Die Entstehung der Erzählung Ein Landarzt von Franz Kafka wird auf Januar und Februar des Jahres 1917 datiert. In der Forschungsliteratur werden immer wieder zentrale Daten der Zeitspanne zwischen 1914 und 1917 hervorgehoben: zum einem die Verlobung mit Felice Bauer in diesen beiden Jahren (beide Male scheiterte das Ehevorhaben), dann der Beginn des Ersten Weltkrieges am 28.7.1914 und zum anderem der Ausbruch der Tuberkulose im Jahr 1917. In meiner Hausarbeit versuche ich zu klären, welche Umstände und ob die oben genannten Ereignisse auf die Entstehung der Erzählung Einfluß nahmen. Eine Interpretation wird sich aber nicht einfach gestalten, da Kafka aufgrund seiner „Bilder, die in ihrer paradoxen Form das Unaussprechliche aussprachen, ohne es zu verraten“1 schwer zu durchschauen ist. Heinz Politzer bezeichnet diese und viele weitere Erzählungen Kafkas als Parabeln und stellt eine Besonderheit in seinen Parabeln fest: die undurchsichtige Bildebene steht im Gegensatz zu der klaren scharfen Erzählform in den Parabeln.2 Das spricht ebenfalls für eine komplizierte Interpretation. Zunächst muß die scheinbar eindeutige Sprache Kafkas als nicht eindeutig entlarvt werden – sie bedeutet nicht das, was bei einer ersten Betrachtung vermutet wird. So entsteht dann eine „Überwirklichkeit“3, die sich hinter der Realität verbirgt und aus unerfindlichen Gründen zum Ausbruch kommt.
In folgendem gebe ich einen Überblick über die Forschungsliteratur (Punkt 2). Dabei gehe ich besonders im Absatz 2.1 auf die Rolle der Pferde und des Knechts sowie im Absatz 2.2 auf das Dienstmädchen und die Wunde ein, da beide Bereiche eine zentrale Stellung in der Forschungsliteratur einnehmen. Im 3. Punkt komme ich zum Hauptteil der Hausarbeit und damit zur Interpretation der Erzählung und widme mich zunächst der Tiermetapher (Punkt 3.1). Eine biographische Perspektive auf die Erzählung versuche ich im Punkt 3.2 zu entwickeln, wobei ich mich auf den Vater-Sohn-Konflikt (Absatz 3.2.1) und Kafkas Beziehung zu Frauen (Absatz 3.2.2) beschränke. Abschließend ziehe ich mein Fazit zu der Interpretation im 4. Punkt. Am Ende folgt die Auflistung der verwendeten Literatur.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Forschungsüberblick
2.1. Die „unirdischen“ Pferde und der Knecht
2.2. Das Dienstmädchen Rosa und die Wunde
3. Interpretation der Erzählung
3.1. Perspektive der Tiermetapher
3.2. Biographische Perspektive
3.2.1. Vater-Sohn-Konflikt
3.2.2. Beziehung zu Frauen
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Entstehung der Erzählung Ein Landarzt von Franz Kafka wird auf Januar und Februar des Jahres 1917 datiert. In der Forschungsliteratur werden immer wieder zentrale Daten der Zeitspanne zwischen 1914 und 1917 hervorgehoben: zum einem die Verlobung mit Felice Bauer in diesen beiden Jahren (beide Male scheiterte das Ehevorhaben), dann der Beginn des Ersten Weltkrieges am 28.7.1914 und zum anderem der Ausbruch der Tuberkulose im Jahr 1917. In meiner Hausarbeit versuche ich zu klären, welche Umstände und ob die oben genannten Ereignisse auf die Entstehung der Erzählung Einfluß nahmen. Eine Interpretation wird sich aber nicht einfach gestalten, da Kafka aufgrund seiner „Bilder, die in ihrer paradoxen Form das Unaussprechliche aussprachen, ohne es zu verraten“[1] schwer zu durchschauen ist. Heinz Politzer bezeichnet diese und viele weitere Erzählungen Kafkas als Parabeln und stellt eine Besonderheit in seinen Parabeln fest: die undurchsichtige Bildebene steht im Gegensatz zu der klaren scharfen Erzählform in den Parabeln.[2] Das spricht ebenfalls für eine komplizierte Interpretation. Zunächst muß die scheinbar eindeutige Sprache Kafkas als nicht eindeutig entlarvt werden – sie bedeutet nicht das, was bei einer ersten Betrachtung vermutet wird. So entsteht dann eine „Überwirklichkeit“[3], die sich hinter der Realität verbirgt und aus unerfindlichen Gründen zum Ausbruch kommt.
In folgendem gebe ich einen Überblick über die Forschungsliteratur (Punkt 2). Dabei gehe ich besonders im Absatz 2.1 auf die Rolle der Pferde und des Knechts sowie im Absatz 2.2 auf das Dienstmädchen und die Wunde ein, da beide Bereiche eine zentrale Stellung in der Forschungsliteratur einnehmen. Im 3. Punkt komme ich zum Hauptteil der Hausarbeit und damit zur Interpretation der Erzählung und widme mich zunächst der Tiermetapher (Punkt 3.1). Eine biographische Perspektive auf die Erzählung versuche ich im Punkt 3.2 zu entwickeln, wobei ich mich auf den Vater-Sohn-Konflikt (Absatz 3.2.1) und Kafkas Beziehung zu Frauen (Absatz 3.2.2) beschränke. Abschließend ziehe ich mein Fazit zu der Interpretation im 4. Punkt. Am Ende folgt die Auflistung der verwendeten Literatur.
