischen Kultur, seines damit verbundenen Bewusstseins, der Akzeptanz, Unterstützung und Stabilität des politischen Systems ist u.a. die Partizipation der Bevölkerung (als Maß der politischen Involvierung und Bindung der Politik an den Willen der Bürger) zu bezeichnen.15 Zu ermittelnde Teilbereiche der Partizipation sind das politische Interesse, die subjektiven politischen Kompetenzen und das Effektivitätsbewusstsein.16 Ferner seien in diesem Zusammenhang die Politikverdrossenheit, die Einstellung zur politischen Gemeinschaft und die Einstellung zur politischen Idee und Praxis der Demokratie als Indikatoren zu nennen.17
Da Einstellungen und somit die politische Kultur als System von Einstellungen nicht a priori im Bewusstsein der Bevölkerung gesetzt sind, unterliegen sie Lern- und Veränderungsprozessen.18 Insofern spielt nicht nur das jeweils gegenwärtige politische Bewusstsein für die politische Kulturforschung eine Rolle, sondern auch die Geschichte und kulturelle Traditionen, sowie besondere Eigenarten bestimmter Nationen.19
Um sowohl historische als auch gegenwärtige Standpunkte, Orientierungen und Gegebenheiten analysieren zu können, bedient sich die Wissenschaft bei der Ermittlung der politischen Kultur im Wesentlichen zweier verschiedener Methoden. Zum einen wird der auf Almond und Verba zurückgehende einstellungsorientierte Ansatz praktiziert. Hierbei handelt es sich um die sozialwissenschaftliche Umfrageforschung.20 Diese Methode, bei der repräsentative Stichprobenerhebungen in der Bevölkerung stattfinden, wird seit den 60er Jahren der zweiten Methode gegenüber bevorzugt verwendet.21 Um die Gestalt der politischen Kultur der Geschichte analysieren zu können, wird zumeist der geisteswissenschaftlich – verstehende Ansatz verwendet. Hierbei geht es um die Analyse und Interpretation von verschiedenen Quellen, wie beispielsweise von Symbolen (Flaggen, Nationalfeiertage), Zeitungsausschnitten und Erzählungen.22
Ferner bedient sich die politische Kulturforschung, wie sichtbar an einigen Studien Almonds und Verbas der Methode des Vergleiches zwischen Nationen oder gesellschaftlichen Klassen und Gruppierungen, um Aussagen treffen zu können.23
3. Die Altlasten der Bundesrepublik Deutschland – politische Kultur zwischen der Weimarer Republik und 1945
Da die politische Kulturforschung ihren Höhepunkt erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts erreichte und das methodische Vorgehen vorher als unausgereift zu betrachten ist, lässt sich die politische Kultur der Weimarer Republik als bruchstückhaft erforscht bezeichnen. Da viele aus heutiger Sicht wesentliche Indikatoren, wie beispielsweise die Einstellung zu politischen Institutionen und demokratischen Verfahren nicht genau erfasst sind, lassen sich lediglich Grundlinien der politischen Kultur dieser Zeit aufzeigen.24
Auf Almonds und Verbas Theorien bezogen ist der schnelle Untergang der Weimarer Republik eng mit den Eigenschaften und der Struktur der politischen Kultur verbunden.25 Nach der Niederlage im 1.Weltkrieg und dem Niedergang des Kaiserreichs gelang es dem demokratischen Modell nicht, sich gegen die vorherrschenden Traditionen der Gesellschaft durchzusetzen. Dieses ist ein Resultat der seit dem 17.Jahrhundert beginnenden Entfremdung zum Westen.26 In den Köpfen der Gesellschaft machte sich kein Neuanfang und keine Modernisierung bereit für einen tiefgreifenden Wandel. Es klaffte somit eine weite Lücke zwischen der politischen Kultur und dem politischen System.27
Die politische Kultur der Republik war sehr gegensätzlich. Es bestand kein Konsens der eine neue politische Ordnung hätte tragen und stabilisieren können.28 Die Gesellschaft bot sämtlichen ideologischen und politischen Orientierungen Platz und war gekennzeichnet durch Lagermentalität und verschiedene Milieus.29 Die Verfassung fand in der Bevölkerung wenig Akzeptanz und wurde sogar von der überwiegenden Masse der politischen Parteien und Politikern als unzureichend, schlecht und als Kompromisslösung beurteilt.30
Es existierte somit kein grundlegendes Fundament, keine einheitliche politische Kultur für die Errichtung und langfristige Festigung eines demokratischen Staates. Die Demokratie wurde von der Mehrheit nicht akzeptiert und war somit instabil und verteidigungsunfähig gegenüber Angriffen.31
