Europäisches Lebensmittelrecht


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2001

20 Seiten


Leseprobe


Europäisches Lebensmittelrecht

Rechtsassessor Gerald G. Sander, M.A., Mag.rer.publ., Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Eberhard-Karls-Universität Tübingen

I. Einleitung

Zahlreiche Rechtsakte der Gemeinschaft zur Schaffung des Binnenmarktes betreffen den Handel mit Lebensmittel, welcher der umsatzstärkste Markt weltweit ist. Ein durchschnittlicher Haushalt in Europa gibt etwa 29% seines verfügbaren Einkommens für Nahrungsmittel aus. Insgesamt handelt es sind jährlich um eine Summe von ca. 500 Milliarden ECU. Mehr als 2,3 Mio. Menschen sind in diesem Sektor beschäftigt, weitere 10 Mio. Personen in der landwirtschaftlichen Produktion.[i]

Mit der Schaffung des EG-Binnenmarktes hat sich die Palette der angebotenen Lebensmittel in der Gemeinschaft erheblich erweitert. Der Nahrungsmittelmarkt ist jedoch starken Veränderungen, z.B. in Bezug auf den Einsatz von Zusatzstoffen[ii] oder der Entwicklung neuartiger Lebensmittel, unterworfen. Dies folgt zum Teil aus veränderten Essgewohnheiten, wie der Zunahme des Konsums von Fertigprodukten und diätischen Lebensmitteln. In den einzelnen Mitgliedstaaten gehen die Auffassungen über Gesundheitsgefahren aufgrund bestimmter Zusatzstoffe, Lebensmittelbestrahlung oder gentechnischer Verfahren erheblich auseinander. Hinsichtlich der Rechtssetzung besteht für die Kommission deshalb die schwierige Aufgabe, den zum Teil voneinander abweichenden Bedenken der Mitgliedstaaten in ihren Regelungsvorschlägen Rechnung zu tragen. Einheitliche Regelungen sind jedoch im Gemeinsamen Markt für Lebensmittel notwendig, da die nationalen Anforderungen an die Verkehrsfähigkeit von Nahrungsmitteln typische handelsbeschränkende Maßnahmen sind.

Die Kommission definiert Lebensmitteln als alle zur Aufnahme durch den Menschen bestimmten verarbeiteten, teilverarbeiteten oder unverarbeiteten Stoffe oder Erzeugnisse, mit Ausnahme von Tabak, Arzneimitteln und der gemäß den einschlägigen internationalen Übereinkommen von den Mitgliedstaaten überwachten narkotischen oder psychotropen Stoffe.[iii] Dieser weite Begriff umfasst sowohl Rohmaterialien, Zutaten, wie z.B. Zusatzstoffe und Aromen, als auch Kontaminanten, Rückstände von Pestiziden und Tierarzneimitteln, Getränke sowie Kaugummi.

II. Grundsätze des europäischen Lebensmittelrechts

Die Kommission legte die Grundsätze ihrer Tätigkeit im europäischen Lebensmittelrecht in verschiedenen Programmen nieder. In ihrer Mitteilung „Vollendung des Binnenmarktes: Das Gemeinschaftliche Lebensmittelrecht“[iv] aus dem Jahre 1985 beschrieb sie ihr Ziel, den Verkehr von nicht gesundheitlichsgefährdenden Lebensmittel zu gewährleisten. Darüber hinaus sollte eine Kennzeichnungspflicht eingeführt und Sorge für einen lauteren Wettbewerb getragen werden. Zentrales Überwachungsinstrument sollte die Einführung von Kontrollen durch autorisierte Stellen sein.

