Das Ziel dieser Buchbesprechung ist, am Ende beurteilen zu können, ob und inwiefern der Wissenschaftler Edgar Wolfrum seinem Ziel, Geschichtspolitik als wissenschaftliche Forschungskategorie zu etablieren, gerecht wird.
Dazu wird zunächst Wolfrums Verständnis von Geschichtspolitik untersucht. Daraufhin widmet sich die Autorin der Frage, warum der Autor den 17. Juni als “Schlüsselereignis” in der Geschichtspolitik der Bundesrepublik wählt und zum Inhalt seiner Studie gemacht hat. Das methodische Vorgehen als auch die Untersuchung der formalen Strukturierung des Werkes sind weitere Bestandteile dieser Besprechung.
Im Anschluss daran wird der Inhalt skizziert, wobei sich das Hauptinteresse dabei v. a. auf Wolfrums Analyse des wechselnden Umgangs mit dem 17. Juni innerhalb des betrachteten Zeitraums richtet. Mit dem Abschluss der inhaltlichen Zusammenfassung wird darauf eingehen, ob es sinnvoll und möglich ist, den Terminus “Geschichtspolitik” als Forschungsgegenstand zu gebrauchen. Dafür fürht die Autorin aber zuvor noch den Begriff der “Vergangenheitspolitik” im Kontrast zu Geschichtspolitik ein, da dadurch die Erkenntnis über den Wert der Geschichtspolitik erleichtert werden kann. In dem abschließenden Fazit werden Stärken und Schwächen besprochen, die sich bei der Bearbeitung des Werkes herauskristallisiert haben. Außerdem wird resümiert, welche Bedeutung die Studie für die nachfolgende Forschung hat und hatte.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Hauptteil
2.1 Was heißt “Geschichtspolitik”?
2.2 Die Bedeutung des 17. Juni 1953 in der Geschichtspolitik
2.3 Formale Betrachtung
2.3.1 Methodisches Vorgehen
2.3.2 Aufbau der Studie
2.4 Inhaltliche Betrachtung
2.5 Geschichtspolitik vs. Vergangenheitspolitik
2.6 Geschichtspolitik als wissenschaftliche Kategorie?
III. Fazit
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Edgar Wolfrum, mittlerweile Professor für Zeitgeschichte an der Universität zu Heidelberg, hat mit seiner Habilitationsschrift ein Forschungsthema aufgegriffen, das beim Erscheinen des Werkes erst am Anfang stand. Der Terminus “Geschichtspolitik” ist zwar bereits erstmals während des Historikerstreits in den 1980er Jahren erwähnt worden, hat allerdings bis Ende der 1990er Jahre, als Wolfrum sich diesem zuwandte, kaum nennenswerte Beachtung gefunden. Seine Monografie bietet erstmals eine umfassende Gesamtdarstellung eines Themas, das fast ein halbes Jahrhundert geschichtspolitisch debattiert wurde. Die Adressaten einer derartigen Studie sind in erster Linie Geschichts- und Politikwissenschaftler.
Im Zentrum seiner Untersuchung steht der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 in der DDR, vor dessen Hintergrund er in vier zeitlich aufeinander folgenden Phasen der Jahre 1948 bis 1990 das gesellschaftliche und politische Bewusstsein im Umgang mit diesem früheren “Tag der deutschen Einheit” nachzeichnet. Er schildert den Wandel der Geschichtsbilder in Ost- und Westdeutschland und veranschaulicht, welchen Einfluss politische Akteure auf diese haben, während sie “in öffentlichen Konflikten Traditionen zu bilden und Erinnerungen zu gestalten”1 versuchen.
