Schulangst - Ursachen, Auswirkungen und Maßnahmen zur Reduktion


Examensarbeit, 2006

87 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen
2.1 Was ist Angst?
2.1.1 Unterscheidung Angst - Furcht
2.1.2 Definitionsversuch „Angst“
2.1.3 Entstehung von Angst
2.1.4 Äußerungs- und Reaktionsformen von Angst
2.2 Ängste von Kindern
2.3 Angst in der Schule
2.3.1 Schulangst
2.3.2 Schulphobie
2.3.3 Schulschwänzen
2.4 Symptome von Schulangst und Schulphobie
2.5 Persönlichkeitsmerkmale schulängstlicher Schüler
2.6 Auswirkungen der Schulangst
2.7 Aktuelle Zahlen
2.8 Diagnostik
2.9 Einflussfaktoren
2.9.1 Schulangst und Geschlecht
2.9.2 Schulangst und Alter / Schulstufe
2.9.3 Schulangst und Schulart
2.9.4 Schulangst und Leistung
2.9.5 Schulangst und Elternhaus

3. Empirische Erhebung
3.1 Vorbemerkungen
3.2 Vorstellung der Fragen
3.3 Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
3.3.2 Frage 3
3.3.3 Frage 4
3.3.4 Frage 5
3.3.5 Frage 6
3.3.6 Frage 7
3.3.7 Frage 8

4. Maßnahmen zur Schulangstreduktion
4.1 Maßnahmen innerhalb der Schule
4.1.1 Klassenklima / Schüler-Lehrer-Interaktion
4.1.2 Angst und Angstabbau als Unterrichtsthema
4.1.3 Gestaltung von Prüfungssituationen
4.1.4 Vorstellung von Lern- und Arbeitstechniken
4.1.5 Gestaltung des Übergangs zur weiterführenden Schule
4.2 Grenzen
4.3 Schule ohne Angst?

5. Resümee

6. Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Schematische Darstellung der fünf Reaktionsformen bei Angst (aus: Vernooij, M., Das ängstliche Kind oder: zwei ganz verschiedene Fälle, 1996, in: Winkler, R., Schwierige Kinder - problematische Schüler, S. 133)

Abb. 2: Übersicht Schulangst (erstellt nach: Wahl, D., Weinert, F., Huber, G ., Psychologie für die Schulpraxis: Ein handlungsorientiertes Lehrbuch für Lehrer, 1984, S. 208)

Abb. 3: Zusammenhang zwischen Schulangst und Leistung (aus: Andreas, R., Bartl, M., Bartl-Dönhoff, G., Hopf, W., Angst in der Schule, 1976, S. 23)

Abb. 4: Frage 1 des Fragebogens

Abb. 5: Frage 2 des Fragebogens

Abb. 6: Frage 3 des Fragebogens

Abb. 7: Frage 4 des Fragebogens

Abb. 8: Frage 5 des Fragebogens

Abb. 9: Frage 6 des Fragebogens

Abb. 10: Frage 7 des Fragebogens

Abb. 11: Frage 8 des Fragebogens

Abb. 12: Verteilung auf die Schularten

Abb. 13: Altersstruktur der befragten Lehrer

Abb. 14: Angaben zur Anzahl der Betroffenen

Abb. 15: Häufigkeitsverteilung von Auffälligkeiten

Abb. 16: Leistungssituationen

Abb. 17: Klassenstufen

Abb. 18: Geschlecht der Betroffenen

Abb. 19: Sozialstatus der Betroffenen

Abb. 20: Schulleistungen der Betroffenen

Abb. 21: Charaktereigenschaften der Betroffenen

1. Einleitung

„Ich kann mich erinnern, daß [sic] ich in der Schule nie zurechtkam. Ich war immer der Letzte in der Klasse. Ich hatte immer das Gefühl, daß [sic.] der Lehrer mich nicht mochte und daß [sic.] mein Vater meinte, ich sei dumm.“[1]

Als der Lehrer den Jungen schließlich vor der Klasse einen Hohlkopf nannte, verließ dieser nach nur drei Monaten Unterricht die Schule und wurde fortan nur noch von seiner Mutter zu Hause unterrichtet. Eine Schule besuchte er nie wieder, auch auf die Universität ging er nie. Dennoch wurde aus ihm einer der größten Erfinder des 19. Jahrhunderts: Thomas Alva Edison.[2]

