Die Mutter-Tochter-Beziehung in "L'Amant"


Seminararbeit, 2000

20 Seiten, Note: 12 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Mutter-Tochter Beziehung in L‘Amant
2.1 Charakteristika des Verhältnisses zwischen Mutter und Tochter in l‘Amant
2.1.1. Kindheit und frühe Jugend
2.1.2. Die Liaison mit dem Chinesen und ihre Auswirkungen auf das Mutter-Tochter-Verhältnis
2.1.3. Der Tod des jüngeren Bruders und Konsequenzen für die Beziehung zwischen Mutter und Tochter
2.1.4. Der Tod der Mutter
2.2 Die Mutter wird zur Schreibschrift

3 L’Amant – Erinnerungsarbeit?

4 Schluß

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Im Rahmen des Proseminars „Le roman français contemporain“ beschäftigte ich mich mit der Biografie Marguerite Duras‘. Die „magicienne de l’écriture“, wie sie von Jack Lang nach ihrem Tod im März 1996 genannt wurde, hat auch mich in ihren Bann gezogen, sodaß ich nun ihr Leben und ihre Werke näher betrachten möchte.

Es geht im besonderen um eine Textanalyse zu l’Amant; anhand dieser soll versucht werden, die Selbstfindungsproblematik einer jungen Frau auf dem Hintergrund der Mutter-Tochter-Beziehung zu beleuchten. Beim Herangehen an den Text stellt sich gleich von Anfang an eine gewisse Hermetik zum Inhalt ein. Die problematische Zugangsweise zum Inhalt gründet sich in der Symbiose literarischer Ausdrucksformen: einerseits werden von der Autorin bewußt (auto-) biographische Elemente eingesetzt, andererseits arbeitet sie mit fiktiven Momenten. Teilweise sind beide Ausdrucksformen nicht klar und deutlich zu trennen. Selbst dort, wo man als Leser zunächst den Eindruck von biographischen Momenten wahrnimmt, bleiben auch diese bei einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Text diffus.

Zwar geht es in dieser Arbeit nicht darum, zu untersuchen, ob L’Amant ein autobiografisches Werk ist oder nicht, doch beim Hinzuziehen von Sekundärliteratur wird man zwangsläufig mit dieser Fragestellung konfrontiert. Da möchte man beispielsweise aus einem Interview mit Marguerite Duras zitieren, in dem sie Aussagen über das Verhältnis mit ihrer Mutter macht. Möchte mehr erfahren über das Innenleben der „Ich-Erzählerin“ in l’Amant, möchte Parallelen zu ihrer Lebensgeschichte ziehen, wenngleich die Autorin betont: „Die Geschichte...meines Lebens existiert nicht, oder aber es handelt sich um Lexikologie. Der Roman meines Lebens, unseres Lebens, ja, aber nicht die Geschichte.“[1]

Um diesem oben genannten Dilemma weitestgehend zu entgehen, richtet sich das Augenmerk in diesem Essay zunächst auf die Mutter-Tochter- Beziehung in l’Amant und in einem Unterkapitel (Kapitel 3: L’Amant-Erinnerungsarbeit?) wird auf die Frage eingegangen, ob Marguerite Duras in l’Amant Spuren von sich selbst und ihrem Leben entziffert.

Ein kurzer Abspann des Werkes, das 1984 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, soll kurz die wesentlichen Situationen widergeben:

In L’Amant erzählt die Autorin von einer Mutter, ihren zwei Söhnen und ihrer Tochter, die im kolonialen Indochina der dreißiger Jahre ein kleinbürgerliches Leben führen. Die Sorge um das tägliche Überleben wird nur noch von der ihrer Ehre, ihrer vermeintlichen Überlegenheit gegenüber der einheimischen Bevölkerung übertroffen.

Das Bild der Überquerung des Flusses Mekong mit einer Fähre spaltet die Handlung in die Kindheitserfahrungen der Tochter einerseits und die Liaison mit einem Chinesen andererseits. Der Lebenshunger der fünfzehnjährigen Tochter manifestiert sich durch das Ignorieren der familiären Ideale, den Wunsch, das eigene Leben zu leben, durch die Hingabe zur ersten sexuellen Lusterfahrung mit einem zwölf Jahre älteren Mann (dem Chinesen) unter Hinnahme sozialer Konsequenzen, die dieses Verhalten verursacht. Die Familie, insbesondere die Mutter und der älteste Bruder, partizipieren zwar wie selbstverständlich an der materiellen Ausstattung des Liebhabers, distanzieren sich jedoch aufgrund des Konformitätsdruckes der Außenwelt, d.h. aufgrund der sozio-moralischen Tabus und deren Verletzung durch das Verhalten der Tochter, dem „lasterhaften Ding und dem dreckigen Chinesen.“

Am Ende des Romans müssen sich die Tochter und der Liebhaber dem sozialen Druck beugen: sie siedelt nach Frankreich über. Bei der Abreise stellt sie fest, daß sie den Chinesen vielleicht doch geliebt hat.

