Das Feld ethischer Konzeptionen ist weit und in vielerlei Hinsicht klaffen ebenfalls die Vorstellungen über diese weit auseinander. Es gibt wohl aber in praktischer Hinsicht vernünftigerweise nicht zurückweisbare Grundvoraussetzungen, die eine Moraltheorie zu leisten im Stande sein sollte. Ad hoc stellen sich meines Erachtens folgende Fragen an die Moral, die sich im Hange dieser Grundvoraussetzungen ergeben: I.) Ist die Theorie anwendbar? II.) Ist sie realisierbar? III.) Worin besteht für die Menschen die Motivation zur Befolgung dieser Moraltheorie?
In der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ sieht Kant die erste Frage durch die „Aufsuchung […] des obersten Prinzips der Moralität“ (Vgl. 392), des kategorischen Imperativs beantwortet. In seiner allgemeinsten Formel lautet er: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“. (GMS 421). Das Prinzip, dass uns Kant damit vorstellt, beansprucht also gewissermaßen Universalität seiner Kausalität, was ein äußerst wünschenswertes Kriterium an der Moral ist. Das bedeutet aber auch, dass Kant begründen muss - und damit kommen wir zur zweiten Frage -, wie dieses Prinzip sinnvoll zu bewerkstelligen ist und woraus der Universalitätsanspruch seine Geltung schöpft. Kant ist der Meinung, dass ein moralisches Gesetz „absolute Notwendigkeit bei sich führen“ und daher „von allem, was nur empirisch sein mag […], völlig gesäubert“ sein müsse (beide GMS 389). Um diesem Anspruch gerecht zu werden, untersucht er „die Idee und Prinzipien eines möglichen reinen Willens“ (GMS 390). Das Prinzip des reinen Willens - also der kategorische Imperativ - ist ausschließlich und hebt sich dadurch von hypothetischen, d.h. auf einen anderen Zweck als die Moral selbst gerichteten, Imperativen ab, dass es dem Willen des Vernunftwesens selbst entspringt. Warum wir uns aber dieses sittliche Gesetz selbst auferlegen sollten – womit wir bei der Frage nach der Motivation zum moralischen Handeln angelangt wären – ist damit noch nicht gesagt. Diese Frage, auf die Kant vor allem im dritten Abschnitt der GMS versucht eine Antwort zu geben, ist der größere Gegenstand dieser Untersuchung. Im Hange aber des Titels dieser Untersuchung – „Die GMS: brauchbare Moral oder Ideal und Hirngespinst?“ -, der sich aus Kants Frage, „wie […] ein kategorischer Imperativ möglich [sei]“ (GMS 453), ergibt, wird die Untersuchung nicht umhin kommen, in einem Exkurs noch den Bereich der Anwendbarkeit des kategorischen Imperativs kurz zu umreißen.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung.
2.1 Warum gilt der kategorische Imperativ?
a) Warum können Menschen moralisch sein?
2.1.1 Das Fundament für die Möglichkeit zur Beantwortung der Frage nach der Gültigkeit des kategorischen Imperativs. - Das Verhältnis von Autonomie und Moral.
2.1.2 Warum ist der autonome Wille ein freier Wille? - Die Idee der Freiheit.
2.1.3 Können Menschen überhaupt frei sein? - Der Mensch im Spannungsfeld zwischen Determinismus und Freiheit.
b) Warum sollten Menschen moralisch sein?
2.1.4 Vom Interesse am und der Möglichkeit des kategorischen Imperativs. - Die Geltungsfrage und die äußerste Grenze der praktischen Philosophie.
2.1.5 Fragen im Anschluss an die Deduktion des kategorischen Imperativs.
2.2 Exkurs: Praxisferner Imperativ? - Der Bereich der Anwendbarkeit des kategorischen Imperativs.
3. Fazit und Schlussanmerkungen.
4. Literatur.
1. Einleitung
Das Feld ethischer Konzeptionen ist weit und in vielerlei Hinsicht klaffen ebenfalls die Vorstellungen über diese weit auseinander. Es gibt wohl aber in praktischer Hinsicht vernünftigerweise nicht zurückweisbare Grundvoraussetzungen, die eine Moraltheorie zu leisten im Stande sein sollte. Ad hoc stellen sich meines Erachtens folgende Fragen an die Moral, die sich im Hange dieser Grundvoraussetzungen ergeben: I.) Ist die Theorie anwendbar? II.) Ist sie realisierbar? III.) Worin besteht für die Menschen die Motivation zur Befolgung dieser Moraltheorie?