Viele Schüler in der heutigen Zeit würden sich wohl wünschen, die Schule und die mit ihr verbundenen Probleme so einfach umgehen zu können wie Thomas Alva Edison. In Deutschland besteht seit 1919 jedoch die allgemeine Schulpflicht, nach der alle Kinder und Jugendlichen mindestens neun Jahre die Schule besuchen müssen.[3]

Doch das Leben in der Schule ist für viele Kinder und Jugendliche heute keinesfalls einfacher geworden. Sie leiden unter dem Leistungsdruck der Eltern oder unter Problemen mit den Lehrern, hinzu kommen Schwierigkeiten mit den Mitschülern bis hin zu Mobbing. Einige Schüler können diese Probleme nicht aus eigener Kraft bewältigen und reagieren auf solche Bedrohungssituationen mit Angst. „Wir haben es immer stärker mit Angststörungen zu tun, mit tragischen Fällen einer intellektuellen Überforderung und auch mit Kindern, die dem rauhen [sic.] Klima nicht mehr gewachsen sind“, sagt der Leiter der Klinikschule an der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Köln, Wolfgang Oelsner.[4] Aufgrund der steigenden Zahlen von Kindern, die unter Schulangst leiden, „[…] muss [man] von einer beginnenden Epidemie sprechen“, so Oelsner.[5] Viele der betroffenen Schüler reagieren auf ihre Ängste ähnlich wie Edison. Sie weigern sich, in die Schule zu gehen.

In der vorliegenden Arbeit soll das Phänomen Schulangst nun näher betrachtet werden. Zunächst gilt es, allgemein den Begriff Angst zu klären, bevor der Fokus auf die Angst in Verbindung mit der Schule gelegt werden kann. Die Angst in der Schule soll im weiteren Verlauf auf ihre Ursachen hin untersucht werden, wobei diejenigen Ursachen im Vordergrund stehen sollen, die in der Schule zu finden sind. Im Anschluss geht es um die Frage, welche Symptome auf Schulangst hindeuten und welche Persönlichkeitsmerkmale schulängstliche Schüler vermehrt zeigen. Wie sich Schulangst auf die Persönlichkeitsentwicklung und die Schulleistung der betroffenen Schüler auswirkt, wird ebenfalls dargestellt. Im weiteren Verlauf werden aktuelle Zahlen und Diagnosemöglichkeiten vorgestellt; welche Faktoren die Schulangst beeinflussen, soll am Ende dieses theoretischen Kapitels behandelt werden.

Nach diesen theoretischen Beschreibungen folgt die Vorstellung einer empirischen Erhebung, die ich mit Hilfe eines selbst entworfenen Fragebogens durchgeführt habe. Hierbei wurden Lehrer aller Alters- und Schulstufen zum Thema Schulangst befragt. Im Vordergrund standen die Fragen, in welchem Ausmaß Lehrer die Ängste ihrer Schüler wahrnehmen, in welchen Situationen diese Ängste am häufigsten auftreten und welche Merkmale betroffene Schüler mehrheitlich aufweisen. Die Ergebnisse des Fragebogens werden teilweise mit den beschriebenen Forschungsergebnissen verglichen.

Im Anschluss sollen einige Maßnahmen zu Schulangstreduktion vorgestellt werden, die sich teilweise aus den Antworten der Fragebögen ableiten. Der Fokus wird in diesem Abschnitt ausschließlich auf Maßnahmen gelegt, die vom Lehrer in der Schule angewendet werden können. Die sich hieraus ergebenden Grenzen der Angstreduktion in der Schule werden daraufhin kurz beschrieben. Am Ende der Ausführungen soll die Frage stehen, ob eine Schule ohne Angst überhaupt möglich und sinnvoll wäre.

Aus Gründen des Leseflusses werde ich nur die jeweils männlichen Schreibweisen verwenden, womit keinesfalls eine Diskriminierung beabsichtigt ist.

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Was ist Angst?

Angst ist ein Phänomen, das etwa so alt ist wie die Menschen selbst. Jeder Mensch kennt dieses Gefühl. Es gehört zum Menschsein dazu, genauso wie Trauer, Ärger, Freude und Hoffnung.[6] In der Vorzeit warnte Angst die Menschen vor konkreten lebensbedrohlichen Gefahren und ermöglichte ihnen, sich auf Flucht oder Kampf einzustellen. Auch heute noch ist Angst überlebensnotwendig. Beispielsweise werden Umweltkatastrophen zu Recht gefürchtet.[7] Angst ist also durchaus positiv, weil sie eine Schutzfunktion einnimmt und den Menschen vor Gefahren warnt. Der Mensch selbst nimmt dieses Gefühl und die auftretenden Begleiterscheinungen jedoch eher negativ wahr.

