In Gesprächen mit Zeitgenossen wie Eckermann stellte Goethe immer wieder heraus, daß er den Mephisto als negatives Wesen, als „bösen Genius“ mit einer entschieden negativen Richtung entworfen hat.
Dementsprechend wurde Mephisto von vielen Kommentatoren, die sich auf das Urteil Goethes berufen konnten, als einseitiger, nur böser Charakter gezeichnet. Mephisto wird, wie Günther Mahal feststellt, in der Forschung weniger Platz als seinem Wettpartner eingeräumt. Faust, dem als Namensgeber des Dramas schon eine exponierte Stellung zukommt, galt lange Zeit als die alles entscheidende, die Handlung vorantreibende Figur.
Viele Interpreten begnügten sich damit, Mephisto mit Synonymen der Charakterlosigkeit (teuflisch, listig, hinterhältig) gleichzusetzen und ihn als „notwendiges Übel“ im Faustspiel zu betrachten. So wurde Mephisto eindeutig die Rolle des Antagonisten zugeteilt, der Faust verführen und ihn in den Abgrund reißen wollte.
Ich möchte mich in dieser Arbeit schwerpunktmäßig mit den Interpretationen der Teufelsfigur beschäftigen, die Mephisto als durchaus gebrochenes Geschöpf mit allzu menschlichen Zügen betrachten. Dabei werde ich mich zwischen den beiden Extremansichten – auf der einen Seite die oben angedeutete, auf der anderen Seite das eher vereinzelte Urteil von Germaine de Stael: „Der Teufel ist der Held des Stücks“, bewegen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 „Prolog auf Erden“: Gelehrtentragödie
2.1 Mephistos erster Auftritt
3 Mephistos irdische Masken
4 Die Sprache Mephistos
4.1 Mephistos Ironie
5 Das Wesen des Teufels
5.1 Mephistos Selbstcharakteristik
5.2 Mephisto, der Kuppler
6 Mephisto und Faust – Teil und Ganzes
7 Drama der menschlichen Freiheit
8 Ausblick
1 Einleitung
In Gesprächen mit Zeitgenossen wie Eckermann stellte Goethe immer wieder heraus, daß er den Mephisto als negatives Wesen, als „bösen Genius“[1] mit einer entschieden negativen Richtung entworfen hat.[2]
Dementsprechend wurde Mephisto von vielen Kommentatoren, die sich auf das Urteil Goethes berufen konnten, als einseitiger, nur böser Charakter gezeichnet. Mephisto wird, wie Günther Mahal feststellt, in der Forschung weniger Platz als seinem Wettpartner eingeräumt. Faust, dem als Namensgeber des Dramas schon eine exponierte Stellung zukommt, galt lange Zeit als die alles entscheidende, die Handlung vorantreibende Figur.
Viele Interpreten begnügten sich damit, Mephisto mit Synonymen der Charakterlosigkeit (teuflisch, listig, hinterhältig) gleichzusetzen und ihn als „notwendiges Übel“[3] im Faustspiel zu betrachten. So wurde Mephisto eindeutig die Rolle des Antagonisten zugeteilt, der Faust verführen und ihn in den Abgrund reißen wollte.
Ich möchte mich in dieser Arbeit schwerpunktmäßig mit den Interpretationen der Teufelsfigur beschäftigen, die Mephisto als durchaus gebrochenes Geschöpf mit allzu menschlichen Zügen betrachten. Dabei werde ich mich zwischen den beiden Extremansichten - auf der einen Seite die oben angedeutete, auf der anderen Seite das eher vereinzelte Urteil von Germaine de Stael: „Der Teufel ist der Held des Stücks“[4], bewegen.
Mephisto ist vielmehr eine Figur, die durch ihre Boshaftigkeit, aber auch durch Ironie und ihre an vielen Stellen aufblitzende Weisheit das Drama ganz entscheidend prägt und bestimmt. In den Mittelpunkt dieser Arbeit werde ich Mephistos Maskenhaftigkeit und seine, teils erheiternd-belehrende, teils vernichtende Ironie stellen. Ich möchte versuchen, Mephistos Wesen und seine verschiedenen Erscheinungsformen anhand ausgewählter Szenen - vornehmlich dem Prolog im Himmel und der Szene Studierzimmer - zu charakterisieren und seine Funktion im Drama zu bestimmen. Inwiefern Mephisto auch eine tragische Figur mit durchaus selbstkritischen Ansätzen ist, bleibt im folgenden zu klären.