In der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“1 sieht Kant die erste Frage durch die „Aufsuchung […] des obersten Prinzips der Moralität“ (Vgl. 392), des kategorischen Imperativs beantwortet. In seiner allgemeinsten Formel lautet er:
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“. (GMS 421). Das Prinzip, dass uns Kant damit vorstellt, beansprucht also gewissermaßen Universalität seiner Kausalität, was ein2 äußerst wünschenswertes Kriterium an der Moral ist. Das bedeutet aber auch, dass Kant begründen muss - und damit kommen wir zur zweiten Frage -, wie dieses Prinzip sinnvoll zu bewerkstelligen ist und woraus der Universalitätsanspruch seine Geltung schöpft. Kant ist der Meinung, dass ein moralisches Gesetz „absolute Notwendigkeit bei sich führen“ und daher „von allem, was nur empirisch sein mag […], völlig gesäubert“ sein müsse (beide GMS 389). Um diesem Anspruch gerecht zu werden, untersucht er „die Idee und Prinzipien eines möglichen reinen Willens“ (GMS 390). Das Prinzip des reinen Willens - also der kategorische Imperativ - ist ausschließlich und hebt sich dadurch von hypothetischen, d.h. auf einen anderen Zweck als die Moral selbst gerichteten, Imperativen ab, dass es dem Willen des Vernunftwesens selbst entspringt.3 Warum wir uns aber dieses sittliche Gesetz selbst auferlegen sollten - womit wir bei der Frage nach der Motivation zum moralischen Handeln angelangt wären - ist damit noch nicht gesagt. Diese Frage, auf die Kant vor allem im dritten Abschnitt der GMS versucht eine Antwort zu geben, ist der größere Gegenstand dieser Untersuchung. Im Hange aber des Titels dieser Untersuchung -
„Die GMS: brauchbare Moral oder Ideal und Hirngespinst?“ -, der sich aus Kants Frage, „wie […] ein kategorischer Imperativ möglich [sei]“ (GMS 453), ergibt, wird die Untersuchung nicht umhin kommen, in einem Exkurs noch den Bereich der Anwendbarkeit des kategorischen Imperativs kurz zu umreißen.
Es stellen sich zur Untersuchung also vor allem zwei Fragen: 1.) Warum gilt der kategorische Imperativ, und 2.) ist der kategorische Imperativ auf die Praxis anwendbar? Da - wie diese Untersuchung zeigen soll - die Kantsche Theorie einige Mängel aufweist und sich mit ihr Schwierigkeiten auftun, über die sie - wie ich meine - nicht erhaben ist und über die man nicht hinwegsehen sollte, werde ich in einem abschließenden Teil in geraffter Form noch darzustellen versuchen, an was es der Kantschen Konzeption meines Erachtens mangelt und in diesem Kontext nochmals auf die zu Beginn rege gemachten Fragen der Grundvoraussetzungen eingehen.
Für die Frage aber, wie ein kategorischer Imperativ möglich ist, bzw. warum er gilt, bedarf es zum besseren Verständnis zunächst einer kurzen Darstellung, wie das Sittengesetz bzw. die Moralität und der Wille vernünftiger Wesen miteinander verknüpft sind, mithin wie die Selbstgesetzgebung möglich ist.
2.1) Warum gilt der kategorische Imperativ?
a) Warum können Menschen moralisch sein?
2.1.1) Das Fundament für die Möglichkeit zur Beantwortung der Frage nach der Gültigkeit des kategorischen Imperativs - Das Verhältnis von Autonomie und Moral.
Wie entspringt also der kategorische Imperativ dem Willen? Wie ist das möglich? Durch den Begriff der „allgemeinen Gesetzgebung“ in der allgemeinen Gesetzesformel des Sittengesetzes nimmt Kant die Idee „eines Reichs der Zwecke“ an, worunter er „die systematische Verbindung verschiedener vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze“ versteht (GMS 433). Dies ist ein gedachtes moralisches Idealreich, das sich dadurch auszeichnet, dass alle seine Bürger zugleich Untertan und Gesetzgeber sind, wobei sich die Gesetze - obschon sie auf subjektiver Ebene gebildet werden - durch ihre Universalität bzw. allgemeine Gültigkeit auszeichnen. Das moralische Ideal ergibt sich also daraus, dass die Gesetze jedes einzelnen mit den Gesetzen jedes anderen im Einklang stehen und wird dadurch möglich, dass Kant besonders die „Würde“ jedes Einzelnen durch seinen „Zweck an sich selbst“ in diesem Reich hervorhebt (Vgl. GMS 434-435). So lautet eine andere als die bereits erwähnte Formulierung des kategorischen Imperativs: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck [an sich selbst], niemals bloß als Mittel brauchst“ (GMS 429).4 Dass nun aber die Gesetze jedes Einzelnen mit den der anderen zusammenstimmen, ist ein Hinweis auf die Grenze dieses Reichs bzw. auf die Einschränkung des zugehörigen Personenkreises.5 Es ist der Verweis darauf, dass nicht jedes Vernunftwesen ein Mitglied ist, da schließlich nicht jedes Vernunftwesen immer nach der Maxime einer allgemeinen Gesetzgebung handelt. Wodurch aber qualifiziert man sich, ein Mitglied im Reich der Zwecke zu sein?