2.1.1 Unterscheidung Angst - Furcht

Ein erster Beschreibungsversuch des Begriffes Angst wurde von Sören Kierkegaard 1844 vorgenommen. 1895 veröffentlichte dann Sigmund Freud eine Arbeit zum Thema Angst. Bis heute gehört der Themenkomplex Angst „zu den in Theorie und Praxis meistthematisierten Konzepten Allgemeiner, Differentieller, Klinischer und Pädagogischer Psychologie.“[8] „Angstforschung auf empirischer Basis […] wird erst seit 40 Jahren betrieben […].“[9]

In der Angstforschung wird heute noch meist zwischen den Begriffen Angst und Furcht unterschieden. Diese Unterscheidung geht auf Sören Kierkegaard zurück. Hierbei wird Angst als ein emotionaler Zustand beschrieben, während Furcht eine Reaktion darstellt. Angst entsteht hiernach scheinbar ohne Anlass und wird als diffuses Bedrohungsgefühl wahrgenommen, während Furcht immer objekt-, situations-, oder personenbezogen ist und durch einen konkreten Reiz ausgelöst wird.[10] Furcht ist also eine Reaktion auf ein konkretes Objekt, wie beispielsweise auf einen aggressiven Hund.[11] „Angst bezeichnet einen weniger spezifischen Zustand, eher chronisch und nicht an ein Objekt gebunden.“[12] Angst entsteht demnach von innen heraus und hat keine eindeutige Gefahrenquelle. Furcht wird durch äußere Umstände erzeugt und durch eine spezifische Gefahrenquelle ausgelöst.[13]

Obwohl eine Abgrenzung beider Begriffe sinnvoll erscheint, werden sie in der Pädagogik häufig nicht unterschieden und als Synonyme verwendet.

2.1.2 Definitionsversuch „Angst“

Eine objektive Definition des Begriffes Angst ist nicht möglich, da es sich bei Angst um eine sehr subjektive Emotion handelt.[14] Es ist jedoch sinnvoll, einige nähere Beschreibungen des Begriffs aufzuführen, um eine gleichartige Vorstellung des Phänomens Angst sicherzustellen.

„Angst kann als ein eigentümliches, unbestimmtes, nicht gerichtetes, sondern gegenstandsloses Gefühl des Bedrohtseins beschrieben werden, das schwer lokalisierbar […] ist.“[15] Auch wenn eine objektive Definition nicht möglich ist, wird Angst in vielen Definitions- und Beschreibungsversuchen übereinstimmend als ein negatives, unangenehmes Gefühl umschrieben, das in unterschiedlichen Bedrohungssituationen auftreten kann.

Allgemein wird zwischen zwei unterschiedlichen Formen der Angst unterschieden. Tritt die Angst akut und in spezifischen Situationen auf, spricht man von Zustandsangst oder A- state.

Wird die Angst zu einem chronischen Persönlichkeitsmerkmal, das den Betroffenen längere Zeit begleitet, wird von Ängstlichkeit oder A- trait gesprochen.[16]

2.1.3 Entstehung von Angst

Stark vereinfacht entsteht Angst immer dann, wenn eine Situation als unklar oder widersprüchlich eingeschätzt oder wahrgenommen wird. Hinzu kommt, dass die Bewertung dieser Situation negativ ausfällt und mit unangenehmen und bedrohlichen Gefühlen verbunden wird. Werden die eigenen Fähigkeiten und Kräfte zur Bewältigung der Situation schließlich als zu gering eingeschätzt, entsteht Angst und ein Gefühl der Hilflosigkeit.[17] Diese kognitiven Prozesse verlaufen in der Regel unbewusst und scheinbar intuitiv. Sie werden jedoch immer durch vorhandene Erkenntnisse und die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten im Unbewussten beeinflusst.[18]

2.1.4 Äußerungs- und Reaktionsformen von Angst

Angst äußert sich im Wesentlichen auf vier unterschiedlichen Ebenen. Zum einen auf der physiologischen Ebene, beispielsweise durch Herzklopfen, erhöhten Puls, beschleunigte Atmung und Schweißausbrüche. Des Weiteren auf der emotional-subjektiven Ebene in Form von Unwohlsein, innerer Angespanntheit oder depressiven Verstimmungen. Die dritte Ebene beschreibt die beobachtbaren Verhaltensweisen, wie zum Beispiel Unruhe, Zittern und Artikulationsstörungen.[19]

„Die physiologischen Begleitreaktionen sind allgemein nicht willentlich beeinflussbar […].“[20]

