[...] Meine Arbeit beginnt mit der Vorstellung der Funktionen und dem Verlauf der
Wahrnehmung und deren Bedeutung für die kindliche Entwicklung. Die
Zusammenarbeit von Wahrnehmung und Bewegung ist ein weiterer wichtiger
Aspekt, den ich in diesem Zusammenhang thematisieren möchte. Im weiteren
Verlauf werden die einzelnen Sinnessysteme vorgestellt und es wird auf die
Wahrnehmungsstörungen, deren Ursachen und die auftretenden Störungsbilder
eingegangen (Kapitel 2).
Im nächsten Kapitel widme ich mich dem Syndrom Lese- und
Rechtschreibschwäche, das ich nach einer Einführung in die historische
Entwicklung, hinsichtlich seiner Ursachen und Diagnostik in Bezug auf die
Wahrnehmung näher untersuchen werde. An dieser Stelle gebe ich ein Einblick in
die Strukturen, nach denen sich der Prozess des Lesen- und Schreibenlernens
vollzieht und in die Voraussetzungen, die für den Erwerb der Schriftsprache von
Bedeutung sind (Kapitel 3).
Einen weiteren Schwerpunkt setze ich mit meinem letzten großen Kapitel über die
Wahrnehmungsförderung. Die Darstellung verschiedener Programme zur Förderung
der Wahrnehmung, die immer in Bezug auf die Lese- und Rechtschreibschwäche
betrachtet werden, wird in diesem Kapitel vorgenommen. Des Weiteren gebe ich
einen Überblick über verschiedene Spiele, die sowohl zur Förderung in der Schule,
als auch im Elternhaus eingesetzt werden können. Die Wichtigkeit der Elternarbeit
bei der Förderung betroffener Kinder, wird im Anschluss besprochen (Kapitel 4).
In meiner Schlussbetrachtung fasse ich die Kernpunkte meiner Arbeit noch einmal
abschließend zusammen (Kapitel 5).
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Wahrnehmung – Definition
2.1 Das Zentralnervensystem – (ZNS)
2.2 Grundbegriffe und Verlauf der Wahrnehmung
2.3 Die Sensorische Integration
2.4 Die Entwicklung der Sinneswahrnehmung
2.5 Wahrnehmung und Bewegung
2.6 Die unterschiedlichen Sinnessysteme
2.6.1 Das taktile System
2.6.2 Das kinästhetische System
2.6.3 Das vestibuläre System
2.6.4 Das visuelle System
2.6.4 Das auditive System
2.6.5 Das gustatorische System
2.6.6 Das olfaktorische System
2.7 Wahrnehmungsstörungen
2.7.1 Ursachen
2.7.2 Störungsbilder
3. Die Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) oder Legasthenie
3.1 Historische Entwicklung und Begriffsklärung – Definition
3.2 Der Prozess des Lesen- und Schreibenlernens
3.2.1 Grundlagen für das Lesen- und Schreibenlernen
3.2.2 Entwicklungsmodell der Schriftsprache
3.3 Ursachen von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten
3.3.1 Phonologische Bewusstheit
3.3.2 Phonologisches Rekodieren
3.4 Diagnostik
3.4.1 Die Differenzierungsprobe für Sechs- bis Siebenjährige (DP 2)
3.4.2 Das Bielefelder Screening (BISC)
3.4.3 Diagnostischer Rechtschreibtest (DRT)
4. Wahrnehmungsförderung
4.1 Programme zur Förderung der Wahrnehmung
4.1.1 Die Förderung nach Breuer und Weuffen
4.1.2 Die Förderung der Sinne nach Montessori
4.1.3 Die Förderung der Lernvoraussetzungen nach -Stumpenhorst
4.1.4 Das Würzburger Trainingsprogramm
4.2 Spiele zur Wahrnehmungsförderung
4.3 Elternarbeit
5. Schlussbemerkung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Nach den Rahmenrichtlinien des Faches Deutsch hat der schulische Deutschunterricht zum Ziel, Schülern das Lesen und Schreiben zu vermitteln, sie sowohl in die gesprochene als auch in die geschriebene Sprache einzuführen sowie die Freude am Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben zu wecken und zu fördern. Das Lesen und Schreiben zählt zu den grundlegenden Fähigkeiten, um die Schulzeit erfolgreich zu absolvieren und sich am gesellschaftlichen Leben zurechtzufinden und beteiligen zu