Die Gründe dieser fehlenden Akzeptanz sind vielschichtig. Zum einen lag es an den ungeheuren Belastungen des Krieges, zum anderen an der nicht sehr leistungsfähigen Ordnung des politischen Systems. Als weiterer Grund seien die Traditionen, überliefert aus deutscher Vergangenheit, aufgeführt.32 Als bedeutungsvolle Tradition ist hier die Untertanenmentalität hervorzuheben. Das deutsche Volk damaliger Zeit war stets Willens, sich staatlichen Autoritäten zu unterwerfen, sofern diese für Recht, Ordnung und Sicherheit sorgten. Zu begründen ist dieses u.a. mit der Angst der Bevölkerung, die Geschehnisse des 17.Jahrhunderts (30 Jähriger Krieg) könnten sich wiederholen. Das Weimarer System war in sich nicht ausreichend gefestigt, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und Sicherheit zu geben, weshalb sie schließlich der Propaganda und dem „Charme“ der Nationalsozialisten unterlag. Ferner gilt die deutsche Bevölkerung als von apolitischen Traditionen verfolgt. Die Bürger gingen im Wesentlichen ihren wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Interessen nach. Die Politik hingegen war die Sache des Staates.33
Begünstigt durch die Weltwirtschaftskrise (1929 – 1932), den damit verbundenen schlechten Lebensverhältnissen der Menschen und den Ängsten des Mittelstandes vor dem liberal-kapitalistischen System und der sozialistischen Arbeiterbewegung, verschafften sich die Nationalsozialisten nach nur kurzer Existenz der demokratischen Republik einen mehrheitlichen Zuspruch in der Bevölkerung.34 Die Empfänglichkeit der Bevölkerung für den Nationalsozialismus liegt nicht zuletzt darin, dass dieses System kompatibel mit den alten Traditionen war. Somit war das neue Regime Ausdruck ideologischen und soziologischen Protests und einer allgemeinen Orientierungslosigkeit.35
4. Entwicklung der politischen Kultur in Westdeutschland nach 1945
Nach dem Krieg standen die Chancen der Bundesrepublik eine Demokratie zu errichte, gemessen am wirtschaftlichen Entwicklungsstand oder dem Bildungsniveau, gar nicht schlecht. Dennoch waren ausländische Sozialwissenschaftler wie auch Politiker im allgemeinen skeptisch gegenüber der neu zu entwickelnden politischen Kultur in der Bevölkerung. Diese Skepsis ist namentlich mit dem Scheitern der Weimarer Republik und den anschließenden traumatischen Erfahrungen festzuhalten. Einer positiven Entwicklung hätten autoritäre und apolitische Traditionen entgegenwirken können.36
Die Besatzungszeit Deutschlands wurde, ebenso wie die Anfangsjahre der Bundesrepublik, durch politische Passivität und Distanziertheit der Bevölkerung gekennzeichnet, unter anderem bedingt durch die Übermobilisierung der Nationalsozialisten einige Jahre zuvor. Trotz des von Almond und Verba festgestellten hohen Informationsniveaus und des starken politischen Interesses stand die Politik nicht an erster Stelle der Bemühungen der Neudemokraten. Die Konzentration galt zunächst dem Wiederaufbau und der Rückerlangung materiellen Wohlstandes.37 Da die Bevölkerung im Allgemeinen erleichtert über das Ende des Krieges war und das alte Regime auch im Bewusstsein der Bevölkerung versagt hat, standen der Modernisierung und der neuen Staatsform keine großen Widerstände entgegen.38 Auch waren die politischen Kräfte nicht derart gespalten, wie es in der Weimarer Republik zum Scheitern beitrug. Parteien und Verbände waren sich in grundlegenden Dingen einig.39 Dennoch überwog 1949 eine prinzipielle Abneigung gegenüber politischer Partizipation und politischen Parteien.40
Bereits im Verlauf der 50er Jahre hat sich das Bild der politischen Kultur Deutschlands zum positiven verändert. Die Demokratie konnte sich zu dieser Zeit ein Stück weit stabilisieren.41 Als Gründe sind dafür im wesentlichen das starke wirtschaftliche Wachstum und die damit verbundene Verbesserung der Lebensverhältnisse, die Etablierung des demokratischen Sozialstaates und die Bindung an den Westen durch Eintritt in die EWG und die NATO aufzuführen.42 Die Stabilisierung des Systems resultierte ferner daraus, dass die gesamte Bevölkerung, nicht nur bestimmte Schichten, von dem Wachstum profitierten.43 Die Parteien entwickelten sich zudem zu Volksparteien.44 Hervorgehend aus einer fünf Länder Untersuchung aus dem Jahre 1959/60 beurteilten Almond und Verba die politische Kultur der Bundesrepublik als Untertanenkultur mit einem unterentwickelten Bewusstsein für die politische Teilhabe und starken Obrigkeitsdenken. Die Stabilität des Systems ist insofern gefährdet, als dass ihre Akzeptanz im wesentlichen auf den wirtschaftlichen Leistungen basiert. Der Staat wird in Deutschland aufgrund seines Outputs bewertet.45
