Seit es Literaturkritik gibt, wird ihre Krise und ihr baldiger Untergang beschworen. Schon Adorno beklagte "Die Krisis der Literaturkritik". Im berühmten "Autodafé" von Walter Boehlich wurde ihr der endgültige Tod bescheinigt – die Literaturkritik überlebte auch dies. Gegenwärtig aber scheint die Literaturkritik vor ihrer größten Veränderung zu stehen. Dazu tragen mehrere Faktoren bei: Das ohnehin schrumpfende Feuilleton der Zeitungen findet zunehmend weniger Leser, Hörfunkrezensenten bleiben für eine Buchbesprechung oft nur noch zwei Minuten, Elke Heidenreichs TV-Sendung „Lesen!“ hat das kritische Gespräch über Bücher durch reine Kaufempfehlungen ersetzt. In einem Medium dagegen blüht die Literaturkritik in ungeahntem Ausmaß: Im Internet. In unzähligen Literaturforen, auf selbst programmierten Homepages, vor allem aber auf den Seiten der großen Online-Buchhändler wie Amazon, Bol und Booxtra, ist ein alter Traum von Bertolt Brecht und Walter Benjamin Wirklichkeit geworden. Der Leser ist aus der passiven Konsumhaltung erwacht und rezensiert als Laienkritiker selbst. Durch dieses mittlerweile massive Auftreten von Laienkritikern im Internet ist eine Demokratisierung der Literaturkritik eingetreten. Die Autorität weniger, professioneller Kritiker wird abgelöst durch die Meinung der Masse. Damit wird die Laienkritik zum Surrogat für die institutionalisierte Kritik. Diese massenhafte Produktion von Laienrezensionen im Internet erscheint vielen Mitgliedern des Literaturbetriebs als Absage einer breiten Leserschicht an die professionell betriebene Literaturkritik. Beobachter des Literaturbetriebs greifen die Rezensionen laienhafter Leser teilweise mit scharfen Worten an. Die Relevanz der Laienkritik, ungeachtet der diskussionswürdigen Qualität mancher Rezensionen, ist allerdings in den Augen ihrer Leser - und so letztendlich für den gesamten literarischen Betrieb - enorm.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Begriffliche Unterscheidungen
- Geschichtlicher Exkurs: Frühere Formen von Laienkritik
- Friedrich Nicolais „Allgemeine Deutsche Bibliothek“
- Wandel der Literaturkritik in der Weimarer Republik
- Volkskritik in der DDR
- Wirtschaftlicher Exkurs: Wachsende Bedeutung des Internet für Buchhandel und Verlagswesen
- Trend zu individualisierten Angeboten im Buchhandel
- Laienkritik im Internet
- Laienkritik im Internet als Teilphänomen des Bürgerjournalismus
- Voraussetzungen für die Laienkritik im Internet
- Grenzen der Publikationsfreiheit im Internet
- Formen der Internetkritik
- Unterscheidung von Kritiken die für ein Printmedium geschrieben wurden oder diesen Regeln folgen und genuiner Internetkritik
- Literaturkritik in Rezensionsforen
- Literaturkritiken als Teil der Internetangebote von traditionellen Medien
- Literaturkritik auf den Seiten der Online-Buchhändler
- Das Problem der Abgrenzung
- Abgrenzung Profi und Laie
- Funktionsweise und Nutzcharakter der Kundenrezensionen bei Amazon
- Merkmale der Literaturkritik im Internet
- Meinungspluralismus und Gesprächscharakter
- Der Leser entscheidet selber, was er rezensiert
- Aus der Momentaufnahme im Journalismus zur ständigen Verfügbarkeit
- Vereinfachung und Verkürzung
- Verstärkung des Mainstreams
- Ausdifferenzierung des Angebots
- Das Problem der Anonymität
- Stilistische Analyse einer Kundenkritik
- Persönlicher Stil
- Servicecharakter
- Oraler Stil
- Selbstverständnis des Kritikers
- Umfeldanalyse
- Profi versus Amateur - Die Positionen im Überblick
- Die Krise der professionellen Kritik
- Dem Internet vorausgegangene Probleme der Literaturkritik
- Indifferenz des pluralistischen Marktes
- Relevanzverlust des klassischen Feuilletons
- Krise des Kritiker-Selbstverständnisses
- Schwund der Glaubwürdigkeit
- Mangelnde Reaktion auf aktuelle Ereignisse
- Konkurrenz durch neue Kunstformen
- Reaktionen des klassischen Feuilletons
- Zukunftsaussichten der professionellen Literaturkritik
- Zusammenfassung und Schlussthese
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Demokratisierung der Literaturkritik im Internet und analysiert die Voraussetzungen, Formen und Folgen der Laienkritik. Die Autorin beleuchtet die Entwicklungen im Kontext des Bürgerjournalismus und analysiert die Chancen und Herausforderungen der neuen Form der Literaturkritik. Darüber hinaus setzt sie sich mit der Krise der professionellen Kritik auseinander und betrachtet die Rolle von Online-Buchhändlern wie Amazon in diesem Prozess.
- Voraussetzungen und Formen der Laienkritik im Internet
- Die Rolle des Bürgerjournalismus
- Die Krise der professionellen Literaturkritik
- Der Einfluss von Online-Buchhändlern auf die Literaturkritik
- Ästhetische und ökonomische Folgen der Laienkritik
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Thematik der Laienkritik im Internet vor und führt in die Problematik der sich wandelnden Literaturkritik ein. Kapitel 2 beleuchtet frühere Formen von Laienkritik, während Kapitel 3 die wachsende Bedeutung des Internets für Buchhandel und Verlagswesen im Kontext der Laienkritik untersucht. In Kapitel 4 werden die Voraussetzungen, Grenzen und Formen der Laienkritik im Internet detailliert beschrieben. Kapitel 5 analysiert die spezifischen Merkmale der Laienkritik im Internet, wobei Themen wie Meinungspluralismus, Anonymität und die stilistischen Besonderheiten von Kundenkritiken behandelt werden.
Schlüsselwörter
Laienkritik, Internet, Literaturkritik, Bürgerjournalismus, Online-Buchhändler, Amazon, Rezensionen, Meinungspluralismus, Anonymität, Krise der professionellen Kritik, Feuilletons, Wandel.
- Arbeit zitieren
- Julia Büttner (Autor:in), 2006, Die Demokratisierung der Literaturkritik im Internet, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73890