können. Leider wird durch Lehrer und Eltern immer häufiger beobachtet, dass viele Kinder große Mühe beim Erlernen des Lesens und Schreibens haben. Im Anfangsunterricht stellen Lehrer fortwährend fest, dass die betroffenen Kinder unter Problemen in der Motorik, zum Beispiel in der Stifthaltung beim Malen oder Schreiben, leiden. Die Kinder vertauschen ähnlich klingende Konsonanten in Diktaten und ihnen fällt es sehr schwer, sich beim Zuhören zu konzentrieren. Sie verwechseln ähnlich aussehende Buchstaben nicht können sich diese häufig nicht merken. Hinzu kommt, dass sie in ihrer Sprache auffällig sind. Sie zeigen Probleme bei der Satzbildung und haben eine auffallend mangelnde Gesprächsbereitschaft. Diese Probleme wirken sich erheblich auf die schulischen Leistungen der betroffenen Kinder aus, insbesondere auf den Erwerb des Lesens und Schreibens. Führende Experten deuten diese Schwierigkeiten unter anderem als Wahrnehmungs-auffälligkeiten oder Wahrnehmungsstörungen, die zu den bekannten Problemen des Schreiben- und Lesenlernens führen können.
Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass das Lesen und Schreiben in enger Verbindung zu der Wahrnehmung steht. Doch wie werden diese Grundfähigkeiten von der Wahrnehmung beeinflusst?
In unserer heutigen hektischen und medienorientierten Zeit haben die Kinder nicht immer ausreichende Möglichkeiten und Lebensbedingungen, alle Sinne einzusetzen, zu fordern, zu erproben und weiterzuentwickeln. Die Entwicklung der Wahrnehmung wird dadurch gehindert und es führt dazu, dass die Kinder Schwierigkeiten in Bereichen, wie Lesen und Schreiben bekommen.
Sicherlich wird jede Lehrkraft in einer Klasse mindestens einen Schüler vorfinden, der unter Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben leiden. Günther (vgl. 2002, 6) spricht davon, dass bis zu 25% der Kinder zu Schulbeginn Wahrnehmungsschwächen aufzeigen. Diese Zahl ist erschrecken und sollte Lehrer und auch uns Studenten als angehende Lehrer zum Nachdenken bringen. Uns sollte bewusst werden, dass wir den betroffenen Kindern mit geeigneten Förderprogrammen helfen können. Heutzutage gibt es unzählige Förderprogramme, so dass bei einer Wahl des geeigneten Programms schnell der Überblick verloren gehen kann. Um einen Einblick zu verschaffen werde ich in dieser Arbeit Förderprogramme vorstellen und auf ihre Brauchbarkeit hin überprüfen. Die Förderung der Wahrnehmung im Bezug auf die Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten steht im Mittelpunkt dieser Hausarbeit. Des Weiteren befasst sich die Arbeit mit der Frage, welche Bedeutsamkeit die Wahrnehmung für das Erlernen des Lesens und Schreibens hat und wie die Wahrnehmung den Lese- und Rechtschreibprozess beeinflusst.
Meine Arbeit beginnt mit der Vorstellung der Funktionen und dem Verlauf der Wahrnehmung und deren Bedeutung für die kindliche Entwicklung. Die Zusammenarbeit von Wahrnehmung und Bewegung ist ein weiterer wichtiger Aspekt, den ich in diesem Zusammenhang thematisieren möchte. Im weiteren Verlauf werden die einzelnen Sinnessysteme vorgestellt und es wird auf die Wahrnehmungsstörungen, deren Ursachen und die auftretenden Störungsbilder eingegangen (Kapitel 2).
Im nächsten Kapitel widme ich mich dem Syndrom Lese- und Rechtschreibschwäche, das ich nach einer Einführung in die historische Entwicklung, hinsichtlich seiner Ursachen und Diagnostik in Bezug auf die Wahrnehmung näher untersuchen werde. An dieser Stelle gebe ich ein Einblick in die Strukturen, nach denen sich der Prozess des Lesen- und Schreibenlernens vollzieht und in die Voraussetzungen, die für den Erwerb der Schriftsprache von Bedeutung sind (Kapitel 3).