Kants Begründung orientiert sich an seiner Werttheorie, wonach in Bezug auf die Moral „nichts ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille“ (GMS 393), der immer nach dem Prinzip des reinen Willens - also dem kategorischen Imperativ - verfährt. Es hebt sich der absolute Wert einer Handlung von dem relativen Wert derselben ab, wenn sie „aus Pflicht“ vollzogen wird und - wie oben im Zusammenhang mit dem kategorischen Imperativ bereits erwähnt - aufgrund der Moralität selbst erstrebt wird.6 Da ein guter Wille, der nur der moralischen Maxime wegen gut heißt, demzufolge nicht durch einen hypothetischen Imperativ zustande kommen kann, im Kantschen Sinne mithin nicht durch heteronome Ursachen, also einen anderen Zweck als sich selbst bestimmt sein kann, muss er autonom sein. Das bedeutet, dass ein guter Wille sich nicht nur durch seine nach allgemeinen Gesetzen verfahrende Maxime auszeichnet, wie es durch die allgemeine Formel des kategorischen Imperativs vorgestellt wird, sondern auch durch seine Autonomie, d.i. seine Selbstgesetzgebung (Vgl. GMS 433), die von Kant als „das alleinige Prinzip der Moral“ (GMS 440) bestimmt wird. Die Autonomie des Willens ist also die Bedingung unter der sich vernünftige Wesen zum Reich der Zwecke zählen dürfen, da nur der autonome Wille zur allgemeinen moralischen Gesetzgebung fähig ist, der er zugleich selbst unterworfen ist. Kant ist der Meinung, dass „Moralität die Bedingung [ist], unter der allein ein vernünftiges Wesen Zweck an sich selbst sein kann; weil nur durch sie es möglich ist, ein gesetzgebend Glied im Reich der Zwecke zu sein“ (GMS 435), und dies führt dazu, dass die Würde und der Zweck an sich eines vernünftigen Wesens bei Kant als eine Folge des Vermögens verstanden werden muss, wonach moralische Handlungen überhaupt Geschehen können. Daher folgert er auch, dass „Also […] die Sittlichkeit und die Menschheit, sofern sie derselben fähig ist, dasjenige [ist], was allein Würde hat“ (ebd.).7
Nun mag man sich fragen, ob sich dies tatsächlich so verhält, denn das kann meines Erachtens in Zweifel gezogen werden. Kant scheint hier offenkundig zwei Fragen miteinander zu vermischen, die voneinander getrennt sein sollten: i) Wer soll sich nach dem kategorischen Imperativ richten, d.h. wer ist Adressat desselben und ii) wer wird durch ihn geschützt? Die unterschiedlichen Formulierungen des Sittengesetzes deuten eindeutig darauf hin, dass alle Menschen gleichermaßen geschützt sein sollten. Dies ist der Idealfall. Er käme bei Kant aber nur dadurch zustande, dass sich auch alle nach ihm richten. So erlangen sie Würde und werden Zweck an sich selbst. Kant argumentiert so, um zum Autonomiebegriff zu gelangen. Nun mag man aber all denjenigen die der moralischen Handlung im Kantschen Sinne noch nicht oder nicht mehr fähig sind,8 ihren Selbstzweck und ihre Würde nicht absprechen. Sie mögen zwar nicht selbst Gesetze erlassen, die gleichermaßen die Würde jedes anderen schützen, darum sollten sie aber doch nicht deswegen schon - mit Blick auf die Würde - keinen Selbstzweck haben oder sogar nicht durch die allgemeinen Gesetze der anderen geschützt sein.9 Sie sollten schließlich in den Schutzbereich gehören. Kant schreibt: „Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur“ (GMS 436). Das bedeutet in Verbindung mit seiner Unterscheidung von „Würde“ und „Preis“ aber auch,10 dass Menschen, die noch nicht oder nicht mehr über diese