Das Erbe des diktatorischen Zentralismus: Die Wirtschaftspolitik der Sowjetunion und ihre Folgen für Usbekistan


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die stalinistische Wirtschaftspolitik im Großreich
2.1. Modernisierungsvorhaben im Agrarstaat vor 1927
2.2. Der sozialistische Aufbau der UdSSR 1927-1953
2.2.1. Notwendigkeit einer Industrialisierung
2.2.2 Elektrifizierung der Großwirtschaftsräume
2.2.3. Die Fünfjahrplanära 1929-1937
2.2.3.1. Etappen und Ergebnisse der Zwangskollektivierung 1930-1941
2.2.3.2. Liquidation der Kulaken als Klasse

3. Sowjetische Wirtschafts- und Umweltpolitik in Mittelasien
3.1. Umleitung nordeuropäischer Flüsse nach Mittelasien
3.2. Die Baumwollwirtschaft in Mittelasien
3.3. Die Aralseekrise

4. Schlussbetrachtungen

5. Literaturliste

6. Anhang

1. Einleitung

„Von der Großmacht zum Entwicklungsland“[1], so heißt ein Artikel der Welthungerhilfe aus dem Jahr 1995. Die Autorin schildert hierin die katastrophalen humanitären Bedingungen, welche in den ehemaligen Unionsrepubliken Tadschikistan und Kirgisistan herrschten. Doch nicht nur hier zeigt sich das Erbe der sowjetischen Politik. Auch Usbekistan ist gleichermaßen von den Auswirkungen der Modernisierungsmaßnahmen des sowjetrussischen Raumes betroffen gewesen und befindet sich seit dem Zusammenbruch der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) in einer prekären Situation, aus der scheinbar kein Ausweg gefunden werden kann.

Usbekistan gehört seit dem Ende der Sowjetunion zu den Entwicklungsländern[2] dieser Erde. Von den knapp 27.500.000 Einwohnern leben rund 45 Prozent unter der Armutsgrenze, in Tadschikistan sind es sogar fast 60 Prozent. Unter- und Fehlernährung sind Probleme, mit denen die Bevölkerung täglich zu kämpfen hat, ebenso wie mit medizinischen Engpässen, einer hohen Säuglingssterblichkeit, großen Arbeitslosigkeit und zunehmenden Bildung von Armutsvierteln und Slums in den größeren Städten.

Zu Beginn der 1990er Jahre und kurz nach dem Zerfall der sowjetischen Großmacht widmeten sich einige Autoren der problematischen Situation der Staaten, die als eigenständig aus der UdSSR hervorgingen, was aufgrund der mangelhaften Datenlage und dem Verbot der Pressefreiheit in der Union vorher kaum möglich war. Vor allem war Mittelasien im besonderen Interesse der Wissenschaftler, da hier offensichtlich die Auswirkungen der sowjetischen Wirtschaftspolitik auf viele Bereiche am gravierendsten waren, zugleich aber auch die islamische Tradition erhalten blieb und ethnische Konflikte die Stabilität der Staaten bedrohten.

Das sowjetische Erbe einer desolaten Wirtschaftssituation und der Versuch, ethnische Einheiten zu schaffen, indem „Die rücksichtslose Politik der Moskauer Zentralregierung [...] in den mittelasiatischen Sowjetrepubliken unter dem Banner der Modernisierung größere wirtschaftliche, soziale und ökologische Schäden angerichtet [hat, d.V.] als in den meisten anderen Gebieten der UdSSR.“[3], führte dazu, dass die dortige Situation mit denen in anderen typischen Drittweltländern vergleichbar ist.

Welche Wirkungen die sowjetische Wirtschaftspolitik auf Mittelasien und im Besonderen auf Usbekistan, die „Baumwollkolonie“ der UdSSR hatte, soll Gegenstand dieser Arbeit sein.

In Punkt zwei werden die genauen Umstände und Mittel untersucht, mit denen Stalin das Land zu modernisieren und industrialisieren versuchte. Die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft schuf eine erste große Voraussetzung, einen einheitlichen Weg nach sowjetischer Art zu bestreiten, um sich einen Platz in der Weltwirtschaft zu sichern. Der dritte Punkt befasst sich anschließend mit der Rolle Mittelasiens, sich ein ökonomisches Standbein im Export zu sichern. Hierfür werden Maßnahmen und Auswirkungen herausgestellt, welche im Zusammenhang mit der Monokultivierung der Landwirtschaft standen. Die leitende Fragestellung „Welche gesellschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen der sowjetrussischen Wirtschaftspolitik prägten die Situation der usbekischen Bevölkerung seit dem Zerfall der Sowjetunion?“ soll im vierten Punkt, den Schlussbetrachtungen, erörtert werden.

