Die Literatur war schon immer in gewisser Weise ein Kuriosum, für die einen, weil sie
sie nicht verstehen, für die anderen, weil sie eben versuchen sie zu verstehen. Mit jeder
neuen Kunstform werden auch neue Denkweisen gefordert. Man kann vermuten, dass die
Gebrüder Lumière im Jahre 1898 wahrscheinlich nicht erahnen konnten, wie weit ihre
Erfindung des „Cinématograph“ in Frankreich führen sollte. Zumindest wussten sie sicher
nicht, dass es zu kontroversesten Debatten und höchsten Formen einer neuen Kunst
kommen sollte: die Filmkunst. Nachdem man sich besonders dem Genre der Cowboy-
Filme zuwandte, entdeckte man bald die Beliebtheit der Verfilmungen von Theaterstücken,
Romanen und Gedichten zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Hier zeigte sich bereits die
damals sehr begrenzten Möglichkeiten des Films, da er sich nicht exakt den literarischen
Mitteln bedienen kann, er besitzt so zusagen keine Literarizität im engeren Sinne, sondern
musste diese für sich selbst entdecken und modifizieren. Das Verhältnis von Wort und Bild
ist nicht erst mit dem Aufkommen technisch-apparativer Medien zum Gegenstand
kontroverser kultur- und literaturwissenschaftlicher Debatten geworden. Wie mit dem
neuen Medium Film ging man schon in der Unterscheidung anderer Künste vor, allein
schon in denen mit einem Verhältnis von Wort und Bild1. Die alleinige Übertragung von
beliebten Büchern in das filmische Medium sollte jedoch nicht der Hauptbestandteil
bleiben, da in diesem Genre die Bücher bessere Möglichkeiten hatten, das Sujet zu
übermitteln. Der Film musste also 'erzählen lernen'. Mit dieser Herausforderung war eine
Auseinandersetzung mit dem Material des Films unumgänglich. Konnte man das Material
in der selben Weise behandeln, wie in der Literatur? Zeigen sich in dem neuen Medium
vielleicht auch neue technische, sowie stilistische Möglichkeiten? Poetizität macht die
Literatur als Kunstform aus. Also müsste es genau auch diese im Film sein, die ihn zu einer
solchen machen kann. Dies ist im Rahmen dieser Hausarbeit zu betrachten und wurde
bereits mit der Expansion der neuen Kunstform untersucht und sehr strittig behandelt. Man
versuchte, trotz fehlender wissenschaftlicher Kenntnisse zum neuen Medium und
mangelnden technischen Möglichkeiten zu dieser Zeit, sich damit auseinanderzusetzen und
es in seiner Form zu optimieren.
Inhalt
Einleitung
1 Zur Poetik-Theorie des Films
2 Šklovskij - Schriften zum Film
3 Tynjanov - Poetik des Films
Fazit
Literatur- und Quellenverzeichnis
Einleitung
,,Da sitgt einerüber seiner Schreibmaschine, raucht gu viel, bläst Staub von den 'Sasten, beißtin einen Apfel und denkt an Schiller dabei, starrtauf das leere Papierund dann auf die Uhr, kratgt an dem verklebten kleinen a herum, bis es wieder sauber ist, hat schon wieder eine Zigarette in Brand und nennt das alles Arbeit.“ (Hermann Kant: Die Aula, 1965)
Die Literatur war schon immer in gewisser Weise ein Kuriosum, für die einen, weil sie sie nicht verstehen, für die anderen, weil sie eben versuchen sie zu verstehen. Mit jeder neuen Kunstform werden auch neue Denkweisen gefordert. Man kann vermuten, dass die Gebrüder Lumière im Jahre 1898 wahrscheinlich nicht erahnen konnten, wie weit ihre Erfindung des „Cinématograph“ in Frankreich führen sollte. Zumindest wussten sie sicher nicht, dass es zu kontroversesten Debatten und höchsten Formen einer neuen Kunst kommen sollte: die Filmkunst. Nachdem man sich besonders dem Genre der CowboyFilme zuwandte, entdeckte man bald die Beliebtheit der Verfilmungen von Theaterstücken, Romanen und Gedichten zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Hier zeigte sich bereits die damals sehr begrenzten Möglichkeiten des Films, da er sich nicht exakt den literarischen Mitteln bedienen kann, er besitzt so zusagen keine Literarizität im engeren Sinne, sondern musste diese für sich selbst entdecken und modifizieren. Das Verhältnis von Wort und Bild ist nicht erst mit dem Aufkommen technisch-apparativer Medien zum Gegenstand kontroverser kultur- und literaturwissenschaftlicher Debatten geworden. Wie mit dem neuen Medium Film ging man schon in der Unterscheidung anderer Künste vor, allein schon in denen mit einem Verhältnis von Wort und Bild1. Die alleinige Übertragung von beliebten Büchern in das filmische Medium sollte jedoch nicht der Hauptbestandteil bleiben, da in diesem Genre die Bücher bessere Möglichkeiten hatten, das Sujet zu übermitteln. Der Film musste also 'erzählen lernen'. Mit dieser Herausforderung war eine Auseinandersetzung mit dem Material des Films unumgänglich. Konnte man das Material in der selben Weise behandeln, wie in der Literatur? Zeigen