Zu: Heinrich von Kleist: „Die Marquise von O…“


Hausarbeit, 2006

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Rechtsgeschichte der Vergewaltigung in Deutschland
2.1 Überblick
2.2 Die Constitutio Criminalis Carolina von 1532
2.3 Tit. X der Kurfürstlich Sächsischen Landesordnung vom 1. September 1666: von Bestraffung des Ehebruchs, der Nothzucht, Blutschande, Hurerey, und aller unehelichen Beywohnung
2.4 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1794
2.5 Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871
2.6 Die Jahre 1973 bis 1981
2.7 Die Jahre 1981 bis heute

3. Interpretation.

4. Schluss

Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Heinrich von Kleists Erzählung „Die Marquise von O…“ handelt von einem „ungeheuerlichen Ereignis“, der Vergewaltigung der Marquise ohne ihr Wissen in einem Zustand der Bewusstlosigkeit bzw. der Ohnmacht. Im ersten Teil meiner Arbeit werde ich den historischen Wandel des Begriffs der Vergewaltigung in Deutschland nachzeichnen und dabei den Schwerpunkt auf die Handhabung eines solchen Verbrechens in der Rechtspraxis legen. Dabei werde ich zunächst einen Überblick über die Geschichte der Vergewaltigung und das Verhältnis der Gesellschaft zu dieser Straftat geben. Als nächstes werde ich näher auf die Constitutio Criminalis Carolina von 1532, Tit. X der Kurfürstlich Sächsischen Landesordnung vom 1. September 1666, das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 und das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 eingehen. Darauf folgt schließlich eine kurze Darstellung der Rechtslage in Deutschland in den Jahren 1973 bis 1981, sowie 1981 bis heute. Im zweiten Teil der Arbeit analysiere ich das Motiv der Vergewaltigung in der „Marquise von O…“. Ich gehe dabei vor allem auf die Frage der Möglichkeit einer Vergewaltigung in einem Zustand der Bewusstlosigkeit ein. Wobei unter anderem der Kommandant die Marquise für schuldig hält und davon überzeugt ist, die Marquise hätte währenddessen geschlafen und habe ihr sexuelles Verlangen zu verdrängen versucht:

„o! sie ist unschuldig. […] Sie hat es im Schlaf getan, sagte der Kommandant, ohne aufzusehen. Im Schlafe! versetzte Frau von G… Und ein so ungeheurer Vorfall wäre - ? Die Närrin! rief der Kommandant…“[1]

2. Die Rechtsgeschichte der Vergewaltigung in Deutschland

2.1 Überblick

Das Vergewaltigungsdelikt ist schon immer ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Strafrechts, aber die Vorstellung darüber wer oder was dabei eigentlich verletzt wird ist immer einem starken historischen Wandel unterworfen gewesen. Es hat sehr lange gedauert, bis man allgemein der Ansicht war, dass eine vergewaltigte Frau als eigenständiges Individuum mit Rechten anzusehen ist, welches durch die grausame Tat in seiner Freiheit und seinem Selbstbestimmungsrecht verletzt wurde. Bis dahin sah man durch eine Vergewaltigung lediglich ihre Rechtsstellung innerhalb der mediävalen Standesgesellschaft verletzt. In dieser Gesellschaft existierten in jedem Falle hohe Strafen für Geschlechtsverkehr zwischen Unverheirateten und in den frühen germanischen Volksrechten spielt der Stand sowohl des Täters als auch des Opfers eine wesentliche Rolle bei der Urteilsfindung. Ein freier Mann der eine ebenfalls freie Frau vergewaltigt hat, musste lediglich Buße tun und ihr die Ehe versprechen. Traf es eine verheiratete Frau, so wurde dies als Ehebruch gewertet; auf Vergewaltigung einer Unfreien war Buße je nach der Höhe des Wertes der Frau zu tun; Vergewaltigung eines fahrenden Weibes galt nicht als solche und wurde deshalb sowohl bei freien als auch bei unfreien Männern nicht bestraft. Vergewaltigte allerdings ein Unfreier eine Freie oder eine Ehefrau, so musste er mit der Todesstrafe rechnen; war eine ebenfalls unfreie das Opfer, kam es zur Kastration des Vergewaltigers. Bei Vergewaltigung einer Freien durch einen Freien, oder auch wenn sie dem Geschlechtsverkehr zugestimmt hatte, wurde im Nachhinein der Preis festgesetzt, den der Mann für das Mädchen an ihren Vater zu zahlen hatte und ihm wurde für die Ehe das ewige Recht auf Geschlechtsverkehr mit ihr zugesichert, was die Frau widerspruchslos hinzunehmen hatte. Fahrende Weiber oder Prostituierte hatten damals keine Ehre die durch eine Vergewaltigung verletzt werden könnte und deshalb wurde diese nur bei Jungfrauen, Ehefrauen oder Witwen sanktioniert.[2] In seinem Aufsatz Über die Notnunft an Frauen beschreibt Jacob Grimm ausführlich die mittelalterliche Einstellung gegenüber dem Vergewaltigungsdelikt. Er beschreibt zum Beispiel:

