Pionier oder Folger? Eine Diskussion der Chancen und Risiken von Markteinführungsstrategien anhand empirischer Befunde


Diplomarbeit, 2006

68 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Markteinführungsstrategien: Pionier und Folger
2.1 Strategieunterschiede
2.2 Theoretische Diskussion der Chancen und Risiken
2.2.1 Angebotsseitige Chancen und Risiken
2.2.2 Nachfrageseitige Chancen und Risiken

3. Empirische Methodik im Überblick
3.1 Direkte und Indirekte Modelle
3.2 Modelle mit Berücksichtigung von Marktfaktoren und Unternehmensressourcen
3.3 Verwendete Datenbasen
3.4 Definition und Operationalisierung der Modellvariablen
3.4.1 Operationalisierung des Pioniers
3.4.2 Operationalisierung der Markteintrittsreihenfolge
3.4.3 Operationalisierung des Unternehmenserfolgs

4. Diskussion der Chancen und Risiken der Markteinführungsstrategien
4.1 Überblick über empirische Befunde der Markteintrittsreihenfolge-Forschung
4.2 Überprüfung der theoretischen Erfolgschancen und -risiken anhand der Empirie
4.2.1 Angebotsseitige Erfolgschancen und -risiken
4.2.2 Nachfrageseitige Erfolgschancen und –risiken
4.3 Diskussion der Marketing-Mix-Instrumente als Erfolgspotentiale
4.3.1 Produktlinienbreite
4.3.2 Produktqualität
4.3.3 Preisstrategie
4.3.4 Marketingaktivitäten

5. Abschließende kritische Betrachtung und Fazit

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Idealtypisches Modell der Wirkung der Markteintrittsreihenfolge auf den Unternehmenserfolg (in Anlehnung an Green et al. 1995, S. 3)

Abbildung 2: Zusammenhang von Marktanteil und Markteintrittsreihenfolge anhand einer mathematischen Formel

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Chancen und Risiken aus Sicht des Pioniers

Tabelle 2: Verwendete Erfolgsmaße der empirischen Überprüfung von Markteintrittsreihenfolgeeffekten

Tabelle 3: Marktanteilswerte verschiedener Studien im Vergleich

1. Einleitung

Seit Mitte der 1980er Jahre gewinnt in der betriebswirtschaftlichen Forschung und Praxis der Faktor „Zeit“ als strategischer Erfolgsfaktor wirtschaftlichen Handelns zunehmend an Bedeutung, da das Wettbewerbsumfeld für Unternehmen immer dynamischer wird und die Produktlebenszyklen, besonders in technologieintensiven Märkten, immer kürzer werden. So wird in der Literatur verstärkt die These vertreten, dass der Wettbewerb in vielen Branchen zu einem Zeitwettbewerb geworden ist und dass der Parameter „Zeit“ - neben „Kosten“ und „Leistung“ - als dritter strategischer Wettbewerbsfaktor einzustufen ist. Im Bereich des Marketings spielt der Zeit-Aspekt besonders bei der Markteinführung neuer Produkte eine entscheidende Rolle. So ist die Neuprodukteinführung heutzutage eine der schwierigsten Managementaufgaben, da mit ihr eine Vielzahl von Entscheidungen zusammenhängen. Die Konsequenzen dieser Entscheidungen offenbaren sich häufig erst Jahre später, können aber von Anfang an über die Wettbewerbsfähigkeit bzw. Existenz des Unternehmens entscheiden. Grundsätzlich müssen sich Unternehmen bei der Markteinführung neuer Produkte folgende vier Fragen stellen (Kotler/Bliemel 1999, S. 552 ff.): Wo, Wer, Wie und Wann?

- Das “Wo“ spiegelt die geographische Strategie des Unternehmens wider und beschäftigt sich mit der Frage, ob das Produkt regional, national oder international eingeführt werden soll.
- Das “Wer“ bezieht sich auf die Zielgruppe innerhalb des “Wo“ und die Ausrichtung des Unternehmens auf das Segment potentieller Kunden, welches die höchsten Gewinne verspricht.
- Das “Wie“ regelt den Handlungsablauf der Markteinführung.
- Das “Wann“ ist die entscheidende Fragestellung im Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit und betrifft das “optimale Timing“ der Markteinführung neuer Produkte.

Das optimale Timing als Zeit-Aspekt bezieht sich dabei nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt, sondern auf die Höhe des Rangplatzes in der Markteintrittsreihenfolge[1], die entsteht, wenn Produkte oder Leistungen von zwei oder mehreren Unternehmen in einen neuen Markt eingeführt werden. Dabei hat ein Unternehmen grundsätzlich zwei Strategiealternativen: Zum Einen kann es sich dafür entscheiden, die Pionierstrategie zu wählen, d.h. es ist das erste Unternehmen, das mit einem neuen Produkt oder einer neuen Leistung einen neuen Markt gründet oder zum Anderen wählt es die Strategie des Folgers, d.h. es wartet mit seiner Neuprodukteinführung so lange, bis ein Konkurrent (das Pionierunternehmen) den Markt “eröffnet“ hat. In dieser Arbeit soll untersucht werden, inwiefern sich die Höhe des Rangplatzes in der Markteintrittsreihenfolge auf den Erfolg eines Unternehmens auswirkt. Allerdings entscheidet nicht die Höhe des Rangplatzes allein über den Unternehmenserfolg, sondern die Unternehmen können je nach Höhe des Rangplatzes unterschiedliche Chancen und Risiken ausgestalten und damit den Unternehmenserfolg positiv oder negativ beeinflussen. Wenn ein Pionierunternehmen beispielsweise seine spezifischen Chancen voll nutzt, kann es aus kurzfristigen Wettbewerbsvorsprüngen langfristige Wettbewerbsvorteile gegenüber den Folgerunternehmen entwickeln. Die Wirkungen der Markteintrittsreihenfolge sind sehr vielfältig und die damit verbundenen Chancen und Risiken der Markteinführungsstrategien[2] werden zumindest in der theoretischen Literatur ausführlich beschrieben und diskutiert
(Lieberman/Montgomery 1988; Kerin et al. 1992).

