Die Subjektivierung der Arbeit und die Krise der bundesdeutschen Gewerkschaften


Hausarbeit, 2004

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Quellenlage und Definitionen

2. Fordismus und Keynesianismus

3. Taylorismus

4. Die bundesdeutschen Gewerkschaften

5. Veränderte Rahmenbedingungen

6. Subjektivierung als Produktivkraftentwicklung

7. Folgen für die Gewerkschaften

8. Krisensymptome der Gewerkschaften

9. Fazit – Chancen für einen new unionism

Literaturverzeichnis

Es geht darum zu bereifen, dass die Basis der Produktivität nicht die kapitalistische Investition, sondern die Besetzung des sozialisierten menschlichen Gehirns ist. Antonio Negri, Ready-Mix

Einleitung

Das Hauptseminar „Vermarktlichung – Entgrenzung – Subjektivierung der Arbeit“ hat im Sommersemester 2004 zu zeigen versucht, das die „gegenwärtige Situation von Arbeit und Beschäftigung von Heterogenität, Ambivalenz und `neuer Unübersichtlichkeit` geprägt[1] ist. Unter der Anleitung von Prof. Dr. Hildegard Maria Nickel wurden unter anderem die Themen Industrialismus, Individualisierung, Subjektivierung, Prekarität und Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft behandelt. Als Schwerpunkt rückte immer wieder die Frage der Veränderungen für die Arbeitnehmerschaft ins Zentrum.

In dieser Arbeit möchte ich zunächst die Produktionsweisen der als Industrialismus beschriebenen vergangenen Jahrzehnte darlegen, um dann auf die begleitende Politik der bundesdeutschen Gewerkschaften eingehen. Anschließend werden die Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Folgen dieser Veränderungen für die betriebliche und vor allem überbetriebliche Arbeitswelt dargestellt. Die trotz propagierter Humanisierung, aus meiner Sicht verschärften Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auch in Westeuropa, setzen die Frage nach zukünftigen Schutz- und Interessenvertretungen wieder auf die Tagesordnung. Folgerichtig werde ich anschließend die Krise der Gewerkschaften ausführen.

Die Dimensionen Geschlecht, Reproduktion und Familie habe ich in dieser Arbeit weitestgehend unberücksichtigt gelassen. Eine angemessene Betrachtung wäre aus Platzgründen nicht möglich gewesen. So bleibt auch über ein Mindestmaß hinaus der Aspekt der Arbeitslosigkeit ausgeklammert. Den damit verbundenen sozialpolitischen und sozialpsychologischen Folgen kann nur eine eigene Arbeit gerecht werden. Ebenfalls kaum adäquat zu beschreiben, sind die unter Globalisierung subsummierten Prozesse. Sie können hier nur angerissen werden.

Ausgehend von den Makro- und mesopolitischen Ebenen der nationalen Ökonomie, versuche ich auf die Veränderungen im Bereich der Arbeitswelt einzugehen, der eher Gegenstand mikrosoziologischer Betrachtungen ist, um anschließend wieder Schlussfolgerungen für den gesamtgesellschaftlichen Rahmen und die Gewerkschaften zu ziehen.

1. Quellenlage und Definitionen

Die zum Thema vorliegenden Quellen sind in Umfang und Inhalt insgesamt sehr befriedigend. Das Thema betreffende Sekundärliteratur ist ausreichend vorhanden. Oft sind die als Standardliteratur geltenden Werke aktuell genug[2]. Wie diese Arbeit zeigen wird, haben gerade in den letzten zehn Jahren Veränderungen stattgefunden, die nachhaltigen Einfluss auf die Arbeitsverhältnisse und daraus resultierend auf die deutschen Gewerkschaften haben. Besonders hilfreich waren daher Rückgriffe auf Texte der im engeren Sinne sozialwissenschaftlichen Forschung.

Die in der vorliegenden Hausarbeit getroffenen Aussagen beziehen sich jedoch auch auf Feststellungen in der Vorlesung und dem Studium diverser Publikationen gewerkschaftlicher Gliederungen, marxistischer Theoretiker sowie einiger Presseerzeugnisse. Als hier zu behandelnde bundesdeutsche Gewerkschaften gelten die traditionell im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierten Gewerkschaften und die inzwischen im DGB aufgegangene Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG).

Jene Berufsverbände, die nicht den Charakter von Massenorganisationen haben, ein eher ständisches Modell oder aufgrund ihrer Verortung besondere Arbeitsmodelle repräsentieren, bleiben genau so unberücksichtigt, wie Vereinigungen die vorrangig ideengeschichtliche oder religiöse Anliegen haben. So werden beispielsweise der Deutsche Beamtenbund (DBB) und die Gemeinschaft christlicher Lehrer und Erzieher (GCLE) nicht Thema in dieser Arbeit sein.

