Erstspracherwerb und Behaviorismus


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

26 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Einleitung

Die Forschung zum Erstspracherwerb gewinnt sowohl in der Linguistik, als auch in der Psychologie immer mehr an Bedeutung.

Da die ersten Ansätze einiger Theorien, so auch die des Behaviorismus, auf solche zurückgehen, die von Psychologen entwickelt wurden, um das Lernverhalten im Allgemeinen zu erklären, ist es nahezu unmöglich, die beiden Wissenschaften in Bezug auf dieses Thema zu trennen.

Als Behaviorismus wird dabei eine Form der Verhaltensforschung bezeichnet, die anders als die klassische Psychologie ihre Thesen in erster Linie auf der Basis naturwissenschaftlicher Methoden entwickelt.

Hierzu werden ausschließlich Reize und die darauf folgenden Reaktionen betrachtet, nicht aber der Bewusstseinsprozess, der die beiden Faktoren miteinander verbindet.

Die ersten Versuche, die allein auf einem Reiz-Reaktions-Schema basierten, führte Iwan P. Pawlow Ende des 19. Jahrhunderts durch. Er war Physiologe und beschäftigte sich in erster Linie mit Forschungen zum Verdauungssystem von Tieren. 1903 stellte er seine Theorie vom „bedingten Reflex“ vor, die in den folgenden Jahren erstaunlicherweise nicht in der Physiologie, sondern in der Psychologie Anklang fand (vgl. Dick 1981, S.13).

Den Begriff des Behaviorismus prägte infolgedessen ein Psychologe – John B. Watson. Obwohl auch er eigentlich als Tierforscher tätig war, wollte er die Psychologie mit den objektiven Mitteln der Naturwissenschaften betrachten. Er sah nicht das Bewusstsein als zentrales Forschungsinteresse der Psychologie an, sondern vielmehr die Anpassung des Organismus an die Umstände (Graumann 1968, S.10).

Die ausführlichsten Ausführungen zum Behaviorismus stammen von Burrhus F. Skinner. Beeinflusst von den Werken Pawlows und Watsons studierte er an der Harvard University Psychologie – und unter dem Einfluss eines Professors, der sich stark mit dem Zusammenhang von Psychologie und Physiologie beschäftigte. In seinem Lebenswerk „Verbal Behavior“, das 1957 erschien, beschäftigte er sich als erster Behaviorist ausführlich mit der menschlichen Sprache (vgl. Vargas 2006).

Noam Chomsky, Professor für Linguistik und Philosophie am Massachusetts Institute of Technology, der Hauptkritiker des Behaviorismus, entwickelte ein „Gegenmodell“, das speziell auf den Spracherwerb zugeschnitten ist, die Universalgrammatik.

In der vorliegenden Arbeit soll die Entstehung des Behaviorismus aufgezeigt, Skinners Ansätze erläutert und Chomskys Gegenargumentation ausgewertet werden.

Dabei liegt besonderes Augenmerk auf den Fragen des „logischen Problems“ des Erstspracherwerbs (vgl. im Folgenden Schwarz 1992, S.104 f):

Kinder erwerben ihre Muttersprache trotz quantitativer, sowie qualitativer Unterdeterminiertheit, d.h. Kinder hören nur eine endliche Anzahl von Äußerungen während der Spracherwerbsphase, sind aber später in der Lage ein unbegrenztes Set an Äußerungen zu tätigen. Weiterhin ist unwesentlich, ob der Input grammatikalisch falsch ist – Kinder sind dennoch in der Lage, korrekte Sätze zu bilden.

Eine weitere offene Frage stellt die negative Evidenz dar, also eine Korrektur „von außen“, die in den meisten Fällen nicht erfolgt. Die wenigsten Eltern korrigieren alle falschen Äußerungen ihrer Kinder, dennoch sind Kinder in der Lage, Fehler selbst zu erkennen und „abzustellen“.

Drittens ist von Bedeutung, ob eine Spracherwerbstheorie Phänomene wie Übergeneralisierung und den Erwerb von komplexen Phrasen und Satzstrukturen erklären kann.

Kapitel 1 behandelt die Anfänge des Behaviorismus. Hierzu werden Pawlow, als einer der wichtigsten Vorreiter, sowie Watson, der „erste Behaviorist“ und ihre Ansätze vorgestellt.

In Kapitel 2 wird auf Skinners Theorie zum Lernverhalten, sowie seine Ausführungen zum Erstspracherwerb.