2 Die Mutter-Tochter Beziehung in L‘Amant

2.1 Charakterisitka des Verhältnisses zwischen Mutter und Tochter in l‘Amant

In der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Mutter und Tochter in l’Amant spiegeln sich permanent die Begriffe Prostitution, Geld, Familie, Haß-Liebe wider, wobei das Prostituieren der Tochter mit dem Chinesen aus der Sicht der Mutter ständig ambivalent ist. Einerseits kauft sie ihrer Tochter den Männerhut, gibt ihr ein abgetragenes, aufreizendes Kleid und überläßt ihr Schuhe aus Goldlamé mit der Intension, die Blicke der Männer auf sie zu lenken – denn irgendwie muß Geld ins Haus („..Reste cette petite-là qui grandit et qui, elle, saura peut-être un jour comment on fait venir l’argent dans cette maison...“[2] ). Und dann andererseits die Angst der Mutter, die Tochter würde eines Tages weggehen, würde es schaffen, sich zu lösen: „Je serais la première à partir. Il faudra attendre encore quelques années pour qu’elle me perde, pour qu’elle perde celle-ci, cettte enfant-ci. Pour les fils il n’y avait pas de crainte à avoir. Mais un jour, elle le savait, elle partirait, elle arriverait à sortir.“[3]

Als dies auch mit dem Chinesen geschieht und dieser das tut, was er gewöhnlich mit solchen Frauen tut und diese Liebschaft an die Öffentlichkeit dringt, kann die Mutter die Schande, die ihre Tochter über sie Familie gebracht hat, kaum ertragen. Ihre Mutter brüllt, daß die ganze Stadt es hört, ihre Tochter sei entehrt und möchte sie aus dem Haus werfen, damit sie den Ort nicht länger verpeste.

2.1.1. Kindheit und frühe Jugend

Die Kindheit ist charakterisiert durch die Unmöglichkeit des Aufbauens einer Form von „Nähe“ zwischen Mutter und Tochter. Diese wird kompensiert oder versucht zu kompensieren durch Projektionen beider Personen, die sich auf alle Beteiligten erstrecken. Die Familienfotos sind z.B. die einzigen Medien, die eine Auseinandersetzung mit den Familienmitgliedern herausfordern. Körperliche Nähe, Blickkontakte werden tunlichst vermieden: „C’est une famille en pierre, pétrifiée dans une épaisseur sans accès aucun...non seulement on ne se parle pas mais on ne se regarde pas.“[4]

In der Familie sind niemals Feste gefeiert worden, es gab keinen Weihnachtsbaum und keine Blumen. „Ich habe nie etwas getan, als zu warten vor verschlossener Tür“[5]. Nur mit ihrem kleinen Bruder teilte sie eine Art Seelenbund, eine Geschwisterlichkeit.

Die Mutter wurde zugleich gefürchtet und geliebt. „Sie war das Ungeheuer...ausgestattet mit einer panischen, gebieterischen und übermäßigen Energie...und der mächtige Zauber, den sie ausstrahlte, machte die Kinder gefügig, so sehr schüchterte ihre Persönlichkeit ein und unterwarf“[6]. Doch woher dieses zerstörte Gesicht, von dem sie im Liebhaber spricht? Ist es das schreckliche, vernichtende Einverständnis zwischen dem älteren Bruder, dem „Mörder“, und der Mutter, dessen Hauptopfer sie ist? Sie scheint die der Liebe Beraubte, die die Mutter wegen dieser Liebe, die den Sohn und die Mutter verbindet, haßt und zugleich liebt: „Dans les histoires de mes livres qui se rapportent à mon enfance, je ne sais plus tout à coup ce que j’ai évité de dire, ..., je crois avoir dit l’amour que l’on portait à notre mère mais je ne sais pas si j’ai dit la haine qu’on lui portait aussi et l’amour qu’on se portait les uns aux autres...“[7]. Ein Gefühlschaos zwischen Liebe und Haß also, das die Kindheitserinnerungen prägt: „...nous haïssons la vie, nous nous haïssons“[8] und dann, eine Seite später: „...si différents que nous ayons été tous les trois, nous l’avons aimée de la même façon.“ Es ist sehr einfach und sehr kompliziert zugleich. In einem Gespräch mit Madeleine Renaud äußert sie sich zu ihrer Mutter wie folgt :

„Im Alter ist sie bitter geworden, sie wollte nichts davon wissen, daß sie zahlreiche andere Kapitäne ausgebildet hatte, die für die Freiheit ihres Landes kämpften, sie wollte sich nicht mehr erinnern, sie wollte ihre vollkommene Verzweiflung.“

„Und was noch?“

„Sie war mager.“

„Und was noch?“

„Von den drei Kindern, die sie gehabt hat, zog sie den ältesten vor, einen prachtvollen, zärtlichen und auf Abwege geratenen Sohn.“

„Ah ja, ich verstehe. Hat sie ihn immer vorgezogen?“

„Immer.“[9]

Die Trauer über die enttäuschte Liebe für ihre Mutter drückt Marguerite Duras ebenfalls in „Mothers“ aus, einem ihrer seltenen autobiographischen Bekenntnisse: „Ich habe versucht, ihr zu erklären, daß die Vorliebe, die man für ein Kind habe, sich in kaum wahrnehmbaren, unendlich kleinen Details ausdrücken könne, und daß dieser Unterschied in der Liebe, selbst wenn die Mutter dafür in keiner Weise verantwortlich sei, von den weniger geliebten Kindern als ein Unglück empfunden werde.“[10]

[...]


[1] „Die Unbekannte aus der Rue Catinat“ IN: Rakusa, S.162

[2] L’AMANT, p. 33

[3] Ibid., p.31

[4] L’amant, p.69

[5] Der Liebhaber, p.43

[6] Vircondelet, S.42

[7] L’amant, p.34

[8] Ibid., p.69

[9] Vircondelet, S.211

[10] Ibid., S.209

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Mutter-Tochter-Beziehung in "L'Amant"
Hochschule
Universität des Saarlandes  (Romanistik)
Veranstaltung
Le roman français contemporain
Note
12 Punkte
Autor
Jahr
2000
Seiten
20
Katalognummer
V7518
ISBN (eBook)
9783638147613
ISBN (Buch)
9783638777353
Dateigröße
575 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mutter-Tochter-Beziehung, Amant
Arbeit zitieren
Tanja Kläser (Autor:in), 2000, Die Mutter-Tochter-Beziehung in "L'Amant", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7518

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