’Das habe ich getan’, sagt mein Gedächtnis. ‚Das kann ich nicht getan haben’ – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach.
Miller beschäftigt sich in seinem Essay „Kollektive Erinnerungen und gesellschaftliche Lernprozesse: Zur Struktur sozialer Mechanismen der >Vergangenheitsbewältigung<“ mit der Frage, unter welchen diskursiven Bedingungen kollektive Erinnerungen entstehen können und ob man an ihnen erkennen kann, ob ein Lernprozess im Hinblick auf die Vergangenheit erfolgreich war oder gescheitert ist. Hierfür spielt die zentrale Fragestellung seines Werkes „Dissens“ eine essentielle Rolle: Was bedeuten Diskurse für individuelle Lernprozesse, können auch Gesellschaften lernen und in welchem Verhältnis stehen Gesellschaft und Individuum in dieser Hinsicht zueinander. Denn um lernen zu können, sind kollektive Erinnerungen notwendig, da man selbst nur selektiv kleine Ausschnitte der Vergangenheit als Erinnerung innehat. Erinnerung ist ebenso selektiv, wie der Akt der Perzeption.
Ob und wie aus der Vergangenheit, aus den Erinnerungen, gelernt wird, hängt immer von der diskursiven Macht der Erinnerungen ab – inwieweit sich eine Erinnerung als Erinnerung diskursiv, also mit Hilfe von Kommunikation, durchsetzen kann.
Die vorliegende Arbeit will versuchen, Millers Ansatz in die neuere Forschung zum Thema Kollektive Erinnerungen einzubetten. Es soll geklärt werden, unter welchen Umständen sich kollektive Erinnerungen wandeln können In diesem Zusammenhang wird intensiv auf das Phänomen der verzerrten Erinnerungen eingegangen.
Es werden neben Millers Aufsatz neuere Quellen herangezogen. Hierdurch soll auch Millers Blick auf die moderne Forschung gerichtet und mit dieser verglichen werden. Beginnen wird diese Arbeit allerdings mit einer Retrospektive in die Vergangenheit, um den auf Halbwachs zurückgehenden Begriff „Kollektive Erinnerungen“ zu erklären.
Im weiteren Verlauf geht es um das Phänomen der verzerrten Erinnerungen, auch als „false memories“ bezeichnet. Hier wird auf aktuelle Forschungen bei Individuen zu diesem Thema ebenso eingegangen, wie auf den Bezug zu kollektiven Erinnerungen.
Nachdem der Blick auf die Bedeutung der Kommunikation für Erinnerungsschreibung gerichtet wird, befasst sich diese Arbeit mit den biologischen Grundlagen, also mit dem Thema, wie Erinnerung im Gehirn verarbeitet wird.
Bevor zuletzt auf die Wandelbarkeit des Gedächtnisses eingegangen wird, soll auch die Bedeutung der Emotion angesprochen werden.
Schlussendlich wird im Fazit auf die Frage eingegangen, welche Bedeutung sich wandelnde Erinnerungen tatsächlich für das Individual- und das Kollektivgedächtnis haben (sollten).
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Maurice Halbwachs hat Kollektive Erinnerungen
- a. Die Bedeutung der Gruppe
- b. Autobiographisches, historisches und kollektives Gedächtnis
- III. False Memories und verzerrte Erinnerungen
- a. Selektive Wahrnehmung
- b. Mediale Bedeutung
- c. Implantierte Erinnerungen
- d. Verzerrte kollektive Erinnerungen
- IV. Die Bedeutung von Kommunikation
- V. Biologische Grundlagen
- a. Drei Gedächtnisarten
- b. Der Weg der Erinnerungen – Speicherung im Langzeitgedächtnis
- c. Schemata und Skripte
- VI. Welche Bedeutung haben Emotionen?
- VII. Die Gestalt des kollektiven Gedächtnisses
- a. Unterschiedliche Wahrnehmung kollektiver Erinnerung
- b. Lernen durch kollektive Erinnerungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit dem Thema "Kollektive Erinnerungen" und untersucht die Entstehung, Wandelbarkeit und Bedeutung von kollektiven Erinnerungen im Kontext gesellschaftlicher Lernprozesse. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, unter welchen diskursiven Bedingungen kollektive Erinnerungen entstehen können und ob man anhand dieser erkennen kann, ob ein Lernprozess im Hinblick auf die Vergangenheit erfolgreich war oder gescheitert ist.
- Die Entstehung und Bedeutung von kollektiven Erinnerungen im Sinne von Maurice Halbwachs
- Das Phänomen der verzerrten Erinnerungen (false memories) und deren Einfluss auf kollektive Erinnerungen
- Die Rolle der Kommunikation und der biologischen Grundlagen bei der Verarbeitung und Speicherung von Erinnerungen
- Die Bedeutung von Emotionen für die Gestaltung und Veränderung von kollektiven Erinnerungen
- Die Wandelbarkeit des Gedächtnisses und ihre Auswirkungen auf das individuelle und das Kollektivgedächtnis
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik "Kollektive Erinnerungen" ein und stellt die zentrale Fragestellung der Arbeit dar. Anschließend wird der Begriff des "kollektiven Gedächtnisses" nach Maurice Halbwachs erläutert, wobei die Bedeutung der Gruppe und die Interaktion von individuellen Gedächtnissen im Rahmen des Kollektivgedächtnisses hervorgehoben werden.
Im dritten Kapitel werden "false memories" und verzerrte Erinnerungen analysiert. Es werden verschiedene Faktoren beleuchtet, die zu Verzerrungen von Erinnerungen führen können, wie z.B. selektive Wahrnehmung, mediale Einflüsse und implantierte Erinnerungen. Die Auswirkungen dieser Verzerrungen auf kollektive Erinnerungen werden ebenfalls untersucht.
Kapitel IV befasst sich mit der Bedeutung der Kommunikation für die Erinnerungsschreibung. Es wird argumentiert, dass Kommunikation eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Verbreitung von Erinnerungen spielt und dass die diskursive Macht von Erinnerungen deren Durchsetzungskraft beeinflusst.
In Kapitel V werden die biologischen Grundlagen der Erinnerungsprozesse beleuchtet. Es wird auf verschiedene Gedächtnisarten, den Prozess der Speicherung im Langzeitgedächtnis und die Rolle von Schemata und Skripten bei der Erinnerungskonstitution eingegangen.
Kapitel VI widmet sich der Bedeutung von Emotionen für das Gedächtnis. Die emotionale Färbung von Erinnerungen und deren Einfluss auf die Gestalt und die Veränderung von kollektiven Erinnerungen werden diskutiert.
Schließlich behandelt Kapitel VII die Gestalt des kollektiven Gedächtnisses und die unterschiedliche Wahrnehmung kollektiver Erinnerungen. Es wird gezeigt, wie kollektive Erinnerungen durch Lernen und durch die Einbettung in den sozialen Kontext geformt werden.
Schlüsselwörter
Kollektive Erinnerungen, Maurice Halbwachs, False Memories, Verzerrte Erinnerungen, Kommunikation, Biologische Grundlagen, Emotionen, Wandelbarkeit des Gedächtnisses, Individuelle und Kollektivgedächtnis, Diskurse, Lernprozesse, Gesellschaft, Vergangenheit,
- Arbeit zitieren
- Nicole Singler (Autor:in), 2007, Kollektive Erinnerungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74629