2. Fordismus und Keynesianismus

Mit den Begriffen Fordismus und Keynesianismus werden im populärwissenschaftlichen Diskurs häufig nicht nur jeweils verschiedene Sachverhalte beschrieben, sondern sie werden zuweilen auch synonym verwendet. Im engeren sozialwissenschaftlichen Sinne bezeichnet Fordismus mehr eine Regulations- und Akkumulationsweise als eine spezifische Produktionsform. Oft werden die sie begleitenden politischen und sozialen Strukturen ebenso darunter subsumiert. Hier wäre aber der wirtschaftspolitische Einfluss der Theorie von Keynes geltend zu machen.

Die unter dem US-amerikanischen Unternehmer Henry Ford (1863 – 1947) „standardisierte Massenproduktion“[3] in seinen teilautomatisierten Automobilwerken ist Zeichen der fordistischen Zeit im vergangenen Jahrhundert. Das Fließband und seine an ihm streng arbeitsteilig tätigen Arbeiter sind das Paradigma der Produktion und ergänzen sich mit einem Typ des Massenkonsums.

Die sozialpolitische und ideologische Begleitung für die Hochzeit des Fordismus bis in die 1970er, war die Idee des starken Konsumenten, der Massenkaufkraft und der Nachfragestimulierung. Folgerichtig prägte eine an den Richtlinien des Ökonomen John M. Keynes (1883 – 1946) ausgerichtete Wirtschaftspolitik in Westeuropa vor allem die 1950er, 60er und 70er. Dazu gehören beschäftigungspolitische Maßnahmen und eine Steuerung durch den Staat, der mit umfangreichen Sozialleistungen ein immer währendes Wachstum und eine anhaltende Konsumption aufrechterhalten wollte. Der Wohlfahrtstaat und die massiven finanzpolitischen Regularien setzten dem entfesselten Markt im Laisser-faire-Kapitalismus früherer Jahrzehnte Grenzen.

Der vielerorts offensichtlichen Entfremdung im arbeitsteiligen Betrieb mit seiner materiellen und körperlich anstrengenden Produktion wurde der sichere Sozialstaat entgegengesetzt, was lange Zeit für relativen Wohlstand und sozialen Frieden sorgte. Doch darüber hinaus erzwang eben jener Wohlfahrtsstaat auch mit juristischen und ideologischen Rahmenbedingungen und „administrativen Kontrollmaßnahmen[4] ein Funktionieren des einzelnen Arbeiters im Getriebe der nationalen Ökonomie.

Die „Parteien und Gewerkschaften (...) als massenintegrative Apparate[5] und der traditionell hohe „Organisierungsgrad des (deutschen) Kapitals mit den damit verbunden Fähigkeiten zur planerischen Selbstregulierung[6] prägten nicht nur den sicheren Arbeitsplatz mit den verbindlichen Standards eines Normalarbeitsverhältnisses. Durch die in deutschsprachigen und skandinavischen Ländern einmalige Form der Sozialpartnerschaft, sowie politischer und personeller Nähe zur (oft regierenden) Sozialdemokratie standen Fordismus und Keynesianismus in der BRD auf sicheren Füßen in der wirtschaftlichen Konfrontation mit anderen Regionen.

3. Taylorismus

Die von Frederick W. Taylor (1856 – 1915) schon 1912 in den „Prinzipien wissenschaftlicher Betriebsführung“ veröffentlichten Grundsätze ergänzten sich mit der von Ford in seinen Chicagoer Autowerken praktizierten Mechanisierung der Arbeit. Umgekehrt ließe sich durchaus schlüssig behaupten, die von Taylor entwickelten Methoden sind letztlich die Vorrausetzung für die Einführung eines leistungssteigernden, akkordbezogenen Lohnsystems in der Fabrikarbeit.

Durch die Zerlegung des „Arbeitsprozess (...) in kleine, normierte Arbeitsschritte“ können „überflüssige Bewegungen und versteckte Pausen[7] vermieden werden. Allgemeine Kennzeichen tayloristischer Produktion sind die Trennung von Hand- und Kopfarbeit, Anpassung und Festlegung eines genauen Arbeitspensum, aber auch die Vermeidung von direkten Klassenauseinandersetzungen durch Einsetzen einer „Dienstklasse“ in Form von Experten, Ingenieuren und Betriebsleitern.