wenn ein freier mann bei eines freien mannes weib liegt, so kaufe er sie mit ihrem wergelde, erwerbe sodann mit seinem eigenen gelde ein anderes weib und bringe sie dem andern ins haus, d.h. der verletzte ehmann verliert nicht den werth seiner frau, und es wird ihm dazu eine neue gekauft; der sich vergangen hat, musz einmal das wergeld der gattin, dann den kaufpreis einer andern frau erlegen.[3]

Hier wird deutlich, dass die Frau als Ware angesehen wurde, die man kaufen bzw. rauben kann, und die man nach dem vollzogenen Geschlechtsverkehr endgültig sein Eigen nennen darf. Im späten Mittelalter wird Vergewaltigung in der Folge fast ausschließlich mit dem Tode bestraft und teilweise spielt die Frau eine wichtige Rolle bei der Urteilsvollstreckung:

man soll einen dürren eichen pfahl spitzen und dem notzüchtiger auf sein herz setzen; den ersten, andern und dritten schlag darauf soll die genothzüchtigte thun, die übrigen der henker. das gewöhnliche lebendig begraben wird aber ohne solches pfählen ergangen sein, und wo seiner nicht gedacht ist, kann man es nicht voraussetzen. […][4]

Auch wenn es gut denkbar ist, dass es durch diese Handhabung in vielen Fällen zu Begnadigungen durch die Frauen gekommen ist, so zeigt es eines: Die Frau ist durchaus aktiv und in der Lage, bezüglich dessen was ihr widerfahren ist Stellung zu nehmen und auch zu handeln.

2.2 Die Constitutio Criminalis Carolina von 1532

Mit der Constitutio Criminalis Carolina von 1532, der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V., wird der erste Versuch eines für das ganze Heilige Römische Reich Deutscher Nation geltenden Rechts unternommen. Sie bleibt bis ca. 1800 die Leitschrift für die deutsche Gesetzgebung. In § 119 stellt die Carolina Vergewaltigung unter Todesstrafe:

Item so jemandt einer vnverleumbten Ehefrawen, Witwen oder jungfrawen mit gewalt Vnnd wider jren willen jre junckfraulich oder fräwlich Eer neme, Derselbig vbelthatter hat das lebenn Verwurckt Vnnd soll […] mit dem Schwert vom leben zum tode gericht werden.

