Der Karlsmythos und der des Stoff der Haimonskinder in der französischen und spanischen Literatur. "Quatre Fils Aimon", "La Chanson de Roland", "Las Pobrezas de Reinaldos"


Hausarbeit, 2007

21 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Begriffliche Abgrenzung: Mythos vs. Sage

3. Der Karlsmythos im Haimonskinderstoff anhand von französischen und spanischen Literaturbeispielen
3.1 Die Haimonskinder
3.2 La Chanson de Roland
3.3 La pobrezas de Reynaldos von Lope de Vega

4. Schlussfolgerung

Anhang: Bibliografie

1. Einleitung

Karl der Große ist eine der großen historischen Gestalten des Mittelalters und ist durch ihre kulturellen und religiösen Impulse und ihre politischen und militärischen Erfolge noch heute im kulturellen Gedächtnis, sprich dem kollektiven Gedankengut der westlichen Welt, präsent. Dieses kulturelle Gedächtnis verdanken wir der mündlichen Überlieferung und der darauffolgenden Verschriftlichung von späteren Werken, zu denen auch der Karlsmythos innerhalb der Sage der ‚Haimonskinder’ gehört[1]. Sagen sind in ihrem Ursprung volkstümliche, mündliche Überlieferungen, die in allen Kulturen zu finden sind. Die Autoren sind meist anonym oder nicht mehr auffindbar, da die Quelle der Sage lange zurückliegt; dennoch kann der Erzähler als Stimme eines Kollektivs gesehen werden, die zur Identitätsbildung einer Gemeinschaft beiträgt. Im Falle der Haimonskinder sind die Helden dem karolingischen Sagenkreis entnommen und auch hier wird der Ursprung der Sage in der Forschungsliteratur nicht eindeutig bestimmt. Die Sage ist eine französische Romanze, die unter anderem in französischen und spanischen Volksbüchern auftaucht.

Diese Arbeit soll das kollektive Gedankengut des Karlsmythos in europäischen Realisierungen der Haimonskinder und die damit verfolgten (politischen) Absichten untersuchen; somit besteht ein doppelter Fokus auf der Karlsfigur und dem Stoff der Haimonskindersage. Dabei soll zunächst beleuchtet werden, ob eine theoretische Abgrenzung der Begriffe ‚Mythos’ und ‚Sage’ gemacht werden kann, um dann das Karlsbild kontrastiv in Ausschnitten der Chanson de Roland (der ältesten erhaltenen Verschriftlichung des Sagenstoffs), Quatre Fils Aymon (aus den französischen Gestes des Mittelalters) und Las pobrezas de Reynaldos (eine Realisierung des Sagenstoffes der Haimonskinder von Lope de Vega)zu betrachten. Die Essenz und der Titel der Sage der ‚Haimonskinder’ ist heute unter den europäischen Literaturwissenschaftlern und auch im Allgemeine keine sehr bekannte. In Deutschland haben Beate Weifenbach[2] und Werner Wunderlich[3] sich auf die Arauer Handschrift von 1531 und den Simmerner Druck spezialisiert; in Frankreich und Spanien ist die Sage bekannt unter dem Titel Renaud de Montauban. Überarbeitet wurde sie von Micheline de Combarieu du Grès und Jean Subrénat oder auf den Sagenkreis um Reinaldo de Montalbán hin unter anderem von Ramón Menéndez Pidal[4] untersucht .

Die Verästelung des Karlsmythos hingegen erstreckt sich weit in der europäischen Literatur des Mittelalters; die Forschungsliteratur mit diesem Schwerpunkt nimmt seit dem 19. Jahrhundert mit Gaston Paris’ Histoire Poétique de Charlemagne[5] überhand, in der alle zu der Zeit bekannten volkssprachlichen Werke über Karl den Großen zusammengestellt wurden. 1993 brachte Susan E. Farrier die Bibliographie The Medieval Charlemagne Legend heraus, die 2765 Einträge aufweist. Einer der neusten Beiträge zur Forschungsliteratur liefert Bernd Bastert mit dem 2004 herausgegebenen Werk „Karl der Große in den europäischen Literaturen des Mittelalters“.

2. Begriffliche Abgrenzung: Mythos versus Sage

Wie selbstverständlich sprechen wir bei der Geschichte der Haimonskinder von einer Sage, die den Karlsmythos wieder aufleben lässt, ohne uns über die Begrifflichkeiten Gedanken zu machen. Im täglichen Sprachgebrauch werden diese Termini oft benutzt, ohne als Benutzer für ihren Facettenreichtum sensibilisiert zu sein. Kann eine eindeutige definitorische Abgrenzung dieser Begriffe durchgeführt werden? Es wird also versucht, eine definitorische Klärung vorzunehmen ohne andere richtige und wichtige Sichtweisen mit dieser Festlegung auszuschließen[6].