Einen weiteren Schwerpunkt setze ich mit meinem letzten großen Kapitel über die Wahrnehmungsförderung. Die Darstellung verschiedener Programme zur Förderung der Wahrnehmung, die immer in Bezug auf die Lese- und Rechtschreibschwäche betrachtet werden, wird in diesem Kapitel vorgenommen. Des Weiteren gebe ich einen Überblick über verschiedene Spiele, die sowohl zur Förderung in der Schule, als auch im Elternhaus eingesetzt werden können. Die Wichtigkeit der Elternarbeit bei der Förderung betroffener Kinder, wird im Anschluss besprochen (Kapitel 4).
In meiner Schlussbetrachtung fasse ich die Kernpunkte meiner Arbeit noch einmal abschließend zusammen (Kapitel 5).
2. Wahrnehmung – Definition
Die Wahrnehmung bildet die Grundlage für die kindlichen Lern- und Kommunikationsprozesse sowie für die Bewegungshandlungen. Sie ist stets an die Interaktion mit der Umwelt gebunden und bestimmt das tägliche Handeln der Kinder. Sie umfasst die Aufnahme von Umwelt- und Körperreizen über verschiedene Rezeptoren und hat die Aufgabe, aus einer Fülle von Reizen die Information auszuwählen, zu verarbeiten und zu speichern, die für die momentane Situation von Bedeutung ist (vgl. Zimmer 2004, 15ff.).
Zimmer definiert Wahrnehmung als „[…] den Prozess der Informationsaufnahme aus Umwelt- und Körperreizen (äußere und innere Wahrnehmung) und der Weiterleitung, Koordination und Verarbeitung dieser Reize im Gehirn. In diesen Prozess gehen individuelle Erfahrungen, Erlebnisse und subjektive Bewertungen ein. In der Regel folgen der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen Reaktionen in der Motorik oder im Verhalten eines Menschen, die wiederum zu neuen Wahrnehmungen führen.“ (Zimmer 2004, 32).
Die Wahrnehmung ist für uns selbstverständlich. Wir nehmen die Eindrücke aus der Umwelt auf und verwenden die für uns wichtigen Informationen für das alltägliche Leben. Kinder brauchen daher genügend Freiräume und vielfältige Möglichkeiten, um sich mit ihrer Umwelt aktiv auseinander zu setzen und diese mit allen Sinnen erfahren zu können. Das selbständige Erleben und Ausprobieren fördert die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit. Kinder nehmen Eindrücke über ihre Sinne auf, verarbeiten und speichern diese, so dass sich Erfahrungen und Erkenntnisse entwickeln, auf die das Kind in späteren Situationen wieder zugreifen kann. Durch eine gut ausgebildete Wahrnehmung werden Kinder sicherer in ihren Bewegungen und in den an sie gestellt Anforderungen. Dies bezieht sich auf alle Bereiche des Lernens.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: „Mit allen Sinnen die Welt erfahren“ (Zimmer 2004, 16)
Das Lernen und Verhalten und somit die Lernfähigkeiten und die Verhaltensweisen der Kinder, aber auch von uns Erwachsenen, sind Aspekte der Wahrnehmungsverarbeitung von Sinnesreizen (vgl. Zimmer 2004, 17ff.).
Um diesen Prozess besser verstehen zu können, gebe ich zunächst ein Überblick über die Funktion und den Aufbau des Zentralnervensystems.
2.1 Das Zentralnervensystem – (ZNS)
Das Nervensystem unterteilt sich in erster Linie in das zentrale und das periphere Nervensystem. Zum zentralen Nervensystem gehören das Gehirn und das Rückenmark. Unter dem peripheren Nervensystem versteht man alle Anteile des Nervensystems, die nicht im Gehirn und Rückenmark liegen und hauptsächlich der Informationsübermittlung dienen, die Informationen jedoch nicht weiterverarbeiten (vgl. Büker 1999, 17f.).
Die wichtigsten Bausteine des zentralen Nervensystems sind die Nervenzellen, die Neuronen. Jede Nervenzelle besteht aus dem Zellkörper und zahlreichen Fortsätzen, die sich nach Länge und Verzweigung, insbesondere auch nach ihrer Funktion, in zwei unterschiedliche Arten unterteilen lassen. Die Axone stellen die Verbindungen zu anderen Nervenzellen her und dienen der Weiterleitung von Informationen. Die Verbindungsstelle eines Axons mit einer anderen Zelle wird Synapse genannt. Die zweite Art, wird als Dendriten bezeichnet und nehmen Informationen auf, die von den Axonen anderen Neuronen weitergegeben werden (vgl. Büker 1999, 25ff.; Günther 2002, 18f.; Zimmer 2004, 39f.).