Autonomie verfügen, nur einen Preis haben. Im Angesicht der ungleich guten Intentionen die Kant mit der GMS gehabt haben mochte, würde er dem wohl kaum zustimmen. Da der Autonomiebegriff aber konstitutiv für seine weitere Erklärung ist, müsste er ihn aufrechterhalten. Allerdings ist vorstellbar, dass sich bis hierhin möglicherweise noch korrektiv einwirken ließe, so dass alle Menschen in erster Instanz in gleichem Maße Würde zugesprochen bekämen. Vielleicht ließe sich dies durch eine Unterscheidung zwischen positiver und negativer Würde zuwege bringen, wobei die positive zum Autonomiebegriff führen könnte und durch den Kreis der Akteure bzw. Adressaten des kategorischen Imperativs gebildet werden würde und in gewissem Maße aktiv wäre und die negative sich durch das Mensch sein an sich auszeichnete und jedem schon passiv (von der Natur) gegeben wäre.11 Allerdings würde es die Argumentation für die Motivation zum moralischen Handeln weiter erschweren, weil geklärt werden müsste, warum es denn wünschenswert und erforderlich sei, positive Würde zu erlangen. Dieser mögliche Ausweg ist aber nur ad hoc und Spekulation. Jedenfalls sah Kant mittels des Autonomiebegriffs samt der Verbindung von Autonomie und moralischem Gesetz die erste argumentative Vorarbeit geleistet, um die Frage nach der Gültigkeit des kategorischen Imperativs zu beantworten.
2.1.2) Warum ist der autonome Wille ein freier Wille? - Die Idee der Freiheit.
Zu Beginn der GMS III knüpft Kant indirekt an seinen Autonomiebegriff an und führt eine negative und eine positive „Erklärung der Freiheit“ ein, damit er „durch bloße Zergliederung ihres Begriffs“ (GMS 447) auf analytischem Wege zum Schluss gelangen kann, dass „ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei“ sind (GMS 447). Wie kommt er dazu?
Er versteht den Willen - und das ist hier bedingende Voraussetzung für den Freiheitsbegriff -, als „eine Art von Kausalität vernünftiger Wesen“ (GMS 446), die genau dann frei heißt, wenn sie „unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen“ auf das Vernunftwesen wirkt (ebd.).12 Mit anderen Worten wird das Gesetz eines freien Willens - denn Kant bemerkt einige Zeilen später, dass „der Begriff einer Kausalität den von Gesetzen bei sich führt“ (ebd.) - nicht durch die sinnlichen Objekte des Willens gegeben, da es, sofern der Wille unabhängig sein soll, schließlich keine heteronomen, d.h. von außen kommenden Gesetze sein können. Woher kommen diese Gesetze aber dann?
Die Antwort darauf ist für Kant klar: „Was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein als Autonomie“ (GMS 447),13 fragt er sich. Denn die den Willen bestimmenden Gesetze müssen demzufolge selbständige Gesetze des Willens sein.
Damit macht er deutlich, dass ein Wille, der frei, also nicht fremdbestimmt ist, ein autonomer sein muss. So sind freier Wille und autonomer Wille „einerlei“ (GMS 447) und die Autonomie des Willens wurde vorher als dasjenige bestimmt, worunter Moralität erst stattfinden kann. Somit hat Kant gezeigt, dass der autonome Wille, also der „Wille unter sittlichen Gesetzen“ (ebd.), zugleich auch ein freier Wille ist. Also ist die Voraussetzung für die Fähigkeit vernünftiger Wesen moralisch handeln zu können, dass sie sich selbst allgemeingültige Gesetze nach der Idee der Freiheit geben, da sie andernfalls nicht durch ihre Vernunft, sondern heteronom, durch von außen kommende Objekte, bestimmt sein würden.