Wenn die Geschichte der Haimonskinder eine Sage ist, kann sie dann kein Mythos sein? Der Begriff ‚Sage’ war bis zum 18. Jahrhundert ein Synonym für ‚Bericht’, ‚Erzählung’, ‚Kunde’ oder ‚Gerücht’[7]. Aus diesen Erzählformen kann man schließen, dass die Sage einen wahren Kern haben muss genauso wie die genannten Synonymbegriffe ihn haben, und somit Anspruch auf Glaubwürdigkeit erhebt. Diese volkstümliche knappe Erzählung verknüpft bestimmte Örtlichkeiten, Personen, Ereignisse und Natur-Erscheinungen mit magischen oder mythischen Elementen. Sie schöpft aus demselben Stoffbereich und Motivschatz wie Märchen und sind ebenfalls mündlich tradiert; die Urheberschaft ist meist unbekannt. Die Fixierung des Übernatürlichen an real Vertrautes gilt als Wahrheitsbeweis[8]. Nach Hermann Bausinger ist subjektive Wahrnehmung (ein sogenanntes Memorat) dabei in objektivem Geschehen (z.B. Regional- oder Lokalgeschichte, Naturkatastrophen) logisch nicht erklärbar und gibt somit Anlass zur Entstehung[9]. Das bedeutet also, dass die Sage versucht, unerklärliche Phänomene zu erklären, beziehungsweise ihnen eine Bedeutung zu geben. So werden unglaubliche Geschichten mit traditionell vorgegebenen mythischen Erklärungsmustern gedeutet, „damit in allgemeinere Sinnzusammenhänge eingegliedert“[10] und durch den narrativen Prozess überformt und erweitert. So entwickelt sich das „Memorat zum Fabulat“[11], und verfestigt sich in der Sage. Bei der Entstehung von Sagen greifen subjektive Wahrnehmung und objektives Geschehen ineinander - so wird ein übernatürliches Erlebnis zum Kern der Sage[12]. Sagen spiegeln also den jeweiligen Stand volkstümlicher Glaubensvorstellungen wider, besitzen religions- und sozialgeschichtlichen Aussagewert, sind wichtig für Identitätsbildungen und übermitteln durch ihren Wahrheitsgehalt auch historisches Wissen[13]. Charakteristisch ist, dass sie sprachlich und stilistisch anspruchslos und mundartlich gefärbt sind.

Im 19. Jahrhundert gab es mit Ludwig Bechsteins gezielter Sammlung von Sagen und den ‚Deutschen Sagen’ der Gebrüder Grimm eine Verstärkung der Sagenkultur und –verschriftlichung. Heutzutage ist die Entwicklung der literarischen Form der Sage noch nicht abgeschlossen und wird noch als moderne Sage oder in der Anglistik als urban legend gegenwärtig realisiert. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das Genre der Heldensage, zu der sich die der Haimonskinder im Speziellen zählen lässt. Dies ist eine poetisch gestaltete Überlieferung aus der Frühzeit der nationalen Geschichte (heroic age). Sie überliefert Geschichte im Sinne der adligen Führungsschicht: Im Mittelpunkt steht der Held, der als Idealtypus des Adelskriegers und Repräsentant seiner Gesellschaftsschicht dargestellt wird, wobei die historischen Ereignisse nur noch in Umrissen oder gar nicht mehr greifbar sind. Grundlage bleibt die Geschichte, die nach den Mustern von Mythos und Märchen umgestaltet wird. Die Heldenüberlieferung gehört oft zu den Sagenkreisen[14].

Vergleicht man nun damit die Definition des Mythos, überschneiden sich erstaunlich viele Elemente: Der Mythos wird als Götter-und Heldensage[15] definiert, als Versuch „früher Kulturen, Fragen des Ursprungs der Welt, ihres Ende, der Entstehung der Götter, der Menschen und bestimmter Naturphänomene in Bildern oder mehr oder weniger ausgeschmückte Geschehnisfolgen zu erfassen“.[16] „Die Literarisierung des Mythos ist eine Form seiner Auflösung, weil der Mythos ursprünglich mündlich überliefert wurde“[17]. Hier stellt sich die Frage, ob dasselbe nicht für die Sage gilt, denn auch sie wurde – wie oben gezeigt - ursprünglich mündlich überliefert.

