Übergangsbegleitung statt Überleitungspflege - Soziale Arbeit bei den Statuspassagen von Patienten in stationären Einrichtungen


Diplomarbeit, 2006

87 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Präambel

1. Einleitung

2. Ist-Analyse
2.1. SACHVERSTÄNDIGENRAT für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen
2.2. Die Reform in Gesundheit und Politik
2.2.1. Demografie-Sozialsysteme
2.2.2. Demografie-Bevölkerungsentwicklung

3. Grundlagen im Gesundheitswesen
3.1. Kennzahlen der Krankenhausversorgung
3.2. Gesetzliche Verankerungen
3.2.1. § 140 SGB V „Integrierte Versorgung“
3.2.2. § 17a Krankenhausfinanzierungsgesetz
3.2.3. § 17 b Krankenhausfinanzierungsgesetz
3.2.4. Koalitionsvertrag
3.2.5. Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG)
3.3. DRG`s – Diagnosis Related Groups
3.3.1. Abrechnung nach den DRG`s
3.3.2. Folgen der DRG`s
3.3.3. Nachbarländer und das DRG-System

4. Die Pflegeüberleitung
4.1. Die Idee der Pflegeüberleitung
4.2. Zielgruppen der Pflegeüberleitung
4.3. Zielstellung / Ablauf der Pflegeüberleitung
4.3.1. Initiales Assessment
4.3.2. Differenziertes Assessment
4.3.3. Verschiedenste Assessments
4.3.4. Zielformulierung und -planung
4.3.5. Näheres zu FIM (Functional Independence Measure)
4.4.6. Näheres zu den ATL`s
4.4. Prozessmethodik
4.4.1. Prozessmethodische Merkmale
4.4.2. Prozess-Schnittstellen
4.4.3. Prozesse
4.4.4. Visualisierung von Prozessen
4.4.5. Patientenpfade
4.4.6. Statuspassagen
4.4.7. Anfangs- und Endpunkte der Pflegeüberleitung
4.5 Vorhandene Strukturen
4.5.1. Der Expertenstandard „Pflegeüberleitung“
4.5.2. Die Pflegeüberleitung
4.5.3. Der Sozialdienst
4.5.4. Verdrängungswettbewerb
4.5.5. Ethik des Helfens in der Pflege
4.7. Analyse Pflegeüberleitung/Überleitungspflege
4.7.1 Dokumentationsanalyse
4.7.2 Begriffsklärung
4.7.3 Fazit

5. Die Komponente Soziale Arbeit
5.1. Standpunktbestimmung
5.1.1. Sozialpädagogische Berufsethik
5.1.2. Professionelles Handeln
5.2. Aufgaben der Sozialarbeit
5.3. Ablauf der Prozesse im stationären Bereich Fallbeispiel
5.3.1. Prozessanalyse für die Übergangsbegleitung
5.3.2. Interventionsebenen
5.3.3. Prozess Beratung
5.3.4. Prozess Begleitung
5.3.5. Prozess Betreuung
5.3.6. Prozess Bildung
5.4. Herleitung von erforderlichen Kompetenzen für die Übergangsbegleitung
5.4.1. Das Kompetenzmodell
5.4.3. Ressourcen-Kompetenz-Performanz-Modell
5.6. Performanz bei der Übergangsbegleitung
Gemeinsame Performanz
Überschneidungsbereiche Übergangsbegleitung und Pflegeüberleitung
Kernaufgaben der Übergangsbegleitung
Kernaufgaben der Pflegeüberleitung
Fazit: Pflege näher am Patienten – Kritische Hinterfragung
5.7. Systemische Betrachtung – Im Kontext der Familie

6. Synthese zur Übergangsbegleitung
6.1. Zitiert aus der Fachliteratur
6.1.1. Schnittstellen
6.1.2 Fallbeispiel- Folgerungen im Kontext der Übergangsbegleitung
6.2. Zielformulierung der Übergangsbegleitung
6.2.1. Der Pflegerische Teil bei der Übergangsbegleitung
6.2.2. Der Soziale Teil bei der Übergangsbegleitung
6.3. Fazit: Der Übergangs- Manager

7. Resümee des 1. Teils:

Präambel

„Der Umbau des Gesundheitswesens erfordert von allen Beteiligten ein Umdenken. Zunehmend komplexere Gesundheitsprobleme von chronisch kranken und multimorbiden Patienten mit einem hohen Bedarf an pflegerischer Unterstützung haben in den letzten Jahren zu der Notwendigkeit geführt, die Entlassungsvorbereitung zu optimieren und die Kooperation aller im Krankenhaus tätigen Berufsgruppen zu etablieren. Die sektorale Erbringung von Leistungen wird in der gewohnten Form allein schon aus wirtschaftlichen Aspekten nicht mehr möglich sein. Bisher ist eine Abgrenzung der einzelnen Leistungsbereiche in vielen Kliniken noch Alltag, jeder fragt zunächst danach, ob er bzw. der Andere zuständig ist. Die Auslegung folgt in erster Linie der Logik eigener Vorstellungen und Interessen.

Die Beratung von Patienten und Angehörigen in Fragen der nachstationären pflegerischen Versorgung ist traditionell ein Aufgabengebiet des Sozialen Krankenhausdienstes. In den zurückliegenden Jahren wurde in vielen Krankenhäusern Pflegeüberleitung als neues Dienstleistungsangebot installiert. Auf diese neue Situation müssen sich beide Bereiche, Klinische Sozialarbeit und Pflegeüberleitung, einstellen.