2. Forschungsüberblick
2.1. Die „unirdischen“ Pferde und der Knecht
„In order to reveal the true nature of the doctor’s position and it’s inevitable outcome, Kafka employs in this story his peculiar device of actualised, preternatural agents“[5]. Triffitts „agents“ offenbaren sich in den beiden Pferden und dem Knecht, welche plötzlich aus dem verlassenen Schweinestall des Landarztes erscheinen. Drei Auswirkungen haben Knecht und Pferde auf das Leben des Arztes: erstens verletzen sie sein Dienstmädchen Rosa (der Knecht vergewaltigt sie und die Pferde halten durch ihren schnellen Galopp den Arzt von ihrer Rettung ab), zweitens konfrontieren sie den Arzt mit einem Patienten, den er nicht heilen kann, und drittens irren sie auf dem Rückweg mit sehr langsamen Ritt in der Schneewüste umher, so daß der Landarzt befürchtet, nie wieder zu Hause anzukommen. Sie führen letztendlich zur Entlarvung dieses „unglückseligen Zeitalters“[6].[7][4]
Als der Arzt ganz unverhofft die Pferde und den Knecht in seinem „unbenützten Schweinestall[ ]“[8] auffindet, zögert er trotz dieser Ungewöhnlichkeit nicht, sie in Anspruch zu nehmen, um seiner Arbeit nachgehen zu können. Sein Beruf steht an erster Stelle, alles andere ist zweitrangig. Triffitt führt die Situation des Landarztes, in welcher er nachts verzweifelt versucht, ein Pferd zu finden, um einen weit entlegenen Patienten aufzusuchen, auf seine eigene Unterwürfigkeit zurück.[9] Diese wird dann auch deutlich: „When [...] he is later abused by the people he has been whirled off to serve, he does not resist“[10]. Er widersetzt sich also nicht der Familie und den Dorfbewohnern, da er sich selbst erniedrigt: „Nun, wie es beliebt: [...] verbraucht ihr mich zu heiligen Zwecken, lasse ich auch das mit mir geschehen; was will ich Besseres, alter Landarzt“[11]. Dementsprechend fühlt sich der Landarzt auch nicht wohl in der Gegenwart der Familie.
Wilhelm Emrich bezeichnet Pferde und Knecht als Triebkräfte des Menschen, die im „,Selbst’ des Menschen“[12] verborgen liegen (mit Hilfe der Symbolik des „schon seit Jahren unbenützten Schweinestalles“[13] ausgedrückt). Diese Kräfte stellen eine „absolute[ ] Forderung“[14] nach Bewältigung. Pferde und Knecht repräsentieren zwei „Lebenskontraste“[15], zwischen denen sich der Arzt entscheiden muß: der Knecht verkörpert die verborgenen Gefühle für Rosa und die Pferde stehen stellvertretend für die Pflichten und die Verantwortung, die der Landarzt aufgrund seines Berufes zu erfüllen hat.[16]
Zu Beginn der Erzählung erscheinen die Kräfte jedoch als „befreiende[ ], helfende[ ] Mächte“[17]: der Knecht und die Pferde verhelfen dem Arzt, seine Fahrt zum Patienten doch noch auszuführen. Aber sie zerstören im weiteren Verlauf der Erzählung das normale Leben des Arztes (auch das von Rosa), da er keinen Kompromiß zwischen seinen beiden „Lebenskontrasten“[18] (Pflicht gegenüber Leidenschaft) schließen kann, so daß er am Ende „ein Leben zwischen allen Sphären“[19] führt, verloren in der Schneewüste. Er unterwirft sich seinen unterdrückten Trieben, da er nicht in der Lage ist, sie zu beherrschen. Schließlich vernichten sie ihn, obwohl sie in Wirklichkeit seine Rettung bedeuten, denn Pferde und Knecht könnten den Landarzt aus einem „zweckbestimmten Bewußtsein[ ]“[20] und seine „lange verdeckte[n], vom Arzt und von Rosa unbeachtete[n] Triebkräfte“[21] befreien. Doch das setzt Veränderung und die Trennung von seinem gewohnten Leben voraus, welches er aber nicht aufgeben will (verdeutlicht durch den Versuch der Rückkehr zu seinem Hof).
Für Emrich steht „[d]er aktuelle, zeitkritische Gehalt dieser Erzählung [...] außer Zweifel“[22]. Das „unglückselige[ ] Zeitalter[ ]“[23] der Erzählung spiegelt sich in der Wirklichkeit wieder: die Menschen können „alle in [ihnen] wirkenden geistigen und sinnlichen Kräfte schrankenlos zur Entfaltung [...] bringen“[24]. Es fehlt dem modernen Menschen an einem übergeordneten allgemeingültigen Gesetz (sogar die Religion ist nicht mehr lebensbestimmend: „Den alten Glauben haben sie verloren; der Pfarrer sitzt zu Hause und zerzupft die Meßgewänder“[25]), so daß Knecht und Pferde stellvertretend für „viehische Wildheit und richtungsloser Geist“[26] die Führung übernehmen und den Menschen ins Verderben treiben.