Noch in den 1970er Jahren war das Festhalten an tayloristischen Strategien der Arbeitsorganisation mit der Kontrolle relativ gering qualifizierter Massenarbeiter in der industriellen Arbeit vorherrschend. Da wo arbeitsorganisatorische Maßnahmen der Betriebsräte und Gewerkschaften den Bereich der Kontrolle über den Arbeitsprozess berührten, war die Innovationsbereitschaft der Unternehmensleitungen schnell erschöpft. All das, was an subjektiven Eigenwilligkeiten der Einzelnen den fließenden Ablaufprozess und dessen Kontrollierbarkeit hätte stören können, wurde nach Möglichkeit durch Automatisierung und Normierung hierarchisch diszipliniert. Diese Situation hat sich im Laufe der 1980er Jahre mit dem Nachdenken des Managements über flexiblere Produktionsstrukturen verändert.

Die Kombination aus beidem – Fabrikregime und soldatisches Funktionieren einerseits, Sozialpartnerschaft, sicherere Löhne und regulierender Wohlfahrtsstaat andererseits – sorgte mehrere Jahrzehnte für eine funktionierende Wirtschaftswelt, vornehmlich im postfaschistischen Westeuropa.

Besonders in der Bundesrepublik wurde bis vor wenigen Jahren außerdem von einem „Hort“ der Facharbeit gesprochen[8]. Die detaillierte Gegenüberstellung von hochqualifizierter, mitunter durch weniger Massenaufkommen, aber langer und spezifischer Ausbildungswege gezeichneter Facharbeit, und tayloristischer Produktionsstätten erscheint mir hier allerdings ungeeignet.

4. Die bundesdeutschen Gewerkschaften

Die Veränderungen in der Arbeitswelt beeinflussten auch die Politik und die Außenwirkung der großen deutschen Gewerkschaften. Das betrifft gerade den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), der mit fast 8 Millionen Mitgliedern einer der größten Gewerkschaftsdachverbände weltweit, und der größte in Europa ist. Von den 1949 an der Gründung beteiligten oder später hinzugekommenen insgesamt fünfzehn Einzelbranchengewerkschaften sind durch Fusionen bis 1995 zwölf, und nach der Gründung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di 2001 acht übrig geblieben. Hatte der DGB kurz nach der Wiedervereinigung durch den Mitgliederzuwachs im Osten Deutschlands noch 11 Millionen Mitglieder, so ist die Mitgliederzahl seitdem noch rückläufiger als in den Jahren zuvor ohnehin schon[9].

Nach dem Krieg bewusst als Einheitsgewerkschaften gegründet, sollte eine Gewerkschaft für eine Branche und einen Betrieb verantwortlich und die einzig legitime Arbeitnehmervertretung sein. Im Idealfall und gerade in der Industrie lange Realität, konnten die Gewerkschaften den Betriebs- und Personalrat gleich als führendes Mitglied wissen. Der DGB entwickelte sich zu einem Machtfaktor in der Auseinandersetzung um Mitbestimmung und Interessensausgleich und zu einem wichtigen Standbein des Wirtschaftswunders.

[...]


[1] HU Berlin: Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis. Institut für Sozialwissenschaften. Sommersemester 2004, S.29

[2] Ausgesprochen interessant und vielseitig zu lesen ist:

Minssen, Heiner. Begrenzte Entgrenzungen. edition sigma, Berlin 2000

[3] Ofner, F. Macht in Arbeitsbeziehungen. In Minssen, Heiner. Begrenzte Entgrenzungen. edition sigma, Berlin, 2000, S. 102

[4] Hirsch, Joachim. Vom Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat. ID Verlag, Berlin 1998, S.78

[5] ebenda

[6] ebenda, S.79

[7] Harenberg, Bodo (Hrsg.). Harenberg Kompaktlexikon. Harenberg Verlag, Dortmund 1996, S. 2935

[8] vgl. auch Pongratz, H; Voß, G. Berufliche Sicherheit und Spaß an Herausforderung – Erwerbsorientierungen in Gruppen- und Projektarbeit. In WSI-Mitteilungen 04/2003

[9] Im Jahr 2003 sind es nur noch knapp 7,8 Millionen Mitglieder. Vergleiche Schroeder, Wolfgang und Wessels, Bernhard (Hrsg.). Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2003

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Subjektivierung der Arbeit und die Krise der bundesdeutschen Gewerkschaften
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
25
Katalognummer
V72600
ISBN (eBook)
9783638623810
Dateigröße
466 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Gute Darstellung und Zusammenfassung der veränderten Bedingungen für die Gewerkschaften in der BRD.
Schlagworte
Subjektivierung, Arbeit, Krise, Gewerkschaften
Arbeit zitieren
Hannes Heine (Autor:in), 2004, Die Subjektivierung der Arbeit und die Krise der bundesdeutschen Gewerkschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72600

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