Ab Mitte der 60er Jahre veränderte sich die politische Kultur der Republik. Die Passivität seiner Bürger wich allmählich einer demokratie- und partizipationsorientierten, im Ganzen politisierten demokratischen Kultur, ein Wandel der tief bis in die 70er Jahre fortfuhr.46 Die Bevölkerung äußerte eine Zufriedenheit mit der für modern und effektiv beurteilten Staatsform. Dennoch wies die Bundesrepublik zunächst im Vergleich zu anderen modernen westlichen Staaten schlechtere Werte in Bezug auf den Sinn für Pluralität, Unterstützung des Parteiensystems oder politischer Partizipation auf.47 Der Bruch mit den alten Traditionen, die von vielen als Gefahr der Demokratie betrachten wurden, fand in den Studentenbewegungen ab 1967 ihre Zuspitzung. Die 68er Bewegung vermittelte antiautoritäre Werte und sorgte für eine beschleunigte Modernisierung, Demokratisierung und Wandel in den Lebensstilen.48 Dieser Wandel bewirkte, dass das partizipative Defizit der politischen Kultur Mitte der 60er Jahre begann, sich aufzulösen. 1969 waren erstmals über 40% der Bevölkerung an Politik interessiert. Eine Dekade später stieg der Wert nochmals um 10% an, ein Niveau, dass insgesamt bis zur Wiedervereinigung stabil blieb.49 Empirische Untersuchungen belegen, dass die Demokratie sich gefestigt hat und stabil ist. So antworteten 1978 31%, dass sie stolz auf das politische System wären (vergleich 1959: 7%). Zwei Jahre zuvor äußerten sich gar 90% der Bevölkerung als zufrieden mit der Demokratie. Dieser Wert ist als hoher Grad der Zufriedenheit, auch im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien zu verstehen.50 Somit vollzog sich insgesamt ein Wandel vom „Obrigkeitsstaat zur Demokratie“51
Die Studentenrevolte und der damit zum Teil verbundene Linkstrend der Jugendlichen erwies sich im Nachhinein als nicht schädlich für die politische Kultur und das politische System. Beides war von begrenzter Dauer und setzte gar ein aktiveres Politikverständnis in der Gesellschaft in Gang. Das zuvor von den Parteien allein getragene repräsentative Demokratiemodell veränderte sich hinsichtlich der gesellschaftlichen Aktivität und Teilnahme.52 Als Gefahr für die Demokratie ist die Bewegung rückblickend nicht einzustufen, da der Verfassungskonsens so stark war, dass keine Legitimationsgefahr entstehen konnte.53 Zudem waren die Teilnehmer dieser alternativen Bewegung nur zu 5% (2% mehr als der Rest der Bevölkerung) dazu bereit, Gewalt für ihre Ziele einzusetzen.54 Begleitet wurde die Bewegung ferner durch einen Anstieg der postmateriellen Werte. So gewannen Werte, wie sie in post-industriellen Gesellschaften üblich sind, wie z.B. die Selbstbestimmung des Menschen, an Bedeutung.55
Die Veränderung der politischen Kultur wurde im Wesentlichen nicht von älteren Generationen getragen, sondern vornehmlich von den Jüngeren, die ihre Sozialisation in einem freien, gefestigten demokratischen Staat erlebten.56
Das System der Bundesrepublik bewährte sich in den 70er Jahren. Es behauptete sich sowohl gegen den Vorwurf von links, es gäbe eine Legitimationskrise, als auch gegen Angriffe von rechts, es sei unregierbar. Auch eine angebliche Staatsverdrossenheit resultierend aus der ökonomischen Krise 1973/74 blieb weitestgehend folgenlos. Die Legitimität der Bundesrepublik wurde nie in Frage gestellt. Zwar existierte teilweise ein Misstrauen gegenüber der Regierung oder anderen politischen Institutionen, doch ist dieses nicht mit Mangel an Legitimation zu vergleichen. Aufgrund der hohen Systemzufriedenheit und dem hohen Vertrauen in spezielle, nichtpolitische Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht, kann nicht von einer Gefährdung des Systems gesprochen werden. Als positiv ist zu betrachten, dass die Bevölkerung bei der Beurteilung differenziert zwischen der politischen Ordnung und einzelnen Institutionen beurteilten. Bemerkenswert ist zudem, dass die empirischen Untersuchungen zeigten, dass die Bevölkerung in Zeiten aufkommender Krisen dem System verstärkt zustimmte (z.B. zur Zeit des deutschen Terrorismus). 57
Verbunden mit dem Wertewandel und der zunehmenden Partizipation ist auch der Anstieg unkonventioneller Teilhabe. Beteiligten sich die Bürger im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik hauptsächlich konventionell, also mittels Wahlen oder dem Besuch politischer Veranstaltungen, so öffnete sich der Aktionsradius zunehmend auf Demonstrationen oder Unterschriftensammlungen aus. Die Tendenz mittels illegaler Formen aktiv zu werden, blieb jedoch sehr gering. Zu betonen ist, dass zwischen beiden Formen ein positiver Zusammenhang besteht. Die konventionelle Form wich der unkonventionellen nicht.58
