Thomas Mann und Frankreich im Kontext eines Locarno intellectuel


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

19 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der deutsch – französische Gegensatz in Kultur und Zivilisation
2.1. Begriffsklärung Kultur – Zivilisation im deutschen Sprachraum
2.2. Die Zivilisationsidee und das Sendungsbewusstsein in Frankreich
2.3. Kultur und Zivilisation bei Thomas Mann

3. Die Verbindungen Thomas Manns nach Frankreich
3.1. Die Initiativen zur intellektuellen Annäherung
3.2. Thomas Manns Reise nach Paris im Kontext des „Locarno intellectuel“
3.3. Politische Hintergründe des Mannschen Paris-Besuches
3.4. Die „Pariser Rechenschaft“ als Zeichen der Annäherung an Frankreich?

4. Gedanken zum Schluss

Literaturverzeichnis:

Quellenverzeichnis:

1. Einleitung

Über das Verhältnis Thomas Manns zu Frankreich lässt sich mit Sicherheit sagen: Es ist zwiespältig. Zwei Frankreichbilder bestimmen die Schriften dieses Autors. Einmal die polemisch gegen Frankreich anmutenden Passagen der „Betrachtungen eines Unpolitischen“ aus dem Jahre 1918 und andererseits die dem einst verachteten Land überraschend entgegengebrachte Sympathie in der „Pariser Rechenschaft“ (1926). Im Fortgang meiner Untersuchung wird sich zeigen, wieweit diese beiden Schriften programmatisch sind für den Verlauf der politischen Entwicklungen in der Zwischenkriegszeit. Diese Arbeit beleuchtet die spannungsreichen Jahre, insbesondere die Phase der gescheiterten Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland, die bis hin zu den Verträgen von Locarno dauerte. Immer wieder stellt sich hierbei die Frage, ob und wenn ja warum neben der Politik auch das intellektuelle Engagement versagte. Auch die Gruppierungen der Schriftsteller konnten damals kaum Einfluss auf das Weltgeschehen nehmen.

Anhand der für die Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland wichtigen Schriften Thomas Manns möchte ich nach den Ursachen dieser relativen „Hilflosigkeit“ der französischen und der deutschen kulturellen Eliten forschen. Warum konnten die kulturellen Initiativen, die von so viel Geist und gutem Willen gekennzeichnet waren, letztlich nichts ausrichten?

Im ersten Teil meiner Arbeit gehe ich auf den bei Thomas Mann in den Betrachtungen eines Unpolitischen immer wieder thematisierten Gegensatz zwischen Kultur und Zivilisation ein. Vermutlich ist dies nicht nur eine bestimmende Komponente des Denkens Thomas Manns, sondern auch bezeichnend für das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland in der Zwischenkriegszeit.

Im zweiten Teil meiner Arbeit gehe ich speziell auf Thomas Manns Verhältnis zu Frankreich ein. Untersucht wird hier vor allem anhand der zwei Schriften Thomas Manns „Pariser Rechenschaft“ und „Die geistigen Tendenzen des heutigen Deutschlands“ seine Stellung während der deutschen-französischen Annäherungszeit von Locarno.

Um der Frage nach den Wurzeln des deutsch-französischen Konflikts nachzugehen, ziehe ich neuere Forschungsbeiträge von Hans Manfred Bock und Ruth Beuter heran. Des weiteren stützt sich diese Hausarbeit auf ältere Literatur. Die Thomas Mann Biographie von Hans Mayer und die Arbeit des französischen Forschers Louis Leibrich werden mit einbezogen.

2. Der deutsch – französische Gegensatz in Kultur und Zivilisation

2.1. Begriffsklärung Kultur – Zivilisation im deutschen Sprachraum

In der Zeit zwischen 1880 und 1914 entwickelte sich der scharfe Gegensatz zwischen den Begriffen Kultur und Zivilisation als eine Antithese im deutschen Sprachraum. Durch zwei bestimmende Faktoren – die Philosophie und die übrigen Wissenschaften – nahm die antithetische Entwicklung ihren Lauf. Hinzu kamen die negativen Auswirkungen der Technisierung, die Entfremdung von der Natur sowie der materialistische und utilitaristische Geist. Passend erschien für diese Auswirkungen der Begriff „Zivilisation“, der schon früher zum „Äußeren“, „Materiellen“ und „Naturwidrigen“ geneigt hatte.[1]

