Positionen und Probleme der zeitgenössischen Kunst anhand von ausgewählten Objekten Marcel Duchamps


Essay, 2001

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einführung

Marcel Duchamp und seine Position im Ausstellungsraum der Kunst »Dinge in der Kunst des XX. Jahrhunderts«

Poincaré

Literaturverzeichnis

Einführung

Die Seminararbeit beschäftigt sich mit Positionen und Problemen der zeitgenössischen Kunst. Anhand der präsentierten Objekte von Marcel Duchamp in der aktuellen Ausstellung »Dinge in der Kunst des XX. Jahrhunderts« möchte ich die Entwicklung seiner Kunstauffassung erläutern und diese in den Bezug zum gegenwärtigen Kunstbegriff stellen. Anhand verschiedenster Exponate hinterfragt die Ausstellung mit dem Überbegriff „Dinge“ das Phänomen, wie Dinge in die Kunst gekommen sind. Welche Position vertritt der Künstler in seiner Beziehung zu seinem Werk ist die vorrangige Fragestellung, der ich nachgehen möchte. Sicherlich ließe sich anhand der Ausstellung auch eine große Rezeptionsgeschichte Duchamps entwickeln, aber die Veränderung des Kunstraumes seit Duchamp ist von grundlegender Bedeutung, ebenso wie seine Auffassung des Künstlers als mediumistisches Wesen.

Marcel Duchamp wurde 1887 in Blainville (Normandie) geboren und verstarb 1968 in Paris. Welche Berechtigung erfahren seine Werke, um unter den Begriff „zeitgenössische Kunst“ zu fallen? Sind nicht alle anderen Stilrichtungen, die sich zeitgleich während seiner wichtigsten Schaffensphase entwickelt haben, bereits der Vergangenheit zuzuschreiben? Was macht Duchamp so aktuell, ihn zu den Zeitgenossen zu zählen? Sicherlich nicht seine Spekulation, für ein fiktives Publikum in der Zukunft zu produzieren. Seine Anfänge waren nicht mit Ruhm überhäuft, ganz abgesehen davon, daß Roosvelt ihn nicht mal als betrachtungswürdig empfand.

Der Reiz, sich mit Duchamp auseinanderzusetzen, liegt für mich vielmehr in seiner Art, sich allem zu entziehen und doch präsent zu sein. Wie ist das zu verstehen? Einerseits hat er sich der Malerei entsagt, anderseits auch der Skulptur, aber dennoch kreisten seine Gedanken um die stilbildenden Mittel der Linie, des Kreises und der Fläche, die er in einen anderen Zusammenhang setzte. Viele Jahre seines Lebens verbrachte er mit Schachspielen ohne in dieser Zeit ein weiteres Kunstwerk geschaffen zu haben. Hier entzieht er sich bewußt der künstlerischen Tätigkeit. Aber was geschah in dieser Zeit mit seinen Werken, die er geschaffen hatte? Sie waren zu jeder Zeit irgendwo präsent, auch wenn er sie verloren glaubte und mit einem geschickten Griff in die Sphäre waren sie plötzlich wieder da und mit ihnen der Künstler Duchamp.

Mit der Einführung von Objekten in die Sphäre der Kunst änderte sich die Fragestellung und visierte den Kunstraum als Betrachtungsebene an. Dieses Phänomen möchte ich nun genauer analysieren, denn auch hier entzieht sich Duchamp vorerst dem Kunstraum, um ihn dann durch die Hintertür in einer anderen Dimension zu erobern.

Gleich nach der Ankunft in New York lernte Duchamp Louise Arensberg und den Dichter Walter Arensberg kennen, die seine wichtigsten Mäzene und Sammler werden sollten. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte wird ein Großteil des Werks Duchamps in der Sammlung Arensberg zusammengetragen und so vereinigt, daß man heute im Philadelphia Museum of Art all seine Werke in einem Museum versammelt, erleben kann.

Seine insgesamt 83 Werke trug Duchamp auch als Reproduktionen und Repliken in Miniaturformat sorgsam in einem roten Lederkasten zusammen, aber auch in der Grünen und Weißen Schachtel befindet sich ein Großteil seiner Werke auf engstem Raum zusammengedrängt, was mit dem Begriff „Das kleinste Museum“ umschrieben werden kann und den Kunstraum im Miniaturformat zeigt.

Marcel Duchamp und seine Position im Ausstellungsraum der Kunst »Dinge in der Kunst des XX. Jahrhunderts«

Bevor wir nun den Ausstellungsraum betreten, möchte ich den Begriff ,Ready-made‘ erläutern.