Notwendig ist eine Offensive, die deutlich macht, wie durch vernetzte Strukturen und multiprofessionelle Arbeitsbereiche die Qualität der Gesamtversorgung gesteigert werden kann. Ein koordiniertes und effektives Aufnahme- und Entlassungsmanagement, das alle pflegerischen, medizinischen und sozialrechtlichen Aspekte der notwendigen weiteren Betreuung erfasst und sicherstellt, ist zu einem zentralen Element der Krankenhausversorgung geworden. Pflegeberatung durch Pflegeüberleitung in ergänzender Fachkompetenz zur Klinischen Sozialarbeit sind heute unverzichtbare Dienstleistungen. Der Umbau eröffnet andererseits die Chance, sozialarbeiterisches Profil und die Notwendigkeit der Profession für die Gesamtversorgung zu verdeutlichen. Klinische Sozialarbeit und Pflegeüberleitung sind Funktionen, die sich ergänzen und bei einzelnen Aufgabenstellungen alternativ tätig werden können, deren Kernelemente aber unterschiedlich sind. Die Einbeziehung der Pflegeüberleitung ist notwendige Maßnahme für Patienten und deren Angehörige, bei denen ein komplexer Pflegebedarf vorliegt. Effektives Entlassungsmanagement ist das Zusammenwirken von Pflegeüberleitung und Klinischer Sozialarbeit, unter Einbeziehung anderer an der Versorgung beteiligter Berufsgruppen im Krankenhaus sowie im nachstationären Bereich. Beide Professionen können Prozess-Steuerung

übernehmen und arbeiten einander zu. Im Zuge der weiteren Verkürzung der Verweildauer werden Patienten künftig mit umfassenderen und komplexeren Pflege- und Versorgungsdefiziten entlassen und der Bedarf an qualifizierter Überleitung in die Nachbetreuung wird weiter steigen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, können beide Berufsgruppen in enger Kooperation die Bedarfe der Patienten/Angehörigen nach Beratung und Unterstützung aufgreifen und die neue Herausforderung annehmen. So wird nicht nur für die betreuten Patienten eine Verbesserung ihrer Versorgung herbeigeführt, sondern für die Klinik wie auch für die Kostenträger der so genannte „Drehtüreffekt“ minimiert.“

(Diskussionspapier einer Arbeitsgruppe in Baden-Württemberg „Zusammenarbeit von Klinischer Sozialarbeit und Pflegeüberleitung“)

1. Einleitung

Die Gesundheit ist das höchste Gut in einer leistungsorientierten Zeit. Sie ist die Voraussetzung für den Arbeitnehmer, seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Jedoch ist die Krankheit ein Bestandteil von Gesundheit und in der ganzheitlichen Betrachtungsweise des Menschen ein Alarmsignal des Körpers. Es ist die Reaktion eines komplexen biochemischen Systems, welches adaptiv auf eine veränderte Umwelt reagiert. Eine zunehmende Überforderung oder auch Unfähigkeit dieses Systems lässt jedoch Krankheitsbilder auftreten, welche medizinische aber auch zu einem nicht unerheblichen Teil sozialpsychologische Intervention benötigen.

Mit Einführung der Diagnosis Related Groups (DRG) wurde die Pflegeüberleitung (oder auch Überleitungspflege, Übergangspflege oder Brückenpflege genannt) eingerichtet. Sie soll den Prozess von stationärer nach ambulanter Verlegung administrativ begleiten und im interdisziplinären Kontext der Professionen und Gruppen von Arzt, Pflegeteam, Patient und Angehörige stattfinden. Das Konzept der Pflegeüberleitung ist deutlich im Kontext zwischen Arzt und Pflege angesiedelt. Es werden pflegerelevante Daten während eines Krankenhausaufenthaltes erhoben und für den Patienten bedarfsgerechte Überleitungen geplant und durchgeführt. Die Profession der Sozialen Arbeit hat mit seinem Berufsverband dem Deutschen Berufsverband der Sozialarbeiter (DBSH) bzw. dem Deutschen Berufsverband Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DBSG) ein Positionspapier zum Anliegen der Pflegeüberleitung verfasst. Darin wird der Einwand aufgeworfen, dass die Soziale Arbeit mit seiner Fach- und Sozialkompetenz im Prozess der Pflegeüberleitung nicht fehlen darf. Diese Problematik der Implementierung des Kliniksozialdienstes bzw. der Sozialen Arbeit möchte diese Diplomarbeit in zwei Teilen bearbeiten. Im 1. Teil soll durch wissenschaftliche Literaturrecherche und Wissensverdichtung, der Bedarf und die Notwendigkeit verdeutlicht werden. Außerdem wird anhand von Prozessanalysen und Kompetenzprofilen für die Soziale Arbeit eine Beteiligung am Prozess der Überleitung bzw. der Begleitung von Statuspassagen von Patienten erarbeitet. Im 2. Teil der Diplomarbeit wird Frau Hecht einen Leitfaden zur Umsetzung und Implementierung der Übergangsbegleitung erarbeiten und konkret in einem ambulanten Pflegedienst installieren und erproben. Wir möchten im Ergeb- nis den Begriff der Übergangsbegleitung[1] prägen und näher definieren. Im zweiten Teil wird versucht den Ansatz der Übergangsbegleitung in einem ambulanten Pflegedienst zu installieren und zu erproben. Erst in dieser praktischen Umsetzung wird es möglich sein, meine aufgestellten Thesen und Ansätze zu problematisieren und im multiprofessionellen Kontext zu entwickeln.

Grundsätzlich möchten wir mit diesem Ansatz für die Soziale Arbeit nicht als Konkurrenz zur Profession der Ärzte und Pflege verstanden werden. Im Gegenteil, wir möchten den multidisziplinären Prozess anregen und mit einem Leitfaden für den Prozess der Übergangsbegleitung bereichern.