Der Kulturbegriff hingegen beschränkte sich auf rein positive Werte wie Kunst, Literatur, Wissenschaft, Religion, Bildung und Unterricht, auf die geistig-seelischen Bereiche des Lebens. Zivilisation dagegen stufte man als das Geringwertigere und Zweckhafte ein. Philosophen und Wissenschaftler wie Friedrich Nietzsche oder Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ (1918) trugen zur abwertenden Konnotation dieses Wortes bei. „Spengler hatte das Glück, seine Thesen in einer Zeit zu propagieren, als die Westmächte im Namen der Zivilisation gegen Deutschland Krieg führten und das Selbstbewusstsein der Deutschen sich schließlich unter den unsäglich harten Friedensbedingungen von Versailles zurechtfinden musste.“[2]

Eine kritische Beurteilung der beiden Begriffe fand nach 1918 statt. Die politisch-nationalistische Antithese wurde auch noch nach dem 1. Weltkrieg weitergeführt. Durch die Kriegspropaganda prägte sich der Gegensatz Zivilisation und Kultur tief ins Gedächtnis sowohl des Intellektuellen als auch des einfachen Mannes auf der Straße ein.

2.2. Die Zivilisationsidee und das Sendungsbewusstsein in Frankreich

Die Aufklärung hatte die „civilisation“ als eine die gesamte Menschheit umfassende Vorwärtsbewegung verstanden. Diese Idee des allgemeinen Fortschritts blieb auch in den folgenden Jahren erhalten und wurde zum universalen Ideal der Menschlichkeit erhoben.

Als Schlagwort in der Kriegspropaganda trat „civilisation“ zum ersten Mal im Deutsch-Französischen Krieg von 1870 auf. Man identifizierte Frankreich mit der „civilisation“ und den Gegner mit ihrem Antipoden, der Barbarei. Auch im 1. Weltkrieg fühlte sich Frankreich als Verteidiger der Zivilisation. Doch selbst in Frankreich blieb der Gedanke der Vormachtstellung nie ganz unbestritten: Sowohl die geistige Führungsrolle Frankreichs, als auch die Rechtfertigung des Imperialismus im Namen der Zivilisation wurden gelegentlich von Forschern wie Ernst Robert Curtius bezweifelt.[3] Wie unselig die Wirkung war, die dieser Kampf der Begriffe auslöste, zeigt im Jahr 1931 eine Stelle aus dem angesehenen Larousse du XXe Siècle, unter dem Stichwort „Kultur“ : „Mot allemand signif. Civilisation: Les procédés des Allemands au cours de la Grande Guerre ont donné une étrange idée de leur « Kultur ». (Bd. IV, 1931, S. 272)

Ernst Robert Curtius wies wenige Jahre nach Kriegsende in seinem Werk „Französischer Geist im neuen Europa“ (1925) darauf hin, dass diese Kampfparolen um Kultur und Zivilisation auch in Frankreich eine immense Wirkung gehabt hätten. Der „Germanismus“ schien eine unheimliche Bedrohung der französischen und damit der menschlichen Zivilisation zu sein. Da der französische Zivilisationsbegriff dem deutschen kulturellen Denken innerlich nicht gerecht werde und Frankreich das Monopol der Zivilisation in Anspruch nehme, könne sich eine fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Nationen nicht entwickeln.

2.3. Kultur und Zivilisation bei Thomas Mann

Thomas Mann definiert in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ (1918), den deutschen Kulturbegriff im Gegensatz zum französischen Zivilisationsbegriff. Bis Kriegsbeginn war der Schriftsteller entschieden unpolitisch gewesen, nun wollte er sein Recht auf geistige Unabhängigkeit gegenüber politischen Belangen verteidigen.[4] In dem Buch greift er Nietzsches Theoreme auf. Der Philosoph stellt in seinen Jugendschriften eine scharfe Trennung zwischen Geist und Politik als Grundbedingung der Kultur auf. Nun erscheint Thomas Mann gerade die westliche Demokratie und besonders Frankreich als die Überwucherung des Geistigen durch die Politik. Frankreich ist für ihn das Land der Politik, jedoch einer unsauberen und materialistischen Politik. „Die Geschichtsforschung wird lehren, welche Rolle das internationale Illuminatentum, die Freimaurerloge, unter Ausschluß der ahnungslosen Deutschen natürlich, bei der geistigen Vorbereitung und wirklichen Entfesselung des Weltkrieges, des Krieges der Zivilisation gegen Deutschland, gespielt hat. Heute braucht nicht mehr behauptet, geschweige bewiesen zu werden, daß etwa die französische Loge politisch ist bis zur Identität mit der radikalen Partei, - jener radikalen Partei, die in Frankreich recht eigentliche Pflanzstätte und Nährboden für den geistigen Haß auf Deutschland und deutsches Wesen bildet.“[5]