Den Dingen, die Duchamp in die Kunstwelt eingeführt hat, hat er den Namen ,Ready-mades‘ verliehen. Dieser Ausdruck entstand zu einem Zeitpunkt, als er bereits einige Objekte in sein Atelier gebracht hatte. Kurz nach seiner Ankunft in New York verwendete er den Begriff für in Kaufhäuser erworbene Fertigprodukte, die er veränderte und zusammensetzte oder in ihrem ursprünglichen Zustand beließ. Wichtig dabei ist, daß die Dinge handwerklich produziert und nicht „einfach, gefundene Objekte“ sind.[1]

Duchamp hat keinen Stil im normativen Sinne geschaffen und auch keine Schule begründet, was zu einer Betrachtungsweise seines Werkes von verschiedenen Ebenen aus führt und auch im Rahmen der Ausstellung verschiedene Blickrichtungen offeriert, die zum einen auf die Werke und Schriften von Duchamp selbst verweisen, zum anderen auf die Arbeit der von ihm inspirierten Künstler. Sechzig Namen vereinigt die Ausstellung, die den imponierenden Beweis für die Behauptung liefert, daß Duchamp wohl der anregenste Künstler unseres Jahrhunderts gewesen ist.

Dabei liegen seine Wurzeln in der Malerei und nicht in der Skulptur und in seinen Anfängen malte er eine Reihe von Bildern im kubistischen Stil, wie »Le Roi et la Reine entourés de Nus vites« (1912) oder das bekannteste »Akt eine Treppe herabsteigend« (1912). Es wurde auf dem Salon des Indépendants in Paris, wegen dem, als Beleidigung empfundenen Titel, abgelehnt. Die Armory Show in den USA 1913 sorgten dann für den Skandalerfolg.

Die Ausstellung „Dinge in der Kunst des XX. Jahrhunderts“ versucht das Phänomen aufzuspüren, wie Dinge ihren Weg ins Museum gefunden haben. Man ist geneigt, Marcel Duchamp als den Vater der Dinge zu proklamieren und an seinem Œuvre den Gang der Dinge kunsthistorisch zu erfassen, da sein künstlerisches Schaffen gegen die Institution des Museums, sowie die Kunstszene in Europa gerichtet war und letztlich doch, erstaunlicherweise alle seine Werke nicht nur im Philadelphia Museum of Modern Art ihren Platz gefunden haben, sondern sogar als Miniaturen in einem Koffer transportiert werden können. So ist es vorerst nicht verwunderlich, gleich beim betreten der Ausstellungsräume gegenüber der Staubsauger von Jeff Koons aus dem Jahre 1980/86 auf Marcel Duchamp zu stoßen, obwohl Boccioni und Picasso doch die maßgeblichen Vorreiter gewesen sind und so die chronologische Entwicklungsgeschichte einen Riß bekommt, der vielleicht sogar intendiert ist. Picasso ist mit keinem Werk vertreten.

Jeff Koons Hoover Deluxe Bodenreinigungs- und Poliergeräte stehen in Reihe und Glied nebeneinander, als wären sie bereit, den Blick des Betrachters von allem Staub zu reinigen, bevor er die nächsten Ausstellungsräume betritt. Was den Betrachter nun zwischen Kunst- und Außenraum verbindet, ist sein Verhalten, Waren zu konsumieren. Im Kunstraum der Dinge gilt es für den Betrachter vorerst, als Bildkonsument tätig zu werden. Koons umschreibt diese Situation mit den Worten:“ Ich habe Sauberkeit und eine Art von Ordnung immer benutzt, um dem Betrachter den Glauben an das Wesen des Ewigen zu erhalten, so daß der Betrachter sich nicht ökonomisch bedroht fühlt... sondern um dem Betrachter ein Gefühl ökonomischer Sicherheit zu geben.“[2]

Marcel Duchamp war die ökonomische Sicherheit des Betrachters nicht wichtig gewesen, obwohl er durchaus ebenfalls eine Kommunikation mit dem Betrachter anstrebte, jedoch nicht auf der ökonomischen Ebene wie Jeff Koons, sondern eher in einer emotionalen und intellektuellen Art und Weise in dem Gedanken, Kunst und Leben zu verbinden. Seine These, „daß ein Werk vollständig von denjenigen gemacht wird, die es betrachten oder lesen und die es, durch ihren Beifall oder sogar durch ihre Verwerfung, überdauern lassen“,[3] läßt den Betrachter am Bildprozeß teilhaben.

Zwischen den Kunstpositionen dieser beiden Künstler liegt ein halbes Jahrhundert Kunstgeschichte. Aus der vorgefundenen Dingwelt heraus wurde ein neuer Bild-und Kunstbegriff entwickelt, der sich von den herkömmlichen Kunstgattungen absetzte, um eine Bedeutungsebene, die zwischen Figuration und Auflösung oszilliert, sichtbar zu machen.