Seit dem Ende der 1970er Jahre, dem Beginn der Erforschung von Markteintrittsreihenfolgeffekten auf den Erfolg der Unternehmen, wurde eine Vielzahl theoretischer Ansätze und empirischer Befunde veröffentlicht. Der Großteil der Arbeiten zeigt einen deutlichen und dauerhaften Vorteil der Pionierstrategie auf: “It is widely believed, both by academics and management practitioners, that early entrants into newly developing markets enjoy an enduring competitive advantage over later entrants“ (Lambkin 1988, S. 127). Besonders die Vielzahl empirischer Arbeiten, die belegt haben, dass Pionierunternehmen gegenüber Folgerunternehmen deutlich höhere Marktanteilswerte erzielen (z.B. Urban et al. 1986; Robinson/Fornell 1985; Robinson 1988; Parry/Bass 1990), hat dazu geführt, dass der vermeintliche Vorteil der Pionierstrategie sogar als empirische Generalisierung formuliert wurde (Kalyanaram et al. 1995). So galt die Wahl der Pionierstrategie lange Zeit als die erstrebenswertere, weil Erfolg versprechendere Strategiealternative. Aber besonders neuere Untersuchungen haben die Annahme eines generellen Pioniervorteils ins Wanken gebracht, indem auch Nachteile der Pionierstrategie aufzeigten und gleichzeitig Vorteile für Folgerunternehmen ermittelten (z.B. Shankar et al. 1989; Boulding/Christen 2003). Auch wenn, statt des Marktanteils, andere Variablen zur Erfolgsmessung der Unternehmen herangezogen wurden, konnten keine eindeutigen Ergebnisse bezüglich der Existenz eines Pioniervorteils mehr festgestellt werden (Lilien/Yoon 1990; Boulding/Christen 2003). Den Kern dieser Arbeit bildet also eine Diskussion der unterschiedlichen Erfolgspotentiale, d.h. der Chancen und Risiken von Pionieren und Folgern, die sich in Abhängigkeit der Markteintrittsreihenfolge ergeben. Dabei soll versucht werden, die grundsätzliche Frage nach der generellen Vorteilhaftigkeit einer dieser beiden Strategiealternativen zu beantworten.

Im folgenden zweiten Kapitel wird zunächst der Begriff des Pioniers näher definiert und ein Kriterium zur Identifizierung des “richtigen“ Pioniers genannt, das sich in der Literatur inzwischen durchgesetzt hat. Danach wird kurz auf erste grundsätzliche Unterschiede zwischen Pionier und Folger hingewiesen, bevor unter Punkt 2.2 eine genaue Auflistung der Chancen und Risiken der Markteinführungsstrategien aus der theoretischen Perspektive erfolgt.

Im dritten Kapitel dieser Arbeit geht es um die Methodik der empirischen Markteintrittsreihenfolge-Forschung. Insbesondere wird hier auf die ständige Weiterentwicklung der Modellansätze sowie der Operationalisierung der Modellvaria-blen eingegangen. Darüber hinaus werden die verschiedenen Datensätze, die hauptsächlich für die Erforschung von Markteintrittsreihenfolgeeffekten herangezogen werden, genannt und Probleme bei deren Anwendung verdeutlicht.

Im vierten Kapitel werden die Chancen und Risiken der Markteinführungsstrategien ausführlich diskutiert. Zu diesem Zweck wird zunächst anhand ausgewählter Studien ein Überblick über die empirischen Befunde der Marketing-Forschung gegeben. Danach werden die sich für Pioniere und Folger bietenden Chancen und Risiken herausgearbeitet und empirisch belegt. Schließlich wird überprüft, inwiefern die theoretischen Erklärungsversuche der Erfolgschancen und –risiken in der Empirie berücksichtigt werden..

Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit resümiert, was zu einer kritischen Betrachtung des Forschungsstandes der Markteintrittsreihenfolge-Forschung führt und vor allem Hinweise für zukünftige Forschungsarbeiten beinhaltet.

2. Die Markteinführungsstrategien: Pionier und Folger

Einem Unternehmen bieten sich bei der Markteinführung eines neuen Produktes oder einer neuen Leistung[3] grundsätzlich die beiden Strategiealternativen: Pionier oder Folger. Für weitere Betrachtungen notwendig ist dabei eine Definition des Pioniers, die eine eindeutige Identifizierung von Pionierunternehmen gewährleisten soll. Nach Lieberman/Montgomery (1988)“(is) the most fundamental problem with the concept of ‘first mover’ [is] that of definition” (S. 50). In der theoretischen und empirischen Literatur finden sich jedoch verschiedene Ansätze bzw. Kriterien zur Definition des Pionierunternehmens. Prinzipiell kann ein Unternehmen auf unterschiedliche Arten einen Pionierstatus erreichen: Es kann als erstes ein neues Produkt herstellen, einen neuen Fertigungsprozess verwenden oder einen neuen Markt betreten (Kerin et al. 1992). Golder/Tellis (1993) unterscheiden daher vom Marktpionier – dem ersten, der sein Produkt in einer neuen Produktkategorie verkauft – den Produktpionier, der lediglich einen funktionsfähigen Prototyp einer neuen Produktkategorie entwickelt.

Nach Fischer (2001) besteht aber inzwischen Einigkeit darüber, dass sich die aktuelle Pionierforschung in der Praxis und der Theorie auf den Marktpionier bezieht (S. 139) und in den meisten Studien wird das Kriterium des Markteintritts auch zur Identifizierung des “richtigen“ Pionierunternehmens herangezogen. So hat sich schließlich die Definition des Marktpioniers durchgesetzt, dessen Verwendung insbesondere auch in der Übersichtsarbeit von Lieberman/Montgomery (1988) vorgeschlagen wurde. Der Marktpionier wird typischerweise als „the first entrant in a new market“ (Robinson/Fornell 1985, S. 305; Kalyanaram et al. 1995, S. 212) oder „the market’s first entrant“ (Robinson et al. 1994, S. 2) definiert. Problem dieser Definition ist, dass sie nicht festlegt, ab wann ein Markteintritt als solcher zu werten ist. Im Light-Bier-Markt beispielsweise wird „Trommer´s Red Letter“ von Golder/Tellis (1993) als Marktpionier identifiziert. Robinson et al. (1994) sehen dagegen „Miller“ als Pioniermarke der Light-Biere, und das, obwohl es erst 14 Jahre nach Trommer´s Red Letter eingeführt wurde. Diese Diskrepanz ergibt sich, da, nach Robinson et al. (1994), ein Unternehmen erst dann als in einen Markt eingetreten zählt, wenn es ein wettbewerbfähiges Angebots- oder Nachfrageniveau erreicht, das sich durch eine national ausgerichtete Werbe- oder Distributionsstrategie auszeichnet. Aufgrund dieser Ergänzung der Pioniervariablen, muss der Versuch von Trommer´s Red Letter, den Light Bier-Markt zu gründen, als gescheitert angesehen werden, da es sich nur um eine kurzlebige, regionale Marke handelte. Miller dagegen erreichte kurz nach dem Markteintritt eine hohe Nachfrage, das Bier wurde national beworben und vertrieben, und daher wird Miller als Marktpionier der Light-Biere bezeichnet.