Heinz Politzer betont die Unmöglichkeit, eine einzig gültige Deutung einer Moral dieser Tiergeschichte zu finden, was normalerweise die Haupteigenschaft einer Fabel wäre. Das einzig greifbare dieser Erzählung ist, Politzer zufolge, die Aussage, daß „sowohl Mensch wie Tier [...] die Plätze verlassen haben, die ihnen ursprünglich im Plan der Schöpfung angewiesen waren. Ihre Eigenschaften sind vertauscht; ihre Identität ist verwischt.“[27] Kafka beschreibt durch diesen „Einbruch der Überwirklichkeit in die Wirklichkeit [...] die Realität mit äußerster Präzision“[28], wobei Kafkas Überwirklichkeit unnatürliche Merkmale aufweist, verkörpert durch die „unirdischen“[29] Pferde und den unheimlichen Knecht, die wie aus dem Nichts hervorgekommen sind. Wirklichkeit und Überwirklichkeit weisen, laut der Aussage über die verwischten Identitäten, Parallelen auf: beide Sphären befinden sich im „Froste dieses unglückseligen Zeitalters“[30] ; sie sind beide undurchdringlich, gottlos und ohne jede Menschlichkeit. Da nun die Wesensarten des Menschlichen (Wirklichkeit) und des Übermenschlichen (Überwirklichkeit) gewechselt haben, haben sie ihre „ursprüngliche Verbindung miteinander verloren“[31]. Doch wenn sich dann Wirklichkeit und Überwirklichkeit überschneiden, „dann lediglich in der Form eines Zusammenstoßes“[32], was sich z.B. durch ein „Fehlläuten“[33] manifestiert. Die Folge davon ist die „Entgöttlichung“[34] der Überwirklichkeit aufgrund der „Entmenschlichung“[35] der Wirklichkeit durch dieses „unglückselige[ ]
Zeitalter[ ]“[36], so daß sich Menschliches und Übermenschliches nicht mehr berühren.
2.2. Das Dienstmädchen Rosa und die Wunde
Nach Hans Helmut Hiebel ist die rosa Wunde in der Erzählung „Ein Landarzt“ ein zentrales Phänomen. Dies zeigt sich in der Wandlung des Dienstmädchens Rosa, das zunächst nur das bzw. ein Dienstmädchen für den Arzt und „kaum beachtet“[37] ist und später zur begehrten Rosa wird. Analog dazu wandelt sich die rosa Wunde des Patienten zur „Wunde Rosa“[38] des Landarztes; der Arzt wird somit dem Patienten gleichgesetzt. Auch der Knecht ist „Spiegel-Bild“[39] des Arztes. Er verkörpert die Wünsche des Arztes, indem er in Wollust seine Zähne in Rosas Wange schlägt und er ihr später bis ins Haus nachstellt. „[R]ot eingedrückt sind zwei Zahnreihen in des Mädchens Wange“[40] deutet auf die „rote bzw. rosa Wunde“[41] hin. Jedoch verdrängt der Landarzt sein Verlangen nach Rosa ins Unterbewußte, symbolisch dargestellt durch das anfängliche Nichterkennen der Wunde des Patienten.
[...]
[1] Politzer 1965, S. 131
[2] vgl. ebd., S. 139
[3] ebd., S. 154
[4] Kafka 1999, S. 32
[5] Triffitt 1985, S. 130
[6] Kafka 1999, S. 32
[7] vgl. Triffitt 1985, S. 131/132, 134, 135
[8] Kafka 1999, S. 28
[9] vgl. Triffitt 1985, S. 130
[10] ebd., S. 131/132
[11] Kafka 1999, S. 31
[12] Emrich 1975, S. 92
[13] Kafka 1999, S. 28
[14] Emrich 1975, S. 132
[15] ebd., S. 133
[16] vgl. ebd., S. 133
[17] ebd., S. 134
[18] ebd., S. 133
[19] ebd., S. 134
[20] ebd., S. 136
[21] ebd., S. 136
[22] ebd., S. 136
[23] Kafka 1999, S. 32
[24] Emrich 1975, S. 136
[25] Kafka 1999, S. 31
[26] Emrich 1975, S. 136
[27] Politzer 1965, S. 144
[28] ebd., S. 154
[29] Kafka 1999, S. 32
[30] ebd., S. 32
[31] Politzer 1965, S. 155
[32] ebd., S. 156
[33] Kafka 1999, S. 32
[34] Politzer 1965, S. 156
[35] ebd., S. 156
[36] Kafka 1999, S. 32
[37] ebd., S. 30
[38] Hiebel 1989, S. 153
[39] ebd., S. 155
[40] Kafka 1999, S. 28
[41] Hiebel 1989, S. 154
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