sich in dem neuen Medium vielleicht auch neue technische, sowie stilistische Möglichkeiten? Poetizität macht die Literatur als Kunstform aus. Also müsste es genau auch diese im Film sein, die ihn zu einer solchen machen kann. Dies ist im Rahmen dieser Hausarbeit zu betrachten und wurde bereits mit der Expansion der neuen Kunstform untersucht und sehr strittig behandelt. Man versuchte, trotz fehlender wissenschaftlicher Kenntnisse zum neuen Medium und mangelnden technischen Möglichkeiten zu dieser Zeit, sich damit auseinanderzusetzen und es in seiner Form zu optimieren. Bald sollte sich daraus eine neue Wissenschaftsform entwickeln und etablierte somit den Film als Kunst. Sklovskij geht dem neuen Medium sehr früh nach, übt sich selbst als Drehbuchautor und Cutter und erfährt so aus nächster Nähe den Umgang mit dem Film der 1920er Jahre. Mit seiner Theorie der Verfahren setzte er schon Grundlagen in der formalistischen Literatur und wendete diese auf den Film an, um ihn selbst verstehen zu lernen. Auf diesen Ansätzen Sklovskijs baut auch Tynjanov mit seinen Werken und begegnet ihnen kritisch, aber poetisch-produktiv. Der russische Formalismus grenzt sich in vielen Punkten von den Literatur- und Filmwissenschaften (soweit man in dieser zeit schon von einer etablierten Filmwissenschaft sprechen kann) der 'westlichen Welt' ab, zeigtjedoch gerade dadurch andere Sichtweisen und Denkansätze, die oft auch plausibel erscheinen. Erst in der Intertextualität (oder sogar Intermedialität?) kann man objektiven Bewertungen gegenübertreten. Hier soll nur gezeigt werden, wie die russische 'Film-Dynastie' mit dem neuen Medium der 1920er Jahre umzugehen versucht, in welcher Weise sie mit dem Material arbeitet und mithilfe welcher Verfahren sie dem Film seine Poetizität verleihen wollte.
1 Zur Poetik-Theorie des Films
Um die Poetizität eines Werkes im Allgemeinen analysieren zu können, bedarf es erst einmal einer kurzen Definition dieser. Heinz Ludwig Arnold und Heinrich Detering verwenden zu diesem Zweck den Begriff „Abweichungspoetiken“, der lediglich aussagen soll, dass die Literatur vom normalen Sprachgebrauch abweicht. An dieser Stelle zitieren sie, hinführend auf diese Thematik, Viktor Sklovskij: „[...] denn der Wahrnehmungsprozeß ist in der Kunst Selbstzweck und muß verlängert werden“ (Arnold/Detering, Seite 41). Diese Auffassung Sklovskijs zeigt schon deutlich, dass die 'literarische Sprache' in wesentlichen Punkten von der normalen abweicht. Was er damit genau meinte, wird später noch konkreter angeführt. Jedenfalls sind diese Wahrnehmungsprozesse einer 'erschwerten Sprache', so Sklovskij, auch auf filmische Texte und deren Umsetzung übertragbar. Poesie besitzt die Eigenschaft, Literatur zu dynamisieren. Dies vermag sie ebenso im Film durch ihre verschiedenen Mittel (Verfahren), wodurch ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess geschaffen wird. Durch ein solches geschaffenes, harmonisches Sujet entsteht eine gewisse Ästhetik, wobei nicht die Regeln begründet oder legitimiert werden sollen, sondern das Schaffen an sich. Vorausblickend zu Sklovskijs Anschauungen soll an dieser Stelle eine Studie über den „Film als Kunst“ von Rudolf Arnheims2 (1932) angeführt werden in der er erkannte, dass „Der Verlust der Dreidimensionalität, der Farbe, des geschlossenen RaumZeit-Kontinuums durch das begrenzte Bildfeld und durch Montagetechniken [...], das Fehlen akustischer und anderer Sinneseindrücke [...] die filmische Reproduktion in Spannung zur reproduzierten Wirklichkeit (setze). Erst das derartig verfremdete Abgebildete kann zum Rohmaterial eines ästhetischen Schaffensprozess werden“ (Metzler, S. 186). Dies verweist deutlich den Bezug zum russischen Formalismus und die Neigung zu Sklovskij. Wie in der Literatur, zeigt auch der Film als Kunstform seine Poetizität. Mit diesem Ansatz kann man so das Medium wissenschaftlich analysieren. Dass gerade die bedingten technischen Möglichkeiten der Kamera in den 1920er Jahren den Film ausmachen und eben dadurch eine neue Kunst entstand, zeigt den bewussten Umgang mit dem Material und die Anwendung spezifischer stilistischer Mittel oder, wie Sklovskij es ausdrückte: mit Verfahren.
[...]
1 So zum Beispiel die Gegenüberstellungen Literatur und Malerei, allgemein aber der Vergleich von darstellenden und narrativen Künsten.
2 R. Arnheims (*1904): gehört zu den Begründern der Filmtheorie in den 1920erjahren, gilt als Begründer der Kunstpsychologie in Amerika, ist international gesehen der nachhaltigste Reformer der amerikanischen Kunsterziehung und einer der wichtigsten Ästhetiker des 20. Jh.
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