In dieser Arbeit wird der Sichtweise von Robinson et al. (1994) gefolgt, nach welcher unter einem „Pionier“ der Marktpionier verstanden wird, also das erste Unternehmen in einem neuen Markt, dessen Markteintritt mit dem Erreichen eines wettbewerbfähigen Angebots- oder Nachfrageniveaus verbunden ist.

Die Identifizierung eines Folgerunternehmen ist in der Literatur weit weniger thematisiert worden. Üblicherweise “folgt“ es einem Pionierunternehmen schlicht in den Markt. Ein Unternehmen, welches also in einen bisherigen Monopolmarkt eintritt und ebenfalls ein wettbewerbfähiges Marktniveau erreicht, gilt als das erste Folgerunternehmen. Da der Erfolg eines Folgerunternehmens auch dadurch beeinflusst werden kann, wie groß der Zeitabstand zur Markteinführung des Pionierproduktes ist, wird in der Literatur überwiegend unter den Folgerunternehmen noch zwischen „Frühen Folgern“ und „Späten Folgern“ differenziert. Ab wann ein Markteintritt als früh oder als spät klassifiziert wird, hängt unter anderem von dem betrachteten Markt ab[4]. In einem Markt für Industrieanlagen beispielsweise kann der zweite Folger bereits als Später Folger eingestuft werden, während der zweite Folger in einem Markt kurzlebiger Konsumgüter mit Sicherheit als Früher Folger angesehen wird.

Neben der Differenzierung in Frühe und Späte Folger können Folger auch nach der Art ihrer Folgerstrategie unterschieden werden. Sie haben entweder die Möglichkeit, eine „Me-too“-Strategie oder eine Differenzierungsstrategie zu wählen. Ein Me-too-Folger bietet ein Produkt an, das wahrgenommen wird als “to be about the same as a previously introduced item“ (Alpert et al. 1992, S. 26). Es kann nach Alpert et al. (1992) geringe Preisunterschiede oder kleine Abweichungen in der Ausstattung und/oder Leistung aufweisen, insgesamt führen diese Unterschiede jedoch nicht dazu, dass es von „neuen“ Konsumenten gekauft wird, die das vorherige Produkt nicht gekauft hätten. Ein Folgerunternehmen, das eine Me-too-Strategie verfolgt, kann sowohl das Pionierprodukt als auch das Produkt eines Folgers, der vor ihm in den Markt eingetreten ist, “kopieren“. Bei der Differenzierungsstrategie wird das eigene Angebot durch die Integration von aus Konsumentensicht sinnvoller Unterschiede bezüglich der Produktmerkmale/-charakteristika vom Konkurrenzangebot abgegrenzt (Kotler/Bliemel 1999, S. 473ff.).

2.1 Strategieunterschiede

Mit der Verfolgung einer Pionierstrategie beabsichtigt ein Unternehmen grundsätzlich der erste Anbieter in einem neuen Markt zu sein bzw. der erste Anbieter eines neuen Produktes zu sein. Der Markt entsteht demnach streng genommen erst mit der Einführung bzw. dem Tätigwerden des Pioniers[5]. Daher hat der Pionier zunächst die Aufgabe, überhaupt eine Nachfrage für das neue Produkt zu schaffen. Das übergeordnete Ziel einer Pionierstrategie liegt jedoch im Aufbau eines Quasimonopols, in dem es darum geht, “die potentiellen Chancen bzw. Vorteile systematisch auszunutzen und die potentiellen Risiken bzw. Nachteile möglichst zu begrenzen“ (Remmerbach 1988, S. 58). Eine ausführliche Auflistung der Chancen und Risiken der Markteinführungsstrategien erfolgt unter 2.2 in dieser Arbeit. Ein Beispiel für ein Unternehmen, das stets bemüht ist neue Produkte zu entwickeln und als erste in den Markt einzuführen, ist die japanische Firma Sony (Beispiel für ein Pionierprodukt ist der Sony Walkman).

Der oder die Frühen Folger versuchen je nach Markt möglichst schnell nach dem Pionier in den Markt einzutreten. Durch ihren Eintritt verursachen sie erste Turbulenzen im Markt, da sie das Monopol des Pioniers beenden und mit ihm in Wettbewerb treten. Ihr situatives Umfeld ist mit dem des Pioniers vergleichbar, d.h. es herrscht eine immer noch relativ große, wenn auch etwas geringere Unsicherheit bezüglich der Marktentwicklung. Allerdings können Frühe Folger, im Gegensatz zum Pionier, nicht mehr in einem wettbewerbsfreien Markt agieren, sondern müssen die Aktionen und Reaktionen des Pioniers und anderer Früher Folger, die bereits in den Markt eingetreten sind, bei ihren eigenen strategischen Entscheidungen berücksichtigen. Dies gilt auch für den Pionier, sobald seine Monopolphase durch den Eintritt der Frühen Folger beendet wurde. Das Hauptziel der Frühen Folger sollte daher lauten, die ersten Tendenzen der wahrscheinlichen oder möglichen zukünftigen Marktentwicklung zu erkennen und darauf aufbauend langfristig eine starke Wettbewerbsposition zu bilden (Remmerbach 1988, S. 60 f.). Da die Positionen in diesem frühen Zeitpunkt noch nicht gesichert sind, kann sich – als Folge des Wettbewerbs – schnell eine Umstrukturierung des Marktes ergeben. Die Unternehmen, die eine Frühe-Folger-Strategie anstreben, lassen sich grundsätzlich in zwei Gruppen unterteilen:

- Zum Einen sind das Unternehmen, die die Position des Marktfolgers als strategische Option bewusst einnehmen und daher zunächst abwarten. Dies kann z.B. daran liegen, dass sie – möglicherweise aufgrund mangelnder Innovationsfreude – ihre Stärken darin sehen, Modifikationen oder Kopien bereits existierender Produkte zu entwickeln, oder dass sie bereits ein Produkt entwickelt haben, die Bildung der Marktnachfrage jedoch der Konkurrenz überlassen oder den Markt für noch nicht reif halten.
- Zum Anderen sind das Unternehmen, die aufgrund ihrer begrenzten Ressourcenausstattung oder aufgrund einer im Vergleich zur Konkurrenz zu langsamen Forschungs- und Entwicklungszeit gezwungen sind, eine Folgerstrategie zu wählen. Diese Gruppe dürfte die in der Praxis häufiger vorkommende der beiden sein.