In dieser Arbeit gibt es fünf Werke, auf die sich hauptsächlich bezogen wird. Eines der wichtigsten ist „Die Sowjetunion“ Band 1 und 2, welche einen teilweise sehr detaillierten Einblick in die Arbeitsweise der Regierung unter Stalin geben. Oftmals zitiert er direkte Anweisungen der Kommunistischen Partei, Direktiven, Beschlüsse des Zentralkomitees oder auch Stalin selbst, wodurch eine ganz direkter Einblick in die Vorgehensweise und die damit verbundene Ideologie gegeben wird. Daneben gibt es aber auch Berichte von Einzelpersonen, welche von der Umsetzung der Pläne betroffen waren. So schildert er Berichte von Arbeitern im Stahlwerk Magnitogorsk oder von Bauern, deren Dorf die Ablieferungspläne erfüllen mussten, sogar von Begebenheiten, die sich um die Deportation von Kulaken zutrugen.[4] Diese Darstellungen sind besonders wertvoll im Zusammenhang mit der Einschätzung der realen Situation der Bevölkerung. Zu Sowjetzeiten gab es zwar auch viele Berichte über die Erfüllung der Fünfjahrpläne oder anderen Vorhaben, diese waren jedoch, rein objektiv eingeschätzt, meistens eher verschönt, um die Ideologie eines über alle Maßen aufstrebenden Landes aufrecht zu erhalten. Ein wirtschaftswissenschaftliches Buch, „Die Sowjetunion im Zeichen der Weltwirtschaftskrise“ von Patricia Flor, ist ebenso von großer Bedeutung für diese Arbeit, da hier viele Zahlen und Statistiken des tatsächlichen Erfolges der Wirtschaftspolitik geliefert werden. Weiterhin beziehe ich mich auf Literatur aus dem Agrar- (Merl, „Bauern unter Stalin“) und Natur/Umweltschutzbereich (Stern, „Die Umleitung [...] Flüsse in der Sowjetunion [...]“), um einen Überblick über die großen Maßnahmen zu geben, welche die Regierung bei ihrem „Weg nach vorn“ für unausweichlich hielt.

All diese Untersuchungen der sowjetischen Politik aus unterschiedlichen Standpunkten sollen es letzten Endes ermöglichen, die leitende Fragestellung aus sozialer, ökonomischer und ökologischer Sicht tiefgreifend zu beantworten.

2. Die stalinistische Wirtschaftspolitik im Großreich

Die Entfaltung einer neuen Machtordnung und Wirtschaftsweise unter Stalin bis zu seinem Tod bedeuteten für das Land Industrialisierung, Kollektivierung, Zentralismus und Bürokratismus bis hin zu Verfolgung und Terror. In der gesamten Sowjetunion fand ein sozialer und wirtschaftlicher Umschichtungsprozess statt, welcher das Land in kürzester Zeit von einem Agrarland zu einer Industrienation verwandelte. Auf der einen Seite brachte dieser Wandel den Menschen mehr Arbeitsplätze und die Lebensumstände verbesserten sich, wenn auch in einem geringen Maße. Diese Erfolge wurden jedoch von vielen negativen Effekten begleitet, welche zum Teil bis in die heutige Zeit ihre Wirkung entfalten. An dieser Stelle soll jedoch nicht allzu weit auf Details eingegangen werden, die folgenden Punkte untersuchen die genauen Umstände des Stalinismus und seine sozialen und wirtschaftspolitischen Folgen für die sowjetische Gesellschaft.

2.1. Modernisierungsvorhaben im Agrarstaat vor 1927

Die Strukturen des russischen Agrarstaates waren ausschlaggebend für die Rückständigkeit des Landes, was schon lange vor Stalin von sowjetischen Politikern erkannt wurde und dem entgegengewirkt werden sollte.