Das komplexe Geflecht ist so eingerichtet, dass es die Befehle des Gehirns an die Muskulatur weiterleitet und automatisch die Funktionen des Körpers steuert. Dieses geschieht durch die afferenten[1] und efferenten[2] Nervenbahnen, die im Rückenmark zusammengefasst werden und die Verbindung zwischen Gehirn und Körperperipherie[3] herstellen. Die Wahrnehmungsreize, welche über die Sinnesrezeptoren aufgenommen werden, werden über die aufsteigenden (afferenten) Nervenbahnen zum Gehirn weitergeleitet, in dem die Informationen verarbeitet werden. Die motorischen Reaktionen erfolgen über die absteigenden (efferenten) Nervenbahnen (vgl. Günther 1998, 16f.; Büker 1999, 18).
Das zentrale Nervensystem stellt somit das Überwachungs- und Steuerungssystem für unser gesamtes Lernen und Verhalten dar und ist der Ort der Koordination der Sinne und der Reizverarbeitung (vgl. Zimmer 2004, 33).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Informationen und Reize aus der Umwelt über unsere Sinnesorgane aufgenommen werden und zum Zentralnervensystem weitergeleitet werden. Um diesen Prozess der Aufnahme, der Verarbeitung und Speicherung besser zu verstehen, ist es notwendig, die Grundprinzipien des Hirnaufbaus kennen zu lernen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: „ Schematische Darstellung des Gehirns“
(Zimmer 2004, 34)
Das Gehirn ist der wichtigste Teil des Zentralnervensystems. Es umfasst das Großhirn mit seinen beiden Großhirnhemisphären und den Hirnstamm, der es mit dem verlängerten Rückenmark, der Medulla oblongata, verbindet (vgl. Büker 1999, 18; Zimmer 2004, 33).
Als Hirnstamm werden die Bereiche des Gehirns bezeichnet, die sich unterhalb des Zwischenhirns befinden. Zum Hirnstamm gehören das Mittelhirn, die Brücke und das verlängerte Rückenmark mit der Formatio reticularis. Die Formatio reticularis ist eine netzförmige Nervenmasse, die sich vom verlängerten Mark bis zum Zwischenhirn zieht. Sie enthält aus allen Sinnesbereichen sensorische Informationen, die hier miteinander verknüpft und weitergeleitet werden. Lernstörungen, aber auch Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen oder Hyperaktivität, lassen sich mit Dysfunktionen der Formatio reticularis und des Hirnstammes in Verbindung bringen (vgl. Büker 1999, 18ff.; Zimmer 2004, 36). Im Hirnstamm laufen viele Nervenbahnen aus allen Gehirngebieten zusammen, sodass er ein wichtiger Bestandteil zur Verarbeitung und Integration aller eingehenden Informationen ist (vgl. Büker 1999, 18; Zimmer 2004,36).
Die Brücke, der Pons, stellt einerseits die Verbindung zum Mittelhirn her, andererseits dient sie als Nervenverbindung zwischen Hirnrinde und Kleinhirn (vgl. Büker 1999, 19).
Das Kleinhirn, das sich in der Hinterkopfregion unter den beiden Großhirnhemisphären befindet, ist für die Koordination der Bewegung zuständig. Die Instruktionen der Großhirnrinde und alle Nachrichten aus den Sinnesorganen laufen über das Kleinhirn und werden dort aufeinander abgestimmt und zugeordnet (vgl. Zimmer 2004, 36).
Das Mittelhirn bildet mit der Brücke und der Medulla oblongata den Hirnstamm. Ein Teil des Mittelhirns ist für den Bereich der visuellen und auditiven Wahrnehmung verantwortlich. Eine Störung in diesem Bereich kann zu Beeinträchtigungen der visuellen und auditiven Wahrnehmung führen (vgl. Büker 1999, 19f.).