Ein Beispiel für einen Folger der zuerst genannten Gruppe ist die ebenfalls aus Japan stammende Firma Matsushita. Der Spitzname dieser Firma lautet “maneshita denki“, was übersetzt bedeutet: “Elektronik, die kopiert wurde“. Dieser Name spiegelt auch ihre Strategie wider: Sie lässt meist andere Unternehmen (häufig Sony) neue Produkte entwickeln, kopiert diese und führt sie dann erst in der Wachstumsphase des Marktes ein. Dabei verlässt sie sich auf ihre Fertigungs- und Marketing-Kompetenzen (Lieberman/Montgomery 1988).

Späte Folger treten nach den Frühen Folgern (und natürlich dem Pionier) in den Markt ein, wenn der Markt schon erheblich an Nachfragewachstum und Dynamik verloren hat, unter Umständen sogar erst Jahre nach der Markteinführung des Pionierprodukts. Die Marktsituation ist zu diesem Zeitpunkt bekannt und der Späte Folger kann auf etablierte Standards zurückgreifen und hat keine Markterschließungskosten mehr. Das Hauptziel der Strategie des Späten Folgers ist demnach die Partizipation an den nun offensichtlich gewordenen Marktchancen. Späte Folger können dann entweder ein maßgeschneidertes Produkt für bisher nicht oder nur wenig bearbeitete, aber zugleich erfolgversprechende Marktsegmente anbieten oder auf Basis einer Me-too-Strategie eine möglichst kostengünstige Imitation eines erfolgreichen Konkurrenzproduktes anbieten (Remmerbach 1988, S. 64 f.).

2.2 Theoretische Diskussion der Chancen und Risiken

Im Folgenden sollen zunächst die Chancen und Risiken der unterschiedlichen Markteinführungsstrategien aus theoretisch-analytischer Perspektive betrachtet werden, die im vierten Kapitel dieser Arbeit anhand der Empirie überprüft werden.

Insbesondere in der anglo-amerikanischen Literatur wird regelmäßig von einem „First-Mover Advantage“, also einem Pioniervorteil gesprochen (Golder/Tellis 1993, Lieberman/Montgomery 1988, Robinson/Fornell 1985). Damit ist nicht das unmittelbare Ergebnis gemeint, welches aus der Tatsache resultiert, dass man als Erster in einen neuen Markt eintritt, sondern lediglich die Chance, nachhaltige und langfristige Wettbewerbsvorteile zu erzielen (Lieberman/Montgomery 1988; Kerin et al. 1992). Die theoretischen Chancen und Risiken von Pionieren und Folgern werden im Folgenden in Anlehnung an die Literatur in angebotsseitige und nachfrageseitige unterschieden (Golder/Tellis 1993; Lilien/Yoon 1990; Himme 2006; Clement et al. 1998; Vidal 1995). Die angebotsseitigen Chancen und Risiken sind im Pionierunternehmen selbst begründet und resultieren allein aus dem Angebot des Produktes (Golder/Tellis 1993, S. 160). Die nachfrageseitigen Chancen und Risiken sind durch die Reaktion der Nachfrage bedingt und resultieren aus der unterschiedlichen Produktwahrnehmung, -beurteilung und -auswahlentscheidung der Konsumenten, die auf die sequentielle Markteinführung zurückzuführen ist. Oft ist der Erfolg von Folgern direkt mit den Risiken verbunden, denen sich ein Pionier bei der Entwicklung eines neuen Produktes für einen neuen Markt gegenübersieht. Daher sind im Folgenden die Risiken der Pioniere meist auch gleichbedeutend mit den Chancen für potentielle Folgerunternehmen. Umgekehrt können Nachteile des späteren Markteintritts auch wiederum Vorteile des Pioniers darstellen.

Ein Großteil der angebots- und nachfrageseitigen Pioniervorteile beruht auf dem Aufbau von Markteintrittsbarrieren (Clement et al. 1998; Vidal 1993, Kerin et al. 1992). Nach Vidal (1993) ist dementsprechend das „Konzept der Pioniervorteile […] eine Verschärfung des Konzepts der Markteintrittsbarrieren“ (S. 14). Eine Markteintrittsbarriere kann definiert werden als „a cost of producing which must be borne by a firm which seeks to enter an industry but is not borne by firms already in the
industry“ (Von Weizsacker 1980, S. 400). Markteintrittsbarrieren stellen also potentielle Kosten dar, die von Folgerunternehmen, die neu in einen bestehenden Markt eintreten wollen, aufgebracht werden müssen und die der Pionier demnach nicht zu tragen hatte. So müssen Folger in Relation zum Pionier mehr Ressourcen aufwenden, um im existierenden Markt effektiv konkurrieren zu können (Kerin et al. 1992, S. 34).

Mögliche Wettbewerbsvorteile aufgrund von Markteintrittsbarrieren können auf der Angebotsseite v.a. entstehen oder vielmehr vom Pionier aufgebaut werden durch:

- die Besetzung knapper Ressourcen (Lieberman/Montgomery 1988; Kerin et al., 1992) sowie
- die Realisierung von Kostenvorteilen, welche u.a. aus Economies of Scale (Lambkin 1992; Bain 1956 aus Himme), Erfahrungskurveneffekten (Vidal 1993.) und Asymmetrien in den Marketingaufwendungen (Clement et al. 1998) resultieren.

Auf der Nachfrageseite existieren Markteintrittsbarrieren v.a. durch:

- die Auswahl der attraktivsten Marktpositionierung (Carpenter/Nakamoto 1989; Lieberman/Montgomery 1988),
- die Produktdifferenzierung (Voigt 1998, S. 105f.; Vidal 1995) und
- die Schaffung von Umstellungs- bzw. Wechselkosten
(Lieberman/Montgomery 1988; Kerin et al. 1992).

Die folgende Tabelle 1 gibt einen Überblick über die angebots- und nachfrageseitigen Chancen und Risiken der Pionierstrategie[6], die im Folgenden erläutert werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Chancen und Risiken aus Sicht des Pioniers

2.2.1 Angebotsseitige Chancen und Risiken

Auf der Angebotsseite werden in der theoretischen Literatur Economies of Scale (Betriebsgrößenersparnisse) genannt. Diese werden erreicht, indem mit steigender Ausbringungsmenge die Fixkosten über eine größere Stückzahl verteilt werden und somit der Preis pro produzierter Einheit sinkt (Lambkin 1992). Dadurch hat der Pionier einen indirekten Kostenvorteil gegenüber der Konkurrenz (Fischer 2001, S. 139). Mit steigender Betriebsgröße lassen sich weitere Kostenvorteile beim Einkauf benötigter Inputfaktoren erzielen. Mit einer größeren Ausbringungsmenge steigen auch die eingekauften Mengen auf der Inputseite. Dadurch nimmt die Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten zu und es können tendenziell günstigere Einkaufspreise infolge von Mengenrabatten verhandelt werden (Robinson/Fornell 1985). Solange die Folger nicht das gleiche Ausbringungsniveau erreichen, sind Economies of Scale mit den daraus resultierenden Kostenvorteilen eine wirksame Markteintrittsbarriere (Vidal 1995).

