Mit dem Phänomen der Willensschwäche bzw. Handeln wider besseres Wissen ist wohl jeder in seiner alltäglichen Erfahrung schon einmal konfrontiert worden. Als „willensschwach“ bezeichnet man im Allgemeinen jemanden, der weiß bzw. zu wissen glaubt, was zu tun gut und richtig ist, es aber nicht tut, obwohl er es tun könnte.
Philosophisch betrachtet wirft Willensschwäche damit eine Reihe von Problemen auf: Ist es überhaupt möglich (und wenn ja, wie ist es möglich?), eine Handlung als gut bzw. richtig zu beurteilen und diesem Urteil trotzdem entgegen zu handeln?
Seit dem platonischen Sokrates ist Willensschwäche immer wieder Gegenstand philosophischer Untersuchungen. Sokrates hatte die Existenz des Phänomens im Ganzen zurückgewiesen, da man stets nach dem Guten strebe und das Wissen darum, was das Gute für einen selbst ist, sehr eng mit dem entsprechenden Handeln verknüpft sei. Nach Sokrates handelt jemand, der etwas Schlechtes tut, nicht dem eigenen besseren Wissen zuwider, sondern er handelt aus Unwissenheit.
Der US-amerikanische Moralphilosoph Richard M. Hare nähert sich im Zuge seiner metaethischen Konzeption des universellen Präskriptivismus dem Problem der Willensschwäche. Er beschäftigt sich dabei mit einer Teilmenge der Phänomene, die unter diesem Begriff subsumiert werden, nämlich mit Fällen, in denen jemand scheinbar einem Moralurteil zustimmt, jedoch nicht diesem Moralurteil gemäß handelt. Da moralische Urteile aufgrund der in ihnen enthaltenen moralischen Wörter wie „sollen“, „gut“ usw. universell präskriptiv, also handlungsanleitend sind, folgt aus „sollen“ bei aufrichtiger Zustimmung zu einem Moralurteil „können“ und die entsprechende Handlung wird auch ausgeführt.
In der vorliegenden Arbeit werde ich zeigen, dass Willensschwäche in der getroffenen Definition mit Hares metaethischer Theorie moralischen Handelns unvereinbar ist. Ich werde zuerst auf die Konzeption des universellen Präskriptivismus eingehen und dann vor diesem Hintergrund seine Ausführungen zur Willensschwäche in den Werken „Freiheit und Vernunft“ und „Moralisches Denken. Seine Ebenen, seine Methoden, sein Witz“ diskutieren.
Abschließend werde ich seine Theorie mit der Konzeption der Willensschwäche bei Sokrates vergleichen und zeigen, dass trotz einiger inhaltlicher Unterschiede Hare Sokrates doch in wesentlichen Punkten folgt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Universeller Präskriptivismus
- Hares Metaethik als Ansatz analytischer Moralphilosophie
- Kritik an rein deskriptiven und emotivistischen Moraltheorie
- Präskriptivität
- Universalisierbarkeit
- Moralische Schwäche und Willensschwäche in Freiheit und Vernunft
- Moralische Schwäche
- Willensschwäche
- Willensschwäche in Moralisches Denken
- Intuitive und kritische Ebene des moralischen Denkens
- Willensschwäche
- Hares Konzeption der Willensschwäche im Vergleich mit Handeln wider besseres Wissen bei Sokrates
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Kompatibilität des Phänomens der Willensschwäche mit Richard M. Hares universeller Präskriptivismus. Ziel ist es, zu zeigen, dass Willensschwäche, definiert als das Handeln entgegen einem eigenen moralischen Urteil, mit Hares Theorie unvereinbar ist.
- Die metaethische Konzeption des universellen Präskriptivismus von Richard M. Hare
- Die Kritik Hares an rein deskriptiven und emotivistischen Moraltheorien
- Die Rolle der Präskriptivität und Universalisierbarkeit in Hares Theorie
- Die Konzeption der Willensschwäche im Kontext von Hares Theorie
- Der Vergleich von Hares Konzeption der Willensschwäche mit der Sichtweise des Sokrates
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Willensschwäche ein und stellt das Problem dar, dass es scheinbar möglich ist, ein Urteil über das Gute zu fällen und dennoch entgegen diesem Urteil zu handeln.
Das erste Kapitel erläutert die Konzeption des universellen Präskriptivismus, die zentrale Grundlage für Hares Analyse der Willensschwäche. Es werden dabei die Kritik an rein deskriptiven und emotivistischen Moraltheorien sowie die zentralen Elemente der Präskriptivität und Universalisierbarkeit in Hares Theorie behandelt.
Im zweiten Kapitel werden die Begriffe „moralische Schwäche“ und „Willensschwäche“ im Kontext der Freiheit und Vernunft untersucht.
Das dritte Kapitel beleuchtet das Phänomen der Willensschwäche im Kontext des moralischen Denkens. Es werden die intuitive und die kritische Ebene des moralischen Denkens unterschieden und deren Beziehung zur Willensschwäche betrachtet.
Das vierte Kapitel vergleicht Hares Konzeption der Willensschwäche mit der Sichtweise des Sokrates, die Handeln wider besseres Wissen ablehnt.
Schlüsselwörter
Universeller Präskriptivismus, metaethische Konzeption, Moraltheorie, Handlungsanleitung, Willensschwäche, Handeln wider besseres Wissen, Sokrates, Freiheit, Vernunft, moralisches Denken, intuitive und kritische Ebene, moralische Urteile.
- Arbeit zitieren
- Vera Ohlendorf (Autor:in), 2007, Ist Willensschwäche möglich? Zur metaethischen Konzeption Richard M. Hares, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75240