Die SPD auf der Suche nach ihren "Roten Socken" - Von der klassischen Arbeiterpartei zum programmlosen 'Kanzlerwahlverein'?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

28 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Die SPD in der großen Koalition
Die Transformation der SPD
Von Godesberg nach Berlin
Die SPD als „konstruktive Opposition“
Der programmatische Wandel zur linken Volkspartei
Die sozialliberale Ära
Das Berliner Programm

2 Die Probleme mit „der Alten und der Neuen Mitte“

3. Die SPD unter Gerhard Schröder: eine programmlose „Mitte-Partei“

4 Die Zukunft der SPD: Programmpartei oder „Kanzlerwahlverein“?

Literatur

1 Die SPD in der großen Koalition

Könnte man behaupten „Geschichte wiederholt sich“, wäre die SPD derzeit wohl in einer komfortablen Lage. Dem voraussichtlichen Ende 2009 der zweiten großen Koalition auf Bundesebene könnte sie entspannt entgegensehen. Denn schon einmal traten die Sozialdemokraten aus einer Zeit der gemeinsamen Regierungsverantwortung mit der CDU/CSU (erste große Koalition auf Bundesebene von 1966 bis 1969) als politischer Gewinner des Parteienwettbewerbs hervor (erste sozial-liberale Regierung unter Kanzler Brandt ab 1969) und folglich wäre diese Entwicklung nach dem Gesetz der Regel auch für den nächsten Bundestagswahlkampf zu erwarten. Aber wie oft bewiesen: Geschichte wiederholt sich nicht wie gewünscht und in der aktuellen politischen Situation deutet auch wenig darauf hin.

Dabei war die Ausgangslage nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst 2005 nicht ungünstig. Nachdem die SPD bei der letzten Landtagswahl in ihrem einstigen Stammland Nordrhein-Westfalen – nur die letzte in einer langen Reihe von verlorenen Landtagswahlen – die Mehrheit abgegeben hatte, geriet die Partei in ein bedrohliches Stimmungstief und eine existenzielle Krise. Daraufhin entschlossen sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering in Absprache mit der Führungsriege des grünen Koalitionspartners die politische „Notbremse“ zu ziehen und mittels einer „unechten Vertrauensfrage“ Neuwahlen einzuleiten. Vorher in den Umfragen der Meinungsforschungsinstitute und in den Medien schon weit abgeschrieben, kämpfte sich die SPD in einem fulminaten Wahlkampf vor allem mit der neu entdeckten Sozialrhetorik ihres Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder im Endergebnis (SPD 34,2%, CDU/CSU 35,2%) bis auf einen Prozentpunkt an die Union heran.[1] Die CDU/CSU dagegen verspielte bis zum Wahlabend eine bis dato sicher geglaubte Mehrheit und damit auch die Möglichkeit einer Regierungsbildung mit der FDP. Der Wähler hatte entschieden, und das Wahlergebnis ließ letztlich keine andere Möglichkeit zu, als die Bildung einer ungeliebten großen Koalition. Alle anderen mehrheitstragenden Koalitionsvarianten wie die „Ampel“ (SPD, FDP, Grüne), „Rot-Rot-Grün“ (SPD, PDS, Grüne) waren von vorneherein ausgeschlossen worden, oder scheiterten wie die neue „Jamaika“-Option (CDU, FDP, Grüne) schnell an zu unterschiedlichen Zielvorstellungen. Unter dem vom Wähler gewünschten Einigungsdruck, gelang es der SPD in den Koalitionsverhandlungen nicht nur die Hälfte der Ministerien und dort auch so entscheidende wie das Finanz-, Justiz- oder Arbeitsministerium zu besetzten, sondern auch der Koalitionsvertrag trug, wie einige politische Kommentatoren konstatierten, eine sozialdemokratische Handschrift. Während der Verhandlungen war die CDU/CSU nicht in der Lage Kernpunkte ihres Wahlprogramms, z.B. Abbau des Kündigungsschutzes bzw. Flexibilisierung des Arbeitsmarktes oder die Revision des Atomausstiegs, gegenüber der SPD durchzusetzen. Im Gegenteil, die CDU war laut Pressemeinung nach links an die SPD herangerückt.