Die 80er Jahre waren trotz des Nachlassens alternativer Bewegungen nicht gänzlich von Spannungen (z.B. wirtschaftlicher Art) befreit. Der bereits in den 70er Jahren eingeleitete Postmaterialismus entwickelte sich weiter, führte jedoch nicht zu Legitimationskrisen.59 Die alten Traditionen schienen sowohl im privaten als auch in der Gesellschaft insgesamt bis auf undefinierbar kleine Stücke verdrängt und gebrochen. An ihre Stelle sind Individualismus und Pluralismus getreten. Als Gründe hierfür sind sie Sozialisation, die sozioökonomische Entwicklung, der Wohlfahrtstaat sowie neue Lebensstile zu nennen.60 Die Bundesrepublik der 80er Jahre ist als stabile „Bürgerkultur“ mit hoher Systemakzeptanz zu bezeichnen.61 In den Augen der überwiegenden Bürger existiert keine Alternative neben der westlichen Demokratie als beste Staatsform.62 Der westdeutsche Staat hat sich den anderen westlichen Demokratien angeschlossen. Auch die subjektive politische Kompetenz und das Effektivitätsbewusstsein der Bevölkerung sind, neben der Partizipation und der politischen Informiertheit, stetig gestiegen.63 Einzig im Bereich des Nationalbewusstseins liegen die Werte der Bundesrepublik noch zurück. Als Ursache hierfür seien die Teilung Deutsachlands in zwei Staaten und die nationalsozialistische Vergangenheit aufzuführen.
Die Entwicklung der politischen Kultur in Richtung des Leitbildes der Civic Culture ist im Wesentlichen drei Punkten zuzuschreiben. Zum einen verursachten die tiefgehend traumatischen Ereignisse der Geschichte der Republik einen Wandel. Ferner wurde dieser durch die stabile und funktionierende Verfassung getragen. Zuletzt wies die Bundesrepublik seit den Gründungsjahre einen starken wirtschaftlichen Aufstieg, verbunden mit großen Wiederaufbauleistungen auf, die als Stolz der Bevölkerung zu betrachten sind.64
5. Die politische Kultur der DDR
Während sich Westdeutschland mit der Demokratisierung einer Modernisierung unterzog und somit zum Westen aufschloss, wurde der Osten Deutschlands einem totalitärem System unterworfen. Die Deutsche Demokratische Republik verstand sich zwar als Demokratie, wirkte dem aber in Wirklichkeit entgegen. Die Politik der DDR verfolgte klar das Ideal des Sozialismus.65
Im Gegensatz zur sich freiheitlich entwickelnden politischen Kultur des Westens existierte in der DDR eine durch die politischen Kräfte vorgegebene Zielkultur. In ihr sollten die Menschen durch die spezielle Sozialisation die sozialistische Lebensweise führen und sich zu einer „allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit“66 entwickeln. Die Führung versuchte die politische Kultur durch Vorgaben an die sozialisierenden Institutionen wie Kindergarten und Schule zu lenken. Somit besaßen diese eine Doppelfunktion: Zum einen besteht eine primäre Aufgabe, zum anderen die der Gestaltung der sozialistischen Persönlichkeit.67
Die Stabilität des politischen Systems erreichte die SED dadurch, dass sie an den alten deutschen Traditionen anknüpfte. So sollten sich die Menschen der Gemeinschaft unterordnen und es herrschte eine starke Leistungsorientierung, Fleiß und Disziplin vor.68
Das Vorhaben einer besseren Gesellschaft und die Verwirklichung der „Utopie Kommunismus“ scheiterten jedoch. Nicht zuletzt deshalb, weil sich neben der offiziellen politischen Kultur eine inoffizielle entwickelte.69
Die reale politische Kultur ist jedoch nicht als Gegensatz zur Offiziellen zu verstehen, weshalb sie sich zunächst nicht systemgefährdend auswirkte.70 Die starke Mobilisierung der Regierung und seine Forderung, dass die Menschen aktiv an der Politik nach idealistischem Maße teilnehmen sollte, führte, resultierend aus alten apolitischen Traditionen, zu einem weitestgehenden Rückzug aus dem politischen Leben. Zwar wurde zu jeder Zeit zur Wahlurne geschritten, jedoch geschah dies lediglich ritualisiert. Die Bevölkerung arrangierte sich mit dem System. Sie zog sich in ihre Nischen zurück, welche eine Ventilfunktion besaßen. Sie wurde, was traditionell begrüßt wurde, jeglicher Eigenverantwortung entzogen. Die Ideologie der DDR wurde, wie sich durch die friedliche Revolution 1989 herausstellte, jedoch nicht tiefgehend verinnerlicht. Die Bildung von Nischen war als Abwehr zur kommunistischen Ideologie zu verstehen.71 Die Bevölkerung war ferner im Ganzen mit den Staatsleistungen, dem Wiederaufbau und dem Lebensstandard, insgesamt also mit dem Output der Führung, zufrieden. Insbesondere galt dies für das Verfassungsrecht auf Arbeit.72