Die von Lenin eingeleitete und von Stalin ausgebaute Modernisierung Sowjetrusslands kann in zwei Bereiche eingeteilt werden. Zum einen das gesellschaftliche, kulturelle, zum anderen das wirtschaftliche Gebiet. Vergleicht man den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Stand der großen Industrienationen um 1914, so fällt auf, dass Russland am rückständigsten war. In den Städten lebten circa 20%, wohingegen in England 80% oder Deutschland 60% der Bevölkerung in den Städten Arbeit fanden. Der volkswirtschaftlich wichtigste Sektor stellte in Russland die Landwirtschaft dar, in welcher 70% der Bevölkerung arbeiteten und mehr als die Hälfte des Volkseinkommens erbrachten.

Zwei Drittel der Bevölkerung konnten zu dieser Zeit weder lesen noch schreiben.[5] Diese Rückständigkeit wollte die Regierung bekämpfen. Im Parteiprogramm der KPdSU war bereits 1903 zu lesen, dass die Beseitigung „zahlreicher Überbleibsel“ aus „vormodernen Zeiten“ der Autokratie oberste Priorität hatte, „[…] denn diese Relikte behinderten den »wirtschaftlichen Fortschritt«, konservierten und verstärkten die »barbarischen Formen der Ausbeutung«, hielten »das ganze Volk in Unwissenheit und Rechtlosigkeit«.“ Die Bolschewisten wollten unter anderem eine demokratische Republik mit lokaler Selbstverwaltung errichten, den Bürgern ihre Grundrechte zusichern, die Stände abschaffen und die volle Gleichberechtigung aller Bürger erreichen. So wurde die Autokratie abgeschafft und durch eine Doppelherrschaft von Arbeiter- und Soldatenräten ersetzt. Diese Übergangslösung war jedoch nicht zufrieden stellend, da die Situation im Land instabil und von Konflikten geprägt war.

Neben seinen „Aprilthesen“ veröffentlichte Lenin in der Parteizeitung Pravda 1917 einen Artikel, in welchem weitere Ziele benannt wurden. Dazu gehörte, die provisorische Regierung nicht zu unterstützen, den imperialistischen Krieg zu beenden, die Polizei, Armee und Beamtenschaft abzuschaffen, den Boden des Landes zu nationalisieren, Banken und Syndikate zu verstaatlichen und die Produktion zu kontrollieren.[6] Lenins erklärtes Ziel war es, das Land zu modernisieren und eine Diktatur des Proletariats und der armen Bauernschaft zu errichten, obwohl das Proletariat und die Arbeiterschaft in dem Land eine kleine Minderheit darstellte.

Wie sollte jedoch die Landwirtschaft modernisiert werden, nachdem man den Großgrundbesitz eliminiert und durch kleinste Besitztümer ersetzt hatte? Die Frage nach der Erhaltung der Loyalität der Bauern gegenüber der Regierung bei einem Übergang zur sozialistischen Bodenbestellung war ebenso prekär wie die nach der Finanzierung der Industrialisierung. Erst unter Stalin sollten diese Fragen mit progressiven politischen Maßnahmen beantwortet werden und hinter der sozialistischen Propaganda des uneingeschränkten Erfolges dieser Schritte verstummen.

2.2. Der sozialistische Aufbau der UdSSR 1927-1953

Sowjetrusslands Modernisierung sollte zunächst unter dem Gesichtspunkt der Marxistisch-Leninistischen Lehre und mit der Neuen Ökonomischen Politik, erfolgen. Nach Lenins Ableben 1924 setzte sich jedoch Stalin gegen seinen Rivalen Trotzky um die Macht im Land durch und führte die Sowjetunion fortan progressiv Richtung Spitze der Weltmächte.

Die Menschen erlebten in der Stalin Ära einen sehr schnellen und erbarmungslosen Transformationsprozess ihres Landes, in welchem Propaganda die kommunistische Staatsphilosophie ins Volk brachte und politische Gegner oder potenzielle Gefährdungen öffentlich ausgeschaltet wurden.[7] Aus der erkannten Notwendigkeit heraus, das Land modernisieren zu müssen, um sich in der kapitalistischen Weltwirtschaft zu behaupten, beschloss die kommunistische Partei, das Land zu industrialisieren. Dabei spielten nicht die Ziele die entscheidende Rolle, sondern die Methoden und die Fristen, in welchen ein bestimmter Zustand erreicht werden musste. Im Zuge der Industrialisierung fand die Zwangskollektivierung der Bauern statt, was in letzter Konsequenz Millionen Menschenleben forderte. Mit den genauen Umständen dieser Maßnahmen befassen sich die folgenden Punkte.