Aber trotz der oben geschilderten positiven Faktoren ist es der SPD in der großen Koalition bis heute nicht gelungen, die politische Stimmung zu ihren Gunsten zu wenden. Und noch weniger ist bis jetzt eine politische Vision oder Programmatik, wie sie die SPD nach dem Ende der ersten großen Koalition vorzuweisen hatte, auch nur im Ansatz zu erkennen. Während die CDU in den Umfragen mittlerweile auf 40 Prozent zulegen konnte, verharrt die SPD weit abgeschlagen bei nur noch 30 Prozent.[2] Ein Grund für die derzeitige Misere der SPD dürfte sicherlich der Kompromisszwang mit der CDU sein: Eine öffentlichkeitswirksame Positionierung und Ausgestaltung spezifisch sozialdemokratischer Politik, wie beim Thema Bürgerversicherung oder Mindestlohn, scheint in der großen Koalition nur schwer durchsetzbar. Da diese Voraussetzungen aber in gleicher Weise auch für die Union gelten, sie aber in der Wählermeinung derzeit einen deutlichen Vorsprung vor ihrem Koalitionspartner besitzt, müssen noch andere Probleme eine entscheidende Rolle für die relative Erfolglosigkeit der Genossen spielen.

Im Folgenden soll nun ausgehend von der ideologischen Ausgangsposition der SPD nach 1949, eine Darstellung des programmatischen Wandels und seiner spezifischen Einflüsse und Notwendigkeiten folgen, woran sich eine Betrachtung der neueren sozialdemokratischen Fixierung auf die sogenannte „Neue Mitte“ und der Wandel der SPD zu einer visionslosen „Mitte-Partei“ anbindet. Abschließend soll die derzeitige Identitätskrise der SPD und ihre möglichen Folgen für die Zukunft der Partei bewertet werden.

Die Transformation der SPD

Seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland hat wohl keine Partei eine so wechselvolle Geschichte vorzuweisen, wie die SPD. Bis heute sind ihr viele Wandlungen widerfahren, ob selbst initiiert oder von äußeren Umständen beeinflusst, die ihre Sonderstellung gegenüber den bürgerlichen Parteien im politischen System der BRD determinieren. Ihr Weg führte sie ab 1949 von der Rolle einer dogmatischen Weltanschauungspartei über die eines, des Zeitgeistes entsprechenden, Motors der gesellschaftlichen Entwicklung während des „goldenen Jahrzehnts der Sozialdemokratie“ bis hin zu einer programmatisch orientierungslosen Partei der „Neuen Mitte“.