Charakteristisch für den Mythos ist der Versuch, Moralisches, Existentielles oder Mystisches in Symbole zu fassen. Bilder werden nach dem Versuch des rationalen Durch-Denkens schließlich als rational unfassbare, ehrfürchtig hinzunehmende Symbole erkannt; der emotionale Hintergrund überhöht sich ins Überwirkliche und verlebendigt im erlebbaren Bild den religiösen Hintergrund.[18] Symbolik und Religion sind maßgebend für diese Art der Erzählung, so dass ein enger Bezug zum Kult hergestellt wird. Dieser Bezug sichert in gewissem Sinne, wie bei der Sage, die Ordnung der Welt; mythische Geschehnisse werden zu bestimmten Zeiten als kultisches Spiel rituell wiederholt. Durch den Wiederholungscharakter können Dinge nicht erklärt werden; dennoch gewinnen sie durch ihre Wiederkehr an Normalität für den Menschen. Durch ständige oder wiederholte Anwesenheit von unverstandenen Dingen lässt der Fremdeindruck nach.[19]

Die Literarisierung beginnt schon bei Hesiod und Homer, die durch die Rationalisierung den naiven Charakter des Mythos reduzieren wollten.[20] In der Tradition der alten Mythen wurden alte Kerne abgewandelt und neu kombiniert; neue Themenkreise traten hinzu, ähnlich wie wir es auch bei der Neuverarbeitung der Haimonskinder sehen werden. Mythen und Literatur können in dieser Auffassung als Objektivierungen von im kollektiven Bewusstsein verankerten Archetypen verstanden werden. Auch sie setzen den Glauben der Zuhörer voraus, stellen einen Realitätsanspruch und knüpfen an wirkliche äußere Anlässe an.[21]

[...]


[1] An dieser Stelle ist es wichtig zu bemerken, dass das Bild des Karl, das wir beispielsweise in den Epen präsentiert bekommen, oft wenig mit dem historischen König oder Kaiser zu tun hat. So werden etwa historische Ereignisse, die nachweislich in die Regentschaft Pippins fallen, oft Karl dem Großen zugeschrieben.

[2] Weifenbach, Beate Die Haimonskinder in der Fassung der Arauer Handschrift von 1531 und des Simmerner Drucks von 1535, Frankfurt 1997.

[3] Wunderlich, Werner, Die Haymonskinder, Tübingen 1997.

[4] Menendéz Pidal, Ramón, “‘Roncesvalles’. Un nuevo cantar de gesta espanol del siglo XIII.”, in: Revista de Filología Espanola 4, 1917, p. 104-204.

[5] Paris, Gaston, Histoire Poétique de Charlemagne, Paris 1965, p. 6.

[6] Dieses Problem sieht Bernd Bastert bei der Definition des Mythosbegriffs. Vgl. Bastart, Bernd (Hg.), Karl der Große in den europäischen Literaturen des Mittelalters, Tübingen 2004, p. 7 .

[7] Vgl. Schweikle, Irmgard und Günther, Metzler Literaturlexikon, Stuttgart 2004, p. 405f

[8].Ibid.

[9] Bausinger, Hermann, Formen der „Volkspoesie“, Berlin 1980, p. 42.

[10] Vgl. Schweikle, Metzler Literaturlexikon, a. a. O., p. 405f

[11] Ibid.

[12] Ibid.

[13] Ibid.

[14] Vgl. Schweikle, Irmgard. u. Günther, Metzler Literaturlexikon, a. a. O., p. 232.

[15] Nünning, Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, Stuttgart 2004, p. 482f.

[16] Ibid.

[17] Nünning, Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, a. a. O., p. 482f

[18] Vgl. Schweikle, I. u. G, Metzler Literaturlexikon, a. a. O., p. 232.

[19] Ibid.

[20] Schweikle, I. u. G, Metzler Literaturlexikon, a. a. O., p. 232

[21].Ibid.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Der Karlsmythos und der des Stoff der Haimonskinder in der französischen und spanischen Literatur. "Quatre Fils Aimon", "La Chanson de Roland", "Las Pobrezas de Reinaldos"
Hochschule
Universität Münster  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Spanische Mythen
Note
2,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V75069
ISBN (eBook)
9783638745161
Dateigröße
515 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Karlsmythos, Literaturbeispielen, Stoffes, Haimonskinder, Quatre, Fils, Aimon, Chanson, Roland, Pobrezas, Reinaldos, Spanische, Mythen
Arbeit zitieren
Berenice Walther (Autor:in), 2007, Der Karlsmythos und der des Stoff der Haimonskinder in der französischen und spanischen Literatur. "Quatre Fils Aimon", "La Chanson de Roland", "Las Pobrezas de Reinaldos", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75069

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