Der Schriftsteller bemängelt hier den Einfluss der Freimaurer auf den Staat, an anderer Stelle auch die Rekrutierung des politischen Personals aus dem Advokatenstand oder die Verquickung von offiziellen Funktionen und privaten Interessen. Von Deutschland lässt er im Gegensatz dazu ein vorteilhaftes geistiges Bild entstehen: „Der Unterschied von Geist und Politik enthält den von Kultur und Zivilisation, von Seele und Gesellschaft von Freiheit und Stimmrecht, von Kunst und Literatur; und Deutschtum, das ist Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und nicht Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur.“[6]

Die „Betrachtungen eines Unpolitischen“ fassen die Grundzüge der Mannschen Weltsicht zusammen, sie knüpfen an den romantischen Konservatismus Oswald Spenglers, Hugo von Hofmannsthal oder auch, erweitert auf den Begriff der „Konservativen Revolution“, eines Ernst Jüngers an. Die Position Thomas Manns ist stets eine ästhetizistische. Zugleich zeigt sich auch eine skeptisch-ironische Stellung des Romanciers, der sein Wissen und seine Überzeugung nur in der Welt der Vorstellung, nicht aber in jener der Tat gestalten kann.[7]

Die Sicht des Autors aus dem Kindler Lexikon bestätigt sich auch bei Hans Wysling: „Thomas Mann wollte nicht Vorkämpfer sein, sondern Mittler. Er wollte Repräsentant sein, nicht Märtyrer. Er wollte unterscheiden, nicht entscheiden. Er wollte ebenfalls versöhnen, nicht verurteilen. Er wollte das erasmische Sowohl-Als-auch, nicht das Entweder oder.“[8]

[...]


[1] Europäische Schlüsselwörter, Wortvergleichende und wortgeschichtliche Studien, hrsg. vom Sprachwissenschaftl. Colloquium Bonn, Bd. III, Kultur und Zivilisation, München 1967, S. 313.

[2] Ebd., S.339.

[3] Ebd., S. 26. Die Debatte um den Gegensatz Kultur und Zivilisation wäre ein Thema für eine weitere Hausarbeit, hier seien daher nur die wichtigsten Punkte erwähnt.

[4] Leibrich, Louis: Französische Wirklichkeit im Werke Thomas Manns, in: Deutschland-Frankreich, Ludwigsburger Beiträge zum Problem der Deutsch-Französischen Beziehungen, Bd. 3, Hrsg. Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg, Stuttgart 1963, S. 172. (künftig zitiert: Leibrich)

[5] Mann, Thomas: Betrachtungen eines Unpolitischen, Berlin 1919, S.34-35, (künftig zitiert: Betrachtungen). Mit den Polemiken gegen Frankreich zeichnet Thomas Mann ein verzerrtes Bild, das oft unrichtig und ungerecht ist.

[6] Ebd., S.33.

[7] Prill, Meinhard: Betrachtungen eines Unpolitischen, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon, Bd. 11, München 1990, S.60.

[8] Wysling, Hans: Schwierigkeiten mit Thomas Mann, in: Bludau, Beatrix (Hrsg.): Thomas Mann 1875-1975, Vorträge in München, Zürich, Lübeck, Frankfurt/Main 1977, S. 600.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Thomas Mann und Frankreich im Kontext eines Locarno intellectuel
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Veranstaltung
Hauptseminar: Frankreich und Deutschland 1918-1933: Politik, Wirtschaft und Kultur
Note
2,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V7542
ISBN (eBook)
9783638147705
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Thomas, Mann, Frankreich, Kontext, Locarno, Hauptseminar, Frankreich, Deutschland, Politik, Wirtschaft, Kultur
Arbeit zitieren
Sophie Brachvogel (Autor:in), 2001, Thomas Mann und Frankreich im Kontext eines Locarno intellectuel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7542

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