2.2.1. Notwendigkeit einer Industrialisierung

Ein Wegbereiter der Industrialisierung war der Eisenbahnbau zwischen 1890 und 1900. Vor allem die Schwerindustrie verzeichnete große Zuwachsraten, da die Standortprobleme von schwerindustrielle Zentren gelöst wurden und so das wichtigste Zentrum im Süden entstehen konnte. Aber auch für die Landwirtschaft konnten neue Exportgebiete erschlossen werden.[8] Dies allein reichte jedoch noch nicht aus, um das Land in die Modernität zu führen, welche schon seit längerer Zeit in vielen westeuropäischen Nachbarländern herrschte. Mit der Gründung der UdSSR 1922 und der Auflösung des Kaiserreiches mussten auch die Versprechen der Revolution eingehalten werden und das Reich endlich einen Platz im großen Spiel der Industrienationen finden.

„Die Unterentwicklung Rußlands bemaß sich daher in den Augen der Bolschewiki der zwanziger Jahre [...] an der Unfähigkeit Russlands, in Arbeitsproduktivität, Höhe der Industrieproduktion und im technologischen Niveau dem Vergleich mit dem führenden Industrieland der Zeit, den USA, standzuhalten.“[9] Und auch Stalin selbst äußerte sich: "Wir sind hinter den fortgeschrittenen Ländern um 50 bis 100 Jahre zurückgeblieben. Wir müssen diese Distanz in 10 Jahren durchlaufen. Entweder wir bringen das zuwege, oder wir werden zermalmt."[10]

Die sozialistische Industrialisierung an sich begann 1926 und konzentrierte sich auf die Entwicklung der Schwerindustrie. Dazu gehörte unter anderem der Bau des Dnepr-Staudamms, der Traktorenwerke in Stalingrad (heute Wolgograd), der Turksib-Eisenbahn, der Hüttenwerke Magnitogorsk, Kusnezk oder Kriwoi Rog.[11] Bis Mitte der 1930er Jahre war die Industrialisierung im Wesentlichen abgeschlossen. Die Wegbereiter der Industrialisierung waren die Fünfjahrespläne, auf welche in einem späteren Punkt genauer eingegangen werden soll.

[...]


[1] Westermann, Simone, Von der Großmacht zum Entwicklungsland, Zeitschrift der deutschen Welthungerhilfe,

4/95, Selbstverlag, 1995, S. 6f.

[2] Vgl. Grafik 1, siehe Anhang.

[3] Halbach, Uwe, Erbe des diktatorischen Zentralismus, Der Überblick, 1/91, Selbstverlag, Hamburg, 1991, S. 39.

[4] Altrichter, Helmut, Haumann, Heiko, Die Sowjetunion, Band 2, Wirtschaft und Gesellschaft, Deutscher

Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München, 1987, S. 343-355.

[5] Altrichter, Die Sowjetunion, Band 2, S. 7f.

[6] Ebd., S. 11-14.

[7] Altrichter, Helmut, Die Sowjetunion, Band 1, Staat und Partei, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co.

KG, München, 1986, S. 177-256.

[8] Altrichter, Die Sowjetunion, Band 2, S. 8.

[9] Flor, Patricia, Die Sowjetunion im Zeichen der Weltwirtschaftskrise, Duncker & Humblot, Berlin, 1995, S. 22.

[10] Sowjetische Geschichte nach Stalin, Vgl. unter:

http://www.bpb.de/publikationen/5QJ2GZ,1,0,Sowjetische_Geschichte_nach_Stalin.html#art1.

[11] Altrichter, Die Sowjetunion, Band 2, S. 343-350.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Das Erbe des diktatorischen Zentralismus: Die Wirtschaftspolitik der Sowjetunion und ihre Folgen für Usbekistan
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Politik und Verwaltungswissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
26
Katalognummer
V71323
ISBN (eBook)
9783638620406
Dateigröße
775 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erbe, Zentralismus, Wirtschaftspolitik, Sowjetunion, Folgen, Usbekistan
Arbeit zitieren
Jana Emkow (Autor:in), 2007, Das Erbe des diktatorischen Zentralismus: Die Wirtschaftspolitik der Sowjetunion und ihre Folgen für Usbekistan, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71323

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