Die Zielsetzung dieser Diplomarbeit ist das Herauskristallisieren von Fachkompetenzen der Sozialen Arbeit, welche für eine multiprofessionelle Pflegeüberleitung im Sinne einer Übergangsbegleitung notwendig sind. Als Grundlage dazu wird in Kapitel 2 eine IST-Analyse, die die derzeitige Situation des deutschen Gesunheitssystems widerspiegelt, vorgelegt. Als weitere Grundlagen werden in Kapitel 3 Kennzahlen und Gesetzte behandelt. Weiterhin wird genauer auf die DRG`s und deren Abrechnung eingegangen, denn die DRG`s beinhalten die Auslösefaktoren für die Überleitungspflege. In Kapitel 4 werde ich auf die Umsetzung der Pflegeüberleitung eingehen. Genauer wird dort ein Assessment-Instrument der Pflege beschrieben, da nur sie in diesem Bereich Assessment`s zur Verfügung hat. Um später die Prozesse der Sozialen Arbeit genauer beschreiben zu können, gehe ich dann auf Prozessmethodische Elemente ein. Die Soziale Arbeit versteht sich in ihren Methoden jedoch mehr Fallbezogen, aber durch diese Betrachtung wird es möglich sein, Prozessbezogene Ansätze zu finden. In Kapitel 5 wird die Soziale Arbeit näher behandelt. Wichtig in diesem Kapitel ist die Prozessanalyse der vier Grundformen pädagogischen Handelns: Beratung, Begleitung, Betreuung und Bildung. Anhand eines Fallbeispieles wird es möglich sein, diese Prozesse näher zu analysieren und daraus erforderliche Kompetenzen für die Übergangsbegleitung herzuleiten. Hierzu dienen zwei Modelle, welche die Kompetenzen und die Performanz näher beschreiben. Zuletzt können Kernaufgaben und Überschneidungsbereiche von Pflegeüberleitung und Übergangsbegleitung erarbeitet werden. In Kapitel 6 wird die Übergangsbegleitung abstrakt entwickelt und der Übergangs-Manager

eingeführt. An dieser Stelle soll aber nur eine erste Formulierung der Übergangsbegleitung abgegeben sein. Frau Hecht wird diese präzisieren und am konkreten auf die spezifischen Anforderungen im Arbeitsfeld an der Schnittstelle zwischen ambulanten Pflegdienst und Krankenhaus für die Soziale Arbeit anpassen. Ein Fazit dieser Diplomarbeit, welche durch seine Zweiteilung einen größeren Rahmen erfassen soll, kann am Ende des 1. Teils nur innerhalb des Rahmens der Wissensansammlung und an der Prozessanalyse und Kompetenz-Performanz Betrachtung erfolgen.

2. Ist-Analyse

Zum Einstieg in die Diplomarbeit soll eine Ist-Analyse aus dem Gutachten des Sachverständigenrates zitiert werden. Dieser Auszug gibt einen Überblick über das Deutsche Gesundheitssystem und konkretisiert Fehlstände, die für die Herleitung einer überarbeiteten Pflegeüberleitung durch das Arbeitsspektrum der Sozialen Arbeit nötig sind.

2.1. SACHVERSTÄNDIGENRAT für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen

Die Analysen des Rates zeigen, dass die derzeitige Versorgungssituation bei zahlreichen chronischen Krankheiten deutlich von den formulierten Anforderungen abweicht. Hierbei lassen sich über unterschiedliche Krankheiten hinweg konvergente Muster von Über-, Unter- und Fehlversorgung erkennen, die offenkundig auf eine begrenzte Zahl von überholten Paradigmen und Versorgungsgewohnheiten zurückzuführen sind:

1. Dominanz der akutmedizinischen Versorgung; Vernachlässigung von Prävention und Rehabilitation chronisch Kranker.
2. Unzureichende Berücksichtigung der sozialen, psychischen, lebensweltlichen und biographischen Bezüge chronisch Kranker und ihrer Angehörigen („somatische Fixierung").
3. Aktiv-/Passiv-Problematik: Der chronisch Kranke wird als passiver Empfänger von medizinischen Leistungen betrachtet. Im Zentrum der passiven Behandlung stehen dementsprechend Reparatur, Kur und Schonung.
4. Unzureichende Schulung, Information und Partizipation des Patienten und seiner Bezugspersonen.
5. Mangel an interdisziplinären und flexiblen Versorgungsstrukturen.
6. Abweichen von Grundsätzen einer evidenzbasierten Versorgung.
7. Inadäquate Anreizsysteme, die chronisch Kranke für die Krankenkassen und Leistungserbringer zu einem „schlechten Risiko“ machen.
8. Unzureichende Berücksichtigung der speziellen Versorgungsbedürfnisse chronisch Kranker in der Qualifikation und Sozialisation der Gesundheitsberufe.

Ein nachhaltiger Abbau von Über- und Fehlversorgung sowie eine angemessene neue Ausbalancierung von Prävention, Kuration und Rehabilitati- on in der Versorgung chronisch Kranker erfordert eine längerfristige Umsteuerung des Gesundheitssystems durch eine mehrschrittige, aber in ihren Zielen beständig angelegte Gesundheitspolitik. Sie verlangt eine grundlegende Änderung von Strukturen, Anreizen, Wissen und Werten.