Das Zwischenhirn verbindet das Großhirn und den Hirnstamm. Im Zwischenhirn liegen der Thalamus[4] und der Hypothalamus[5]. Alle Sinne, mit Ausnahme des Geruchsinns, senden ihre Informationen über den Thalamus zum Gehirn. Bevor die Sinnesreize weitergeleitet werden, werden sie im Thalamus neu geordnet. Dieser stellt einen wichtigen Teil der bewussten Wahrnehmung dar. Störungen in diesem Bereich können zu Schädigungen der visuellen, auditiven und taktilen Wahrnehmung führen. Der Hypothalamus steht in Kontakt zur Hirnanhangdrüse, der Hypophyse, und reguliert das Hormonsystem. Er überwacht und regelt die Körpertemperatur, den Herzschlag und die Nierenfunktion, aber auch Hunger und Durst sowie den Geschlechtstrieb. Eng verbunden mit dem Thalamus und dem Hypothalamus ist das Limbische System, das sich zwischen dem Großhirn und dem Zwischenhirn befindet (vgl. Büker 1999, 21f.; Zimmer 2004, 36). Die Informationen erhalten durch das Limbische System ihre emotional-affektive Bewertung. Es ist an der Entstehung von Gefühlen und Motivation beteiligt. Das Limbische System ist durch die Mitwirkung bei der Gedächtnisspeicherung und beim Lernen für das schulische Lernen von großer Bedeutung (vgl. Zimmer 2004, 36).
Die Großhirnrinde ist eine dünne, stark gefaltete Nervengewebsschicht, die aus den beiden Großhirnhemisphären besteht. Hier werden die Sprache, das Körpergefühl, das Denken und das Bewusstsein gesteuert. Jede Hemisphäre hat einen speziellen Funktionsbereich. Die linke Hirnhälfte ist für die Sprachproduktion und Spracherkennung verantwortlich, während die rechte Hirnhälfte für nicht-verbale Leistungen und die räumliche Wahrnehmung zuständig ist. Die beiden Gehirnhälften werden durch den Balken miteinander verbunden. Das bedeutet, dass zwischen den beiden Hemisphären eine wechselseitige Abhängigkeit besteht, so dass kein Bereich fähig wäre, allein für sich zu arbeiten. Deshalb ist es besonders wichtig, dass beide Gehirnhälften gleichermaßen angesprochen werden, um bestmöglich arbeiten zu können (vgl. Zimmer 2004, 37f.; Büker 1999, 24).
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die wichtigste Aufgabe des Gehirns darin besteht, ankommende Reize zu sortieren, mit bereits vorhandenen Informationen zu vergleichen und anschließend angemessene Reaktionen zu veranlassen.
2.2 Grundbegriffe und Verlauf der Wahrnehmung
Wie bereits beschrieben, nehmen die Sinnesorgane und die Rezeptoren Reize auf und leiten die Informationen an das Gehirn weiter. Ein Sinnesorgan vermittelt jeweils Sinneseindrücke, die in ihrer Intensität verschieden sein können, aber sich in ihrer Qualität ähneln (vgl. Zimmer 2004, 43).
Dudel bezeichnet eine Gruppe ähnlicher Sinneseindrücke, die durch ein bestimmtes Sinnesorgan vermittelt werden, als Modalität. Die Modalitäten sind also die fünf Sinne. Er unterscheidet zwischen Modalitäten, welche die äußeren Sinneseindrücke umfassen und zwischen denen, die sich auf den eigenen Zustand des Körpers beziehen. In Bezug auf den Sinneseindruck lassen sich noch weitere Unterscheidungen innerhalb der einzelnen Modalitäten vornehmen. Diese betreffen die Qualität und Quantität der Wahrnehmung. Die Qualität beschreibt die Art des Sinneseindruckes und die Quantität die Intensität des Sinneseindruckes. So unterteilt man beispielsweise die Modalität Sehsinn in die Qualitäten „Helligkeit“ und „Farbunterscheidung“ oder bei dem Geschmackssinn in die Qualitäten „süß“, „sauer“ oder „bitter“. Durch die Reaktion mit den Rezeptoren erhält ein Reiz seine bestimmte Qualität. Die Stärke eines Reizes nennt man Quantität oder auch Intensität eines Sinneseindruckes. Der kleinste Reiz, der aber trotzdem eine Reaktion auslöst, wird als Schwellenreiz bezeichnet. Für das Ohr ist dies beispielsweise die geringste Tonlautstärke, die gerade noch wahrgenommen werden kann. Dudel bezeichnet mit dem Begriff Sinneseindruck die einfachste Einheit der Sinneserfahrungen, wie zum Beispiel die gesehene Farbe „grün“ oder der Geschmack „salzig“. Diese Sinneseindrücke werden jedoch selten nur vereinzelt wahrgenommen, daher bezeichnet er die Summe aller Sinneseindrücke als Sinnesempfindung. Zur reinen Sinnesempfindung kommt noch eine individuelle Deutung hinzu, die durch Erfahrungen und bereits vorhandenem Wissen entsteht. Dieser Verlauf wird als Wahrnehmung bezeichnet (vgl. Dudel 1985, 2ff.; Zimmer 2004, 43f.).