Von Godesberg nach Berlin

Die SPD als „konstruktive Opposition“

Bei der Neugründung der Bundesrepublik war die SPD die einzige Partei, die zuvor während der Weimarer Republik schon einmal die Regierungsverantwortung getragen hatte. Jedoch zahlte sich für die Sozialdemokraten dieses Plus an politischer Erfahrung bei den Wahlen zum ersten deutschen Bundestag am 14. August 1949 (SPD 29,2%, CDU/CSU 31%, FDP 11,9%, KPD 5,6%) nicht aus.[3] Denn Konrad Adenauer und sein „Kanzlerwahlverein“ CDU/CSU hatten „weder Anlass noch Neigung (…), mit der geringfügig schwächeren Konkurrenzpartei ins Gespräch zu kommen.“[4] Das lag nicht zuletzt daran, dass für die SPD und ihren strengen Vorsitzenden Kurt Schumacher bis dato und bis zum Ende der 50er Jahre noch die marxistischen Leitlinien aus dem Heidelberger Grundsatzprogramm von 1925 galten. Die junge demokratische Republik galt als „günstiger Boden für den Befreiungskampf der Arbeiterklasse und damit die Verwirklichung des Sozialismus .[5] Unterstrichen wurde diese Haltung mit den, zwei Wochen nach der Wahl verabschiedeten, „Dürkheimer 16 Punkten“: „Wirtschafts- und sozialpolitische Forderungen bildeten den Hauptteil der Dürkheimer Beschlüsse. Sie sahen die >>Entmachtung des großen Eigentums und der Manager durch Sozialisierung der Grundstoff- und Schlüsselindustrien<< vor, bei >>Sicherung der freien Entfaltung des gewerblichen und bäuerlichen Mittelstandes<<.“[6] Jedoch verkannte die SPD sowohl die ökonomischen, als auch sozialen Realitäten und hoffte das, die von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard konzipierte, soziale Marktwirtschaft über kurz oder lang kollabieren und somit die Wähler in die Arme der Sozialdemokraten treiben würde. Aber entgegen der Erwartungen kam es zu einer kontinuierlichen Verbesserung der Lebensverhältnisse in der jungen BRD. Das Wirtschaftswachstum lag in diesen Jahren bei durchschnittlich neun Prozent, und „die Reallöhne stiegen in historisch einzigartiger Weise – auch den Arbeitern ging es immer besser.“[7] „Zudem hatten die Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegswirtschaft zu einer weitverbreiteten Ablehnung des staatlichen Dirigismus und zu einer Identifizierung von sozialistischer Planung mit staatlicher Zwangswirtschaft geführt.“[8] Als Konsequenz blieb die SPD über viele Jahre hinweg in ihrem traditionellen Wählermilieu, der klassischen Industriearbeiterschaft, verhaftet, konnte keine neuen Wählerschichten für sich gewinnen und war somit in ihrem „30 Prozent-Turm“ gefangen. Konrad Adenauer gelang es dagegen die CDU von einer katholizistischen Milieu- zu einer bürgerlichen Sammlungs- bzw. Volkspartei zu formen. „Für lange Zeit waren von da an die Rollen verteilt. Eine Koalition „bürgerlicher“ Parteien stellte die Bundesregierung, die Sozialdemokratie war die „konstruktive Opposition“.“[9]

Der programmatische Wandel zur linken Volkspartei

Erst mit der katastrophalen Wahlniederlage 1957, bei der die CDU die absolute Mehrheit im Bundestag erreichte, kam es zu einem programmatischen Kurswechsel der SPD. Um für die breite Masse der deutschen Bevölkerung wählbar zu sein, mussten sich die Sozialdemokraten auf vielen Politikfeldern gegenüber dem politischen Mainstream öffnen und wie ein prominentes Parteimitglied (Carlo Schmid) empfahl, „ideologischen Ballast abwerfen“.[10] Passend kam hinzu, dass während dieser Zeit die Reformer innerhalb der SPD, wie Willy Brandt, Fritz Erler, Helmut Schmidt oder Herbert Wehner, die Oberhand gewannen und selbst der eher zu den Traditionalisten zählende Parteivorsitzende Erich Ollenhauer forcierte nun die Ausarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms, das die politischen und gesellschaftlichen Realitäten in der BRD anerkennen und der SPD breite Wählerschichten erschließen sollte. Ziel der Sozialdemokraten war es, sich mit dem im November 1958 auf dem Sonderparteitag in Bad Godesberg verabschiedeten Parteiprogramm, als linke Volkspartei zu präsentieren und in der damals noch recht überschaubaren Parteienlandschaft zu positionieren. Die entscheidenden Neuerungen von Godesberg waren:

- Die Absage an das Endziel Sozialismus und stattdessen ein Bekenntnis zur Demokratie bzw. zum demokratischen Sozialismus (Grundwerte: Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität).
- Das Bekenntnis zum Grundgesetz bzw. zum Staat, zu dem auch die Bundeswehr als Verteidigungsarmee gehörte.
- Das Bekenntnis zur Westintegration der BRD.
- Öffnung gegenüber allen religiöser Glaubensgemeinschaften, oder wie es einer der programmatischen Vordenker der SPD, Erhard Eppler formuliert: „Der demokratische Sozialismus ist kein Religionsersatz, sondern Anleitung zum politischen Handeln.“[11]
- Die Annerkennung der Sozialen Marktwirtschaft unter der Prämisse: Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig.[12]