Verantwortlich für diese unbefriedigende Versorgungssituation sind nach wie vor bestehende organisatorische und strukturelle Schwierigkeiten, die einer flächendeckenden Umsetzung fachlich begründeter Konzepte in Deutschland im Wege stehen. Neben den bekannten, einer Versorgungsoptimierung hinderlichen organisatorischen, informationellen und finanziellen Grenzen zwischen Sektoren, Institutionen und Professionen bestehen auch Grenzen zwischen KV-Bereichen und zwischen den einzelnen Kassenarten bzw. Krankenkassen. Es ist u. a. diese „Kleinstaaterei“ mit einem unübersichtlichen „Flickenteppich“ vorhandener oder fehlender Initiativen, welche die Umsetzung der im SGB V geforderten gleichmäßigen und qualitätsgleichen Versorgung behindert. Der einseitig kurativen Versorgung chronisch Kranker liegt das derzeit dominierende traditionelle Modell eines „sequentiellen Krankheitsverlaufs“ zugrunde, demzufolge Gesundheitsförderung, Prävention, Kuration, Rehabilitation und Pflege nacheinander geschaltete Maßnahmen darstellen. Die für komplexe chronische Erkrankungen sowie für chronisch kranke, alte Menschen typische Multimorbidität beinhaltet jedoch unterschiedliche Arten und Phasen von Kranksein und Behinderung nebeneinander, aber immer zugleich verbleibende oder erweiterungsfähige Potenziale selbstkompetenten Handelns und Helfens. Die gleichzeitige Präsenz mehrerer Gesundheitsstörungen in unterschiedlichen Stadien erfordert daher die gleichzeitige und gleichberechtigte Anwendung und Verzahnung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung, Prävention, Kuration, Rehabilitation und Pflege.

Die Betroffenen-Organisationen beklagen, dass von den Leistungserbringern die psychosoziale Belastung durch eine chronische Krankheit häufig unterschätzt wird. Oftmals unterbleibt in der ärztlichen Praxis eine ausreichende Information über vorhandene psychosoziale und pädagogische Unterstützungsangebote (u. a. auch deshalb, weil viele Ärzte selbst unzureichend informiert sind). Darüber hinaus würden sich viele chronisch Kranke und ihre Angehörigen mit belastenden Diagnosen alleingelassen fühlen. Eine zu einseitige somatische Orientierung wurde auch im Hinblick auf die Leistungen der Pflegeversicherung konstatiert. Kritisiert wurden hier die feh- lende Abrechenbarkeit psychosozialer Leistungen und das Fehlen von Anlaufstellen für pflegende Angehörige.

Die Organfixierung und die sich daraus ableitende Eindimensionalität der medizinischen Versorgung basiert nach Auffassung des Rates auch auf dem Vorherrschen eines „ätiologischen“ Krankheitsverständnisses, das sich an der biomedizinischen Pathogenese und Therapie akuter Krankheiten (historisch v. a. von Infektionskrankheiten) orientiert. Dieses einseitig biomedizinische Krankheitsverständnis wird dem in westlichen Ländern dominierenden Spektrum multifaktoriell determinierter chronischer Krankheiten nicht gerecht und bedarf der Komplettierung durch ein „konditionales“ Krankheitskonzept, das psychosoziale, umwelt- und verhaltensbezogene Faktoren angemessen berücksichtigt. Diese Überlegungen sind nicht neu, sondern das Ergebnis eines jahrzehntelangen Entwicklungs-, Lern- und Anpassungsprozesses, wobei die entstandenen Modelle eng mit der Veränderung des Krankheitspanoramas (Verschiebung zu chronischen Erkrankungen) zusammenhängen. Allerdings haben die historisch gewachsenen Strukturen der medizinischen Ausbildung und Versorgung ein hohes Beharrungsvermögen; sie hinken den demographischen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen, aber auch dem sich ändernden Morbiditätsspektrum und den lebensweltlichen Bezügen der Patienten hinterher.

Die somatische Fixierung zeigt sich besonders deutlich in der Versorgung psychisch Kranker. Leichtere, den Patienten und seine Umgebung nichtsdestotrotz stark belastende, psychische Erkrankungen werden häufig bagatellisiert, schwer psychisch kranke, oftmals psychotische Patienten hingegen stigmatisiert.

Zitiert aus dem Gutachten 2000/2001 vom SACHVERSTÄNDIGENRAT für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, „Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit“, Band III, Über-, Unter- und Fehlversorgung

2.2. Die Reform in Gesundheit und Politik

Um den Zusammenhang zur Einführung der DRG`s und dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz zu erkennen und die verfolgten Strategien der Krankenversicherer und Politiker zu hinterfragen, ist es wichtig auf den Prozess der Veränderung in unserer Gesellschaft einzugehen. Dazu möchte ich folgend auf Kontextfaktoren eingehen.

2.2.1. Demografie-Sozialsysteme

"Der demographische Wandel führt zu gravierenden Veränderungen in allen Lebensbereichen - er wird aber nicht zur Katastrophe, wenn jetzt den politischen Handlungsempfehlungen der Enquetekommission gefolgt wird." Mit diesen Worten hat der Vorsitzende der Enquetekommission "Demographischer Wandel" des Deutschen Bundestages, Walter Link, unverzüglich politische Konsequenzen aus dem sich in den nächsten Jahrzehnten dramatisch ändernden Altersaufbau der deutschen Bevölkerung gefordert. Der Bericht analysiert das Verhältnis der älteren Generation in der Familie, die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt bei knapper werdendem Arbeitsangebot, neuen Chancen für Frauen und die ältere Generation, produktiv tätig zu sein, die Folgen für das Alterssicherungssystem sowie für die Gesundheits- und Pflegepolitik. Dramatisch sind die Folgen für die Einnahmenentwicklung der Krankenkassen: Bei konstantem Beitragssatz gehen die Einnahmen im günstigsten Fall bis 2050 nur um zwölf Prozent, im schlechtesten Fall um bis zu 28 Prozent zurück. Die ungünstigste Prognose für den Beitragssatz lieferte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung: 34 Prozent im Jahr 2040, allerdings unter Einbezug des medizinischen Fortschritts (In: Ärzte Zeitung, 25.04.2002).

Wertet man die Vorraussagen der Entwicklung im stationären Bereich aus, dann ist erkennbar, dass die Krankenhaustage zunehmen und die Ausgaben der GKV überproportional ansteigen. Besonders im Patientenalter ab dem 60. Lebensjahr werden die Leistungsausgaben signifikant steigen, siehe Tabelle 1.