Die Kritik Chomskys an Skinners Behaviorismus und sein „Gegenmodell“ der Universalgrammatik sind Thema des dritten Kapitels. Da Chomskys Theorie nicht der zentrale Punkt der Arbeit sein soll, wird sie nur beschrieben und keiner intensiveren Kritik unterzogen.

Abschließend soll versucht werden, Antworten auf die oben gestellten Fragen zu finden. Hiermit soll festgestellt werden, ob der die behavioristische Theorie den Erstspracherwerb ausreichend erklären kann.

1. Die Anfänge des Behaviorismus

Der Behaviorismus war, wie Watson in seinen Vorlesungen an der Columbia Universität 1912 zu erarbeiten strebte, „ein Versuch, bei der Untersuchung des Menschen dieselben Verfahren und dieselben Beschreibungsbegriffe anzuwenden, wie sie es von vielen Forschern seit langer Zeit bei der Untersuchung von Lebewesen, die auf einer tieferen Entwicklungsstufe stehen als der Mensch, für zweckmäßig befunden worden waren.“ (Watson 1968, S.31). Watson, als der erste bekennende Behaviorist, wollte jene Dinge zum Forschungsgebiet der Psychologie machen, die man beobachten kann – wie es in nahezu allen anderen Wissenschaften üblich ist. Die zentrale Frage, die er sich stellte, war (Watson 1968, S.39):

(1) „Kann ich den Verhaltensausschnitt, den ich wahrnehme, in

den Begriffen „Reiz und Reaktion“ beschreiben?“

Seine Untersuchungen bedienten sich der von Iwan P. Pawlow zuvor entwickelten Methode oder „klassischen Konditionierung“, einer Methode, die sich ausschließlich auf Reiz-Reaktions-Schemata bezog. Pawlows zugrunde liegende Überlegungen zur Konditionierung, sowie Watsons Weiterentwicklung zum Behaviorismus werden in diesem Kapitel dargestellt.

1.1 Der „Vorläufer“ des Behaviorismus: Iwan P. Pawlow (1849-1936)

Pawlow, eigentlich ein Physiologe, der sich mit der Tätigkeit der Verdauungsdrüsen befasste, beschäftigte sich aufgrund von Beobachtungen im Labor eingehend mit der Erregung der Speicheldrüsen, beispielsweise beim Anblick von Speisen. Die Versuche, die er zusammen mit anderen Wissenschaftlern zu diesem Thema durchführte, wurden nur mit Tieren (in diesem Fall Hunden) durchgeführt, wobei „die imaginäre Innenwelt der Hunde […] mit ihren Gedanken, Gefühlen und Wünschen analog unserer Innenwelt“ berücksichtigt wurden (Pawlow 1973, S.17).

Er gestattete also eine Verallgemeinerung, einen Rückschluss von Tierversuchen auf das menschliche Verhalten.

Auch wenn Pawlow anerkennt, dass ein Übertrag der Tierversuche auf den Menschen aufgrund des komplexeren Verhaltens des Menschen durchaus schwierig ist, hält er dennoch das gesammelte Material für so aussagekräftig, dass des „ernstlich zum Verständnis der in uns stattfindenden und für uns vorläufig noch unverständlichen Erscheinungen unserer Innenwelt benutzt werden kann.“ (Pawlow 1973, S.22).

Es muss berücksichtigt werden, dass ihm und seinen Kollegen im Russland des beginnenden 20. Jahrhunderts nur begrenzte Forschungsmöglichkeiten gegeben waren (vgl. Pawlow 1973, S.22).

Pawlow entwickelte die Theorie der klassischen Konditionierung.

Um die Versuche zu beschreiben ist eine Klärung der Begrifflichkeiten sinnvoll (vgl. Plassmann 2003, S. 123):

- Unter einem neutralen Reiz/Stimulus (NS) wird ein Reiz verstanden, der keine spezifische Reaktion auslöst.
- Ein unkonditionierter Reiz/Stimulus (UCS) ist ein Reiz, der eine Reaktion auslöst, ohne dass das Lebewesen vorher darauf konditioniert worden ist.
- Eine unkonditionierte Reaktion (UCR) ist ein angeborener Reflex auf einen UCS.
- Ein konditionierter Reiz/Stimulus (CS) ist ein Reiz, der eine erlernte Reaktion auslöst.
- Eine konditionierte Reaktion (CR) ist eine Reaktion auf einen CS.