Mephisto darf aber nicht nur für sich betrachtet werden. Vielmehr muß sein Wirken in der wechselseitigen Beziehung zu Faust eingeordnet werden. Günther Mahal weist darauf hin, daß Mephisto und Faust zusammen gehören. Erst ihr Wechselspiel, das nicht auf ein Herr-Diener-Verhältnis reduziert werden darf, macht aus einem „desolate[m] Stubenhocker“ und einem „namenlosen Teufelein“[5] ein einzigartiges Gespann.
Sicherlich wäre es sinnvoll, Mephisto auf der Grundlage des gesamten Faustdramas zu betrachten, da seine Entwicklung im Ganzen gesehen aufschlußreicher als eine Teilanalyse ist. Ich möchte mich in dieser Arbeit jedoch auf den ersten Teil des >Faust< beschränken, da der gegebene Rahmen einer Gesamtbetrachtung nicht gerecht werden kann. Auf eine chronologische Herangehensweise muß weitestgehend verzichten werden.
2 „Prolog auf Erden“: Gelehrtentragödie
Einleitend werde ich die Szenen > Nacht< und > Vor dem Tor< anreißen, da die sich dort abspielende >Gelehrtentragödie< meiner Meinung nach die Voraussetzung und den Nährboden für die Versuchung Fausts durch Mephisto darstellen. Faust, der im nächtlichen Eingangsmonolog Sinn und Zweck allen menschlichen Erkenntnisstrebens und der Wissenschaften anzweifelt und damit seine eigene Existenz in Frage stellt, wendet sich auf der Suche nach ganzheitlichen Anworten („ Wie alles sich zum Ganzen webt,...“ V.447) an das Makrokosmoszeichen des Nostradamus (V.430-459). Er erkennt diese Naturschau aber als unbefriedigendes Schauspiel und richtet sein Flehen daraufhin an den Erdgeist. Fausts anfängliche Euphorie (V.477ff.) in Erwartung des Erdgeistes schlägt nach dessen Ankunft jedoch in ernüchternde Desillusioniertheit um. Der Erdgeist weist ihn ab mit den Worten: „ Du gleichst dem Geist, den du begreifst,/ nicht mir “(V.512f)[6], und leitet somit indirekt auf Mephisto über. „Das >Nicht-Begreifen< dieser Gewalt ist die eigentliche Ursache jenes Paktes, den Faust mit Mephistopheles schließen wird, einem >Geist<, den er >begreift<“.[7]
Doch bevor Mephisto auf den Plan treten kann, versucht Faust, sich mit Gift umzubringen. Er gesteht sich seine Vermessenheit ein (V.621) und erkennt, daß er in seinem diesseitigen >Bücherwurm-Dasein< nicht finden kann, was ihm fehlt (V.660). Die Osterglocken halten ihn von seinem Selbstmord ab und die Begegnung mit Mephisto, die dem Leser im Prolog im Himmel bereits angekündigt wurde, ist vorbereitet.
2.1 Mephistos erster Auftritt
Die erste Begegnung mit Faust initiiert Mephisto in der Gestalt des Pudels, die ihm Fausts’ Aufmerksamkeit garantiert und ihn ohne Mühen in dessen Studierzimmer bringt. Der Pudel war zu Goethes Zeiten ein beliebtes Tier in Studentenkreisen („[...], der Studenten trefflicher Skolar “ V.1177), das, im Gegensatz zu dem uns heute bekannten, degenerierten Schoßhündchen, auch zur Jagd eingesetzt wurde. Zudem galt der Pudel in Magier- und Dämonenkreisen als eine Erscheinungsform des Bösen.[8]
Während des Osterspaziergangs offenbart Faust seine Zerrissenheit („ Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,[...]“V.1112) und bekundet die Hoffnung auf überirdische Kräfte, die ihn zu „ Gefilden hoher Ahnen “ (V.1117) emporheben mögen. Faust zeigt Bereitschaft und fordert die höheren Mächte heraus. Der einfältige Wagner versteht zwar weder den inneren Kampf Fausts noch erkennt er die Bedeutung des umherschleichenden Pudels. Aber er scheint Faust vor der „wohlbekannte [n] Schar “ (V.1126) warnen zu wollen und weist ihn unbewußt auf zwei elementare Eigenschaften des mephistophelischen Wesens hin: dienen und lügen ([...], gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen;“ V.1139). Kaum hat Wagner seine Warnung an Faust ausgesprochen, da gewahrt dieser den umherstreifenden Hund und verspürt bereits eine Ahnung von dessen >Kern<:
„ Mir scheint, daß er magisch leise Schlingen /Zu künft´gen Band um unsere Füße zieht“ (V.1158f.)