Der Effekt der Erfahrungskurve ist dem Konzept der Economies of Scale in der Konsequenz sehr ähnlich. Im Erfahrungskurvenmodell wird angenommen, dass die Kosten pro produzierter Einheit mit zunehmender kumulierter Ausbringungsmenge sinken (Lieberman/Montgomery 1988). Diese Kostensenkungen sind hier auf Erfahrungs- und Lernprozesse bei Beschaffung, Produktion, Marketing und Management wie z.B. Weiterentwicklungen in den Fertigungsverfahren oder effizientere Gestaltungen der Arbeitsabläufe zurückzuführen. Dadurch werden Effizienzgewinne realisiert, die einen nachhaltigen Kostenvorteil für das Pionierunternehmen generieren (Fischer 2001, S. 139; Lieberman/Montgomery 1988). Die Wirkung des Erfahrungskurveneffektes als Markteintrittsbarriere unterliegt jedoch auch Einschränkungen. Zum Einen gibt es nicht in allen Branchen Erfahrungskurvenvorteile (Vidal 1995) und zum Anderen ist es wichtig, dass der Pionier seine „Erfahrung“ geheim halten kann
(Lieberman/Montgomery 1988). Es ist z.B. vorstellbar, dass ein Folgerunternehmen sich durch die Abwerbung von Mitarbeitern die gesammelte Erfahrung des Pioniers auf einen Schlag aneignet. Des Weiteren ist die Wirksamkeit des Erfahrungskurveneffekts an die Bedingung geknüpft, dass die Folgerunternehmen eine ähnliche Fertigungstechnologie verwenden, da sie nur dann die Erfahrungskurve des Pioniers mit den daraus resultierenden Vorteilen desselben „durchlaufen“ müssen.

Asymmetrien in den Marketingaufwendungen sind ein weiterer angebotsseitiger Pioniervorteil, der zu relativen Kostenvorteilen führen kann und aufgrund einer zu erwartenden geringeren Effektivität der Marketing-Instrumente für Folger entsteht. Z.B. können Werbebotschaften des Pioniers, insbesondere während seiner Monopolphase, ungestört und somit effizienter auf die Konsumenten einwirken (Clement et al. 1998). Nach dem Markteintritt von Konkurrenzunternehmen wirken dann viele unterschiedliche Werbebotschaften für Produkte derselben Marktkategorie auf die Konsumenten ein, was zu verminderter Effektivität einzelner Werbebotschaften führt. Folger müssen dann häufiger und kreativer für ihr Produkt werben, um von den Konsumenten im Markt wahrgenommen und schließlich gekauft zu werden (Clement et al. 1998). Aufgrund der höheren Marketingeffektivität muss der Pionier daher weniger aufwenden und realisiert dadurch einen Kostenvorteil.

Weitere nachhaltige Pioniervorteile können sich aus der Sicherung oder Besetzung knapper Ressourcen ergeben (Lieberman/Montgomery 1988; Golder/Tellis 1993; Kerin et al. 1992). Der Begriff „Ressource“ ist dabei sehr weit gefasst und beinhaltet nach Lieberman/Montgomery (1988) sowohl physische Inputfaktoren (z.B. Rohstoffe, Humanressourcen, Produktionsstandorte, Distributionskanäle), der Regalplatz (von Einzelhändlern) als auch die Positionierung im Produktmarktraum. Der Pionier kann die Ressourcen besetzen, die höchste Effizienz und Produktivität zur Folge haben, während Folger auf weniger effektive Ressourcen ausweichen müssen. Somit sinken die Effektivität und die Breite der angebotenen Ressourcen umso mehr, je höher der Rangplatz in der Markteintrittsreihenfolge ist. Wenn der Pionier gegenüber Folgerunternehmen beispielsweise einen Informationsvorsprung aufgrund besonderer Marktkenntnisse besitzt, ermöglicht ihm dieser den Einkauf der Investitionsgüter und Ressourcen zu geringeren Preisen als zu einem späteren Zeitpunkt der Marktentwicklung bei erhöhter Nachfrage. Pioniere können so Kostenvorteile realisieren und durch den Aufbau langfristiger Beziehungen zu Lieferanten und Händlern auch zukünftig aufrecht erhalten (Lieberman/Montgomery 1988; Fischer 2001, S. 140f.). Ferner können Pioniere auch von einer höheren Leistungsqualität der Lieferanten profitieren oder aufgrund von Exklusivverträgen mit den Absatzhändlern Distributionskanäle besetzen und dadurch die Vermarktungsreichweite der Konkurrenz einschränken (Fischer 2001, S. 140f.). Aber auch, wenn solche Verträge nicht existieren, ist es für nachfolgende Unternehmen immer schwieriger, für ihre Produkte Absatzwege hinsichtlich freier Regalplätze zu erschließen, da ein Einzelhändler kaum den Platz für mehr als zwei oder drei Produkte einer Kategorie in seinen Regalen hat (Fischer 2001 S. 141).

Betrachtet man auch die Technologie eines Unternehmens ebenfalls als Ressource, so bietet sich Pionieren in diesem Zusammenhang die Chance, durch ständige Weiterentwicklungen bzw. Innovationen ihrer Prozess- und/oder Produkttechnologie, die Rolle des Technologischen Führers zu übernehmen (Lieberman/Montgomery 1988; Fischer 2001, S. 142). Bereits vor ihrem Markteintritt können Unternehmen technologisch verbesserte oder ganz neue Produktions-, Forschungs- und Entwicklungsverfahren, Distributionslösungen etc. entwickeln, die dann beim Markteintritt sofort eingesetzt werden können (Lieberman/Montgomery 1988). Die Technologie fungiert so als strategische Ressource, da Folgerunternehmen dem Technologievorsprung des Pioniers dauerhaft hinterher „rennen“, wenn die Entwicklung des Technologieführers permanent vorangetrieben wird. Die Vorteile sind umso größer, je besser bzw. länger die Innovationen durch Patente oder Geschäftsgeheimnisse vor Nachahmung geschützt und so Erfahrungskurveneffekte genutzt werden können (Clement/Liftin/Vanini 1998). General Electric beispielsweise dominierte lange Zeit den Markt elektrischer Lampen. Anfangs resultierte die Dominanz aus der Kontrolle des Patents auf dir Grundidee von Thomas Edison. Später konnten dieser Erfolg durch die kontinuierliche Weiterentwicklung des ursprünglichen Patents aufrecht gehalten werden. Dies führte zu unzähligen weiteren Patenten für Lampen und dazugehörige Vorrichtungen, die den Spielraum für Folger weiter begrenzten
(Lieberman/Montgomery 1989, S. 44).

