Über Sir Thomas Lawrence: Die Angerstein-Kinder


Hausarbeit, 2007

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung

2. Die Familien Boucherette, Angerstein und Lock

3. Bildgeschichte: Das doppelte Kinderporträt

4. Bildbeschreibung

5. Bildaspekte
I. Das Familienporträt und die neue Moral
II. Komposition, Farbe und Inszenierung

6. Erkenntnisse und Fazit

7. Bibliographie

1. Einleitung

Bis heute gilt Sir Thomas Lawrence (1769-1830)sowohl als Porträtmaler der Aristrokraten, reichen Bürger und bedeutenden Persönlichkeiten der Londoner Gesellschaft als auch durch Gemälde von Staatsmännern, der europäischen Gesellschaft, wie dem russischen Zar Alexander I. oder Frederick III., König von Preussen nach Ende des Napoleonischen Krieges. Doch damit ist die Bandbreite der Porträtierten nicht erfasst. Unter seinen Modellen finden sich auch einfache Leute aus der damaligen Mittelklasse. Porträts wie das des Kindermädchens der Angersteins oder die Kinder der Calmady-Familie zeugen davon. Einen nicht zu unterschätzenden Teil seiner Porträts nehmen die Freunde des natürlich talentierten Malers ein, die er unter Bürgerfamilien und anderen Künstlern fand.1

Aus bodenständigen Verhältnissen stammend, erwarb er sich den Großteil seiner malerischen Kenntnisse autodidaktisch durch das Studieren der Gemälde vor allem der italienischen Malerei. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Zeitgenossen musste er dabei auf Kopien zurückgreifen, denn eine Studienreise nach Italien war ihm finanziell zunächst nicht möglich.

Jene Gemälde weckten sein Interesse für historische Themen, die in seinen Porträts zeitweilig sichtbar werden. Sein besonderes Talent lag aber im Porträtieren und so wird er in der Tradition des „Grand Portrait“ gesehen, dessen repräsentative Wirkung vielen seiner Gemälde zu eigen ist.2 Mit genauem Blick für das Charaktervolle und Spezifische seiner Modelle zeigte Lawrence auch immer wieder eine Sehnsucht, die seinen Blick auf die historischen Themen alter Meister schweifen ließ. In seinen Gemälden findet sich sowohl das Unhierarchische des Rokoko, wenn er z. B. die Angerstein- Kinder als christliche Heilige inszeniert, als auch Prinzipien des Klassizismus, wie in etwa die gezielte Formulierung bestimmter moralischer Wertbegriffe.3 Das Ergebnis sind Gemälde, die in Farbe, Komposition und Ausdruck den Zeitgeschmack den Künstler und die Modelle porträtieren.

In der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, im Kulturforum ist ein Kinderporträt von Sir Thomas Lawrence ausgestellt, welches zu den etwas selterenen Gruppenbildnissen gehört. Obwohl das Bild in der Literatur bisher weniger Beachtung fand, gibt „Die Angerstein-Kinder“ (1807) tiefe Einblicke in das Schaffen des Künstlers gegen Ende des 18.und Anfang des 19.Jahrhunderts. In dieser Arbeit betrachte ich das Ölgemälde unter gestalterischen Gesichtspunkten, seiner Bildgeschichte, der Biographie des Künstlers und seiner Zeit, sowie der Bildaussage. Bei der Biographie werde ich mich auf bildrelevante Ausschnitte aus dem Leben des Künstlers beschränken.

2.Die Familien Boucherette, Angerstein und Lock

1787 kam der damals 18 jährige Pastellmaler Thomas Lawrence von Bath nach London, um für wenige Monate an der Royal Academy School zu studieren. Von nun an widmete er sich verstärkt der Malerei in Öl beeinflusst sowohl von seinem Vorbild, dem zu dieser Zeit ruhiger tretenden Porträtmaler Sir Joshua Reynolds, dem befreundeten Künstler William Hamilton als auch den Studien der Meister wie u.a. Raffael und Rembrandt. In Bath hatte er bereits auf professioneller Basis meist ovale Pastellporträts gefertigt, doch diese sollten nie den Status seiner in London beginnenden Ölmalerei einnehmen. Die Ausbildung des jungen Künstlers beschränkte sich auf wenige Kenntnisse der Pastell- und Ölmalerei. Das meiste Wissen erlangte er autodidaktisch durch das Studium privater Gemäldesammlungen. Seine natürliche künstlerische Begabung weckte das Interesse vieler finanzkräftiger englischer Kunstliebhaber, die bald darauf für ihn Modell sitzen sollten.1789 debütierte Lawrence mit einem Ganzfigurenporträt der Lady Cremore ( Bristol, City Art Gallery) an der Royal Academy. Noch im selben Jahr wurde er für ein Porträt der Königin Charlotte nach Windsor bestellt.

William Lock (1732-1810) wurde in den späten 1780ern in London auf den jungen Künstler aufmerksam. Durch Locks Freundschaft mit John Julius Angerstein (1735-1823) wurde Lawrence mit den Familien sofort bekannt und bald schon in ihnen heimisch.