In ihrem Kommentar zur GMS weisen Schönecker und Wood auf ein besonderes Problem dieser Bestimmung hin:
„Wenn ein freier Wille ein autonomer Wille ist und damit ‚unter sittlichen Gesetzen‛, wie kann dann ein solcher Wille überhaupt etwas unmoralisches wollen? Entweder kann dem freien Willen Böses entspringen, aber dann kann er nicht gleichbedeutend sein mit Autonomie, weil Autonomie die Selbstbestimmung zur Moralität ist; oder ihm kann Böses nicht entspringen, dann können böse Handlungen nicht als freie Handlungen verstanden werden, und es gibt keinen sinnvollen Begriff für Verantwortung mehr.“ (Sch./W. 182)
Dies ist natürlich ein schwerwiegendes Problem. Wie schon erwähnt kann der Autonomiebegriff schwerlich aufgegeben werden, da dies wohl nur bei Aufgabe des Kantschen Moralsystems möglich wäre.14 Zwar - um auf die nächste Frage dieser Untersuchung vorweg zu greifen - ist Kant der Meinung, dass der Mensch vollständig determiniert ist und deswegen könnte argumentiert werden, dass das Böse (im Sinne von Heteronomie) eben diesem Determinismus entspringt, so dass der Mensch gar keinen Einfluss auf das Böse hat - was Kant in ähnlicher Weise auch zu tun scheint.15 Die Frage ist dann aber: Kann man diese Erklärung akzeptieren? Und: wenn wir ohnehin derart determiniert sind, dass das Böse nicht verhindert werden kann, wofür wird dann überhaupt noch eine Moraltheorie benötigt? Im Grunde genommen ist diese Frage jedoch falsch gestellt. Denn Kant ist zwar der Meinung, dass der Mensch seine Neigungen nicht verantwortet, dass er aber wohl für seinen Umgang mit seinen Neigungen verantwortlich ist.
[...]
1 Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (hrsg. v. K. Vorländer, Hamburg, Meiner, 1962³). Alle Angaben beziehen sich auf die dort beinhaltete Paginierung der Akademieausgabe, sofern dies nicht anders angegeben wird. Zitate werden kursiv dargestellt, in diesen enthaltene Hervorhebungen werden durch Unterstreichungen kenntlich gemacht.
2 Dass es nur ein Kriterium ist, zeigt schon das weite Feld divergierender Moralvorstellungen.
3 Warum Kant dieser Meinung ist, darauf werde ich später zurückkommen. 3
4 Der Zusatz „an sich selbst“ wurde von mir hinzugefügt, er findet sich aber in Kants eigener Rekapitulation der Zweckformel: „Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle anderen niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle“ (GMS 433).
5 Kant selbst benutzt den Terminus „Person“ für vernünftige Wesen, weil diese Zweck an sich selbst sind (Vgl. GMS 428 und 429).
6 Kant trifft eine ungewöhnliche Unterscheidung bezüglich des moralischen Gehalts von Handlungen. Das was den Willen bestimmt und einer Handlung als „subjektives Prinzip des Wollens“ (GMS 400) zugrunde liegt, nennt Kant „Maxime“ (ebd.). „Aus Pflicht“ geschieht eine Handlung, wenn die zugrunde liegende Maxime, wie gesehen, allein die Moralität erstrebt hatte. Demgegenüber stehen Handlungen die nur „pflichtgemäß“ sind. „Pflichtgemäß“ bedeutet, dass aus der Handlung zwar das gleiche Resultat folgen kann, wie bei der Handlung „aus Pflicht“, dass die Maxime sich aber nicht nur durch das alleinige moralische Streben auszeichnet, sondern vor allem dadurch, dass die Maxime durch Neigungen oder Interessen des Handelnden bestimmt ist. So hat die Handlung noch einen relativen Wert, die ihr zugrunde liegende Maxime hingegen ist aus moralischer Sicht wertlos. Wenn eine Handlung ohne Rücksicht auf Neigungen und Interessen vollzogen wurde, haben die Tat und die Maxime einen absoluten Wert. Mit dem guten Willen ist demzufolge derjenige Wille gemeint, der rein ist und nur nach Maximen verfährt, die einen absoluten moralischen Wert haben.