In den 80er Jahren wuchs mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage auch die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Die oberflächlich vorhandene Regierungstreue bröckelte, da sie sich im Wesentlichen auf ökonomische Erfolge stützte. Es entstanden nach und nach alternative oppositionelle Bewegungen, besonders aus dem Umkreise der evangelischen Kirche. Eine Minderheit aus Schriftstellern, Künstlern und Angehörigen alternativen Gruppierungen begannen einzelne Aspekte des Staates auch öffentlicher Kritik zu unterziehen. Hieraus resultierte am Ende, dass sich die gesamte Bevölkerung für eine kurze Zeit aus ihren Nischen löste, um den im Kleinen begonnenen Aufstand, einer friedlichen Revolution, zu unterstützen und voranzutreiben.73 Trotz einiger Eingeständnisse der SED Führung unter Egon Krenz, die dem System erneut Stabilität verleihen sollten, aber gegenteilig wirkten (wie der Abriss der symbolträchtigen Mauer), lief es auf die Wiedervereinigung hinaus.74
Als wesentliche Gründe für den Widerstand der Bevölkerung seien die sich negativ entwickelnden wirtschaftlichen Ergebnisse sowie die Angst den Anschluss an den Westen zu verpassen genannt.75 Trotz der Distanz zum Westen waren die Ostdeutschen stets durch das Fernsehen über Entwicklungen des westlichen Nachbarn informiert.76 Ferner wirkte sich die Bevormundung durch die SED Führung und die Spaltung der Persönlichkeit in öffentliches und privates Leben eine wesentliche Rolle für das Scheitern der DDR.77
6. Politische Kultur im vereinten Deutschland
Die ehemalige DDR ging nach der Wiedervereinigung in der Bundesrepublik Deutschland auf. Es bestand im Wesentlichen Einigkeit darüber, dass die Verfassung nicht verändert werden sollte. Doch trotz der raschen Übernahme der politischen Institutionen und der demokratischen Ordnung kann nicht von einer Übernahme der politischen Kultur gesprochen werden. Umfragen direkt nach der Vereinigung belegten zwar die sensationelle Ähnlichkeit der Einstellungen von Ost und West, doch stellte sich später heraus, dass die dargestellten Meinungen der Ostdeutschen lediglich das der westlichen Medienwelt wiederspiegelten. Tatsächlich machten sich starke Differenzen bemerkbar.78
Das politische Bewusstsein einer Gesellschaft wird von mehreren Faktoren geprägt. Hierzu zählen sozioökonomische Faktoren (z.B. Bildungsniveau, Wohlstand), Sozialisation (in der grundlegende politische Orientierungen geschaffen werden), soziokulturelle Faktoren und das Wertesystem.79 Anhand dieser Faktoren, die unterschiedliche Ausprägungen in Ost- und Westdeutschland tragen, lassen sich die Abweichungen der politischen Kultur erklären.
Aufgrund der obrigkeitsstaatlichen Traditionen und polarisierteren Klassenmilieus lassen sich die neuen Bundesländer zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung als weniger Modernisiert bezeichnen. Dennoch sprach sich ein Großteil der Ostdeutschen (91 bis 94%) für eine Wiedervereinigung aus. Auch später wünschte sich Umfragen nach die Bevölkerung der ehemaligen DDR nicht ihr altes System zurück. In einer Umfrage aus dem Jahre 1992 in Jena konnten sich lediglich 17% das Leben in einer reformierten DDR vorstellen. 80 Von der alten DDR Identität ist demnach fast nichts übrig geblieben. Bei der Mehrheit hat die Vereinigung sich nicht nur faktisch, sondern auch im Bewusstsein manifestiert.81
Festzustellen bleibt nun, an welchen Stellen Unterschiede und wo Gemeinsamkeiten der politischen Kultur zu finden sind. Als systemlegitimierend und –stabilisierend wirkt sich in einer Gesellschaft das Nationalgefühl aus. Dieses ist in Deutschland jedoch bis heute im internationalen Vergleich wenig herausgebildet. Ursachen hierfür sind die nationalsozialistische Vergangenheit und die Teilung Deutschlands in zwei Staaten.82 Die Wiedervereinigung stellt für die Deutschen die Möglichkeit eines Anstiegs des Nationalbewusstseins dar. In den Anfangsjahren ist davon, besonders im Westen, wenig erkennbar. Der Verfassungspatriotismus hat ihm gegenüber noch immer klar den Vorrang.83 Durch die Westbindung und die fortschreitende europäische Integration existiert nun neben einem regionalen und nationalen noch ein zusätzliches Identifikationsobjekt: die europäische politische Gemeinschaft.84 Es ist möglich, dass sich im Zeitverlauf dadurch ein positiveres Verhältnis zur eigenen Nation herausbildet. Als betrachtenswert ist in diesem Zusammenhang zu vermerken, dass die Identifikation der Bevölkerung mit der gesamten Bundesrepublik heute stärker ist, als mit der ehemaligen DDR oder der alten Republik. Die Verbundenheit zur ehemaligen DDR nahm zwischen 1998 und 2003 zusehends ab.85
