„Normalerweise interessieren bolivianische Präsidenten niemanden besonders. Sie sind, global gesehen, in der Regel so unbekannt wie bulgarische Präsidenten oder albanische Fußballer,“1 schreibt Jochen-Martin Gutsch im Spiegel. Eine Aussage, die, wenn man die Bolivien-Berichterstattung in der deutschen Presse im letzten Jahrzehnt betrachtet, sicher ihre Berechtigung hat, in Bezug auf das letzte Jahr allerdings revidiert werden muss. Bolivien hat seit dem 22. Januar 2006 einen neuen Präsidenten, Juan Evo Morales Ayma, der nicht nur zum Medienstar avancierte, sondern die Position Boliviens auf der Weltkarte auch wieder in den Köpfen vieler Menschen konkretisierte. Der kleine Andenstaat ist, nach einem langen Dornröschenschlaf, Medienthema, wie er es seit der Entdeckung der Knochen Che Guevaras im Jahre 1997 nicht mehr war. Vergleicht man wie oft in den letzten zehn Jahren das Stichwort „Bolivien“ in Titeln der Onlineausgaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Der Welt vorkam, kann festgestellt werden, dass das Medieninteresse 2006 enorm zugenommen hat. Die FAZ-Schlagzeilen enthielten bis zum 01.09.2006, 29 Mal das Wort „Bolivien“. Das ist fast dreimal soviel wie der über zehn Jahre festgestellte Durchschnitt von elf Artikeln pro Jahr. Die Welt erwähnte „Bolivien“ 2006, 15 Mal in einer Überschrift, brachte es aber innerhalb von zehn Jahren nur auf den mageren Schnitt von 3,9 Artikel jährlich.2
Sieht man von den Jahren 2006, 2005 und 2003 ab, berichtete Die Welt praktisch überhaupt nicht über Bolivien.3
Aber Evo Morales ist mehr als nur ein neuer Medienstar der westlichen Presse. Vor allem ist er eine neue lateinamerikanische Heldenfigur und damit eine Reinkarnation dessen, für was Lateinamerika seit den späten 60er Jahren paradigmatisch stand, als Schmiedestube romantischer Heldenfiguren, von einem Zigarre rauchenden Che Guevara bis zu einem anmutig reitenden Daniel Ortega. Viele lateinamerikanische Staaten generierten im letzten Jahrhundert ihre Heldenfiguren, von Evita Perón bis Subcomandante Marcos, von Salvador Allende bis Fidel Castro.
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1 Jochen-Martin Gutsch, "Bolivien: Der globale Indio," Der Spiegel Nr. 18 (2006): 119.
2 Die Daten beruhen auf einer von der Autorin durchgeführten Titelstichwortsuche in den archivierten Onlineausgaben von FAZ und Welt der letzten zehn Jahre.
3 Im Jahr 2002 erschien ein Artikel, im Jahr 2000 wurden zwei Artikel publiziert und in den anderen Jahren fand keine Berichterstattung statt.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Der moderne Held
- 2.1 Die Funktion des Helden in der Gesellschaft
- 2.2 Der Held als Führungsfigur
- 2.3 Eigenschaften einer Führungsfigur...
- 2.4 Caudillos und Neopopulisten als Helden?
- 3. Redemokratisierung und Krise in Bolivien als Basis für den Aufstieg Evo Morales'
- 3.1 Das Versagen des Neoliberalismus
- 3.2 Der Wandel der Gewerkschaftsbewegung
- 3.3 Der wachsende Einfluss indigener politischer Akteure...
- 3.4 Zusammenfassung
- 4. Evo Morales: Auf dem Weg in den Heldenstand
- 4.1 Die Wahl Evo Morales' zum Präsidenten Boliviens.......
- 4.2 Morales als Identifikationsfigur für die marginalisierte Bevölkerung
- 4.2.1 Aus armen Verhältnissen
- 4.2.2 Der indígena Morales ...
- 4.2.3 Der Kleidungsstil...........
- 4.2.4 Erfolgsmodell MAS..
- 4.3 Die Inszenierung der Figur Morales..
- 4.3.1 Anekdoten und Mythen
- 4.3.2 Die offizielle Homepage: www.evomorales.org
- 4.3.3 Evo Morales Fanartikel
- 4.4 Evo Morales als linke Identifikationsfigur.
- 4.4.1 Der Globalisierungsgegner Morales...........
- 4.4.2 Morales als Held in der deutschen linken Presse?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Bachelor-Thesis untersucht die Konstitution von Evo Morales als neue Heldenfigur in Lateinamerika und untersucht, wie er sowohl innerhalb Boliviens als auch international zur Identifikationsfigur werden konnte. Die Arbeit analysiert die historischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die Morales' Aufstieg ermöglichten, und untersucht, inwieweit seine Persönlichkeit, seine indigene Herkunft und seine politischen Positionen ihn zu einem Symbol für die marginalisierte Bevölkerung Boliviens und darüber hinaus gemacht haben.
- Die Funktion des Helden in der Gesellschaft und die Eigenschaften einer Führungsfigur
- Die Redemokratisierung und die Krise in Bolivien als Kontext für Morales' Aufstieg
- Die Inszenierung und Vermarktung der Figur Morales als Held
- Morales als linke Identifikationsfigur und seine Rolle in der Anti-Globalisierungs-Bewegung
- Der Vergleich von Morales mit anderen indigenen Führungsfiguren und die Unterschiede zwischen populistischen Bewegungen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die These auf, dass Evo Morales eine neue Heldenfigur Lateinamerikas ist und auch international zur Identifikationsfigur werden kann.
Kapitel 2 definiert theoretisch den Begriff des Helden und untersucht die Funktion des Helden in der Gesellschaft sowie die Eigenschaften einer Führungsfigur. Es wird auf die Geschichte von Caudillos und Neopopulisten in Lateinamerika eingegangen.
Kapitel 3 analysiert die Redemokratisierung und die Krise in Bolivien als Basis für den Aufstieg Evo Morales'. Es wird auf das Versagen des Neoliberalismus, den Wandel der Gewerkschaftsbewegung und den wachsenden Einfluss indigener politischer Akteure eingegangen.
Kapitel 4 untersucht die Konstitution der Heldenfigur Evo Morales. Es werden seine Persönlichkeit, seine indigene Herkunft und sein Kleidungsstil betrachtet sowie die Inszenierung und Vermarktung dieser Dinge.
Schlüsselwörter
Evo Morales, Lateinamerika, Heldenfigur, Identifikationsfigur, Redemokratisierung, Krise, Neoliberalismus, indigene Bevölkerung, Populismus, Anti-Globalisierungs-Bewegung, deutsche linke Presse, CONDEPA, MAS.
- Quote paper
- Janine Schildt (Author), 2007, Evo Morales - Die Konstitution einer neuen lateinamerikanischen Heldenfigur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72101