Vernooij (1996) nennt in ihren Ausführungen über „Das ängstliche Kind oder zwei ganz verschiedene Fälle“ noch eine weitere Ebene, die als Handlungsebene bezeichnet wird. Sie beschreibt die konkreten Reaktionsmöglichkeiten des Betroffenen in einer Angstsituation. Innerhalb dieser Ebene sind fünf Reaktionsformen denkbar, die in folgender Grafik übersichtlich dargestellt sind.[21]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Schematische Darstellung der fünf Reaktionsformen bei Angst[22]

Die fünf Reaktionsformen werden von Vernooij in passive und aktive Reaktionen unterschieden. Anpassung und Handlungsunfähigkeit sind danach passive Verhaltensmuster, die sich mit negativen Gefühlen auf den Betroffenen auswirken. Aggression und Flucht sind zwar aktiv ausgeführte Reaktionen, sie schwächen den Betroffenen jedoch in seinem Selbstwertgefühl und heben die Bedrohung nicht auf. Nur die aktive Auseinandersetzung mit der Bedrohungssituation ermöglicht die Verarbeitung der Angst und lässt den Betroffenen emotional gestärkt aus der Situation hervorgehen.[23]

2.2 Ängste von Kindern

Wie alle Menschen haben auch Kinder spezifische Ängste, die besonders in der Phase der Kindheit auftreten und die daher als typische Kinderängste bezeichnet werden können.

In der Fachliteratur wird im Allgemeinen zwischen zwei verschiedenen Ängsten bei Kindern unterschieden. Zum einen werden entwicklungsbedingte Ängste genannt, die für bestimmte Altersstufen als normal gelten. Zum anderen können Ängste aber auch als Angststörungen auftreten, die eine ernsthafte Erkrankung darstellen.[24]

Entwicklungsbedingte Ängste sind meist objektgebunden, das heißt, die Ursache kann meist relativ genau benannt werden.[25] Diese Form der Angst ist also eigentlich im Sinne von Furcht zu verstehen.[26]

Vernooij unterscheidet in Anlehnung an Winkler (1980) die folgenden zehn Formen von Kinderängsten und benennt jeweils das primäre Angst- (Furcht) Objekt:[27] Angst vor Personen (z.B. Mitschülern, Autoritätspersonen), vor Trennung (beispielsweise von der Mutter oder auch vor dem Verlust geliebter Personen), vor Strafe (wie beispielsweise Liebesentzug, Ausschluss), vor Konflikten, vor Misserfolg, vor Etikettierung (Bloßstellung, Blamage usw.), vor irrealen Mächten (zum Beispiel Geistern, Märchengestalten), vor der Schule, vor der Zukunft (z.B. Sitzenbleiben, Arbeitslosigkeit, Armut) und schließlich die Angst vor der Angst.

„Bei der Betrachtung dieser Angstformen wird deutlich, dass sie im wesentlichen [sic.] im sozialen Kontext auftreten, d.h. im Zusammenhang mit anderen Personen und deren Anforderungen und Erwartungen an das Individuum einerseits und den Ansprüchen an sich selbst andererseits.“[28]

Es handelt sich bei den Kinderängsten also vorwiegend um soziale Ängste. Die Kinder haben Angst, den Erwartungen und Anforderungen ihrer Eltern und ihres sozialen Umfeldes (Schule, Freunde usw.) nicht genügen zu können und somit die Liebe und Anerkennung der Personen in ihrem Umfeld zu verlieren.[29]

Angststörungen hingegen sind weniger objektgebunden. Eine genaue Quelle der Bedrohung ist meist nicht zu benennen. Diese Ängste sind eher in der Persönlichkeit des Kindes begründet. Diese Art der Angst kann daher als Persönlichkeitsmerkmal Ängstlichkeit bzw. als A- trait bezeichnet werden, aber auch als Angst im Gegensatz zur Furcht.[30]

2.3 Angst in der Schule

Ängste in Verbindung mit der Schule treten bei fast allen Kindern und Jugendlichen im Laufe ihrer Schullaufbahn auf. Da das gesamte deutsche Schulsystem auf Leistung aufgebaut ist und die Schüler nach ihren Leistungen bewertet werden, kann hier eine Vielzahl von Ängsten entstehen. Die Faktoren, die diese Ängste auslösen, sind vielfältig. Der Leistungsdruck, die Lehrer oder die Mitschüler können neben vielen anderen Faktoren mögliche Ursachen sein. Die meisten Kinder und Jugendlichen erleben diese Angst nur über einen begrenzten Zeitraum oder zu bestimmten Anlässen. Bei anstehenden Klassenarbeiten beispielsweise zeigen viele Schüler Angstreaktionen, die jedoch als angemessen und normal bewertet werden können und nach Beendigung der Arbeit wieder abklingen.[31] Einige Kinder und Jugendliche erleben die Schule jedoch als Ort dauerhafter Bedrohung. Sie entwickeln Ängste, die sie allein nicht mehr überwinden können und die ernsthaft ihre weitere schulische Laufbahn gefährden. Diese Ängste werden unter dem Begriff Schulangst zusammengefasst.