Pionieren bietet sich durch die Wahl des attraktivsten Marktsegments eine weitere Erfolgschance, Wettbewerbsvorteile gegenüber nachfolgenden Unternehmen zu erringen. Gerade in Märkten, die nur eine geringe Anzahl an Wettbewerbern mit der Aussicht auf Gewinne zulässt, kann die Wahl des attraktivsten Marktsegments eine Erfolgschance für Pioniere bedeuten. Laut Vidal (1995) wird sich der Pionier in der Regel im Zentrum des Marktes platzieren, da er mit dieser Positionierung ein Maximum der Nachfrage auf sich ziehen kann, um so den höchsten Marktanteil und damit Umsatz zu erzielen. Diese Positionierung zu finden, ist jedoch nicht einfach, da sich der Markt gerade erst entwickelt und die Präferenzen der Konsumenten noch unklar sind. Nachfolgende Unternehmen müssen dann entscheiden, ob sie eine dem Pionier nahe Position, also eine Me-too-Strategie wählen, die mit hohem Marktanteil, aber auch verschärftem Preiswettbewerb verbunden ist, oder lieber eine differenzierte Position in einem kleineren Marktsegment wählen (Vidal 1995; Clement et al. 1998). Auch durch eine frühzeitige Ausweitung ihrer Produktlinie können Pioniere weitere wichtige Segmente des Marktes abdecken und so den Markteintritt potentieller Konkurrenten verhindern.

Neben den Vorteilspotentialen des Pioniers werden in der Literatur aber auch viele Argumente genannt, die gegen eine Pionierstrategie sprechen. Zu diesen Nachteilen des Pioniers, die zugleich Vorteile für die Folger darstellen, gehören auf der Angebotsseite vor allem Free-rider-Effekte, Technologische Brüche, Trägheit und Fehler des Pioniers.

So genannte Free-Rider-Effekte entstehen, wenn Folgerunternehmen von den Aufwendungen der Produktentwicklung und/oder der Markterschließung des Pioniers profitieren können und sie somit einsparen (Kerin et al. 1992). Sie sind auf vielfältige Weise realisierbar, u.a. durch:

- Imitation des Pionierproduktes (Kerin et al. 1992). In den meisten Industrien liegen die Kosten einer Imitation weit unter den Kosten einer Produkt-Neuentwicklung (Mansfield et al. 1981).
- die Nutzung fremder Erfahrungskurveneffekte (s.o.). Vorausgesetzt ist allerdings eine allgemeine Informationsdiffusion der Technologie zwischen den Unternehmen.
- Partizipation an den Markterschließungsinvestitionen. Die Märkte wurden von dem Pionier bereits „entwickelt“ und eventuelle Akzeptanzbarrieren wurden abgebaut.
- das Abwerben von Personal, wodurch Folger Entwicklungszeit und Personalkosten einsparen können (Clement et al. 1998).
- die Mitnutzung der Infrastruktur (z.B. in der Distribution), die vom Pionier geschaffen wurde (Lieberman/Montgomery 1988).

Weiteres Vorteilspotenzial von Folgern stellen Technologische Brüche dar. Damit ist ein plötzlicher Wechsel der Technologie gemeint, der es Frühen oder Späten Folgern ermöglicht, die auf Erfahrung basierenden Kostenvorteile des Pioniers auszugleichen, indem sie eine überlegene “neue“ Technologie anwenden (Kerin et al. 1992). Nach Himme (2006) besteht gerade in der Entwicklungsphase eines neuen Marktes große Unsicherheit bezüglich der zu verwendenden Technologie. Durch die Nutzung effizienterer Produktionsverfahren oder überlegener Materialien sind Folger in der Lage, effektiver zu produzieren und dadurch qualitativ höherwertige und/oder günstigere Produkte anzubieten (Clement et al. 1998). Ein frühes Beispiel eines Technologiewechsels stellt die Umstellung von Propellermotoren zu Düsenantriebwerken in der Flugzeugindustrie dar. Douglas Aircraft hat seine Marktdominanz an Boeing verloren, da sie nicht rechtzeitig die neue Technologie verwendeten. Ein weiteres Beispiel bietet der Markt für Videorekorder. Hier musste Sony seine dominierende Stellung aufgeben, da das Unternehmen lange Zeit Videorekorder mit der sog. Beta-Technik ausstattete, obwohl es offensichtlich war, dass von den Konsumenten die mit längerer Spielzeit verbundene VHS-Technologie präferiert wurde.

In engem Zusammenhang mit technologischen Brüchen wird auch die Trägheit von Pionieren als weiterer potentieller Nachteil der Pionierstrategie betrachtet, die aus unterschiedlichen Gründen bestehen kann (Lieberman/Montgomery 1988). Gründe für die Trägheit können z.B. sein, dass das Unternehmen durch spezifische Investitionen in fixe Vermögenswerte gebunden ist, das unter Umständen veraltete Produkt weiter zu produzieren, oder dass es abgeneigt ist, die eigene Produktlinie durch ein neueres Produkt zu kannibalisieren, oder dass das Unternehmen organisatorisch schlicht unflexibel ist. Bei einem Technologiewechsel z.B. kann die Trägheit darauf beruhen, dass der Pionier trotz der offensichtlichen Vorteile eines Konkurrenzproduktes an seiner Technologie festhält und keinen Technologiewechsel durchführt (Himme 2006). Somit verhält sich der Pionier kurzfristig zwar rational, da sich die Investitionen in die alte Technologie noch nicht amortisiert haben und er eine Kannibalisierung des eigenen Produktes verhindern will, langfristig ist er aufgrund der unterlegenen Technologie und des damit verbundenen unterlegenen Produktes aber nicht wettbewerbsfähig (Clement et al. 1998).

