Der Multikulturalismus im kanadischen Bildungssystem


Hausarbeit, 2006

34 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Begriffsklärung: Multikulturalismus vs. Interkulturalismus

3 Historie der Einwanderung in Kanada und die heutige Situation

4 Multikulturalität als politisches Ziel

5 Das kanadische Bildungssystem

6 Interkulturelle Integration im kanadischen Bildungswesen
6.1 Sprachprogramme
6.2 Aboriginal Programme

7 Schlussbetrachtung

8 Literaturverzeichnis

9 Internet:

1 Einführung

Während meiner Überlegungen, welches Thema mir für eine Hausarbeit in dem Seminar „Erwachsenenbildung in Kanada“ interessant erschien, wollte ich mich gerne mit etwas Historischem, aber auch Aktuellem auseinandersetzen. Da ich für meine Vordiplomsprüfung viel zur Interkulturellen Pädagogik, eines meiner Prüfungsthemen, las, während des Grundstudiums ein Praktikum im integrativen Bereich (Jugendzentrum für ausländische Kinder) absolvierte und zur Zeit an einem Projekt arbeite, welches als Zielgruppe Jugendliche mit Migrationshintergrund hat, schien mir der multikulturelle Staat Kanadas, als klassischem Einwandererland, persönlich sehr reizvoll.

Einerseits ist es spannend, wie sich im Laufe der Geschichte der Multikulturalismus als politisches Ziel, welches Kanada als einziges Land der Welt hat, heraus kristallisieren konnte und in welcher Art und Weise das Bildungssystem und Bildungsorganisationen darauf reagieren und eventuell auch für sich als Ziel in die Praxis umsetzen. Außerdem ist eine multikulturelle Welt Teil unser aller Leben geworden.

So begann ich meine Recherchen in der Bibliothek sowie im Internet, welches mir durch Seiten des kanadischen Bildungsministeriums besonders hilfreich war. Die vorhandene Literatur zu speziell diesem Thema war weniger ergiebig, aber dennoch durch Ihre Hilfe ausreichend.

Das Mosaik diverser Kulturen und ethnischer Vielfalt soll, neben der Leitfrage

Inwiefern berücksichtigt das kanadische Bildungssystem die Staatsideologie des Multikulturalismus?, Gegenstand dieser Arbeit werden.

Im Folgenden möchte ich auf ausgewählte Beispiele eingehen.

2 Begriffsklärung: Multikulturalismus vs. Interkulturalismus

Zunächst soll eine begriffliche Annäherung an die heute so häufig verwendeten Schlagwörter multi- und interkulturell stattfinden. Alfred Holzbrecher definiert die Begriffe wie folgt:

Multi kulturell ist ein Begriff, mit dem eine unter

Globalisierungsbedingungen sich entwickelnde Gesellschaft zu

beschreiben versucht. Inter kulturell sind die pädagogischen

Bemühungen, auf diese Realität zu reagieren und Antworten auf

die gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden.[1]

Die beiden Termini sind also zu differenzieren. Beschreibt Multikulturalität einerseits die Situation innerhalb einer Gesellschaft, die geprägt ist von dem Miteinander- oder Nebeneinanderleben verschiedener Kulturen, so beschreibt die Interkulturalität andererseits die Vermittlung zwischen den jeweiligen Kulturen.

Eine interkulturelle Erziehung geht somit von kulturellen Differenzen aus, die es auf der Ebene der alltäglichen Lebenswelt via Kommunikation und vor allem Integration zu überwinden gilt. Die Zielgruppen hierbei sind alle Mitglieder einer Gesellschaft. Der so verstandene Kulturbegriff lässt sich als dynamisch bezeichnen: Die Kultur ist nie statisch, sondern wird als ständig im Entstehen begriffen. Das bedeutet, es entwickelt sich eine Eigendynamik, die mehr ist als ein Zusammenfügen unterschiedlicher Merkmale der beteiligten Kulturkreise. Die Voraussetzung dafür aber ist die Reflexion über eigene Verhaltensweisen, über eigene „kulturelle Programmierungen“. Es wird also das Fremdverstehen ebenso gefordert wie die Selbsterkenntnis. Ein Schwerpunkt dabei liegt auf der Kommunikationsebene. Wir müssen uns bewusst darüber werden, welche Vor- Urteile und Bilder wir schon im Vornherein von anderen Kulturen haben, um dann, wie Schulz von Thun es umschreibt, mit dem „Selbstoffenbarungsohr“ dem Fremden zuzuhören.

