Im Erscheinungsjahr von "Ein Bericht für eine Akademie", 1917, schreibt Franz Kafka an seine Verlobte Felice Bauer: „…daß zwei in mir kämpfen, weißt Du (...) diese zwei sind ein Guter und ein Böser..." 1 Diese persönliche Aussage des Autors zeigt, wie viel "Seelenblut" in seiner Parabel steckt. Kafka erzählt die Geschichte eines in Gefangenschaft geratenen Affen, namens Rotpeter, der entscheidet Mensch zu werden, um seinem Käfig zu entkommen. Dieser Ausweg erscheint der Einzige, der ihm überlebensfähig erscheint. Kafka lässt den Erzähler in klarer, einfacher Sprache den Weg seiner "menschlichen Anpassung" berichten. Die Erzählung liest sich wie eine Rede und ist chronologisch aufgebaut.
Da Rotpeter zum Zeitpunkt seines Berichtes, in dem er "die Bildung eines Durchschnittseuropäer" erreicht hat, also seine Entwicklung zum Menschen abgeschlossen ist, nehme ich Abstand von dem Bild eines, zur Dressur gezwungenen, gequälten Tieres. Diese Möglichkeit der Interpretation möchte ich im weiteren Verlauf widerlegen und aufzeigen, dass der Affe aus freien Stücken den Entschluss gefasst hat, Mensch zu werden.
Vielmehr verstehe ich Kafkas Bericht als Frage, wie man in den Zwängen unserer Gesellschaft Mensch wird und bleibt. Den inneren Käfig sehe ich als Metapher für diese Zwänge, aber auch für Unwissenheit, Triebhaftigkeit.
Thomas Mann hinterfragt in "Der Tod in Venedig" (1913) das Rätsel Wesen Mensch: "Wer begreift die tiefe Instinktverschmelzung von Zucht und Zügellosigkeit?" 2
Diese zwei sich widersprechende Elemente, die äußere Begrenzung und die innere Wildheit, beschreibt er als Instinkte, Triebe, als lebensnotwendige Bestandteile des Wesens. Wir Menschen brauchen die Gesellschaft und ihre Grenzen, um zu überleben und wollen dennoch um so mehr Grenzenlosigkeit. 3
Und weiter kritisiert Thomas Mann die Gesellschaftsform seiner Zeit: " Und hat Form nicht zweierlei Gesicht? Ist sie nicht sittlich und unsittlich zugleich-, sittlich als Ausdruck der Zucht, unsittlich (...), ja wesentlich bestrebt ist, das Moralische unter ihr stolzes und unumschränktes Zepter zu beugen?" 4
Könnte die Figur Rotpeters nicht durch jenen Menschen ersetzt werde, der ängstlich auf dem Pfad der Selbstfindung irrt und das Leben zu begreifen versucht? In "Ein Bericht für eine Akademie finden sich Widersprüche und Konflikte. Kafka lässt seinen Affen in diesem metaphorischen Käfig zu Bewusstsein kommen.
Inhaltsverzeichnis
- Einführung: Bericht eines Konfliktes
- Anpassung, die Bezwingung der eigenen Natur?
- Widerwille und Sehnsucht zum Mensch(-Sein)
- Enttäuschte Erkenntnis: Der innere Käfig und die Freiheit .....
- Ausklang: Die Gesellschaft, das dressierte Tier? .....
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit untersucht Franz Kafkas Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“ und analysiert den Prozess der „menschlichen Anpassung“ des Protagonisten Rotpeter. Dabei wird die Frage gestellt, wie sich ein Individuum in den Zwängen der Gesellschaft zurechtfindet und die eigene Natur dabei gleichzeitig bewahrt.
- Die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft
- Die Rolle von Freiheit und Zwang in der menschlichen Entwicklung
- Die Ambivalenz von Natur und Kultur
- Die Auswirkungen von Anpassung und Selbstfindung
- Kafkas eigene Erfahrungen und Ansichten über menschliche Existenz
Zusammenfassung der Kapitel
Einführung: Bericht eines Konfliktes
Die Einleitung stellt die Figur Rotpeters als Affen vor, der sich aus freien Stücken für eine „menschliche Anpassung“ entscheidet. Der Bericht wird als Rede des Affen präsentiert und zeichnet chronologisch seinen Weg zur „Bildung eines Durchschnittseuropäers“ nach. Der Fokus liegt auf der Frage, wie man in den Zwängen der Gesellschaft Mensch wird und bleibt. Der innere Käfig wird als Metapher für diese Zwänge und die menschliche Triebhaftigkeit interpretiert.
Anpassung, die Bezwingung der eigenen Natur?
Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit Rotpeters Distanzierung von seiner tierischen Natur. Seine „menschliche Entwicklung“ wird als Befreiung von triebhaften Instinkten betrachtet, die durch die gesellschaftlichen Normen des frühen 20. Jahrhunderts beeinflusst waren. Der Wunsch nach geistiger Entwicklung steht im Vordergrund, wobei der Affe gleichzeitig gegen seine eigene Natur kämpft und sie als unzureichend empfindet.
- Arbeit zitieren
- Christian Ferrara (Autor:in), 2004, Worte aus dem Käfig aus Kafkas "Ein Bericht für eine Akademie", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74543