Für die Folger ist es ein weiterer Vorteil, dass sie aus eventuellen Fehlern des Pioniers lernen können bzw. ihrerseits strategische Schlüsse aus dem Fehlverhalten des Pioniers ziehen können. Die Wahrscheinlichkeit, bei der Neuentwicklung und Vermarktung eines „neuen“ Produktes Fehler zu machen, dürfte aufgrund der mangelnden Erfahrung groß sein (Himme 2006), zumal dabei mehrere Fehlerquellen denkbar sind (Golder/Tellis 1993): Chancen für Folger ergeben sich dann, wenn der Pionier sein Produkt nicht optimal positioniert hat und die Kosten für eine Repositionierung hoch sind. Dies kann passieren, wenn der „Idealpunkt“ der Positionierung z.B. erst nach der Produkteinführung ersichtlich ist. Eine weitere Chance besteht, wenn der Pionier nicht in der Lage ist, sich erfolgreich an verändernde Marktsituationen anzupassen, wie z.B. der Änderung der Nachfrage oder Bedrohung durch Konkurrenten. Unzureichende Ressourcen zur Verteidigung oder unzureichende Investitionen in den Aufbau der notwendigen Ressourcen und Fähigkeiten können ebenfalls dazu führen, dass der Pionier seine marktführende Position an ein Folgerunternehmen verliert. Auch im Bereich des Marketinginstrumentariums kann der Pionier Fehler machen, wenn das Produkt z.B. “Kinderkrankheiten“ aufweist, die zu Imageschäden führen, von denen sich der Pionier nicht mehr erholt (Himme 2006), oder die Produkteinführung nicht mit den nötigen Marketinginvestitionen unterstützt wird.

2.2.2 Nachfrageseitige Chancen und Risiken

Eine Quelle nachfrageseitiger Pioniervorteile können aufgrund hoher Wechsel- oder Umstellungskosten für die Konsumenten bestehen (Lieberman/Montgomery 1988; Golder/Tellis 1993). Nach Lieberman/Montgomery (1988) können Wechsel- oder Umstellungskosten auf drei Arten entstehen. Erstens durch die Investitionen, die anfallen, wenn sich die Käufer erst auf das neue Produkt bzw. die Leistung ein- oder umstellen müssen. Dazu zählt der Aufwand (Zeit, Ressourcen) für die Suche eines neuen qualifizierten Anbieters, die Kosten für eventuelle Zusatzprodukte (z.B. Software für einen neuen Computer) und auch der Aufwand, der für eventuelle Personalschulungen oder ähnliches nötig ist. Die zweite Art von Umstellungskosten entsteht dadurch, dass sich der Konsument mit der Zeit den Eigenschaften des Produktes und dem Anbieter anpasst. Als dritte Art nennen die Autoren vertragliche Umstellungskosten, wie dass Konsumenten im Falle eines Anbieterwechsels beispielsweise auf bisherige Vergünstigungen verzichten müssen (z.B. Rabatte für „Viel-Flieger“).

Nach Schmalensee (1982) können Pioniere einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil und damit einen Pioniervorteil aufgrund der bestehenden geringeren Qualitätsunsicherheit bezüglich des Pionierproduktes. Dabei profitieren Pionier von der Risikoaversion der Konsumenten: Wenn die Konsumenten den Pionier als erstes Produkt einer neuen Kategorie ausprobieren und mit der gebotenen Produktqualität zufrieden sind, wird der Pionier gegenüber späteren Konkurrenten bevorzugt werden. Nach Schmalensee (1982) scheut der Konsument in der Folge nämlich das Risiko eines Qualitätsdefizits der Folgerprodukte und die Opportunitätskosten, die durch das Ausprobieren des neuen Produktes entstehen würden. Folgerunternehmen müssen daher deutliche Preiszugeständnisse machen, um für die Verbraucher einen Anreiz zu schaffen, das “unsichere“ Produkt zu kaufen (Clement et al. 1998, S. 209). Dieser Effekt ist nach Lieberman/Montgomery (1988) besonders bei günstigen Verbrauchsgütern stark ausgeprägt und nimmt voraussichtlich mit steigendem Preis ab, da die Opportunitätskosten bei der Anschaffung großer und sehr teurer Industrieanlagen beispielsweise eher in Kauf genommen werden. Zusätzlich lässt sich eine Reputation für Qualität auch auf andere Produkte derselben Marke übertragen und verschafft dem Pionier ein weiteres Vorteilspotential (Clement et al. 1998; Vidal 1995).

Während zu Beginn der Pionierforschung ökonomische Erklärungsansätze den potentiellen Wirkungszusammenhang zwischen der Markteintrittsreihenfolge und dem Unternehmenserfolg zu erklären versuchten, kommt seit Ende der 1980er Jahre den verhaltenstheoretischen Erklärungsansätzen nachfrageseitiger Pioniervorteile eine immer größere Bedeutung zu. Diese verhaltenstheoretischen Erklärungsansätze stellen keine ökonomischen, sondern eher psychologische Wettbewerbsvorteile aus Sicht der Konsumenten dar und können innerhalb der einzelnen Phasen des Kaufentscheidungsprozesses entstehen. Nach der Markteinführung eines neuen Produktes verfügen die Konsumenten noch über wenig Informationen in Bezug auf das neue Produkt. Diesen Umstand können sich Pioniere zu Nutze machen, indem sie, durch den Einsatz geeigneter Marketingmittel, Einfluss auf den Präferenzbildungsprozeß hinsichtlich der Bevorzugung des eigenen Produktes nehmen können und so, im Idealfall, das eigene (Pionier-) Produkt zum Standard der Produktkategorie wird
(Carpenter/Nakamoto 1989). Weiterhin wird vermutet, dass die Markteintrittsreihenfolge auch die Einstellungen (Alpert/Kamins 1995), das Erinnerungsvermögen
(Kardes et al. 1993) und auch das Lernverhalten der Konsumenten beeinflussen kann.

Der Eintritt in einen neuen Markt ist aber– neben bereits genannten Chancen – ganz offensichtlich auch mit einer hohen Marktunsicherheit bezüglich Akzeptanz und damit Nachfrage verbunden. Da Pioniere aufgrund mangelnder Erfahrung nicht mit Sicherheit sagen können, welches die kaufentscheidenden Produkteigenschaften sein werden, kann sich ihre Produktpositionierung nach der Einführung als ungünstig erweisen. Repositionierungsmaßnahmen sind jedoch kostenintensiv und werden daher häufig vermieden (Clement et al. 1998). Neben der ohnehin teuren Produktneuentwicklung können der Pionier aufgrund der eventuell bestehenden Unsicherheiten seitens der Konsumenten noch hohe Folgekosten im Sinne von Markterschließungskosten erwarten. Folgern bietet sich hier gleichzeitig die Chance, von den Pionieren zu lernen. Als Toyota z.B. einen Kleinwagen in den USA auf den Markt bringen wollte, ließ Toyota Interviews mit Besitzern von Volkswagen durchführen, die zu der Zeit den Kleinwagenmarkt der USA dominierten. Die gewonnenen Informationen aus diesen Interviews flossen direkt in den Entwicklungsprozess des neuen Autos ein und so war Toyota nach der Markteinführung schließlich in der Lage, Volkswagen als den führenden Kleinwagenhersteller der USA abzulösen
(Lieberman/Montgomery 1991).