Mephisto nähert sich nicht zufällig in jenem Augenblick, in dem Faust das Wesen seiner Doppelnatur zum Ausdruck bringt.[9] Die innere Disparität zwischen dem Verhaftetsein an Körper und Erde und dem Wunsch Fausts, Sonne und Licht nachzueilen, um der (geistigen) Finsternis zu entkommen (V.1070-1099), entspricht in ihrer Bipolarität der Prämisse Mephistos für seine Wette im Himmel. Schon im Prolog deutet Mephisto an, daß er Faust an seiner Doppelnatur packen will, um ihn so von Gott abzuziehen („Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,[...]“V.304ff.).
Bevor Mephisto überhaupt in einer irdischen Gestalt auftritt, erhält der Leser einen ersten Eindruck von seiner hinterhältigen und kühl kalkulierenden Vorgehensweise.
3 Mephistos irdische Masken
Es fällt nicht leicht, eine vielschichtigen Figur wie Goethes Mephisto auch nur annähernd zu umreißen und in seiner ganzen Tragweite zu verstehen. Güther Mahal warnt eben vor dem Hintergrund seiner „proteushaften Vielschichtigkeit“[10] davor, Mephisto als Repräsentanten einer bestimmten religiösen oder ethischen Denkweise zu betrachten, weil auch das jeweilige Gegenteil für ihn in Betracht gezogen werden kann.[11]
Er ist in der Forschung mit so vielen Adjektiven, Eigenschaften und Beinamen benannt worden, daß es nicht möglich erscheint, sie alle in einer Person vereint zu sehen: er ist Rationalist, der Versucher Fausts, der Gegenspieler des Herrn und sein Kritiker, der ironische Beobachter des menschlichen Bemühens, der Schalk in den Augen Gottes, der Weltmann, der nihilistische Teufel und Herr über Mäuse und Ratten, um nur einige zu nennen. Sein wahres Wesen verbirgt er aber immer hinter Masken, die ihn als Mensch unter Menschen erscheinen lassen. So kann er sich den jeweiligen Begebenheiten und Personen anpassen und „seine Mittel je nach Situation [wählen], um einen größtmöglichen Erfolg zu erzielen.“[12] Mahal bezeichnet Mephistos Wandlungsfähigkeit als „variablen Opportunismus“.[13]
Mephistos erste Maske ist die des fahrenden Skolasten, eines Studenten, der sich auf einer Reise zwischen zwei Universitätsstädten befindet. Mit dieser Verkleidung paßt er sich der Sphäre Fausts an und verweist auf die Welt der Wissenschaft, der dieser angehört. Dieser direkte Bezug zur Wissenschaft ist natürlich wiederum ironisch gebrochen, da Faust auf den vorangegangenen Seiten seinen Ekel vor allem Wissen bekundet hat. Gleichzeitig spielt Mephisto auf Fausts Drang in die Ferne und die bevorstehende Reise in die >große und kleine Welt< an.[14]
Bei seinem zweiten Auftritt im Studierzimmer erscheint er mit einem „ roten, goldverbrämten Kleide “(V.1536) und einer Hahnenfeder auf dem Hut. Diese Tracht weist ihn, wie er selbst sagt, als edlen Junker aus. Zudem trägt Mephisto ein langen Degen, der emphatisch auf die Welt des Adels deutet - zumal ein solches Requisit von Bürgern nicht getragen werden durfte.[15]
Mephisto will Faust auf seine zukünftige, weltmännische Existenz vorbereiten und fordert ihn auf, sich „ losgebunden, frei “ ins Leben zu stürzen (V.1540ff). Faust reagiert auf die von Mephisto angebotene Freiheit mit einer Klage, in der er die Möglichkeit des >Frei-seins< negiert und seine Todessehnucht betont (V.1570-1578). Seinen Lebensunwillen unterstreicht er, indem er alle weltlichen und geistigen Güter[16], nach denen die Menschen im allgemeinen Streben, in einer alles vernichtenden Haßtirade verflucht und als Lock- und Blendwerk bezeichnet.