Ich möchte nun darlegen, wie ich bei der Betrachtung dieses Werkes vorgehe, um am Ende beurteilen zu können, ob und inwiefern Wolfrum seinem Ziel, Geschichtspolitik als wissenschaftliche Forschungskategorie zu etablieren, gerecht wird. Dabei werde ich mich zunächst Wolfrums Verständnis von Geschichtspolitik annähern, um mich daraufhin der Frage zu widmen, warum der Autor den 17. Juni als “Schlüssel-ereignis”2 in der Geschichtspolitik der Bundesrepublik wählt und zum Inhalt seiner Studie gemacht hat. Daraufhin werde ich sowohl Wolfrums methodisches Vorgehen als auch die formale Strukturierung des Buches untersuchen. Im Anschluss daran möchte ich den Inhalt skizzieren, wobei sich mein Hauptinteresse dabei v. a. auf Wolfrums Analyse des wechselnden Umgangs mit dem 17. Juni innerhalb des betrachteten Zeitraums richtet. Mit dem Abschluss der inhaltlichen Zusammenfassung werde ich darauf eingehen, ob es sinnvoll und möglich ist, den Terminus “Geschichtspolitik” als Forschungsgegenstand zu gebrauchen. Dafür führe ich aber zuvor noch den Begriff der “Vergangenheitspolitik” im Kontrast zu Geschichtspolitik ein, da m. E. dadurch die Erkenntnis über den Wert der Geschichtspolitik erleichtert werden kann. In meinem Fazit werde ich dann festhalten, welche Stärken und Schwächen sich bei der Bearbeitung des Werkes herauskristallisiert haben und welche Bedeutung die Studie für die nachfolgende Forschung hat und hatte.
II. Hauptteil
2.1 Was heißt “Geschichtspolitik”?
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, steht die Geschichtspolitik noch am Anfang des Forschungsinteresses. Bis Wolfrum sich Ende der 90er Jahre dem Begriff zuwandte, stand eine wissenschaftliche Analyse noch aus. Obwohl mittlerweile zum Thema einiger Forscher geworden, hat sich bis heute keine eindeutig anerkannte Definition durchsetzen können, so dass ich mich nun lediglich auf Geschichtspolitik im Verständnis des Autors beziehe.
Voraussetzung dafür, Geschichtspolitik definieren zu können, ist die Annahme, dass sich Politik und Geschichte wechselseitig konstituieren3. Insofern richtet sich der Fokus bei Geschichtspolitik darauf, “wie Politik mit der Vergangenheit gemacht (Anführungszeichen weggelassen, D.M.) wird”4 und “mit welcher Absicht und welcher Wirkung Erfahrungen mit der Vergangenheit thematisiert und politisch relevant werden”5. Wolfrum charakterisiert Geschichtspolitik als ein “Handlungs- und Politikfeld”6, das von Akteuren mit unterschiedlichen Interessen instrumentalisiert wird. Diese zielen darauf, der Gesellschaft ihr spezifisches Geschichtsbild zu oktroyieren. Akteure der Geschichtspolitik können u.a. Journalisten, Intellektuelle und Wissenschaftler sein. Im Zentrum der Betrachtungen Wolfrums stehen aber die Politiker, genauer: die politische Elite7. Wolfrum weist darauf hin, dass auch in pluralistischen, demokratischen Gesellschaften Geschichtspolitik betrieben wird8, nicht nur, wie man vielleicht annehmen mag, in Diktaturen. Dass dabei immer verschiedene Geschichtsbilder miteinander konkurrieren, macht der Autor durch die kontinuierliche Unterscheidung der Geschichtspolitik des linken und rechten politischen Lagers in Westdeutschland deutlich. Nach Wolfrum ist Geschichte zum Politikum9 geworden, “um dessen Deutung man sich streitet, weil man Veränderungen im Bewusstsein der Zeitgenossen bewirken kann”10.
Gleichwohl man die Praktiken der Geschichtspolitik zu jeder Zeit beobachten kann, findet sie verstärkt während Krisenzeiten und bei Systemwechseln statt. Inszeniert wird sie durch Kulte, Rituale, Museen, Gedenkfeiern, Denkmälern und Nomenklaturen wie Straßen- oder Gebäudenamen11 mit Bezug auf die Historie. Diesen Handlungen ist gemeinsam, dass sie “Aufklärungs- und Erziehungscharakter”12 haben, und somit in das Bewusstsein der Bevölkerung dringen. Wolfrum stellt fest, dass Geschichte Appellcharakter besitzt, Stimmungen hervorbringt und sich zur Mobilisierung eignet13. Ebenso wird sie zur Durchsetzung von Interessen genutzt, zur Legitimation und um Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gesellschaft zu schaffen14. Der Autor stellt aber auch heraus, dass eine beabsichtigte Stiftung von Zusammengehörigkeit oder Stimmungen misslingen kann. Dies begründet er damit, dass innerhalb der Bevölkerung Erfahrungswerte, Generationswechsel oder politische bzw. gesellschaftliche Veränderungen zu einem Perspektivwechsel führen können15. Eine weitere wichtige Ebene, um Geschichtspolitik zu analysieren, ist die Untersuchung von Diskursen. Für Wolfrums Analyse nehmen diese ein sehr wichtige Funktion ein16. Denn “in öffentlichen geschichtspolitischen Konflikten wird über die legitime Sichtweise der Vergangenheit gestritten”17.