Ebenso wie ein Pionier auf der Angebotsseite einen Wandel der Technologie frühzeitig erkennen muss, um nicht durch Folger vom Markt verdrängt zu werden, muss er auf der Nachfrageseite frühzeitig Veränderungen der Konsumentenbedürfnisse erkennen. Die Bedürfnisse der Konsumenten entwickeln sich mit zunehmender Dynamik, wodurch sich Folgern gute Markteintrittschancen bieten, wenn der Pionier nicht alarmiert oder außer Stande zu reagieren ist (Lieberman/Montgomery 1988). Eine solche Situation ergab sich auf dem Markt für Geldautomaten in den USA. Bis 1974 hat Docutel als Pioniermarke der Geldautomaten den gesamten Markt bedient. In den folgenden vier Jahren hat sich der Marktanteil von Docutel auf unter 10% verringert. Grund dafür war der steigende Bedarf an Geldautomaten, die zusätzlich elektronischen Zahlungsverkehr ermöglichten. Marktanteilsgewinner waren
Honeywell, IBM und Burroughs, die eben solche Geldautomaten produzierten (Bsp. Aus Abell 1978 nach Lieberman/Montgomery 1988).

Zusammenfassend können aus der theoretischen Analyse der Chancen und Risiken der Markteinführungsstrategien verschiedene Argumente gewonnen werden, die sowohl für als auch gegen die Vorteilhaftigkeit der beiden unterschiedlichen Markteinführungsstrategien sprechen, wobei, betrachtet man allein die Anzahl der Argumente, die Pionierstrategie vorteilhafter als eine Folgerstrategie zu sein scheint.

Dennoch lässt sich aus theoretischer Sicht keine eindeutige Aussage treffen, ob allein die Reihenfolge des Markteintrittes Einfluss auf den Unternehmenserfolg hat. Daher ist es sinnvoll und notwendig, sich im folgenden Abschnitt der empirischen Analyse zu widmen.

3. Empirische Methodik im Überblick

Nachdem im vorangegangenen Kapitel die Chancen und Risiken der Timingstrategien Pionier und Folger aus der theoretisch-analytischen Perspektive erläutert wurden, ist die Zielsetzung des folgenden Kapitels, einen Überblick über die empirische Methodik zu verschaffen. Es sollen insbesondere die Stärken und Schwächen der Modelle und ihrer Datensätze herausgearbeitet werden, um Rückschlüsse auf die Ergebnisse der Studien ziehen zu können. Darüber hinaus wird die Weiterentwicklung der Modelle sowie der Operationalisierung der Variablen dargestellt. Die Ausführungen dienen einerseits als Grundlage für die im vierten Kapitel folgende empirische Analyse der Chancen und Risiken der Markteinführungsstrategien und andererseits zeigen sie die begrenzte Eignung der verwendeten Methoden, Modelle und Datenbasen. Vanderwerf/Mahon (1997) haben die seit Mitte der 1990er Jahre in der Literatur zunehmende Diskussion über die empirische Vorgehensweise innerhalb der Pionierforschung folgendermaßen auf den Punkt gebracht: “The empirical question of whether the [...] “first movers” tend to outperform their followers has recently turned to examination of the research methods used“ (S. 1510).

Trotz des jungen Alters der Erforschung von Erfolgswirkungen, die von der Markteintrittsreihenfolge ausgehen, existiert schon eine beachtliche Vielfalt an unterschiedlichen Forschungsansätzen, die sich wie folgt systematisieren lassen:

- Ökonometrische Studien (Urban et al. 1986; Robinson/Fornell 1985; Robinson 1988; Parry/Bass 1989; Lambkin 1992; Kalyanaram/Urban 1992; Brown/Lattin 1994; Huff/Robinson 1994; Bowman/Gatignon 1996, Shankar et al. 1998, Robinson/Min 2002; Boulding/Christen 2003),
- Experimentelle Studien (Carpenter/Nakamoto 1989; Kardes/Kalyanaram 1992; Kardes et al. 1993),
- Metaanalysen (Szymanski et al. 1995; Vanderwerf/Mahon 1997),
- Feldstudien (Lilien/Yoon 1990, Alpert/Kamins 1992 und 1995),
- Historische Analysen (Golder/Tellis 1993) und
- Fallstudien (Schnaars 1986).

[...]


[1] Wenn im Folgenden kurz von der Markteintrittsreihenfolge von Unternehmen die Rede ist, wird damit die Höhe des Rangplatzes in der Markteintrittsreihenfolge gemeint. Dabei ist die Rangplatznummer eines in den Markt eintretenden Unternehmens umso höher, je mehr Unternehmen sich bereits im Markt befinden. Der Pionier als das erste Unternehmen am Markt hat demnach die niedrigste Rangplatznummer 1, der frühste Folger die Rangplatznummer 2, das als drittes in den Markt eintretende Unternehmen die Rangplatznummer 3 etc.

[2] Unter dem Begriff Markteinführungsstrategien werden die Strategien von Pionier und Folger zusammengefasst. Synonym werden sie auch als Markteintritts- oder Timingstrategien bezeichnet.

[3] In der Literatur wird der potentielle Wirkungszusammenhang zwischen der Markteintrittsreihenfolge und dem Unternehmenserfolg überwiegend auf (Konsum- und Industrie-) Gütermärkten thematisiert und untersucht. Der Dienstleistungsbereich findet in der Pionierforschung bisher so gut wie keine Anwendung und daher auch im Rahmen dieser Arbeit keine Beachtung.

[4] Die Abgrenzungsmöglichkeiten dieser Kategorien wird ausführlich unter Punkt 3.4.1 thematisiert.

[5] Der Begriff Pionier kann sich im Folgenden sowohl auf die Bezeichnung des Pionierunternehmens als auch auf die Bezeichnung des Pionierprodukts beziehen. Gleiches gilt für den Folgerbegriff.

[6] Um Redundanz zu vermeiden, beschränkt sich die Darstellung der Chancen und Risiken auf die Perspektive des Pionierunternehmens.

Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Pionier oder Folger? Eine Diskussion der Chancen und Risiken von Markteinführungsstrategien anhand empirischer Befunde
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Marketingdepartment)
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
68
Katalognummer
V72026
ISBN (eBook)
9783638625296
ISBN (Buch)
9783638744928
Dateigröße
803 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pionier, Folger, Eine, Diskussion, Chancen, Risiken, Markteinführungsstrategien, Befunde
Arbeit zitieren
Florian Müller-Seewald (Autor:in), 2006, Pionier oder Folger? Eine Diskussion der Chancen und Risiken von Markteinführungsstrategien anhand empirischer Befunde, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72026

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