Tabelle 1: Demografisch bedingte Entwicklung der Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland bis 2030

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Begründet aus dem demographischen Wandel, gerät die Finanzierung der Sozialsysteme zunehmend unter Druck. Verschärfend wirken außerdem der Anstieg von chronischen Erkrankungen und Behinderung (Wilkinson 2001, Rosenbrock 2002, S.64) und die abnehmende Leistungsfähigkeit primärsozialer Netze, wie Familie, Nachbarschaft und Freundeskreis, im Zuge der gesellschaftlichen Individualisierung (Beck 1986, S.96). Als weiterer Kostensteigerungspunkt kommen neue Diagnose – und Behandlungsverfahren, die häufig teurer sind als ihre Vorgänger hinzu (Bauch 1999, S. 54). Resultierend aus der demographischen Entwicklung und dem wachsendem Haushaltsdefizit, gerät das Gesundheitssystem in eine Unterfinanzierung und zunehmend an seine Grenzen (Badura 1996, S.34). Anlass zur Reform gab außerdem die fehlende Qualitätssicherung. Es kommt zu Über-, Unter- und Fehlversorgung der Patienten da kein geeignetes Messinstrument Aussagen über Wirksamkeit und Effizienz machen kann. Aufgrund unzureichender Vernetzung verschiedenster Fachrichtungen im stationären als auch im ambulanten Bereich, werden weiter Kosten durch Doppeluntersuchungen oder weiteren Therapieversuchen verursacht.

2.2.2. Demografie-Bevölkerungsentwicklung

„Im Jahre 2050 wird jeder Dritte in Deutschland 60 Jahre oder älter sein.“ Dies ist das Ergebnis der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2003 (www.destatis.de/ presse/deutsch/pm2003/p2300022.htm, Stand 1.3.2003).

Konkret bedeutet das eine erhebliche Verschiebung des zahlenmäßigen Verhältnisses von jungen und alten Menschen. Die Anzahl der unter 20jährigen wird von momentan 17 Millionen auf 12 Millionen im Jahr 2050 zurückgehen. Der prozentuale Anteil dieser Bevölkerungsgruppe liegt dann bei 16% (2001: 21 % der Bevölkerung). Im Gegensatz dazu wird die Gruppe der Personen mit einem Lebensalter von mindesten 60 Jahren mehr als doppelt so groß sein (37 % bzw. 28 Millionen). Hinzu kommen die Menschen die 80 Jahre und älter sind. Im Jahr 2050 wird deren Anteil von 3,2 Millionen bzw. 3,9 % (2001) auf 9,1 Millionen Personen bzw. 12 % der Bevölkerung ansteigen, also fast um das Dreifache (www.destatis.de/presse /deutsch/pm2003/p2300022.htm, 2003). Hundert Menschen im erwerbsfähigen Alter (von 20 bis 59 Jahren) stehen dann 78 Personen im Rentenalter gegenüber. 1995 lag dieser so genannte Altenquotient bei 37, d. h. 100 Erwerbsfähigen standen 37 Rentner gegenüber. Derzeit (2001) ist der Quotient schon bei 44. In diese Berechnung wird das derzeitige durchschnittliche Rentenzugangsalter von 60 Jahren einbezogen. Eine Veränderung dieser Größe, also die Anhebung des Ruhestandeintritts auf 65 Jahre und somit das Einbeziehen der 60- bis 65jährigen in das Erwerbs- und nicht das Rentenalter würde eine Altenquotienten von 55 im Jahr 2050 ergeben (www.destatis.de/presse/deutsch /pm2003/p2301022.htm, Stand: 1.3.2003).

3. Grundlagen im Gesundheitswesen

3.1. Kennzahlen der Krankenhausversorgung

Laut Krankenhaus-Report sank die Zahl der Kliniken in Deutschland 2003 gegenüber dem Vorjahr um 1,1 Prozent auf 2.197 Krankenhäuser. 17,3 Millionen Fälle wurden behandelt. Damit sank die Fallzahl um 0,8 Prozent – erstmals seit Beginn der bundeseinheitlichen Krankenhausstatistik. Gleichzeitig zeigen sich bei ambulanten (+25,8 Prozent), teil- und vorstationären Leistungen (+33,5 Prozent bzw. +21,2 Prozent) deutliche Anstiege gegenüber dem Vorjahr. Die durchschnittliche Verweildauer lag bei 8,9 Tagen (2002: 9,2 Tage). Die Zahl der Betten betrug 541.901, das entspricht 657 je 100.000 Einwohner (–1,0 Prozent), die Betten waren nur noch zu 77,6 Prozent (2002: 80,1 Prozent) ausgelastet. Die Auslastung liegt damit deutlich unter der Planungsgröße von 85 Prozent. In Betten umgerechnet, ergibt sich hieraus ein Bettenüberhang von über 47.000 Betten. (Krankenhausreport 2005, S. 24ff.)

3.2. Gesetzliche Verankerungen

Mit dem Inkrafttreten der Gesundheitsreform im Jahr 2000 sind zahlreiche Schlagworte durch die Medien verbreitet worden. Hinter diesen neuen Formulierungen verstecken sich jedoch die Bemühungen, bestehende Ineffektivitäten und Ineffizienzen des deutschen Gesundheitssystems zu begegnen. Der Gesetzgeber war gezwungen angesichts der starren Strukturen und der ungenügenden Transparenz des Gesundheitssystems Gesetzesvorgaben zu verabschieden, damit weiterhin ein hoher Gesundheitsstandard/ -versorgung geleistet werden kann.

Im Folgend möchte ich die entscheidenden Gesetzeserlasse näher erläutert. Sie sind Grundlage für die Pflegeüberleitung/ Überleitungspflege.