In der Fachliteratur wird bei Ängsten in Zusammenhang mit der Schule zwischen drei verschiedenen Formen unterschieden. Die Ursachen dieser Ängste können sehr unterschiedlich sein.[32] Folgende Formen werden genannt: Schulangst, Schulphobie und Schulschwänzen.

2.3.1 Schulangst

Schulangst ist die „Angst vor konkreten Belastungen in der Schule“.[33] Die auslösenden Faktoren können meist genau bestimmt werden. Im Wesentlichen liegen die Ursachen für Schulangst in zwei unterschiedlichen Bereichen. Zum einen sind sie auf Probleme im sozialen Bereich zurückzuführen, zum anderen auf Schwierigkeiten im Leistungsbereich, was folgende Grafik veranschaulicht.[34]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Übersicht Schulangst[35]

Einige der hier gezeigten Ursachen werden im Folgenden näher dargestellt und durch weitere Aspekte ergänzt.

Ängste, die im Zusammenhang mit dem sozialen Umfeld des Schülers stehen, können sehr vielfältige Ursachen haben. Mobbing durch Mitschüler gehört innerhalb der sozialen Ängste hierbei zu den Hauptproblemen. So werden aktuellen Untersuchungen der Münchner Ludwig- Maximilian-Universität zufolge jede Woche etwa 500.000 Schüler in Deutschland Opfer von Mobbing.[36] In einer Schulklasse mit etwa 25 Schülern wird also durchschnittlich ein Schüler mindestens einmal in der Woche von seinen Mitschülern gehänselt, beschimpft oder sogar körperlich angegriffen.

Opfer von Mobbing werden beispielsweise Schüler, die für die heutige Zeit „zu gut erzogen“ sind.[37] Solche Schüler wären vermutlich vor etwa dreißig Jahren in den Schulen gut zurechtgekommen. „Aber heute gelten sie mit ihrem Verhalten und ihren Interessen als vollständig «out».“[38] Sie werden von ihren Mitschülern zu Außenseitern gemacht, bedroht und ausgegrenzt. Daraus können sich Ängste entwickeln. Ähnlich betroffen sind Schüler, die so gutmütig sind, dass sie sich nicht gegen Angriffe der Mitschüler wehren können.[39]

Nicht zuletzt können auch Schüler, die aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Kleidung von ihren Mitschülern zu Außenseitern gemacht werden, Ängste in Bezug auf die Schule entwickeln. Neben verbalen Angriffen der Mitschüler wird auch die zunehmende Gewalt auf den Schulhöfen von Schülern als angstauslösend beschrieben.[40] So „haben schätzungsweise etwa 5-10 % aller Grundschüler […] Erfahrungen mit dem Erpresstwerden, ca. 10- 20 % sind schon einmal auf dem Schulweg verprügelt worden, wie die Befragung an einer großen Schule zeigte.“[41]

Auch ein ausgeprägtes Konkurrenzverhalten und Rivalitäten unter den Schülern können zu Angstreaktionen führen.[42]

Soziale Ängste beziehen sich jedoch nicht nur auf den Umgang mit den Mitschülern. Es kann auch im Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern zu Problemen kommen, auf die Schüler mit Angst reagieren. Zynische oder herablassende Bemerkungen des Lehrers oder gar das Bloßstellen vor der Klasse können bei einigen Schülern anhaltende Angstzustände auslösen.[43] In einer Analyse von Schulaufsätzen zu dem Thema „Angst in der Schule?“ von 1976 wurde das Verhalten der Lehrer in 25 % der Aufsätze als angsterzeugende Situation genannt.[44]

Auch Angst vor Auseinandersetzungen in der Gruppe, Kontaktscheue und soziale Hemmungen können Ursachen für Schulangst sein.[45]

Verglichen mit den sozialen Ängsten spielen die Ängste in Verbindung mit den Leistungsanforderungen der Schule eine weitaus größere Rolle. Untersuchungen der Universität Bielefeld aus den 1990er Jahren haben gezeigt, dass sich 49 % der Schüler im Sekundarstufenalter unsicher sind, ob sie ihr Schulziel erreichen können. 35 % fürchten sitzenzubleiben, 24 % glauben, die Erwartungen der Eltern nicht erfüllen zu können.[46] Da es sich bei einem „[…] nicht geringen Teil der Konflikte“ um ein „[…] Wesensmerkmal jeglichen Schülerdaseins zu allen Zeiten“[47] handelt, sollten diese Zahlen nicht überbewertet werden. Dennoch machen sie auf ein gesellschaftliches Problem aufmerksam, das nicht verleugnet werden kann und sollte.