Geschichtspolitik kann man also zusammenfassend als die Instrumentalisierung der Vergangenheit durch verschiedene Akteure beschreiben, die die Intention haben, der Gesellschaft Geschichtsbilder zu vermitteln, deren Bedeutung ihrer eigenen Interessenverfolgung entspricht.
2.2 Die Bedeutung des 17. Juni 1953 in der Geschichtspolitik
Es stellt sich natürlich für den Leser die Frage, weshalb Wolfrum ausgerechnet den 17. Juni 1953 als Ausgangspunkt für seine Überlegungen zur Geschichtspolitik in seiner Habilitationsschrift wählt. Denn bevor man seine Erläuterungen zu dieser Frage nicht gelesen hat, fallen dem Gros der Leser m. E. zunächst keine Argumente dafür ein. Für einen geschichtsinteressierten Laien stellt dieser Tag “lediglich” den Aufstand der Arbeiter in der DDR in der Nachkriegszeit dar. Man weiß, dass er sich am 17. Juni zu einem landesweiten Aufstand entwickelte und dass er durch den Einsatz sowjetischer Truppen für einige Arbeitern tödlich endete18. Aber sonst ist dieser Tag für viele ein Feiertag wie jeder andere.
Wolfrum hat den Aufstand und seine Nachwirkungen, wie viele andere Geschichtswissenschaftler vor ihm, untersucht, ihn aber dabei zugleich aus einer neue Perspektive betrachtet. Er hat erkannt, dass der 17. Juni in den nachfolgenden Regierungen nicht nur am Feiertag präsent war, sondern dass dieser benutzt, wenn nicht gar ausgenutzt wurde19. Die jeweilige Interpretation des Aufstandes durch die politische Elite spiegelt sich in dem Wandel der Deutschlandpolitik wider, wie die von dem Autor nachgezeichneten Inhalte und Reden deutlich machen20. Interessant ist dabei, dass die Darstellungen über den Arbeiteraufstand in den beiden deutschen Staaten weit auseinander lagen: Während der Osten Deutschlands diesen Tag aus der Geschichte des Landes verdrängte, avancierte er im Westen zum nationalen Feiertag21. Westdeutsche Parteien und gesellschaftliche Gruppen “mit jeweils spezifischen Interessen beteiligten sich an der Ausgestaltung, geschichtspolitischen Deutung und Verarbeitung”22 dieses Tages.
Als das “letzte große gesamtdeutsche Ereignis vor dem Bau der Berliner Mauer”23 wurde aus dem Aufstand nicht mehr “nur” eine geschichtliche, vergangene Begebenheit, sondern er nahm eine Dimension an, die die deutsch-deutschen Beziehungen über Jahrzehnte auf politischer Ebene begleitete. Somit etabliert sich der 17. Juni für Wolfrums Studie zu dem Schlüsselereignis in Westdeutschland, das ihm besonders geeignet erscheint, um die Verschränkungen von Geschichte und Politik sowie den Wandel von Identität im Umgang mit der Vergangenheit darzustellen24.
2.3 Formale Betrachtung
Wolfrums Habilitationsschrift ist eine Studie, die reich an Quellen und demoskopischen Erhebungen ist, und somit eine besondere Vorgehensweise erforderte. Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass es durchaus gerechtfertigt ist, wenn man sich seine Methodik und die Strukturierung des Buches anschaut.
2.3.1 Methodisches Vorgehen
Sein Forschungsfeld erschließt sich Wolfrum nach eigenen Angaben aus drei Analyseebenen25: Im ersten Teil steht die Suche nach einem nationalen Gedächtnisort zwischen 1948 und 1953 im Fokus. Danach widmet sich der Autor dem Kult um den deutschen Nationalstaat zwischen 1954 und 1968, bevor er im dritten Schritt die politischen Diskurse über bundesrepublikanische Geschichtsbilder von 1969 bis 1989 veranschaulicht.
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- Arbeit zitieren
- Denise Fritsch (Autor:in), 2006, Buchbesprechung zu dem Werk von Edgar Wolfrum: "Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75194
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