Mit dem Godesberger Programm dokumentierte die SPD zwar ihren Willen zum programmatischen Wandel von der klassischen Arbeiterbewegung zu einer demokratischen Mitte-Links-Partei, aber erst ihr Eintritt in die große Koalition mit der CDU 1966 machte sie zu einer regierungsfähigen Volkspartei. „Die verbreiteten Ängste, Vorbehalte und Blockaden gegen die SPD vor allem in den Mittelschichten bauten sich erst dann im größeren Umfang ab, als die Partei in der >>Großen Koalition<< ihre politische Kompetenz und marktwirtschaftliche Verlässlichkeit unter Beweis gestellt hatte.“[13] Gegenüber der CDU/CSU präsentierten sich die Sozialdemokraten, als die „moderne Partei der Fachleute und Experten“ (z.B. der erfolgreiche Wirtschaftsminister und ehemalige Ökonomieprofessor Karl Schiller, Anmerkung des Verfassers), „die im Gegensatz zu den Konservativen die Aufgabe der Zukunft erkannt hatte und lösen würde.“[14] Dieser Wandel entsprach der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung, dem vorherrschenden Zeitgeist in der Bundesrepublik und wurde von den Wählern, vor allem von Angestellten und Beamten, bei der Bundestagswahl 1969 entsprechend honoriert.

[...]


[1] vgl.: Matthias Jung, Andrea Wolf: Der Wählerwille erzwingt die große Koalition, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 51-52/2005, S. 7

[2] vgl.: ZDF Politikbarometer vom 09.02.2007, unter: http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/3/0,1872,1020771,00.html, Stand: 09.02.2007

[3] vgl.: Susanne Miller/Heinrich Potthoff: Kleine Geschichte der SPD, Verlag Neue Gesellschaft, Bonn, 1988, S. 192

[4] Miller/Potthoff (1988), S. 192

[5] Fischer, Sebastian: Gerhard Schröder und die SPD. Das Management des programmatischen Wandels als Machtfaktor, München, 2005, S. 53

[6] Miller/Potthoff (1988), S. 193

[7] Walter, Franz: Die SPD; Vom Proletariat zur neuen Mitte, Alexander Fest Verlag, Berlin, 2002, S. 128

[8] Miller/Potthoff (1988), S. 188

[9] ebd., S. 188

[10] vgl.: ebd., S. 200

[11] Eppler, Erhard: Plattform für eine neue Mehrheit: Ein Kommentar zum Berliner Programm der SPD, Verlag J.H.W. Dietz, Bonn, 1990, S. 18

[12] vgl.: Eppler (1990), S. 18-19

[13] Lösche, Peter/Walter, Franz: Die SPD: Klassenpartei-Volkspartei-Quotenpartei, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1992, S. 115

[14] Lösche/Walter (1992), S. 116

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Die SPD auf der Suche nach ihren "Roten Socken" - Von der klassischen Arbeiterpartei zum programmlosen 'Kanzlerwahlverein'?
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Politikwissenschaften)
Veranstaltung
Hauptseminar: Parteien und Parteienwettbewerb in Deutschland
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
28
Katalognummer
V75499
ISBN (eBook)
9783638812559
Dateigröße
481 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Suche, Roten, Socken, Arbeiterpartei, Kanzlerwahlverein, Hauptseminar, Parteien, Parteienwettbewerb, Deutschland
Arbeit zitieren
Krischan Kaufmann (Autor:in), 2007, Die SPD auf der Suche nach ihren "Roten Socken" - Von der klassischen Arbeiterpartei zum programmlosen 'Kanzlerwahlverein'?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75499

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