Im Folgenden wird nun der Weg vom ankommenden Reiz bis zur Reaktion beschrieben und anhand einer Abbildung (Abb. 3) verdeutlicht.
Nach der Definition von Zimmer ist der Wahrnehmungsprozess für die Aufnahme und Verarbeitung eines Reizes über die Sinnesorgane und Rezeptoren, für die Weiterleitung an das Gehirn sowie für die Speicherung und das Vergleichen mit bisherigen Erfahrungen und für die Verknüpfung und Interpretation der Empfindungen zuständig (vgl. Zimmer 2004, 32).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: „Verlauf des Wahrnehmungsprozesses“ (Zimmer 2004, 47)
Die Aufnahme eines Reizes durch den entsprechenden Rezeptor des Sinnesorgans ist die erste Stufe des Wahrnehmungsprozesses. Von dort wird der Reiz über die afferenten Nervenbahnen in die entsprechenden sensorischen Zentren der Großhirnhälfte weitergeleitet (vgl. Kespert und Hottinger 1999, 40). Das Wahrgenommene wird mit bereits vorhandenem Wissen verglichen und im Gehirn gespeichert. Im Anschluss folgt die Auswertung und Bewertung der Informationen. Im Gehirn erfolgt dann die Verknüpfung der einzelnen Reize mit den verschiedenen sensorischen Zentren. Bevor es zu einer Reaktion kommt, werden die Reize in die bisherigen Erfahrungen eingeordnet. Nach diesem Verlauf kommt es zur Reizbeantwortung, die sich in einer motorischen Handlung äußert. Diese Reaktion erfolgt dadurch, dass die efferenten Nervenbahnen den Impuls des Gehirns zum ausführenden Organ leiten. Die durch den Reiz ausgelösten Reaktionen lösen wiederum weitere Wahrnehmungen aus und der Prozess der Wahrnehmung beginnt erneut (vgl. Zimmer 2004, 46). Zimmer beschreibt, dass es sich bei dem Verlauf der Wahrnehmung um einen kreisförmigen Prozess handelt, in dem sich Wahrnehmung und Bewegung wechselseitig bedingen und nicht als abgeschlossene Handlungen zu sehen sind (vgl. ebenda). Das Wahrnehmen der Umwelt ist in der kindlichen Entwicklung zunächst immer mit motorischen Aktionen und Reaktionen verbunden. Die Erforschung der Umwelt erfolgt durch den handelnden Umgang mit Gegenständen und mit dem eigenen Körper, so dass Kinder vielfältige Erfahrungen sammeln können. Wird die Bewegungsmöglichkeit der Kinder eingeschränkt, kommt es zu einer verlangsamten und unvollständigen Wahrnehmungsentwicklung (vgl. Kespert und Hottinger 1999, 41).
2.3 Die Sensorische Integration
Der Begriff der sensorischen Integration ist auf Ayres zurückzuführen.
Sie definiert die sensorische Integration als „[…] Prozess des Ordnens und Verarbeitens sinnlicher Eindrücke (sensorischen Inputs), so dass das Gehirn eine brauchbare Körperreaktion und ebenso sinnvolle Wahrnehmungen, Gefühlsreaktionen und Gedanken erzeugen kann. Die sensorische Integration sortiert, ordnet und vereint alle sinnlichen Eindrücke des Individuums zu einer vollständigen und umfassenden Hirnfunktion.“ (Ayres 2002, 47).
Nach der Definition lässt sich annehmen, dass die sensorische Integration ein Teil des Wahrnehmungsprozesses ist, der bereits unter 2.2 erläutert wurde.