Stolz ist die Bevölkerung der Bundesrepublik dagegen, in Ost und West gleichermaßen, auf wirtschaftliche Leistungen. Während Westdeutschland zudem, nach 1990 relativ unverändert, Stolz auf das Grundgesetz, den sozialstaatlichen Leistungen und die Wissenschaft äußerte, sind dessen Quelle in den neuen Bundesländern Sport, Wissenschaft und Kultur.86
In beiden Landesteilen wird die Demokratie von der großen Mehrheit als beste Staatsform beurteilt. Ebenfalls positiv bewertet werden demokratische Werte und Prinzipien (z.B. rechtsstaatliche Grundrechte, Parteienwettbewerb). Nur in der genauen Gestaltung zeigen sich Unterschiede. So wünscht sich die westdeutsche Bevölkerung ein liberales Demokratiemodell, ein nicht unerheblicher Teil der Ostdeutschen bevorzugt dagegen ein sozialistisch-demokratisches Modell.87 Im allgemeinen herrscht in Ost und West eine grundsätzliche Befürwortung der Demokratie als Ordnungssystem vor.88
Die Bevölkerung differenziert dennoch zwischen Ideal und Realität. So wird das tatsächliche Funktionieren der Demokratie in den 90ern als teilweise negativ bewertet.89 Besonders betroffen ist hiervon das Ansehen von Politikern und Parteien. Die Institutionen des Rechtsstaates hingegen (z.B. das Bundesverfassungsgericht, die Polizei) genießen ein hohes Vertrauen in der Öffentlichkeit. Somit lässt sich sagen, dass in der vereinten Republik die demokratische Ordnung im ganzen unterstützt wird.90 Aus der häufig als Politikverdrossenheit bezeichneten Beurteilung der Bevölkerung lässt sich keine Legitimationskrise ableiten, da sie sich einzig auf Politiker, Parteien und einzelne Institutionen bezieht. Bezogen auf die Zufriedenheit mit der Demokratie weist die Bundesrepublik im internationalen Vergleich hohe und stabile Werte auf.91
Ein Indikator für Stabilität und Akzeptanz des Systems ist die Partizipation. Während sich das Partizipationsniveau in den alten Bundesländern, bezogen auf die Wahlbeteiligung seit Mitte der 70er Jahre, verringerte, pendelte es sich in den letzen Jahren auf ein Niveau ein, das Mitte der 90er Jahre erreicht wurde. Im Bereich der Partizipation tragen die neuen Bundesländer post-totalitäre Züge in sich. Die Wahlbeteiligung ist dort vergleichsweise gering. Grund hierfür ist, dass die Bevölkerung nicht mehr einem Ritual gleich ihre Stimmzettel abgibt, sondern von ihren freiheitlichen Rechten Gebrauch macht.92 Ferner ist zu betonen, dass sich bezüglich der Wählerpräferenzen ein regionales Parteiensystem in Ostdeutschland etabliert hat. Dieses besteht aus den Volksparteien CDU und SPD und der SED Nachfolgepartei der PDS.93
Eng verbunden mit dem Indikator der Partizipation ist das Interesse an Politik. Dieses ist Umfragen zur Folge in Ost- und Westdeutschland gleich stark ausgebildet. Sowohl die Bevölkerung der neuen als auch die der alten Bundesländer lässt sich weder als hochpolitisch noch als desinteressiert bezeichnen. Diese Eigenschaft blieb in den Jahren nach der Wiedervereinigung bis 2002 relativ stabil.94
Das Modernisierungsdefizit der neuen Bundesländer lässt sich besonders an den unterschiedlichen Wertesystemen festmachen. Trotz beidseitiger Befürwortung des politischen Systems und der politischen Ordnung und trotz der Bevorzugung gemäßigter Politik sind hier deutliche Differenzen feststellbar. Während die alten Bundesländer, anknüpfend an die westlichen Nachbarn postmaterielle Werte in den Vordergrund stellen (z.B. Erfüllung immaterieller Bedürfnisse; emanzipative, ökologische ästhetische Werte), herrscht in Ostdeutschland eine materielle Wertausprägung vor (z.B. wirtschaftliches Wachstum und Ausweitung der Sozialleistungen). Signifikant dafür ist, dass die ostdeutsche Bevölkerung die Gleichheit (48% der Stimmen einer repräsentativen Umfrage) der Freiheit (36%) bevorzugt. Im Westen ist dieses Bild gedreht. Hier sehen 45% die Freiheit als vorrangig. Der Gleichheit messen nur 34% eine größere Bedeutung bei95.