Die vorausgehende Annahme war, dass man ein Lebewesen, in diesem Fall einen Hund, derart konditionieren könne, dass er auf einen vormals neutralen Reiz mit einem unkonditionierten Reflex reagieren würde.

Ein NS wird mit einem biologisch vorhandenen Reiz, einem UCS zusammen präsentiert.

Das Versuchstier reagiert auf den UCS mit einer UCR. Wird dieser Versuch häufiger ausgeführt, reagiert das Versuchstier nach einiger Zeit auch allein durch den NS mit der UCR, wodurch der UCR zu einer CR geworden ist (s. zur Verdeutlichung auch folgendes Schema):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Plassmann 2003, S. 122

1.1.1. Der „Pawlow´sche Hund“

Pawlow belegt seine Theorie u.a. mit seinem unter dem Namen „Pawlow´scher Hund“ bekannt gewordenen Versuch. Hierbei wird die Präsentation von Fleisch (UCS), die zu einer erhöhten Speichelproduktion führt (UCR), mit dem Klingeln eines Glöckchens (NS) gepaart. Nach einigen Wiederholungen reagiert das Versuchstier bereits allein durch das Klingeln des Glöckchens mit erhöhter Speichelproduktion, die dadurch zum konditionierten Reflex geworden ist.

Pawlow sieht es als die wichtigste wissenschaftliche Aufgabe seiner Zeit an, das Psychologische mit dem Physiologischen, also das Subjektive mit dem Objektiven, zu vereinigen. Er kritisiert, dass die Psychologen die Bedingtheit zwar als Prinzip des Lernens anerkennen, es aber als nicht weiter analysierbar, d.h. als ein nicht weiter erforschbares Prinzip, erachten. Der Physiologe hingegen ersucht jede einzelne Erscheinung zu analysieren und will dabei so viele Bedingungen wie möglich kontrollieren, um keine Vermutungen Gegenstand der Forschung sein zu lassen (vgl. Pawlow 1973, S. 197f).

Es gibt einige wenige Ausführungen Pawlows zur menschlichen Kommunikation. Als „Sprache“ bezeichnet er eine im Laufe des Lebens „gesetzmäßig ausbildende bedingte Reaktion, die schließlich […] fast von jedem Reiz ausgelöst werden kann.“ (Kardos 1962, S. 283). Der Sinn dieser Entwicklung ist das Selbständigwerden und die Vorbedingung der menschlichen Zusammenarbeit (vgl. Kardos 1962, S. 284).

Watson knüpft an die Forderung an, jene Verhaltensweisen, die der Psychologe als einen unbeobachtbaren Vorgang nicht weiter betrachtet, mit den naturwissenschaftlichen Methoden des Physiologen zu untersuchen.

1.2 Der Begründer des Behaviorismus: John B. Watson (1878-1959)

Pawlow und Watson sind sich einig, dass den Psychologen die Bewusstseinsprozesse bei der klassischen Konditionierung nicht zu interessieren haben (vgl. Edelmann 1996, S.61). Vielmehr etablierte sich die Auffassung des folgenden Schemas:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Plassmann 2003, S.121

Im von Watson entwickelten klassischen Behaviorismus ist das Lernverhalten geprägt von der bereits von Pawlow bekannten Verknüpfung zwischen Reiz und Reaktion durch Konditionierung, jedoch ohne Berücksichtigung des „Zwischenschrittes“, also der Bewusstseinsprozesse (vgl. Oksaar 2003, S. 84).

Watsons erster Artikel zum Thema Behaviorismus war – wie der Titel „Psychology as the behaviorist views it“ schon ausdrückt – nur auf die Psychologie bezogen. Er erteilte den seinerzeit herrschenden Methoden der Bewusstseinspsychologie eine klare Absage: Sie seien esoterisch und die Introspektion kein adäquates Mittel, um naturwissenschaftlich geltende Aussagen zu formulieren (vgl. Watson 1968, S. 17).

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Erstspracherwerb und Behaviorismus
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Institut für Sprache und Information)
Veranstaltung
"Erstspracherwerb"
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
26
Katalognummer
V71919
ISBN (eBook)
9783638689656
Dateigröße
493 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Behaviorismustheorie und damit, ob sie als Erstspracherwerbstheorie geeignet ist.
Schlagworte
Erstspracherwerb, Behaviorismus, Erstspracherwerb
Arbeit zitieren
Juliane Engberding (Autor:in), 2007, Erstspracherwerb und Behaviorismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71919

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Titel: Erstspracherwerb und Behaviorismus



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