Die sensorische Integration vollzieht sich durch gewöhnliche Tätigkeiten wie zum Beispiel das Bewegen, das Sprechen und Spielen (vgl. Ayres 2002, 11). Durch die von Ayres so genannte, Anpassungsreaktionen werden die hervorgerufenen Verarbeitungsprozesse gefördert und eine gute sensorische Integration bewirkt. Die Anpassungsreaktion ist somit die sinnvolle und zielgerichtete Antwort auf einen sensorischen Reiz (vgl. ebenda, 9f.). Die sensorische Integration ist der Ausgangspunkt für die komplexen Abläufe wie beispielsweise für Lernprozesse im Lesen, Schreiben und Rechnen. Bei gut geordneten Integrationsprozessen in den ersten Lebensjahren wird es dem Kind leichter fallen, kognitive und soziale Fähigkeiten zu erlernen (vgl. ebenda, 11).
2.4 Die Entwicklung der Sinneswahrnehmung
Bereits im Mutterleib beginnt die Entwicklung der Sinne, so dass sie nach der Geburt funktionsfähig sind. Die weitere Entwicklung der Sinnesorgane ist vom alltäglichen Gebrauch abhängig, das heißt, die Wahrnehmungsfähigkeit des Kindes wird durch seine ständige Auseinandersetzung mit sich und seiner Umwelt verbessert (vgl. Zimmer 2004, 49).
Über die Zusammenarbeit der einzelnen Sinnesmodalitäten gibt es unterschiedliche Auffassungen. Zwei Standpunkte über den Verlauf der Wahrnehmungsentwicklung stelle ich im Folgenden vor.
Piaget ist der Meinung, dass das Kind bei der Geburt mit einer Anzahl funktionsbereiter Reflexmechanismen ausgestattet ist. Dazu gehören das Saugen, das Schauen, das Hören und das Greifen. Des Weiteren geht er von getrennten Seh-, Hör-, Tast und Schmeckerfahrungen aus. Nach Piaget besteht die Welt des Babys noch nicht aus einer einheitlichen Welt mit konkreten Gegenständen, sondern aus Sinneseindrücken, die das Ergebnis seiner eigenen Handlungen sind (vgl. Rauh 1987, 162). Die Koordination der Sinne findet erst bei der Auseinandersetzung mit der Umwelt statt. Durch einzelne Handlungen bilden sich neue kognitive Strukturen heraus, welche die Voraussetzung für die geistige Entwicklung des Kindes schaffen. Piaget bezeichnet diese als sensomotorische Intelligenz (vgl. Piaget 1972, 193). Die Zeit zwischen Geburt und Spracherwerb sieht er für die kognitive Entwicklung als entscheidend an, „[…]da sich in ihr der Säugling durch Wahrnehmung und Bewegung der gesamten praktischen Umwelt bemächtigt“ (Piaget 1972, 193).
Piagets Auffassung nach verläuft die Entwicklung der Wahrnehmung vom einfachen Schema zur komplexen Struktur. Isolierte Wahrnehmungen werden also Schritt für Schritt zu einem Ganzen zusammengefügt.
Das folgende Entwicklungsmodell (vgl.Abb.4) von Affolter wurde in Anlehnung an Piaget entwickelt und zeigt die verschiedenen Entwicklungsstufen der Wahrnehmung auf, die Kinder der Reihe nach durchlaufen (vgl. Zimmer 2004, 53).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: „Wahrnehmungsentwicklung nach Affolter (1975)“
(Günther 1998, 22)
Die intramodale Stufe wird oft auch modalitätsspezifische Stufe genannt. Hier entwickeln sich die auditive, visuelle, taktile, kinästhetische und vestibuläre Wahrnehmung gleichzeitig aber unabhängig voneinander. Das Zusammenspiel der einzelnen Sinnesbereiche erfolgt auf der intermodalen Stufe (vgl. Affolter 1975, 223ff.).
Die seriale Integration ist die höchste Stufe der Wahrnehmungsfähigkeit. Auf dieser Stufe findet die Integration von nacheinander folgenden Reizen zu einem sinnvollen Gesamteindruck statt. Die seriale Stufe ist die Voraussetzung zum Erlernen der Laut- und Schriftsprache (vgl. Zimmer 2004, 54; Affolter1975, 223ff.).