7 Im Grunde genommen weist das Zitat („Moralität … im Reich der Zwecke zu sein“) meines Erachtens darauf hin, dass nur diejenigen Wesen Zweck an sich sind und Würde haben, die tatsächlich moralisch handeln - da es sich schließlich um ein moralisches Idealreich handelt, wird diese stärkere Lesart gestützt. Allerdings steht dies im Widerspruch zu Kants Konklusion, wonach es nur auf die Fähigkeit zur Moralität ankommt. Diesem Widerspruch werde ich hier nicht detailliert nachgehen können, weil die eigentliche Fragestellung dieser Untersuchung im Grunde genommen erst später einsetzt. Es genügen daher der Hinweis und der Grund dafür, dass ich mich an Kants Schlussfolgerung bzw. an die schwächere Lesart orientiere, weil Kant seine Moraltheorie an dieser Stelle erst noch für den Menschen begründen muss. Zudem handeln Menschen nicht immer tatsächlich moralisch, daher müsste man ihnen gemäß stärkerer Lesart auch außerhalb des „Reichs der Zwecke“ ihre Würde und ihren absoluten Zweck absprechen, was meiner Meinung nach unplausibel wäre, da Kants gesamte Argumentation sich schließlich auf die Besonderheit des menschlichen Vernunftvermögens stützt. Was nämlich Vernunft hat, hat - wie ich finde und auch Kants Meinung, hinter seiner ungewöhnlichen und zum Teil undurchsichtigen Ausdrucksweise, verstehe - auch außerhalb des „Reichs der Zwecke“ Würde und ist Zweck an sich selbst. Deswegen sollte die Maxime schließlich auch so gewählt werden, dass man die anderen Vernunftwesen niemals bloß als Mittel, sondern immer zugleich auch als vernünftiges Wesen, welches Zweck an sich selbst ist, behandelt. Vergegenwärtigt man sich diesen Sachverhalt, muss man der Plausibilität wegen die schwächere Lesart vorziehen, weil bei dieser das bloße Vermögen zur Moralität entscheidend ist.
8 Dies könnten in Teilen bspw. Kinder, Behinderte und alte oder kranke Menschen sein.
9 Ob das die notwendige Konsequenz ist, vermag ich (anhand des Textes) nicht auszumachen.
10 Zur Unterscheidung von „Würde“ und „Preis“: „Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde“ (GMS 433). Das besondere Kennzeichen der Würde ist zudem, dass etwas nur dann Würde haben kann, wenn es auch Zweck an sich ist.
11 Es würde sich an diesen Versuch die Argumentation zu retten aber zudem die Frage anschließen, wie negative Würde genau zu verstehen sei. Die besondere Begründungsschwierigkeit ergibt sich meines Erachtens eben aus dem Grunde, dass das Vernunftvermögen den Menschen von anderen Wesen unterscheidet. Ist dieses Vermögen aber nicht entwickelt oder zumindest nicht voll entwickelt, scheint die besondere Vernunftfähigkeit nicht gegeben. Dann stellt sich die Frage, warum man bei solchen Menschen noch immer davon spricht, dass es vernunftbegabte Wesen sind, wenn dies konstitutiv für das Menschsein sein soll.
12 Dies ist die negative Erklärung der Freiheit. Man mag sich an dieser Stelle sehr wundern über Kants Argumentationsweise. Er versucht den Willen für frei zu erklären, argumentiert aber mit der Freiheit der Kausalität des Willens. Es wirkt als habe Kant kein wirkliches Argument und dass er versucht dies durch seine undurchsichtige Ausdrucksweise zu überspielen. Den Begriff der Kausalität benötigt er, um zur positiven Erklärung der Freiheit zu gelangen. Es scheint jedoch als würde er dem Leser durch seine Ausdrucksweise suggerieren wollen, dass eventuelle Schwierigkeiten bloß auf die Schwierigkeit und Komplexität der Thematik zurückzuführen sind.
13 Dies ist die positive Erklärung der Freiheit. Schönecker und Wood merken dazu an: „Kant suggeriert ein wenig, als wäre ohne weiteres klar, daß die Freiheit des Willens als Autonomie verstanden werden muß“ D. Schönecker und A.Wood, “Kants ‛Grundlegung zur Metaphysik der Sitten’.“ Paderborn, Schöningh, 2004². Wird im Folgenden angeführt mit der Abkürzung „Sch./W.“ für die Namen der Autoren „Schönecker“ und „Wood“, (Sch./W. 180). Auch hier begegnet einem die suggerierende Kraft der Kantschen Argumentationsweise, in diesem Falle ist Kant hingegen viel direkter.
14 Wenn die Autonomie, so wie Kant sie darstellt, aufgegeben werden müsste, hätte dies in Kants System zur Folge, dass der Wille heteronom bestimmt wäre, weil er nicht mehr selbst gesetzgebend sein könnte. Dies würde aber bedeuten, dass es keinen reinen moralischen Willen gibt oder geben kann. Damit würde dann auch Moralsystem fallen.
15 Vgl. GMS 458: „…daß er [der Mensch] die ersteren [seine Neigungen und Antriebe] nicht verantwortet…“ und Vgl. auch GMS 454-455: „Der praktische Gebrauch…“ bis Ende des Abschnitts.
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