Leistungsangst bezieht sich sowohl auf eine andauernde Überforderung als auch auf die Angst vor konkreten Prüfungs- oder Leistungssituationen.

Die Ursachen für eine andauernde Überforderung mit dem Lernstoff sind sehr vielfältig und häufig schwer zu erkennen. So kann beispielsweise eine positive Eigenschaft wie Fleiß in Frustration und Überforderung umschlagen.[48] Demnach kann ein mäßig begabter Schüler zwar durch Fleiß und Disziplin geforderte Leistungen erzielen, jedoch steht in einigen Fällen der Aufwand in keinem Verhältnis zum Erfolg. Das Leistungsmaximum ist schnell erreicht. Der Schüler erkennt, dass Mitschüler die gleichen Leistungen mit weitaus weniger Anstrengung erbringen können. Solche Erfahrungen können demütigend auf den Betroffenen wirken und ein Gefühl des Überfordertseins bis hin zur Schulangst auslösen.[49]

Ähnliches können Schüler erleben, die in Teilbereichen, wie beispielsweise in der Merkfähigkeit oder in der Rechtschreibung, sehr gute Leistungen erzielen, aus denen dann auf eine hohe Intelligenz geschlossen wird, die möglicherweise gar nicht so ausgeprägt vorhanden ist.[50] Bei Aufgaben, bei denen auswendig gelerntes Wissen eine untergeordnete Rolle spielt und größere Transferleistungen unternommen werden müssen, scheitern diese Schüler dann. Sie können sich ihre Schwächen jedoch häufig nicht eingestehen und versuchen, ihre Selbsttäuschung aufrechtzuerhalten.[51]

Auch unerkannte Teilleistungsstörungen, wie beispielsweise Lese- Rechtschreib- oder Rechenschwäche, Schwerhörigkeit oder Fehlsichtigkeit können Ursache für eine andauernde Überforderung sein.[52] Häufig werden diese Störungen erst spät erkannt.

Überforderung kann außerdem entstehen, wenn Schüler eine für ihre Fähigkeiten zu anspruchsvolle Schule besuchen.[53] Der Schulalltag zeigt, „[…] daß [sic] etliche Kinder falsch, nämlich überfordernd beschult werden.“[54] Diese Tatsache ist häufig auf den Ehrgeiz der Eltern zurückzuführen, die die Schwächen ihrer Kinder leugnen und sie so meist ungewollt unter Druck setzen.[55] Auch die Enttäuschung der Eltern über die Leistungen ihrer Kinder kann auf diese übertragen werden und zu Schuldgefühlen und schließlich zur Schulangst führen. Ebenso können Defizite im Bereich der Aufmerksamkeit, der Konzentration oder im sprachlichen Ausdruck Bedingungsfaktoren für Leistungs- und Prüfungsangst sein.[56]

Neben einer andauernden Überforderung können auch einzelne Situationen in der Schule Anlass für die Entstehung von Schulangst sein. Die Leistungs- und Prüfungssituationen, in denen sich Schüler bedroht fühlen sind hierbei sehr vielfältig. Sie können als der wichtigste angstauslösende Faktor in der Schule bezeichnet werden.[57] Es wird immer dann von einer erlebten Bedrohung gesprochen,

[...]


[1] Oelsner, W., Lehmkuhl, G., Schulangst: Ein Ratgeber für Eltern und Lehrer, 2002, zit. n.: Prause, G., 1998, S. 245.

[2] ebenda, S. 57 f.

[3] Vgl.: http://www.schulrecht-sh.de/schulgesetz/index.htm.

[4] http://www.aerztezeitung.de/docs/2005/04/27/076a1901.asp?cat=/medizin/psychische_erkrankungen.

[5] ebenda.

[6] Vgl.: Vernooij, M., Das ängstliche Kind oder: zwei ganz verschiedene Fälle, 1996, in: Winkler, R., Schwierige Kinder - problematische Schüler, S. 126.