3.2.1. § 140 SGB V „Integrierte Versorgung“

Bisher war im deutschen Gesundheitswesen ambulante (Arztpraxis) und stationäre (Krankenhaus) Versorgung voneinander getrennt. Das betrifft zum Beispiel Zuständigkeiten, Verantwortung und auch die Bezahlung. In der Gesetzesregelung von § 140a-d SGB V wird die „Integrierte Versorgung“ definiert. Sie wird als eine über „verschiedenen Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten“ angelegt. Der Gesetzgeber verfolgt dabei das Ziel, den Informationsfluss durch Verzahnung von statio-

nären, nachstationären und ambulanten Leistungsanbietern zu optimieren und schafft gute Voraussetzungen für den Einstieg in den Vertragswettbewerb im deutschen Gesundheitssystem. Dabei sollen die Belange der Patienten und Pflegebedürftigen den Mittelpunkt des Versorgungsgeschehens bilden. (Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit, 2002). Die Integrierte Versorgung steht demnach für eine Vernetzung zwischen den einzelnen medizinischen Versorgungssektoren. Das bedeutet zum Beispiel: Niedergelassene Haus- oder Fachärzte arbeiten gemeinsam mit stationären Einrichtungen, kooperieren bei der Behandlung ihrer Patienten und teilen sich gegebenenfalls ein gemeinsames Budget. Integrierte Versorgung ist eine Form der medizinischen Versorgung, die bislang keine große Rolle im deutschen Gesundheitswesen gespielt hat. Jedoch wird die Integrierte Versorgung zunehmend in Projekten umgesetzt und erlangt
an Bedeutung. Aus Gesamtdeutscher Sicht wurden schon über 800 Verträge zwischen Leistungsanbietern und Krankenkassen geschlossen. Die Integrierte Versorgung wird zunehmend die Trennung der Versorgungsbereiche überbrücken, denn durch verbesserte Kommunikationsstrukturen soll erstens die Qualität des Leistungsprozesses optimiert werden, um die Patientenzufriedenheit zu steigern und zweitens Ergebnisse des Leistungserbringers optimiert werden. Unter weiterer Ausnutzung vom Konzept der Integrierten Versorgung können Synergiepotenziale und bessere Ressourcennutzung zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit beitragen. Ebenso wird es möglich, zusätzliche Nachfrage zu befriedigen und ein gemeinsames Marketing zu betreiben. (Disease-Management-Programme, Heide, O., Reschke, P.,C., 2004)

Erreicht werden diese Ziele durch das „Hausarztmodell“. Grundgedanke dabei ist, dass der Hausarzt erster Ansprechpartner des Patienten ist und sein "Lotse" durch das Gesundheitssystem ist. Studien zeigen, dass Behandlungen durch verschiedene Fachärzte dann bessere Ergebnisse liefern, wenn sie von Hausärzten koordiniert werden. Zum Beispiel stimmt der Hausarzt alle von den Fachärzten verordneten Medikamente aufeinander ab und prüft, ob sie miteinander verträglich sind. Wer an diesem Modell teilnimmt, wählt den Hausarzt als ersten Ansprechpartner für alle Gesundheitsfragen – Behandlungen durch Fachärzte erfolgen aber selbstverständlich ohne Verzögerung, wenn ein medizinischer Bedarf besteht. Dieses Vorgehen erspart Aufwand, Zeit und Kosten - das Hausarztmodell ist deshalb ein

wichtiger Schritt zu einem effizienten und bezahlbaren Gesundheitssystem. (http://www.dak.de/content/dakinnovation/hausarztmodell.html, Stand: 20.6.06)

Modelle der integrierten Versorgung werden z.B. im Universitätsklinikum in Hamburg Eppendorf zusammen mit der DAK entwickelt und Verträge mit anderen Dienstleistungsanbietern geschlossen. Sie sollen „ bislang weitgehend abgeschottete Versorgungsbereiche miteinander vernetzen und eine Qualitätspartnerschaft zum Wohle des Patienten erlangen. Der Patient wird damit wieder zum Dreh- und Angelpunkt des Medizinbetriebs.“ Programm der DAK zur Integrierten Versorgung (http://www.dak.de/content/ dakinnovation/integriert.html Stand: 22.6.06)

3.2.2. § 17a Krankenhausfinanzierungsgesetz

In den vergangenen Jahren ist in der Bundesrepublik insbesondere zwischen den Kostenträgern und den Krankenhäusern bzw. der Deutschen Krankenhausgesellschaft sehr kontrovers diskutiert worden, ob und ggf. in welchem Umfang es Fehlbelegungen in der stationären Versorgung von Patienten gibt. In Art.17 des Pflegeversicherungsgesetzes vom 26.Mai 1994 (BGBl.I S.10/14) wurde in das Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) in der Fassung vom 10.April 1991 (BGBl.I S.886) als §17a eine neue Vorschrift eingefügt, die insbesondere folgende Regelungen zum Abbau von Fehlbelegungen vorsieht: „ Die Verpflichtung der Krankenhausträger sicherzustellen, dass keine Patienten in das Krankenhaus aufgenommen werden oder dort verbleiben, die nicht oder nicht mehr der stationären Krankenbehandlung bedürfen.“ (§17a KHG)

Hier wird deutlich, dass Krankenhäuser dem Zwang ausgeliefert sind, ihre Patienten möglichst schnell zu entlassen und an nachstationäre Leistungserbringer zu übergeben.