Beeinflusst von der BSE-Krise in Europa, legte das Grünbuch zum Lebensmittelrecht[v] aus dem Jahre 1997, den Schwerpunkt eindeutig wieder auf die Erfordernisse des Gesundheitsschutzes. Mit ihm soll überprüft werden, ob die bestehenden Rechtsvorschriften den derzeitigen Anforderungen genügen und die amtlichen Kontrollsysteme die Versorgung mit unbedenklichen Lebensmitteln ausreichend gewährleisten. Die Gemeinschaft richtet ihr Handeln dabei an folgenden Leitlinien aus:

- Berücksichtigung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Vorbereitung von Rechtssetzungvorhaben,
- Verfolgung des „Sicherheitsprinzips“, wenn wegen wissenschaftlicher Unklarheiten oder fehlender Daten kein Risikomanagement möglich ist,
- Gewährleistung klarer Verantwortlichkeiten für die Sicherheit und Bekömmlichkeit der Lebensmittel in allen Stadien der Nahrungsmittelkette,
- Durchführung von Kontrollmaßnahmen an sämtlichen kritischen Punkten der Lebensmittelkette, von der Erzeugung bis zum Verkauf. Gleiches gilt für importierte Waren. Mit Hilfe des Hazard Analsis and Critikal Control Point -Konzepts werden im Anschluss an eine Gefahrenanalyse kritische Kontrollpunkte festgelegt.[vi]
- Ergreifung geeigneter Maßnahmen, um den Verbraucher über die Beschaffenheit und Zusammensetzung der Nahrungsmittel zu informieren und
- eine klare Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Kontrolleuren (z.B. Hersteller, Eigentümer von Lebensmittelherstellungsanlagen, Ämter der Mitgliedstaaten und der Kommission).

Als Folge verschiedener Lebensmittelskandale, von BSE bis zu Dioxin-verseuchten Hühnern, legte die EG im Jahr 2000 ein Weißbuch zur Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit vor. Ziel der künftigen Tätigkeit ist die umfassende Verbesserung des Lebensmittel-, Tierfutter-, und Tierhaltungsrechts. Im Rahmen dieser Reform der Lebensmittelsicherheit sollen bis Ende 2002 76 EG-Rechtsakte verabschiedet werden. Außerdem enthält das Weißbuch ein Kapitel über die Gründung einer europäischen Lebensmittelagentur, die ebenfalls bis Ende 2002 ihre Arbeit aufnehmen soll. Ziel ihrer Tätigkeit ist die Stärkung des Vertrauens der Verbraucher in die Sicherheit und Qualität der Nahrungsmittel. Ihre Zuständigkeit umfasst die wissenschaftliche Bewertung beim Verzehr von Lebensmitteln, die Vernetzung nationaler Informationen sowie die Einrichtung eines Frühwarnsystems.

III. Einzelne Rechtsakte im Lebensmittelbereich

Im Folgenden werden einzelne EG-Rechtsakte im Lebensmittelbereich vorgestellt. Als Rechtsgrundlagen für diese Bestimmungen kommen sowohl Art. 95 EGV als auch Art. 175 EGV und Art. 37 EGV in Betracht. Da es sich bei den Nahrungsmitteln überwiegend um landwirtschaftliche Produkte handelt, spielen Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik eine besondere Rolle. Die europäische Lebensmittelpolitik steht insgesamt in einem Spannungsfeld von Verbraucherinteressen, liberaler Handelspolitik und administrierter Agrarpolitik[vii]. Wegen der Vielzahl an europäischen Lebensmittelvorschriften, kann hier nur ein Überblick ausgewählter Vorschriften geleistet werden.

1. Zusatzstoffe

Unterschiedliche nationale Regelungen über Zusatzstoffe in Lebensmitteln führten in der Vergangenheit zu erheblichen Handelsbeschränkungen innerhalb der Gemeinschaft. Bestimmungen über die Zulässigkeit solcher Stoffe stellen deshalb einen zentralen Bereich der EG-Lebensmittelharmonisierung dar. Die Gemeinschaft hat inzwischen zahlreiche Vorschriften erlassen, die den Einsatz bestimmter Zusatzstoffe für die Lebensmittelherstellung regeln. Die sog. „E-Nummern“ sind Bezeichungen für Zusatzstoffe, die in sämtlichen Mitgliedstaaten gelten. In Deutschland waren vor dem Jahr 1993 nur 265 solcher Substanzen erlaubt, während ihre Zahl mit der EG-weiten Regelung auf 296 anstieg. Für die meisten Zusatzstoffe wird die Menge einer Substanz, die ein Mensch sein lebenslang täglich zu sich nehmen kann, als sog. ADI-Wert (acceptable daily intake) in Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht ermittelt.