7. Fazit
Angesichts der fortschreitenden Globalisierung und der ungewissen Zukunft der Exportnation Deutschland mit seinen sich langsam bemerkbar machenden Geburtendefizit, werden künftig eine Reihe von Herausforderungen auf die Deutschen und ihr politisches System zukommen. Der Frage, ob es in Deutschland eine systemstützende und –legitimierende politische Kultur gibt, lässt sich angesichts der Wiedervereinigung nur differenziert beantworten. Grundsätzlich lässt sich die politische Kultur im Osten Deutschlands als eine, sich in der Entwicklung befindliche regionale Sonderkultur bezeichnen. Es existieren einige Unterschiede zwischen Ost und West. Die Hauptursache liegt in den unterschiedlichen Sozialisationsformen. Auf der einen Seite fand in Westdeutschland eine 40 Jahre lange Westorientierung und somit eine Modernisierung statt, während die ehemalige DDR von ihrer erst kürzlich losgesagten totalitären Vergangenheit und den alten Traditionen sozialisiert wurde. Dennoch ist aus der hier vorliegenden Arbeit ersichtlich geworden, dass ein Grundkonsens in beiden Teilen vorhanden ist. Dieser Grundkonsens umfasst die Akzeptanz der Staatsordnung, der Demokratie und seinen wesentlichen Werten, Regeln und Institutionen. Eben dieser Grundkonsens ist als zentral zu betrachten, wenn es um die Systemstabilität geht.
Da die Bevölkerung, um den Vergleich mit der Weimarer Republik zu ziehen, keine Alternative zur Demokratie sieht und es keine Radikalen Kräfte aus dem rechten oder linken politischen und gesellschaftlichen Umfeld gibt, welche Massen mobilisieren können, ist ein Sturz des demokratischen Systems heute undenkbar. Die Bevölkerung orientiert sich Mehrheitlich an der gemäßigten Mitte. Ferner ist die nationalsozialistische Vergangenheit auch heute noch sehr präsent. Sie ist als eine Art „Abschreckung“ zu betrachten und macht einen Teil der Identität der heutigen Republik aus.
Zudem ist die heutige Verfassung wehrhaft gegenüber Angriffen. Die durch Grundkonsens geprägte politische Kultur wirkt systemstabilisierend.
Die unübersehbaren Unterschiede zwischen Ost und West werden sich im Laufe des zukünftigen Transformationsprozesses, der bevorstehenden Modernisierung der ehemaligen DDR, voraussichtlich verringern. Da die Sozialisation starken Einfluss auf die politische Kultur ausübt, werden die heranwachsenden Generationen in einer freiheitlichen Demokratie ihr politisches Bewusstsein entwickeln. Hieraus wird langfristig der Weg für eine ähnliche Wertorientierung postmaterieller Art, wie sie seit den 70er und 80er Jahren in Westdeutschland in Bewegung kamen, resultieren. Die Modernisierung und Angleichung würden nach und nach für ein weiteres Anwachsen der bereits vorhandenen Stabilität führen. Ein vollständiges Angleichen beider Kulturen ist jedoch nicht zu erwarten. Dieses ist auch nicht Voraussetzung für die Akzeptanz des Systems. Unterschiede in der Kulturlandschaft werden in der Literatur oft als willkommene Artenvielfalt bezeichnet.
8. Literatur
Andersen, Uwe/ Woyke, Wichard (Hg.). Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, Bonn: Leske + Budrich Verlag 2000
Andersen, Uwe/ Breit, Gotthard/ Massig, Peter/ Woyke, Wichard (Hg.). Politische Kultur in Deutschland. Abkehr von der Vergangenheit – Hinwendung zur Demokratie, Aus der Reihe: Politische Bildung. Beiträge zur wissenschaftlichen Grundlegung und zur Unterrichtspraxis, Nr. 3, Jahrgang 36, Schwalbach: Wochenschau Verlag 2003
Gabriel, Oscar W./ Hoffmann, Everhard (Hg.). Handwörterbuch politisches System der Bundesrepublik Deutschland, 3.völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, München: Oldenbourg Verlag 2005
Rudzio, Wolfgang. Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 6.Auflage, Opladen: Leske + Budrich Verlag: 2003
Von Beyme, Klaus. Das politische System der Bundsrepublik Deutschland. Eine Einführung, 9. neu bearb. und akt. Auflage. Opladen/ Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1999
Weidenfeld, Werner. Politische Kultur und deutsche Frage: Materialien zum Staats- und Nationalbewusstsein in der Bundesrepublik Deutschland, Köln: Verlag Wissenschaft und Politik 1989
Berg-Schlosser, Dirk/ Schissler, Jakob. Politische Kultur in Deutschland. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Politische Vierteljahresschrift: Sonderheft 18, Opladen: Westdeutscher Verlag 1987
Sontheimer, Kurt. Deutschlands politische Kultur, München: Piper 1990
Nohlen, Dieter (Hg.). Kleines Lexikon der Politik, 3.Auflage, München: Verlag C.H. Beck oHG 2001
[...]