Die Familien Boucherette, Angerstein und Lock sind wichtige Bezugspunkte für Lawrence künstlerisches Schaffen aber auch für seine private Entwicklung. Zu allen drei Familien, die sich in den Folgegenerationen untereinander durch Heirat vermischten, hegte er seit seiner frühen Londoner Zeit enge freundschaftliche Kontakte. Diese begleiteten seine ganze Laufbahn als Maler . Über drei Generationen portraitierte er immer wieder die Freunde und Familienmitglieder. Dabei vemischten sich bei Thomas Lawrence die unterschiedlichen Familien im Laufe der Zeit hin zu einer großen, derer auch der Maler selbst sich zugehörig fühlte.4

Der begabte Lawrence fügte sich wie von selbst in den kunstliebenden bürgerlichen Kreis der Familien ein, der sich von den Locks auf Norbury Hill, Box Hill, zu den Angersteins auf Woodland, Blackheath und den Boucherettes in Willingham nahe Market Rasen erstreckte und sich von hier aus über weitere Famlienmitglieder, Freundschaften und Geschäftsbeziehungen ständig erweiterte. Selbst ohne Frau und Kinder, wurde Lawrence zum ständigen und gern gesehenen Gast, Freund und Begleiter insbesondere der Angersteins. Der Künstler fühlte sich bei ihnen heimisch und nach seinem Tod schrieb der Sohn von John Julius Angerstein, John: „ Our intercourse for forty years from his first appearence in London, was more that of a brother than any other character I can give it.“5 Lawrence lernte die Familien zu einer Zeit kennen, in der sich die Locks, Angersteins und Boucherettes untereinander zu verbinden begannen. Als aufsteigender Künstler wurde er nun von den Familienmitgliedern immer wieder für Porträts engagiert. Die Locks verfügten über royale Beziehungen durch William Locks Ehefrau, deren Taufpaten Frederick und Augusta, der Prinz und die Prinzessin von Wales waren. Die Freundschaft mit den Angersteins allerdings war für den Künstler aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten interessanter. Mit dem reichen Bankier John Julius Angerstein verband Lawrence nicht nur die Liebe zum Sammeln von Kunst, sondern Angerstein kümmerte sich auch um die Finanzen des dazu unfähigen Künstlers, denn Lawrence investierte viel Geld in seine Malerutensilien aber auch in die Anschaffung von Gemälden. Auf Angersteins Gemäldesammlung alter Meister, die später den Grundstock der 1824 gegründeten National Art Gallery bilden sollte, hatte wiederum Lawrence starken Einfluss. Außerdem malte der Künstler im Laufe von dreißig Jahren zahlreiche Bildnisse der Familie Angerstein. Zu ihnen gehört das Bild der vier Enkelkinder John Julius William (1801-1866), Caroline Amelia (ca. 1802- 1879), Elizabeth Julia (ca. 1803-1870) und Henry Frederick (1805-1821). Die Kinder stammen aus der 1799 geschlossenen Ehe von William Locks zweiter Tochter Amelia (1776-1848) mit John Julius Angersteins Sohn aus erster Ehe, John Angerstein (1773-1858).6

Bildgeschichte: Das doppelte Kinderporträt

Wie bereits zuvor erwähnt, hegte Thomas Lawrence eine enge Beziehung zu den Familien Boucherette, Lock und Angerstein. Die freundschaftlichen Bande der Familien untereinander fanden ihren Höhepunkt in der Heirat von Emilia Crockett, Tochter von Mrs. Angerstein aus erster Ehe mit Ayscoghe Boucherette im Mai 1789 und zwei Jahre später in der Hochzeit von Locks zweiter Tochter Amelia mit John Angerstein. Für den Künstler müssen sich die unterschiedlichen Familien durch diese Eheschliessungen zu einer homogenisiert haben, so zumindest eine Erklärung für das Auftauchen zweier Gemälde der Angerstein- Kinder, die allerdings unterschiedliche Kinder abzubilden scheinen. Kenneth Garlick, der beide Porträts im Rahmen ihrer Entstehungsgeschichte untersucht hat, äußerte bereits 1977 in „Revue du Louvre“7 die Vermutung, es handle sich bei dem zweiten Kinderporträt um ein früheres Werk von Lawrence, welches mit dem Untertitel „The Little Orator“ 1800 im Austellungskatalog der Royal Academy erschien. Abgebildet seien demnach nicht die Angerstein-Kinder, sondern vielmehr mit Emilia Mary (1790- 1874), Ayscoghe (1791-1857), Juliana (starb 1861) und Maria (1797-1867) die Kinder von Ayscoghe Boucherette.

Das Bild ist dennoch umstritten. Denn obwohl Vergleiche mit anderen Porträts der Boucherette- Kinder deutliche Ähnlichkeiten aufweisen, scheint das Alter der beiden älteren abgebildeten Kinder nicht stimmig.