Eine ganz andere Auffassung über die Wahrnehmungsentwicklung vertritt Dornes. Er spricht aufgrund verschiedener experimenteller Untersuchungen vom kompetenten Säugling (vgl. Dornes 1998, 43). Ähnlich wie bei Piaget verfügt auch bei Dornes der Säugling schon bei der Geburt über Fähigkeiten, die er bereits von Anfang an miteinander in Beziehung setzt. Dornes bezeichnet diesen Prozess der Koordination als kreuzmodale Wahrnehmung (vgl. ebenda, 43ff.). Demnach werden keine isolierte Reize und Empfindungen sondern miteinander verknüpfte Sinneswahrnehmungen aus verschiedenen Modalitäten aufgenommen. Die Differenzierung der ganzheitlichen Wahrnehmungen in einzelne Empfindungen ist nach Dornes das Ergebnis der Wahrnehmungsentwicklung und nicht der Anfang (vgl. ebenda).
Nach Zimmer steht die Wahrnehmungsentwicklung in enger Beziehung zur Bewegung und zum aktiven Handeln. Diese Verbindung dient dem Kind, sich in seiner Umwelt zurecht zu finden und auf sie einzuwirken. Gleichzeitig wird die Entwicklung der Wahrnehmung und der Bewegung von der Umwelt beeinflusst (vgl. Zimmer 2004, 52).
Bevor ich einen Überblick über die Sinnessysteme und ihre Funktion gebe, stelle ich im folgenden Kapitel den Zusammenhang von Bewegung und Wahrnehmung dar.
2.5 Wahrnehmung und Bewegung
„Das Kind nimmt die Welt weniger mit dem Kopf, also mit seinen geistigen Fähigkeiten, über das Denken und Vorstellen auf, es nimmt sie vor allem über seine Sinne, seine Tätigkeiten, mit seinem Körper wahr. Durch Bewegung tritt das Kind in einen Dialog mit seiner Umwelt ein, Bewegung verbindet seine Innenwelt mit seiner Außenwelt. Die Welt erschließt sich dem Kind über Bewegung“ (Zimmer 1995, 5).
Nach Leyendecker ist Bewegung immer im Wahrnehmungsaspekt vorhanden und folgt nicht erst nach der Wahrnehmung. Das bedeutet, dass man während des Handelns stets etwas wahrnimmt und sofort auf neue Eindrücke reagiert. Wahrnehmung und Bewegung bedingen sich nach Leyendecker im Sinne eines Regelkreises gegenseitig (vgl. Leyendecker 1996, 223f.; Abb. 5). Dieser Regelkreis steht in ständiger Rückkopplung, worin Wahrnehmung und Bewegung Faktoren eines zyklischen Prozesses darstellen.
Des Weiteren betont Leyendecker, dass Wahrnehmungsstörungen nicht unbedingt Folge und Ausdruck einer motorischen Störung sind und umgekehrt. Diese Wechselbeziehung ist keine Erklärung für eine mögliche Störung, sondern nur ein gleichzeitiges Auftreten von Auffälligkeiten (vgl. ebenda, 225f.).
[...]
[1] afferent: Afferente Nerven, die Erregungen von peripheren Rezeptoren zum ZNS leiten (vgl. Hildebrandt 1998, 25)
[2] efferent: Efferente Nerven, die Erregungen vom ZNS zur Peripherie, wie zum Beispiel Muskeln, leiten (vgl. ebenda, 395)
[3] (Körper-)peripherie: Peripherie = Umgebung (vgl. ebenda, 1222)
[4] Thalamus: Größte graue Kernmasse des Zwischenhirns, die über entsprechende Fasernsysteme mit Teilen des ZNS, wie mit der Großhirnrinde, mit dem Kleinhirn und dem Rückenmark, in Verbindung steht (vgl. Hildebrandt 1998, 1560).
[5] Hypothalamus: Teil des Zwischenhirns, der Zentren enthält, welche die Vorgänge, wie zum Beispiel die Körpertemperatur, den Wach- und Schlafrhythmus aber auch Sexualfunktionen koordinieren (vgl. ebenda, 730).
- Arbeit zitieren
- Margarethe Gawlik (Autor:in), 2004, Wahrnehmungsförderung bei Kindern mit Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) in der Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71518
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