[7] Vgl.:<http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Schule/s_953.html>, S. 1.

[8] Rost, D., Schermer, F., Leistungsängstlichkeit, 2001, in: Rost, D. [Hrsg.], Handbuch Pädagogische Psychologie, S. 405.

[9] Vernooij, M., Das ängstliche Kind oder: zwei ganz verschiedene Fälle, 1996, in: Winkler, R., Schwierige Kinder - problematische Schüler, S. 126.

[10] Vgl.: ebenda, S. 127.

[11] Vgl.: Seligman, M., Erlernte Hilflosigkeit, Weinheim, Basel: Beltz, 1999, S. 107.

[12] ebenda, S. 107.

[13] Vgl.: Rost, D., Schermer, F., Leistungsängstlichkeit, 2001, in: Rost, D. [Hrsg.], Handbuch Pädagogische Psychologie, S. 406.

[14] Vgl.: Schnabel, K., Prüfungsangst und Lernen, Münster, New York, München, Berlin: Waxmann, 1998, S. 12.

[15] Vernooij, M., Das ängstliche Kind oder: zwei ganz verschiedene Fälle, 1996, in: Winkler, R., Schwierige Kinder - problematische Schüler, S. 127.

[16] vgl. Rost, D., Schermer, F., Leistungsängstlichkeit, 2001, in: Rost, D. [Hrsg.], Handbuch Pädagogische Psychologie, S. 406. Rost und Schermer beschreiben die unterschiedlichen Formen der Angst nach Cattel & Scheier (1961). „Allgemein wird das aktuelle Angstempfinden in einer spezifischen Situation (Zustands-Angst, A-state: wie man sich in diesem Augenblick fühlt) von der dispositionellen Tendenz, auf bedrohliche Reize mit Angst zu reagieren (Persönlichkeitsmerkmal ‚Ängstlichkeit’, A- trait: wie man sich im Allgemeinen fühlt) unterschieden.“

[17] Vgl.: Vernooij, M., Das ängstliche Kind oder: zwei ganz verschiedene Fälle, 1996, in: Winkler, R., Schwierige Kinder - problematische Schüler, S. 131 f.

[18] Vgl.: ebenda. Vernooij stellt hier in Anlehnung an Scherer (1979) und Holtz/ Kretschmann (1882) ein Modell vor, nach dem sich Angst in drei Kognitionsschritten entwickelt.

[19] Vgl.: Rost, D., Schermer, F., Leistungsängstlichkeit, 2001, in: Rost, D. [Hrsg.], Handbuch Pädagogische Psychologie, S. 406. Rost und Schermer unterscheiden zwischen drei Ebenen der Angstäußerung und benennen neben den bereits genannten noch weitere Symptome: „ Physiologische Indikatoren ([…] erhöhter […] Blutdruck; […] verstärkte Darmperistaltik; Harndrang; […] erhöhter allgemeiner Muskeltornus), emotional-subjektive Indikatoren (z.B. Erleben der aufsteigenden Selbstwertbedrohung; als unangenehm empfundene innere Erregungszustände […]) und beobachtbare Verhaltensweisen ( […] unkontrollierte Bewegungen, Artikulationsstörungen bis hin zu Sprechblockaden; Verkrampfungen; Flucht, Aggression etc.).“

[20] ebenda, S. 406.

[21] Vgl.: Vernooij, M., Das ängstliche Kind oder: zwei ganz verschiedene Fälle, 1996, in: Winkler, R., Schwierige Kinder - problematische Schüler, S. 133. Vernooij unterscheidet zwischen zwei Reaktionsebenen. Sie benennt die emotionale Ebene, auf der der Mensch mit Angst reagiert und zusätzlich die Handlungsebene, aus der fünf mögliche Reaktionen folgen können.

[22] ebenda, S. 135.

[23] Vgl.: Vernooij, M., Das ängstliche Kind oder: zwei ganz verschiedene Fälle, 1996, in: Winkler, R., Schwierige Kinder - problematische Schüler, S. 133- 137.

[24] Vgl.: Rode, K., Ängste von Kindern, Grundschule 6/1999, S. 27.

[25] Vgl.: Vernooij, M., Das ängstliche Kind oder: zwei ganz verschiedene Fälle, 1996, in: Winkler, R., Schwierige Kinder - problematische Schüler, S. 127 f.

[26] Vgl. : Punkt 2.2.1 dieser Arbeit.

[27] Vgl.: Vernooij, M., Das ängstliche Kind oder: zwei ganz verschiedene Fälle, 1996, in: Winkler, R., Schwierige Kinder - problematische Schüler, S. 128 f.