Marcel Duchamp manifestiert diese neue Bildsprache, und Jeff Koons erhebt den kulturellen Ewigkeitsanspruch dafür, um sie an weitere Generationen weiterzuvererben.

Welche Vorläufer lassen sich für Marcel Duchamp finden?

Den Einfluß Boccionis sehe ich in Marcel Duchamps Würdigung an Boccioni (1943) niedergeschrieben: »Im Gegensatz zu anderen Bewegungen hatte der Futurismus einen Manager, Marinetti - aber der eigentliche Intellekt des Futurismus war Boccioni. (...) Boccionis Bilder und Skulpturen folgten der Theorie und brachten Punkt für Punkt die Erklärungen zu Ende, die Worte nicht geben konnten.«[4]

Boccionis bildhauerische Phase war kurz (1913-14) und von den dreizehn Skulpturen sind nur drei in Bronze gegossen und erhalten, was Eva Hesse auf seinen »Polimaterialismo« zurückführt, da er bis zu zwanzig verschiedene Materialien verwendete. »Meine Absicht war es, die Einheit des Materials in viele Materialien aufzubrechen.« Diese Technik der Collage fügt reale Gegenstände in das Werk mit ein, um die Trennung zwischen »Leben« und »Kunst«, »Welt« und »Text«, »Subjekt« und »Objekt« aufzuheben[5], damit sich die „Figur öffnet wie ein Fenster“.[6]

Boccioni will eine Umweltskulptur schaffen und schreibt 1914 in seiner Pittura scultura futuriste: (...)

„Es ist also das Leben selbst, das in die Form gefaßt wird, die das Leben in

seinem nie endenden Ablauf schafft. (...) ... durch die intensive Suche nach der Grundform, die die Kontinuität im Raum gibt, gelangen wir zur Urform, durch die der Gegenstand im Universum lebt. An die Stelle der uralten

Vorstellung einer klaren Trennung der Körper, an die Stelle der modernen impressionistischen Idee des Divisionismus und der Wiederholung (...)

setzen wir den Begriff der dynamischen Kontinuität als Grundform.“[7]

In der Bronzeskulptur „Forme uniche della continuità nello spazio“ (1912) sind Flasche, Teller, Glas und Tischplatte zu einem dreidimensionalen Bild zusammengeschmolzen. Die Grundformen sind trotz ihrer Deformierung zu erkennen und legen den Blick frei auf das Wesen der Dinge. Die Dinge erhalten nun eine Authentizität, die sie glaubhaft werden läßt, weil man nun ihr „Inneres“ vor Augen hat.

Der Futurismus war grundsätzlich darauf ausgerichtet in einer Wechselbeziehung zur Masse zu stehen, um somit zur „ersten künstlerischen Bewegung der Massengesellschaft zu werden.“[8]

Eva Hesse stellt fest, daß innerhalb der frühen Avantgarde auch eine Art »Wiederkehr des Körpers« versucht wurde, um die „Spaltung zwischen Geist und Materie (...) - das Verschwinden des Leibes und der Sinne, die Abwesenheit der Dinge in den Zeichensystemen - rückgängig zu machen.[9]

[...]


[1] Zaunschirn, Thomas, Bereites Mädchen Ready-made, Klagenfurt, 1983, S.17.

[2] Zit. nach Jeff Koons, Das Jeff Koons Handbuch, München, 1992, S.50

[3] Zit. Aus: Museumsinszenierungen, Dresden & Basel, 1995, S.10.

[4] Hesse, Eva, Die Achse Avantgarde – Faschismus. Reflexionen über Filippo Tommaso

Marinetti und Ezra Pound, Zürich, o. J., S. 19.

[5] ebd. S.18.

[6] ebd. S. 16.

[7] ebd. S. 17.

[8] ebd. S. 45.

[9] ebd. S. 51.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Positionen und Probleme der zeitgenössischen Kunst anhand von ausgewählten Objekten Marcel Duchamps
Hochschule
Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe  (Kunstwissenschaft und Medientheorie)
Veranstaltung
Dinge in der Kunst des 20. Jahrhunderts
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
24
Katalognummer
V7174
ISBN (eBook)
9783638145121
ISBN (Buch)
9783638639828
Dateigröße
485 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Essay zu Positionen und Problemen der zeitgenössischen Kunst.
Schlagworte
Positionen, Probleme, Kunst, Objekten, Marcel, Duchamps, Dinge, Kunst, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
Karoline Kmetetz-Becker (Autor:in), 2001, Positionen und Probleme der zeitgenössischen Kunst anhand von ausgewählten Objekten Marcel Duchamps, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7174

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