Da das Leben des Menschen in unterschiedlichen Systemen stattfindet, sollte das interkulturelle Handeln sich auf diese beziehen und im Fokus der Betrachtung stets das Subjekt haben, das in oder zwischen diesen Systemen agiert. Von Bedeutung sind hier die Familien (Mikrosystem), die Bezugsgruppe in naher Umgebung (Mesosystem), die multikulturelle Gesellschaft (Makrosystem) sowie das Exosystem, welches zwischen den beiden letzt genannten vermittelt (z.B. in Form von dem Beruf der Eltern, Wohnsituation etc.). Daraus folgernd muss Interkulturelles Lernen und Fördern stattfinden in der Schule, im Unterricht, in außerschulischen Kursen, durch die Bildungspolitik der jeweiligen Territorien bzw. Bundesländer, im nationalen Bildungssystem sowie in der weltweiten Bildungssystem­entwicklung.

Zusammenfassend sind die Schwerpunkte Interkultureller Aktivität laut Georg Auernheimer[2]: Das Verstehen und der Umgang mit dem Fremden, die Anerkennung des Anderen, ein nicht - wertender Umgang mit Differenz und die grenzüberschreitende Verständigung in globaler Verantwortung.

Es gilt nun also herauszufinden, in welcher Form die kanadische Regierung auf den Fakt der Multikulturalität antwortet, d.h. interkulturell agiert.

3 Historie der Einwanderung in Kanada und die heutige Situation

Um die Entwicklung hin zu einem multikulturellen Staat, einem so genannten ethnischen Mosaik, aufzuzeigen, ist es von Bedeutung, die historische Entwicklung Kanadas bezüglich der Einwanderer zu betrachten.

Das nordamerikanische Land mit der Hauptstadt Ottawa, über 32 Mio. Einwohnern, den zwei offiziellen Sprachen Englisch und Französisch sowie regional Inuktitut und einer Bevölkerungsdichte von 3,2 Einwohnern je qkm ist als klassisches Einwandererland zu bezeichnen.

Heute kann man die damaligen Einwanderer in vier Hauptgruppen innerhalb der kanadischen Bevölkerung unterteilen.

1. Als „First Nations“ oder Natives bezeichnet man die Ureinwohner des Landes, auch Indianer, Inuit (arktischer Herkunft), Métis (Mischung europäischer und indianischer Herkunft) oder allumfassender Aboriginals genannt. Diese asiatische Kolonisation geht auf ca. 20000 Jahre v. Chr. zurück als Vorfahren der Indianer aus Sibirien über die damals noch bestehende Landbrücke an der heutigen Beringstraße nach Amerika wanderten. Sie hielten sich allerdings wohl aus klimatischen Gründen nicht lange in Kanada auf. Erst nach 5000 v. Chr. wanderten sie wieder vom Süden her ein. In der Mitte des 15. Jahrhunderts lebten etwa 10 Millionen Indianer in Nordamerika (davon 500000 im heutigen Kanada), am Anfang des 20. Jahrhunderts waren es lediglich 1 Million (die Dezimierung geschah in erster Linie durch eingeschleppte Zivilisationskrankheiten).

Unabhängig von dieser indianischen Kolonie begaben sich um 2000 v. Chr. die Paläoeskimos aus Nordostasien in das arktische Gebiet und entwickelten dort die so genannte Dorset Kultur, die durch Schnitzkunstwerke gekennzeichnet ist. Aber ca. 1000 v. Chr. verschwand diese Kultur und ihre Bevölkerung.

Sie wurden vermutlich von den Vorfahren der heutigen Eskimos (bzw. Inuit), den Neoeskimos, die schon lange an der Südküste Alaskas lebten und sich dort Kulturtechniken aneigneten, vertrieben.

Heutzutage gibt es 10 indianische Sprachfamilien in Kanada mit 53 eigenständigen Sprachen. 2001 stammten nur noch 1,9 % der Bevölkerung aus reinen Ureinwohnerfamilien. Familien, in denen nur ein Elternteil den „First Nations“ angehört, machten 4,5 % der Gesamtbevölkerung Kanadas aus.

2. Die zweite Gruppe bezeichnet man als „Founding Nations“, also Gründernationen. Dies sind die Anglo- und Frankokanadier, die Kanada kolonialisierten und den modernen kanadischen Staat gründeten. Die erste beständige europäische Besiedelung fand 1605 durch die Franzosen statt (heute: Annapolis Royal in Neuschottland). Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) lösten sich die 13 britischen Kolonien von England. Die Staatsgrenze zu den USA wurde 1846 der 49. Breitengrad. Erst 1931 wurde British Columbia (West Kanada) endgültig unabhängig. Das Staatsoberhaupt Kanadas ist nach wie vor die englische Königin. Im Jahre 2001 machte diese Gruppe der Gründernationen (rein britische oder französische Familien) ein Drittel der Bevölkerung aus.
3. Als drittes sind die europäischen Minderheiten zu nennen. Diese wiesen vor allem am Ende des 19. Jahrhunderts große Einwanderungsströme auf, um bei der Besiedelung des Westens zu helfen und als Goldsucher Reichtum zu erlangen sowie nach 1945 als Gastarbeiter. Am stärksten vertreten sind hier die Deutschkanadier, gefolgt von z.B. Italienern, Ukrainern, Holländern, Polen und Norwegern (s. Tabelle unten).
4. Unter „Visible Minorities“ versteht man die so genannten sichtbaren Minderheiten, die insgesamt 13 % der Bevölkerung ausmachen. 2001 waren davon 3 Millionen Asiaten (vor allem aus China) und 1 Million Araber, Farbige und Lateinamerikaner.