[28] Vernooij, M., Das ängstliche Kind oder: zwei ganz verschiedene Fälle, 1996, in: Winkler, R., Schwierige Kinder - problematische Schüler, S. 129.

[29] Vgl.: ebenda.

[30] Vgl.: Punkt 2.2.1 dieser Arbeit.

[31] Vgl.: Wahl, D., Weinert, F., Huber, G., Psychologie für die Schulpraxis: Ein handlungsorientiertes Lehrbuch für Lehrer, 1984, S. 208.

[32] Vgl.: Makowski, S., Die Schulangst besiegen: So helfen Sie Ihrem Kind, 2003, S. 10 f.

[33] http://www.schule-bw.de/lehrkraefte/beratung/beratungslehrer/auffälligkeiten/schulangst/handreichung.pdf, S.1.

[34] Vgl.: Wahl, D., Weinert, F., Huber, G., Psychologie für die Schulpraxis: Ein handlungsorientiertes Lehrbuch für Lehrer, 1984, S. 208.

[35] Erstellt nach: ebenda.

[36] Vgl.: http://www.spiegel.de/schulspiegel/0, 1518,400462,00.html.

[37] Vgl.: Oelsner, W., Lehmkuhl, G., Schulangst: Ein Ratgeber für Eltern und Lehrer, 2002, S. 50.

[38] ebenda, S. 51.

[39] Vgl.: Oelsner, W., Lehmkuhl, G., Schulangst: Ein Ratgeber für Eltern und Lehrer, 2002, S. 54 f.

[40] Vgl.: ebenda, S. 55 ff.

[41] http://www.wdr.de/radio/wdr2/_m/upload/westzeitpsychologie011010.pdf., S. 6.

[42] Rost, D., Schermer, F., Leistungsängstlichkeit, in: Rost, D. [Hrsg.], Handbuch Pädagogische Psychologie, 2001, S.407.

[43] Vgl.: Oelsner, W., Lehmkuhl, G., Schulangst: Ein Ratgeber für Eltern und Lehrer, 2002, S. 58-61.

[44] Vgl.: Andreas, R., Bartl, M., Bartl-Dönhoff, G., Hopf, W., Angst in der Schule, 1976, S.13. Die Untersuchung wurde an 186 Schülern der Grund- und Hauptschule durchgeführt, wobei Mehrfachnennungen der angsterzeugenden Situationen möglich waren.

[45] Müller, E., Schulangst und soziale Hemmungen, BL Info, Jahrgang 18, 1994, S. 4.

[46] Vgl.: Oelsner, W., Lehmkuhl, G., Schulangst: Ein Ratgeber für Eltern und Lehrer, 2002, S. 31. Die Untersuchung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vorgelegt. Hiernach fühlt sich jeder zweite Schüler zu einer Schulform gedrängt, deren Niveau als zu hoch empfunden wird. Mehrfachnennungen waren möglich.

[47] ebenda, S. 31.

[48] Vgl.: ebenda, S. 32.

[49] Oelsner, W., Lehmkuhl, G., Schulangst: Ein Ratgeber für Eltern und Lehrer, 2002, S. 32.

[50] Vgl.: ebenda, S. 34 f.

[51] Vgl.: ebenda.

[52] Makowski, S., Die Schulangst besiegen: So helfen Sei Ihrem Kind, 2003, S. 10.

[53] Oelsner, W., Lehmkuhl, G., Schulangst: Ein Ratgeber für Eltern und Lehrer, 2002, S. 35 f.

[54] ebenda, S. 36.

[55] ebenda, S. 36 ff.

[56] Rost, D., Schermer, F., Leistungsängstlichkeit, 2001, in: Rost, D. [Hrsg.], Handbuch Pädagogische Psychologie, S. 407.

[57] Andreas, R., Bartl, M., Bartl-Dönhoff, G., Hopf, W., Angst in der Schule, 1976, S. 16.

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
Schulangst - Ursachen, Auswirkungen und Maßnahmen zur Reduktion
Hochschule
Europa-Universität Flensburg (ehem. Universität Flensburg)
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
87
Katalognummer
V73620
ISBN (eBook)
9783638678643
ISBN (Buch)
9783638681032
Dateigröße
2440 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schulangst, Ursachen, Auswirkungen, Maßnahmen, Reduktion
Arbeit zitieren
Annika Schliemann (Autor:in), 2006, Schulangst - Ursachen, Auswirkungen und Maßnahmen zur Reduktion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73620

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