Lawrence malte sie nach Kenneth Garlicks Einschätzung älter als ihr eigentliches Alter von zehn und neun Jahren. Das Bild, seit 1893 unter dem vermeintlichen Titel „The children of John Angerstein“ bekannt, wurde im selben Jahr dem Louvre zum Verkauf angeboten. Zuvor wurde es vermutlich um 1890 verkauft. Es gehörte zur Sammlung Angersteins, die den Grundstock der 1824 gegründeten National Gallery in London bildete. Nach der Ablehnung des Bildes durch den Louvre tauchte es erst am 12.Juli 1967 bei einer Sotheby's Versteigerung wieder auf. 1975 wurde es an den Louvre verkauft, wo es seitdem zu besichtigen ist. Zu dieser Zeit war das eigentliche Gemälde der Angerstein-Kinder, welches heute in der Gemäldegalerie in Berlin hängt, noch weitgehend unbekannt. Es wurde zu Lawrence Lebzeiten 1808 in der Royal Academy ausgestellt und tauchte erstmalig am 27. April 1906 bei einer Versteigerung der American Art Association in New York wieder auf. 1979 wurde es erneut in New York bei Christies angeboten, um noch im selben Jahr nach Berlin verkauft zu werden.

Auch Henning Bock und Erich Schleier zweifeln in ihrem Text zu Thomas Lawrence und „Die Angerstein- Kinder“ in „Neuerwerbungen der Gemäldegalerie“8 über den Ursprung des im Louvre hängenden Bildes. Wären hier die Angerstein- Kinder dargestellt, müsste aufgrund ihres höheren Alters als auf dem anderen Bild der Enstehungzeitraum zwischen 1810-1812 liegen. Hier stellt sich den Autoren dann die Frage, warum nicht auch die zwei weiteren, nach 1808 geborenen Kinder abgebildet sind. Auch die steife Anordung der Kinder in dem bis zirka Mitte des 18. Jahrhunderts geltenden Stil der Familienporträts, welcher Kinder als kleine Erwachsene zeigt9, bestätigt Kenneth Garlicks Untersuchungen, die das Gemälde aus dem Louvre auf 1799 - 1800 vor das Berliner Gemälde datieren. Die Darstellung der Kinder in der Pose eines Redners lässt außerdem deutliche Verbindungen zu dem mit „The Little Orator“ untertitelten Bild der Royal Academy Ausstellung von 1800 erkennen. Anzunehmen ist also, dass es sich dabei tatsächlich nicht um die Angerstein-Kinder, sondern um die Boucherette-Kinder handelt. In einigen Bibliografien und Katalogen wie „Sir Thomas Lawrence. A complete catalogue of oil paintings“ von Kenneth Garlick oder „Sir Thomas Lawrence“ von Geoffrey Ashton wird das Bild nunmehr mit dem Titel „The Children of Ayscoghe Boucherette “ bezeichnet, um weitere Verwechslungen mit dem 1807 gemalten Kinderporträt zu vermeiden.

[...]


1 Vgl. Levey, Michael. Sir Thomas Lawrence. 2005, S. 9.

2 Vgl. Vaughan, William. British painting: the Golden Age. From Hogarth to Turner. 1999, S. 68-95.

3 Vgl. Walther, Ingo F.Hg. Malerei der Welt. Eine Kunstgeschichte in 900 Bildanalysen. 2003.

4 Vgl. Levey, Michael. Sir Thomas Lawrence. 2005, S. 97ff

5 Garlick, Kenneth. Sir Thomas Lawrence. 1954, S. 19

6 Eine detaillierte Aufschlüsselung der Familienmitglieder findet sich in folgendem Artikel : Garlick, Kenneth. Lawrence's Portraits of the Locks, the Angersteins and the Boucherettes. In: Burlington Magazine. 110 ( Dezember 1968) : S.669-676

7 Garlick, Kenneth. Les Enfants de John Angerstein par Lawrence. In: Revue du Louvre. 1 (1977) - Sir Thomas Lawrence: a complete catalogue of the oil paintings. 1898

8 Bock, Henning; Erich Schleier. Neuerwerbungen der Gemäldegalerie. Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz. 16 (1979): S.187 - 191

9 Retford, Kate. The Art of Domestic Life. Family Portraiture in Eighteenth- century England. 2006

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Über Sir Thomas Lawrence: Die Angerstein-Kinder
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Künste und Medien)
Veranstaltung
Einführung in die Kunstgeschichte: Bildkünste
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
14
Katalognummer
V73275
ISBN (eBook)
9783638809481
Dateigröße
486 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit betrachtet Sir Thomas Lawrence Gemälde "Die Angerstein-Kinder" im historischen Kontext Englands zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert - eine Epoche großer britischer Porträtmaler. Die Bildherkunft wird anhand einer detaillierten Analyse vo Sekundärliteratur geklärt. Inhalte des Bildes werden vor der Biographie des Malers und seiner Zeit analysiert.
Schlagworte
Thomas, Lawrence, Angerstein-Kinder, Einführung, Kunstgeschichte, Bildkünste
Arbeit zitieren
Nadin Becker (Autor:in), 2007, Über Sir Thomas Lawrence: Die Angerstein-Kinder , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73275

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