Diese Gruppe verzeichnete erst in den letzten 30 Jahren, nach Einführung eines neuen Einwanderungsgesetzes, eine verstärkte Einwanderungsrate.

Noch bis zum 17. Jahrhundert konnte insgesamt nur eine geringe Einwanderungsquote verzeichnet werden, denn die extreme Randlage des Landes sowie klimatische und geographische Hindernisse erschwerten eine Besiedelung maßgeblich. Aufgrund dieser geringen Bevölkerungsdichte wiederum war an den Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur nicht zu denken. Denn Kanada ist mit 9,97 Mio. qkm das zweitgrößte Land der Erde, davon sind jedoch lediglich 1/10 der Fläche nutzbar als Siedlungs- oder Wirtschaftsgebiet. War Kanada in der Vergangenheit geprägt von dem häufigen Vorkommen natürlicher Ressourcen (wie Wasserkraft, Holz, Kohle etc.), so zählt es heute zur so genannten post- industriellen Gesellschaft mit wachsendem Dienstleistungssektor und technologisch hochwertigen Industriezweigen.

Doch herrschte und herrscht nicht zeitlebens ein friedliches Nebeneinander der zahlreichen Kulturen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts dominierte in Kanada eine zum Großteil anglokanadisch konforme Gesellschaft, im Jahrhundert zwischen 1851 und 1951 verzeichnete das Land lediglich 11000 Immigranten. Der Kontakt zu Minderheiten war vor allem durch Rassismus geprägt. Ein Beispiel: Als chinesische Eisenbahnbauer nicht mehr gebraucht wurden, vertrieb man sie mit den Worten „We don´t want Chinamen in Canada. This is a white man´s country“ aus dem Land.

1945 aber, nach Ende des Zweiten Weltkrieges, wurden ausländische Gastarbeiter für die Nachkriegswirtschaft benötigt und mit offenen Armen in Kanada empfangen. Ihr jeweiliger kultureller Hintergrund aber blieb ohne Berücksichtigung.

In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich schließlich aus der Debatte der beiden Gründernationen um den Bi- Kulturalismus die entscheidende Wende zum multikulturellen Staatssystem, auf das ich unter

1. Multikulturalität als politisches Ziel näher eingehen werde. Siedelten 1985 noch gut 84000 Menschen nach Kanada, so waren es 1996 schon 224000.

Pat Duffy Hutcheon skizziert in seinem Aufsatz „Multiculturalism: Good Intention and a Clouded Vision?“ vier Ereignisse des Landes (zwei innerhalb und zwei, die außerhalb geschahen), die in erster Linie zur Entstehung der heutigen Ideologie des Multikulturalismus in Kanada beigetragen haben sollen: Zum Einen „The Quiet Revolution“ um Quebec, zum Zweiten der Zweite Weltkrieg, außerdem die weltweite Explosion der Immigrantenzahlen und schließlich die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre in den USA.

In der folgenden Tabelle wird zunächst detailliert aufgezeigt, welchen Anteil die jeweiligen ethnischen und kulturellen Herkünfte an der kanadischen Gesamtbevölkerung ausmachen.

[...]


[1] Holzbrecher, A.: „Interkulturelle Pädagogik“ (2004), S. 87

[2] Auernheimer, G.: „Grundmotive und Arbeitsfelder interkultureller Bildung und Erziehung“ (1998) In: Holzbrecher, A.: „Interkulturelle Erziehung“ (2004), S. 87-88

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Der Multikulturalismus im kanadischen Bildungssystem
Hochschule
Europa-Universität Flensburg (ehem. Universität Flensburg)
Veranstaltung
'Erwachsenenbildung in Kanada'
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
34
Katalognummer
V72254
ISBN (eBook)
9783638632515
ISBN (Buch)
9783638675307
Dateigröße
631 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Multikulturalismus, Bildungssystem, Kanada“
Arbeit zitieren
Julia Bremer (Autor:in), 2006, Der Multikulturalismus im kanadischen Bildungssystem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72254

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