Mephisto hat aber keine Mühe, die Lebensgeister in Faust wieder zu erwecken. Der Geisterchor – ob von Mephisto befohlen oder ihm zu Hilfe eilend bleibt unklar – umschmeichelt den zweifelnden und mit dem Leben hadernden Faust. Die Geister bezeichnen ihn als Halbgott und raten, einen „ neuen Lebenslauf “(V.1622) zu beginnen. Mephisto nimmt die Ratschläge des Chores dankend auf („ Höre, wie zu Lust und Taten/Altklug sie raten! V.1629f) und fordert Faust mit einem verdrehten Versatzstück aus dem Prometheus („ Der, wie ein Geier, dir am Leben frißt;[...]“ V.1636) auf, seinen Gram fahren zu lassen und wieder ins Leben zu treten - ein „ Mensch mit Menschen “ (V.1638) zu sein. Faust sieht einen Weg aus der Verzweiflung in eine neue Welt, und für Mephisto ist die Grundlage für den nun folgenden Pakt geschaffen.[17] Mit dem Pakt übernimmt Mephisto auch gleichzeitig die Rolle des Dieners, die er – laut Pakt - auch nicht ablegen wird.
[...]
[1] Goethe in einem Brief an Zelter (24.5.1827). In: Trunz, Erich: Johann Wolfgang Goethe. Werke in 14 Bänden. München 199816, S.453 (Vgl. Mahal)
[2] Vgl. Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe. Berlin und Weimar 1982, S.405
[3] Mahal, Günther: Mephistos Metamorphosen. Fausts Partner als Repräsentant literarischer Teufelsgestaltung. Göppingen 21982, S.332
[4] ebd. S.334
[5] Mahal, Günther: Mephisto Metamorphosen; a.a.O., S.210
[6] Der Erdgeist könnte mit seiner Ablehnung auch auf den im folgenden Eintretenden Wagner deuten, was einer vernichtenden Beleidigung gleichkommen würde: Statt eines allumfassenden Flammengeists kann Faust lediglich den verknöcherten Gelehrten Wagner, der mit Schlafmütze und kleiner Flamme (Lampe) den Raum betritt, begreifen.
[7] Engelhardt, Michael von: Der plutonische Faust. Franfurt am Main 1992, S.331f
[8] Vgl. Wilpert, Gero von: Goethe-Lexikon. Stuttgart 1998, S.858
[9] Vgl. Rickert, Heinrich: Goethes Faust. Die dramatische Einheit der Dichtung Tübingen 1932, S.152
[10] Mahal: Mephisto Metamorphosen; a.a.O., S.350
[11] Vgl. ebd. S.350
[12] Friederike Schmidt-Möbus: Des Teufels falsche Waden: Die Masken und Verkleidungen des Mephistopheles. In: Faust. Annäherung an einen Mythos. Göttingen 1995, S.236
[13] Zitiert in: ebd. S.266 (Mahal 1970, S.76) – da mir diese Arbeit Mahals nicht zu Verfügung stand und bei Schmidt-Möbus keine genaueren Nachweise verzeichnet sind, muß ich mit diesen Angaben Vorlieb nehmen.
[14] Vgl. Kobligk, Helmut: Faust I. Frankfurt am Main 199719, S.59
[15] Trunz, Erich: Johann Wolfgang Goethe. Werke in 14 Bänden. München 199816, S.537
[16] in seinen als Klimax angelegten Flüchen wettert Faust gegen Ruhm, Mammon, Alkohol, Liebe, Hoffnung, Glauben und die Geduld
[17] Vgl. Trunz: Goethe Werke; a.a.O., S.539
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