3.2.3. § 17 b Krankenhausfinanzierungsgesetz

Durch Absatz 1 und 3 ist für die Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschaliertes Vergütungssystem eingeführt worden. Gemäß §17b Abs. 2 KHG wird dessen jährliche Weiterentwicklung, Kostenentwicklung, Verweildauerverkürzung und Leistungsverlagerung zu oder von anderen Versorgungsbereichen vereinbart. Gemäß §9 Abs. 1 Nrn. 1-3 KHEntgG wurde ein Fallpauschalenkataloge nach §17 Abs. 1 Satz 10 KHG,

ein Katalog ergänzender Zusatzentgelte nach §17b Abs. 1 Satz 12 KHG sowie die Abrechnungsbestimmungen für diese Entgelte vereinbart. (Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2006, Dtsch. Krankenhausgesellschaft Berlin)

3.2.4. Koalitionsvertrag

Im Kapitel IV Nr. 8. Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung bleibt ein zentraler Baustein der sozialen Sicherungssysteme. Die solidarische Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit mit dem Leitbild einer menschlichen Pflege wird auch in Zukunft gewährleistet sein. Die Pflegeversicherung muss jedoch – wie auch die anderen sozialen Sicherungssysteme – den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden. Dies gilt insbesondere für die demographische Entwicklung. Auch für die soziale Pflegeversicherung gilt der Maßstab, dass die erwerbstätige Generation nicht überfordert werden darf. Eigenverantwortung und Eigeninitiative müssen gestärkt werden und Solidarität ist nicht nur innerhalb der einzelnen Generationen, sondern auch zwischen den Generationen gefordert. Dabei kommt der Bereitschaft zur Selbsthilfe und zum ehrenamtlichen Engagement besondere Bedeutung zu.

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist ein Gesamtkonzept der Betreuung und Versorgung pflegebedürftiger, behinderter und alter Menschen notwendig. Leistungen müssen darauf ausgerichtet sein, Behinderungen, chronischen Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit entgegen zu wirken. Der medizinischen Rehabilitation kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Deshalb muss insbesondere der Grundsatz "Prävention und Rehabilitation vor Pflege" gestärkt werden. Pflegebedürftigkeit darf nicht dazu führen, dass erforderliche Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Teilhabe nicht erbracht werden.

3.2.5. Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG)

Mit dem GMG sollen die Krankenkassen allein 2004 um rund zehn Milliarden Euro entlastet werden. Die Einsparungen werden zum einen zum Abbau der insgesamt rund acht Milliarden Euro Schulden, zum anderen zur Beitragssenkung verwendet. Eine Vielzahl von Reformen wurden verabschiedet. Darunter auch das:

Fallpauschalengesetz

In der GKV-Gesundheitsreform 2000 war festgelegt worden, dass die Krankenhäuser auf leistungsorientierte Entgeltsysteme umgestellt werden sollten. Das Fallpauschalengesetz §17b KHG sah nun vor, dass die Kliniken von 2003 an die neuen Vergütungsformen allmählich einführen konnten. Grundlage sollten so genannte diagnosis related groups (DRG`s) sein. Die Umstellung auf die DRG`s erfolgt in den nachfolgenden Jahren stufenweise, der Abschluss auf gesetzlicher Ebene rechtzeitig festgesetzt werden.

3.3. DRG`s – Diagnosis Related Groups

Die Australian Refined Diagnosis Related Groups (AR-DRG`s) wurden als Grundlage für die Entwicklung eines deutschen DRG-Systems ausgewählt.

Im November 2000 wurde zwischen Deutschland und Australien ein Vertrag über die Nutzung des australischen DRG-System geschlossen. Mit der Anpassung und der Weiterentwicklung auf deutsche Verhältnisse werden aus den AR-DRG´s die German Diagnosis Related Groups (G-DRG). Nachfolgend immer DRG`s genannt. Mit der Einführung der DRG`s auf Basis der GKV-Gesundheitsreform 2000 wurde eine Neufassung des §17 KHG verabschiedet. Wie weiter oben schon beschrieben. Es wurde damit ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschaliertes Vergütungssystem für Krankenhäuser ab 2003 eingeführt. Zur Adaption eines deutschen Fallpauschalensystems wurde die Selbstverwaltung von GKV, PKV und DKG vereinbart. Was war die Zielsetzung für die Einführung dieses Systems?

1. Es wurde mehr Transparenz über das Leistungs- und Kostengeschehen gefordert
2. Die Stabilisierung der Ausgaben der GKV stand im Blickfeld
3. Leistungsbezogene Vergütung im Krankenhaus wurde angestrebt
4. Mehgmmen
5. Vergtspunkt
6. Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven
7. Wegfall des Tagessatzsystems, Einnahmen nicht durch Verlängerung der Verweildauer im Krankenhaus erhöhen
8. Abläufe optimieren und standardisieren
9. Schnittstellenorganisation, da die Versorgung zunehmend von stationär auf ambulant verlagert wird
10. Einbezug der vor- und nachstationären Behandlungsphasen die

außerhalb des Krankenhauses stattfinden

Zur Grundlage einer Herleitung der Übergangsbegleitung in der sozialen Arbeit, soll an dieser Stelle das Wesen der DRG`s näher erläutert werden. Denn sie bilden den Ausgangspunkt für anschließende Prozesse.

3.3.1. Abrechnung nach den DRG`s

Im Regelfall wird die Vergütung durch die Zuordnung einer Hauptdiagnose (DRG-H) gesteuert, welche hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist. Das bedeutet, dass die ursächliche Erkrankung und nicht das Symptom für die Abrechnung herangezogen wird.