1 Vgl. Nohlen 2003: 397
2 Vgl. von Beyme 1999: 68
3 Vgl. Berg-Schlosser/ Schissler 1987: 11
4 Vgl. Berg-Schlosser/ Schissler 1987: 27
5 Vgl. von Beyme 1999: 68
6 Vgl. Berg-Schlosser/ Schissler 1987: 12
7 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 462
8 Vgl. Sontheimer 1990: 19
9 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 466
10 Vgl. von Beyme 1999: 68
11 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 467
12 Vgl. Weidenfeld 1989: 237
13 Vgl. Andersen et al. 2003: 9
14 Vgl. Weidenfeld 1989: 237
15 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 470
16 Vgl. Weidenfeld 1989: 242
17 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 480
18 Vgl. Andersen et al. 2003: 8
19 Vgl. Sontheimer 1990: 10
20 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 465
21 Vgl. Andersen/ Woyke 2003: 494
22 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 465
23 Vgl. Andersen/ Woyke 2003: 493
24 Vgl. Berg-Schlosser/ Schissler 1987: 81
25 Vgl. Sontheimer 1990: 106
26 Vgl. Andersen et al. 2003: 28
27 Vgl. Sontheimer 1990: 104 f.
28 Vgl. Sontheimer 1990: 109
29 Vgl. Berg-Schlosser/ Schissler 1987: 83
30 Vgl. Sontheimer 1990: 107
31 Vgl. Sontheimer 1990: 106
32 Vgl. Sontheimer 1990: 105
33 Vgl. Andersen et al. 2003: 28 f.
34 Vgl. Berg-Schlosser/ Schissler 1987: 113 ff.
35 Vgl. Berg-Schlosser/ Schissler 1987: 124 f.
36 Vgl. von Beyme 1999: 69 f.
37 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 471 f.
38 Vgl. Andersen/ Woyke 2003: 495
39 Vgl. Sontheimer 1990: 25
40 Vgl. von Beyme 1999: 70
41 Vgl. Rudzio 2003: 26
42 Vgl. Weidenfeld 1989: 17
43 Vgl. Andersen/ Woyke 2003: 495
44 Vgl. Berg-Schlosser/ Schissler 1987: 23
45 Vgl. Weidenfeld 1989: 234
46 Vgl. Berg-Schlosser/ Schissler 1987: 32
47 Vgl. Andersen/ Woyke 2003: 495
48 Vgl. Weidenfeld 1989: 19
49 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 472
50 Vgl. Weidenfeld 1989: 32
51 siehe Weidenfeld 1989: 32
52 Vgl. Sontheimer 1990: 48
53 Vgl. Sontheimer 1990: 29
54 Vgl. von Beyme 1999: 74
55 Vgl. Sontheimer 1990: 30 f.
56 Vgl. Andersen et al. 2003: 31
57 Vgl. von Beyme 1999: 75 f.
58 Vgl. Weidenfeld 1989: 245
59 Vgl. von Beyme 1999: 77
60 Vgl. Weidenfeld 1989: 23
61 Vgl. Berg-Schlosser/ Schissler 1987: 32
62 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 490
63 Vgl. Weidenfeld 1989: 247
64 Vgl. Berg-Schlosser/ Schissler 1987: 34
65 Vgl. Sontheimer 1990: 60
66 Siehe Sontheimer 1990: 61
67 Vgl. Sontheimer 1990: 62
68 Vgl. Sontheimer 1990: 65
69 Vgl. Sontheimer 1990: 60
70 Vgl. Sontheimer 1990: 73
71 Vgl. Sontheimer 1990: 67 ff.
72 Vgl. Sontheimer 1990: 75
73 Vgl. Sontheimer 1990: 76 ff.
74 Vgl. Sontheimer 1990: 81
75 Vgl. Sontheimer 1990: 80
76 Vgl. Sontheimer 1990: 69
77 Vgl. Sontheimer 1990: 80
78 Vgl. Andersen/ Woyke 2003: 496
79 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 515
80 Vgl. von Beyme 1999: 87
81 Vgl. Sontheimer 1990: 86
82 Vgl. von Beyme 1999: 79
83 Vgl. von Beyme 1999: 82
84 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 487
85 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 487
86 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 486
87 Vgl. Andersen et al. 2003: 22
88 Vgl. Rudzio 2003: 556
89 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 496
90 Vgl. Rudzio 2003: 558
91 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 490
92 Vgl. Rudzio 2003: 563
93 Vgl. Rudzio 2003: 569
94 Vgl. Gabriel/ Hoffmann 2005: 474
95 Vgl. Rudzio 2003: 569 f.
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