Hierin wird deutlich, dass es sich bei dem Verständnis von Vergewaltigung in der frühen Neuzeit nur am Rande darum dreht, dass die Frau zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurde. Vielmehr geht es um einen symbolischen Akt, nämlich darum, dass die Frau dadurch ihre Ehre verloren hat, welche einen wichtigen Status innerhalb der nach Ständen organisierten Gesellschaft einnahm.[5]

2.3 Tit. X der Kurfürstlich Sächsischen Landesordnung vom 1. September 1666: von Bestraffung des Ehebruchs, der Nothzucht, Blutschande, Hurerey, und aller unehelichen Beywohnung

Die sächsische Landesordnung basiert weiterhin auf den Rechtsgrundlagen der Carolina, aber sie differenziert stärker zwischen den verschieden Verbrechensmustern und enthält außerdem mehr Details zum jeweiligen Straftatbestand. Es geht nun bereits mehr als noch in der Carolina um den Geschlechtsakt an sich, was sich exemplarisch an der Verwendung von Formulierungen wie „Vermischung, Beywohnung, beyliegen, beschlafen, sich fleischlich einlassen, sich fleischlich vermischen“ zeigen lässt. Durch folgendes Beispiel (ein Auszug aus der sächsischen Landesordnung) wird wiederum deutlich, dass es inzwischen weniger um den Verlust der Ehre der Frau nach einer Vergewaltigung geht, als um das Sexualverbrechen an sich:

Da auch Jemand, so nicht ehelich ist, eine Weibes-Person, die sey gleich ledig oder ehelich, eine Jungfrau oder Witbe, oder auch ein gemein Weib, wider ihren Willen, seines Willens zu pflegen, mit Gewalt zwingen, und also eine gewaltsame Nothzucht begehen wuerde, so sol er mit dem Schwerdte vom Leben zum Tode gestraffet werden.

In der sächsischen Landesordnung wird nun zwar kein Unterschied bezüglich des Standes der vergewaltigten Frau gemacht, aber es bleibt unbegreiflicherweise unbegründet, warum es bei einer Vergewaltigung einer unter Zwölfjährigen oder einer geistig Behinderten nicht zur Verhängung der Todesstrafe, sondern lediglich zum Schlagen mit Staupen und darauf folgender Ausweisung aus dem Lande auf Lebenszeit kommt. Es wird außerdem jeder Geschlechtsverkehr zwischen Unverheirateten streng sanktioniert. Ledigen (dazu zählen auch Verlobte) droht bei Nichtbeachten Gefängnis und Ausschluss aus der Kirche. Das Verbrechen wird als Ehebruch angesehen, und mit dem Tode bestraft, wenn auch nur eine der betroffenen Personen verheiratet ist. Was passiert wenn daraus ein eventuell uneheliches Kind entsteht, bleibt wiederum unerwähnt. Da die Frau in jedem Falle mit einer Gefängnisstrafe rechnen muss, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Frauen durch diese Gesetzgebung oftmals dazu gezwungen sahen, die Geburt zu verheimlichen beziehungsweise das Kind sofort nach der Geburt zu töten, um ein Bekannt werden in der Gesellschaft zu vermeiden. Häufig versuchten sie auch, den unehelichen Sex als Vergewaltigung darzustellen, um so der Strafe und der damit verbundenen gesellschaftlichen Ächtung zu entfliehen. Obwohl nun also inzwischen auch die Vergewaltigung einer nichtehrbaren Frau bestraft wird, wird diesen Frauen jedoch immer noch mit reichlich Skepsis gegenübergetreten, da unter anderem auch der Verdacht eines Meineides nicht ausbleibt.[6]

[...]


[1] Kleist. Die Marquise von O…, S. 35

[2] Meyer-Knees, Anke. Verführung und sexuelle Gewalt: Untersuchung zum medizinischen und juristischen Diskurs im 18. Jahrhundert. S. 69-74

[3] Grimm, Jacob: über die notnuft an frauen. In: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft. Bd. 5: 1841, S.38

[4] Ebd., S. 46

[5] Meyer-Knees, Anke. Verführung und sexuelle Gewalt, S. 77-78

[6] Meyer-Knees, Anke. Verführung und sexuelle Gewalt, S. 79-80

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Zu: Heinrich von Kleist: „Die Marquise von O…“
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Erzählungen des 19. Jahrhunderts
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V74838
ISBN (eBook)
9783638726283
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heinrich, Kleist, Marquise, Erzählungen, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
Alexandra Nadler (Autor:in), 2006, Zu: Heinrich von Kleist: „Die Marquise von O…“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74838

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