Es werden durch die DRG`s Fallgruppen gebildet und mit kostenrelevanten Therapien und Behandlungen und Nebendiagnosen ergänzt. Durch jede erweiterte Behandlung erhöht sich die Vergütung. Auf die Kodierungen zur Erlösberechnung und auf weitere Faktoren, möchte ich hier nicht weiter eingehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 1. Das DRG-System (Prof. Dr. Scupin, 2005)

Für die Abrechnung und das weitere Verständnis sind

folgende Fixpunkte interessant:

- untere Grenzverweildauer (uGVWD)
Sie ist die Mindestverweildauer bei allen DRG`s und beträgt 1/3 der mittleren Verweildauer, mindestens aber 2 Tage. Wird diese unterschritten, wobei Aufnahme- und Entlassungstag jeweils ½ Tag zählen, werden Abzüge von dem Erlös einer DRG abgezogen.
- Mittlere Verweildauer (mVWD):
Wird aus den Daten die jährlich neu berechnet werden und durch die Budgetverhandlungen zwischen Krankenhaus und Kostenträgern festgelegt. Sie legt die durchschnittliche Verweildauer je nach Diagnose und Codierung nach den DRG`s fest.
- Obere Grenzverweildauer (oGVWD):
Wird die oGVWD überschritten so erhält das Krankenhaus tagesbezogene Zuschläge. Diese sind jedoch so gering, dass es sich nicht lohnt darauf zu spekulieren.
- Wiederaufnahme innerhalb der Gewährleistung d.h. innerhalb von 30 Tagen nach der Entlassung:

Komplikationen werden nicht bezahlt z.B. bei Wiederaufnahme innerhalb der Gewährleistung bei gleicher Codierung der DRG`s

3.3.2. Folgen der DRG`s

„Ökonomisch sinnvoll ist eine Entlassung von Patienten zwischen der uGVD und der mVD. Alles was darüber hinaus geht schmälert den Ertrag“. (Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2006, Dtsch. Krankenhausgesellschaft Berlin)

Die Erwartungen an die Wirkungsweise mit der Einführung eines pauschalierten Entgeldsystems waren im Besonderen auf die Senkung der Verweildauer der Patienten im KH gerichtet. Jedoch nimmt dementsprechend die Leistungsdichte, d.h. die Bettenbelegungshäufigkeit zu. Wirkungen auf das Anwachsen der Bedeutung von vor- und nachstationärer Versorgung, dabei sei nochmals auf die Gewährleistung hingewiesen, waren ebenso erwünscht. Mit der Umsetzung der DRG`s werden Spezialisierungen in den

KH z.B. in Spezialkliniken und Kooperationen zwischen KH und pflegenden Diensten zu erwarten und notwendig sein. Es ist daher eine ausgebildete Schnittstellenkompetenz der Krankenhäuser notwendig und die Betonung interdisziplinärer Behandlungsansätze zur Abrechnung nach den DRG`s erforderlich. Mehr Transparenz rückt die Wettbewerbsfaktoren qualitatives medizinisches Angebot, Patientenorientierung und Effizienz der Versorgung stärker in den Vordergrund. (Heide, O., Reschke, P.C., 2004, S. 123) Finanzpolitisch wird durch den Wegfall des Tagessatzsystems, wo nach der Belegungsdauer eines Krankenhausbettes bezahlt wurde, der Effekt das Einnahmen durch Verlängerung der Verweildauer erzielt werden können, beseitigt. Jedoch eröffnet die Bezahlung nach den DRG`s neue Anreize, deren ökonomische Grundlage zur Finanzpolitik des Krankenhauses, nun auf Kosten der Behandlung von Patienten gehen kann. Es besteht die Gefahr der Unterversorgung, da Patienten „quicker and sicker“ entlassen werden. (Jonitz, G., 2001, S.40)

Es sei aber auch auf andere sich ergebende Effekte hingewiesen, denn die DRG`s beinhalten Anreizmechanismen, die aus ökonomisch wirtschaftlicher Sichtweise eine Veränderung im Wesen der medizinischen Vorsorgung herbeiführen. So durch die spezifisch festgelegte Vergütung nach Krankheitssymptom und daran gekoppelter Grenzverweildauer (Behandlungszeit). Diese ist Anlass für die bekannte Diskussion um eine verfrühte Entlassung des Patienten „blutiger Patient“ und die Verlagerung von höherem Pflege- und Versorgungsbedarf in den Rehabilitationsbereich oder post-stationären Bereich. Betriebswirtschaftlich sind Anreize vorhanden nur schwere Fälle aufzunehmen bzw. diese in Spezialkliniken zu bündeln. Denn bei Krankheitsverläufen mit invasiven Maßnahmen, steigt der Vergütungssatz signifikant. Es wird vermutet, dass bis zu 20% der KH schließen müssen, da durch Festlegung von Mindestzahlen an Eingriffen, die durchgeführt werden müssen damit sie abgerechnet werden können, erreicht werden müssen. Somit nimmt die Spezialisierung und Zentralisierung zu. (Nicklas-Faust, J., 2004, S.28ff.)

[...]


[1] Es ist wichtig die Begriffe Pflegeüberleitung/Überleitungspflege inhaltlich von dem Begriff der Übergangsbegleitung zu trennen.

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
Übergangsbegleitung statt Überleitungspflege - Soziale Arbeit bei den Statuspassagen von Patienten in stationären Einrichtungen
Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
87
Katalognummer
V75326
ISBN (eBook)
9783638863971
ISBN (Buch)
9783638864497
Dateigröße
797 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Autoranmerkung: Der vorliegend veröffentlichte Teil 1 ist ein eigenständiges Werk und ohne Teil 2 verständlich. Teil 2 enthielt die praktische Umsetzung bzw. die Implementierung.
Schlagworte
Soziale, Arbeit, Statuspassagen, Patienten, Einrichtungen, Überleitungspflege, Soziale Arbeit in der Klinik, Übergangsbegleitung
Arbeit zitieren
Dipl. Sozialpädagoge Tobias Nachtrab (Autor:in), 2006, Übergangsbegleitung statt Überleitungspflege - Soziale Arbeit bei den Statuspassagen von Patienten in stationären Einrichtungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75326

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