a) Die Zusatzstoff-Richtlinie

Ausgangspunkt der Regelungen ist die Zusatzstoff-Rahmenrichtlinie[viii], die den Sektor der Lebensmittelzusatzstoffe umfassend harmonisiert. Zusatzstoffe sind danach Substanzen mit oder ohne Nährwert, die gewöhnlich nicht selbst als Nahrungsmittel konsumiert werden und auch nicht als Zutaten dem Nahrungsmittel zugeführt werden, um den Nährwert zu verbessern. Während der Herstellung eines bestimmten Produkts werden sie jedoch direkt oder indirekt Bestandteil des Nahrungsmittels, eventuell auch in einer veränderten Form. Der Einsatz solcher Zusatzstoffe ist nur erlaubt, wenn ein vernünftiges technologisches Bedürfnis dargelegt wird, dem nicht auf andere Weise entsprochen werden kann. Stoffe, die aus Ernährungszwecken zugefügt werden, wie Mineralien, Spurenelemente oder Vitamine, fallen nicht unter diesen Begriff. Außerdem darf der Stoff bei gewöhnlichem Gebrauch nach wissenschaftlichen Erkenntnissen keine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen und zu keiner Täuschung des Verbrauchers führen.

Ein Bedürfnis liegt vor, wenn ihr Einsatz der Erhaltung der Nährwertqualität des Lebensmittels, der Zufügung notwendiger Zutaten oder Bestandteile für die Herstellung von diätischen Nahrungsmitteln dient, eine bessere Lagerfähigkeit fördert oder die Erzeugung, Verarbeitung und Zubereitung von Lebensmittelprodukten unterstützt. Der Zusatz darf allerdings nicht die Folgen einer Verwendung minderwertigen Rohmaterials oder unhygienischer Verfahren verbergen. Anhang I der Richtlinie listet verschiedene Kategorien von Zusatzstoffen auf, für die später noch detaillierte Regelungen erlassen werden sollen. Außerdem enthält Art. 4 der Richtlinie für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, vorübergehend die Anwendung des Rechtsaktes auszusetzen, wenn ernsthafte Gründe dafür sprechen, dass ein Zusatzstoff gesundheitlich bedenklich ist. Ob die Vorschrift daraufhin zu novellieren ist, klärt die Kommission mit dem Ständigen Lebensmittelausschuss. Zu allen Fragen, welche die Volksgesundheit betreffen, ist außerdem der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuss anzuhören.

[...]


[i] O’Rourke, European Food Law, Bembridge/Isle of Wight 1998, S. 5.

[ii] In den USA werden über 3.000 chemische Substanzen als Zusatzstoffe eingesetzt. Der jährliche Verbrauch liegt über 1 Kilogramm pro Person. In der EG waren 1996 nur 296 Zusatzstoffe erlaubt. Zur Lebensmittelstandardisierung Sander, Internationaler und europäischer Gesundheitsschutz, Baden-Baden 2001.

[iii] Grünbuch der Kommission, Brüssel 1997, KOM (97) 176 endg., S. 28.

[iv] KOM (85) 603 endg.

[v] Allgemeine Grundsätze des Lebensmittelrechts in der Europäischen Union. Grünbuch der Kommission, Brüssel 1997, KOM (97) 176 endg.

[vi] KOM (97) 183 endg., S. 24.

[vii] Hierzu Oppermann, Europarecht, 2. Aufl., München 1999, Rdnr. 1349 ff.

[viii] Richtlinie 89/107/EWG (ABl. EG 1989 Nr. L 40, S. 27), geändert durch Richtlinie 94/34/EG (ABl. EG 1994 Nr. L 237, S. 1).

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Details

Titel
Europäisches Lebensmittelrecht
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Rechtswissenschaft)
Autor
Jahr
2001
Seiten
20
Katalognummer
V7269
ISBN (eBook)
9783638145800
Dateigröße
586 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
EG, Lebensmittelrecht
Arbeit zitieren
Dr. Gerald G. Sander (Autor:in), 2001, Europäisches Lebensmittelrecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7269

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